Eine semantische Umpolung
Der Topos vom passiven Konsumenten
Lange Zeit waren die Vorstellungen vom Konsumenten von einigen wenigen Leitmotiven geprägt, die auch den Großteil konsumtheoretischer und konsumwissenschaftlicher Publikationen beeinflussten. Erst in den letzten Jahren wurden diese Leitmotive selbst zum Gegenstand der Analyse und daher ihrerseits kritisch beleuchtet sowie in ihrer Relevanz relativiert. So resümierte Kai-Uwe Hellmann 2011 etliche Stereotype des Konsumenten.[1] Dabei untersucht er besonders das Begriffsfeld der Unselbständigkeit: Konsumenten würden oft wie/als Kinder beschrieben, die leicht zu manipulieren seien, sie würden aber auch als passives Publikum gesehen, das sich von Produzenten etwas vorsetzen lasse. Tatsächlich fußen selbst etliche konsumtheoretische Publikationen, die in jüngerer Vergangenheit am meisten Aufmerksamkeit erregt haben, ganz selbstverständlich auf solchen letztlich einseitig negativen Bildern vom Konsumenten: Zygmunt Bauman strukturiert sein 2007 publiziertes Buch Leben als Konsum anhand der Dichotomie von Produktion und Konsumption. Er spricht von einem „krassen Gegensatz“ zwischen beidem und denkt den Konsumenten so passiv, dass er ihn im weiteren sogar auf ein Objekt reduzieren kann. Die „Mitglieder der Konsumgesellschaft“ seien „selbst Konsumgüter“.[2] Bei Bauman wie bei vielen seiner Vorgänger – in Deutschland am prominentesten und wirkungsmächtigsten lange Zeit Wolfgang Fritz Haug – suggeriert die Beschreibung des Konsumenten als einem kommodifizierten, manipulierten, unterworfenen Etwas, an den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen müsse sich grundsätzlich etwas ändern; Ziel müsse die Befreiung der Konsumenten sein – aus Kindern müssten Erwachsene werden, das passive Publikum habe sich in selbstbewusste Akteure zu verwandeln.
Benjamin Barbers Buch Consumed! aus dem Jahr 2007 lebt ausschließlich von der mit Skandal-Rhetorik inszenierten These einer „Infantilisierung der Verbraucher“, lässt diese also einmal mehr als dumm gehaltene Kinder erscheinen.[3] Und selbst viel intelligentere Bücher wie etwa Konsumrebellen von Joseph Heath und Andrew Potter bestätigen das Bild vom Konsumenten als ohnmächtigem, eingesperrtem Wesen: Jede noch so antikonsumistische oder antikapitalistische Bewegung – jede Gegenkultur – werde im Nu selbst in den Bann der Logik des Konsumkapitalismus gezogen. Ein Entkommen sei unmöglich, so der hier und auch sonst gerne verwendete Plot.[4]
Doch gibt es mittlerweile auch eine nennenswerte Opposition gegen derartige Bilder vom entmündigten, machtlosen Konsumenten. Hellmann nennt es sogar „völlig irreführend, wenn man […] noch immer von einem passiven Konsumenten als Standardverhalten ausgehen würde“. Aus seiner Sicht haben sich vor allem die Konsumenten selbst verändert und, zumindest teilweise, aus ihrer Unmündigkeit befreit; zu beobachten sei ihre „zunehmende Bereitschaft […], deutlich mehr Aktivität, Partizipation und Kollaboration aufzubringen, was mitunter so weit geht, dass die eindeutige Unterscheidbarkeit von Konsumption und Produktion schwer fällt“.[5] Noch weiter gehen Publikationen wie Konsum und Kreativität, 2015 herausgegeben von Dirk Hohnsträter, mit den Versuchen verschiedener Autoren, Verbraucher als aktive und sogar als kreative Subjekte zu beschreiben, die nicht nur rezipieren, was andere produziert haben, sondern die selbst vielfältig gestaltend und produzierend tätig sind.[6] Andere Autoren, so etwa Thomas Hecken, kritisieren die herkömmliche Konsumkritik gerade dafür, die Rolle und Selbständigkeit der Konsumenten verkannt zu haben. Vielmehr würden diese auf die Eigenschaften „Passivität, Standardisiertheit, Gewöhnlichkeit und Materialismus“ reduziert, was nicht weniger als ein „Versagen der Intellektuellen“ darstelle, die sich mit dem Konsum und der Kritik daran befassten.[7]
Die Transformation des Konsums zu Arbeit
Egal ob man die Konsumenten als Opfer oder als Schuldige ansieht, was ihren infantil-passiven Status anbelangt, so bietet diese Diagnose aber eine willkommene Gelegenheit für eine moralisierende Betrachtung und für erhobene Zeigefinger. Letztlich geht es dann jedoch immer auch darum, im Gegenzug andere Eigenschaften anzupreisen: Produktivität, Arbeit, Eigeninitiative, Effizienz. Die standardmäßige Konsumkritik erscheint weitergehend sogar als Folge und Ausdruck einer Mentalität, die – am häufigsten protestantisch oder sozialistisch grundiert – die Arbeit als größten innerweltlichen Sinnstifter, als Basis und Legitimation der menschlichen Existenz verherrlicht und zur besseren Inszenierung ihres Lobpreises einen möglichst drastisch illustrierbaren Gegenpol benötigt. Als Nicht-Arbeiter lässt sich der Konsument nicht nur als passiv und unerwachsen, sondern wahlweise auch als faul, verschwenderisch, destruktiv, unverantwortlich, irrational denunzieren. All das wurde – und wird – seit Generationen so gemacht, und daher lässt sich zustimmen, wie Boris Groys die arbeitsselige Grundhaltung der Moderne bilanziert: „Bloß zu konsumieren scheint moralisch verwerflich zu sein – in erster Linie soll man produzieren, schaffen, kreativ sein.“[8]
Dass diese Polarisierung von ‚Konsum’ und ‚Arbeit’ vermutlich noch nie gestimmt hat, vor allem jedoch in der gegenwärtigen Gesellschaft überhaupt nicht mehr angemessen ist, sehe ich genauso wie die bereits genannten Autoren. Sie ist aber gerade auch deshalb falsch geworden, weil sie so lange prägend war – und weil daher etliche Energien aufgewendet wurden, sie – und damit die Positiv-Negativ-Dichotomie – zu unterlaufen. Das hat, so meine Hypothese, vor allem damit zu tun, dass es die heutige Wohlstandsgesellschaft mehr Menschen denn je erlaubt, sich in nennenswertem Umfang als Konsumenten zu betätigen. Damit aber finden sich gerade Milieus, deren Mitglieder ihren gesellschaftlichen Status und ihren gesamten Stolz lange Zeit nur aus der Arbeit bezogen, genauso auf der anderen Seite wieder, die ehedem vor allem von einer ‚leisure class’ besetzt war, die aus der Sicht der Arbeitenden alle negativen Ausprägungen von Nicht-Arbeit und Konsum verkörperte. Um diesen Seitenwechsel ertragen zu können, ja um mit dem nachwirkenden Leitbild, allein Arbeit und Produktion seien gut, nicht in zu großen Konflikt zu geraten, liegt es im Interesse gerade dieser Milieus, auch den Konsum als etwas Positives erfahren zu können. Das heißt für sie aber: Er muss seinerseits als Form von Arbeit, Leistung, Aktivität gelten können. Soweit sie den Grundsätzen einer Arbeitsethik treu bleiben, statt es vielleicht auch zu genießen, sich genauso als Müßiggänger und Verschwender, als Kinder und als Publikum auszuleben und zu definieren, bleibt ihnen nur, ihren Konsum als Form von Arbeit zu betreiben. Er muss zumindest den Anschein von etwas Produktivem und Vernünftigem haben.
Die Transformation des Konsums von Nicht-Arbeit zu Arbeit lässt sich an zahlreichen Phänomenen nachvollziehen, die in den letzten Jahrzehnten, oft erst in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben. Sie alle dienen dazu, den Konsumenten, die noch jener – wiegesagt: meist protestantischen oder sozialistischen – Arbeitsethik verpflichtet sind, das schlechte Gewissen zu nehmen – und es in gutes Gewissen zu verwandeln. Dabei geht die Initiative oft von den Herstellern aus, die begriffen haben, dass es sich förderlich auf ihre Umsätze auswirkt, wenn sie Hemmschwellen abbauen, die bestehen, solange Menschen Konsum als etwas Problematisches – etwas Negatives, sie Entwürdigendes – empfinden. Vor allem das Marketing hat Strategien und Konzepte entwickelt, die jeweils einzelne Phasen des Konsums als Arbeit – als produktiv, rational, verantwortungsvoll – erfahrbar machen. Im Folgenden sei ein Überblick über einige dieser Strategien versucht – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber an den Abläufen des Konsums orientiert.
Strategien des Marketing, Konsum als Arbeit erfahrbar zu machen
Schon das Auswählen eines Produkts findet heutzutage häufig unter Bedingungen statt, die es ausschließen, Konsum mit unproduktivem, unreifem Verhalten gleichzusetzen. So gibt es fast überall eine Vielzahl von Produktvarianten, zum Teil sogar von denselben Herstellern, und oft sind sie – man denke an Handyverträge – auch nur bedingt miteinander vergleichbar. Diese durchaus beabsichtigte Unübersichtlichkeit aber hat interessante Folgen. Sie nervt nicht nur wie manche dröge Arbeit, sondern eröffnet auch Profilierungs- und Professionalisierungschancen; man kann sich ihr stellen, sich in ihr bewähren, Kompetenz erwerben und an den Tag legen. Gerade weil es Zeit, Konzentration, weitere Recherchen verlangt, bevor man überhaupt versteht, worin sich einzelne Varianten unterscheiden und welche zu den eigenen Ansprüchen passen, kann man sich auch zum Experten entwickeln. Oder man holt sich seinerseits Hilfe bei Experten oder liest Testergebnisse, Studien, Artikel von Wissenschaftlern, Journalisten, Verbraucherschützern, die sich beruflich mit der jeweiligen Branche beschäftigen.
Je häufiger man mit Unübersichtlichkeitserfahrungen zurechtkommen muss, desto mehr verfestigt sich aber auch der Eindruck, das richtige Konsumieren sei selbst eine Profession, die man lernen und immer noch besser beherrschen könnte. Statt weiter Müßiggang mit dem Konsum zu assoziieren, wird darin eine Aufgabe gesehen. Jede Entscheidung am Ende eines Auswahlprozesses führt dann zu einem Gefühl ähnlich dem, wenn man eine Prüfung bestanden oder ein Werk vollbracht hat. Vom Publikum ist man zm Akteur aufgestiegen.
Das Bild vom Konsumieren als einer Profession schärft sich noch, wenn man daran denkt, wie viele Hersteller mittlerweile selbst zahlreiche Kriterien ins Spiel bringen, die bei einer Kaufentscheidung Anwendung finden können. Neben auch früher schon üblichen gebrauchswert- und qualitätsspezifischen Kriterien geht es dabei vor allem um volkswirtschaftliche, politische und ethische Kriterien. Durch sie werden Konsumenten in der Ansicht bestärkt, Konsum könne etwas durch und durch Rationales und Verantwortungsvolles sein. Zugleich steigen aber die Ansprüche, wie viel nachzufragen und wie lange zu recherchieren ist, bevor man eine Entscheidung trifft. Und die Konsumenten lernen, verstärkt auch darauf zu achten, was die Produkte mit ihnen machen; sie fordern eigene Rechte. So wie sich Arbeiter in Gewerkschaften zusammenschließen, verbünden sich Konsumenten daher in Verbraucherschutzinitiativen; viele sehen ihre Rechte heutzutage sogar schon eher beim Konsumieren denn in ihrer Arbeit als gefährdet oder zu gering an, was aber auch zeigt, wie sehr sie sich eigens als aktive Konsumenten definieren.
Durch die Stärkung der Identität und der Interessen der Verbraucher nimmt das Konsumieren genauso mehr und mehr den Status einer Arbeit an wie durch die steigende Sensibilität für moralische Kriterien. Es dauert und verlangt einiges an Eigeninitiative, bis man etwa im Fall von Kleidung geklärt hat, ob die Stoffe mit umweltverträglichen und nicht-allergenen Farben gefärbt sind, ob die am Produktionsprozess beteiligten Arbeiter fair entlohnt werden und krankenversichert sind und ob die Stoffe aus einer Kultur stammen, deren Integrität durch zu viel Handel gefährdet werden könnte.
Stefan Kuzmany, Autor des Buches Gute Marken, böse Marken. Konsumieren lernen, aber richtig! (2007) lässt seine Leser ein ganzes Buchkapitel lang an seinem Bemühen teilhaben, eine „moralisch einwandfreie“ Hose zu erwerben, aber jedes Mal, wenn er eine gute Marke gefunden zu haben glaubt, taucht ein neuer Verdacht auf.[9] Exemplarisch vollzieht er nach, wie viel Arbeit ein solcher Entscheidungsprozess macht, der in diesem Fall nicht einmal zu einem ‚Happy End’ gelangt, da zu viele Kriterien gleichzeitig erfüllt sein müssten. Aber allein dass man Kriterien in den Mittelpunkt stellt, statt sich etwa einfach nur auf den eigenen Geschmack oder gesellschaftlichen Status zu berufen, lässt aus einem müßigen Akt, der zum Vergnügen stattfindet, etwas ebenso Anstrengendes wie ernüchternd Zweckmäßiges werden. Vor allem aber entsteht auch hier das Bild vom Konsum als einer Profession, die man lernen kann, wie bereits Kuzmanys Buchtitel bestätigt. Zwar kann nur viel Zeit für Konsumentscheidungen aufwenden, wer sie auch hat, doch will man damit nicht mehr wie ein Vertreter der ‚leisure class’ des 19. Jahrhunderts signalisieren, von Arbeit freigestellt zu sein, sondern bekundet Verantwortung: die Bemühung um das gemessen an den eigenen Kriterien bestmögliche – volkswirtschaftlich nützlichste, politisch und moralisch reinste – Ergebnis.
Um besser zu verstehen, was sich verändert hat, braucht man nur nachzulesen, wie Émile Zola in seinem Roman Das Paradies der Damen (1884) ausgedehnte Einkaufstouren vornehmer Damen schildert, die halbe Tage in einem Warenhaus verbrachten und jede Kaufentscheidung im Gestus demonstrativen Müßiggangs hinauszögerten. Selbst wenn sie eigentlich längst wussten, was sie haben wollten, ließen sie sich von den Verkäufern immer noch mehr zeigen – und dies, wie Zola bemerkt, „rein zum Vergnügen“.[10] Hier ging es nicht um Kriterien und Verantwortung, vielmehr genossen sie ihre Überlegenheit und die Macht, ausufernd Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können. Insgesamt wirkten sie damit auf andere Menschen, vor allem auf die arbeitende Mehrheit, als hypertrophe und vom Nichtstun verwöhnte Wesen – eben als infantil und unnütz.
Geht es um die heutige Konsumkultur, so wird eines der ersten und auffälligsten Symptome für einen Wandel des Konsums zu einer Form der Produktion schon seit den 1980er Jahren unter dem Begriff des Prosumers gefasst: Prosumer wirken an der Herstellung dessen mit, was sie selbst nutzen, konfigurieren sich also etwa – meist online – Schuhe oder ihr Müsli. Das gibt ihnen nicht nur das Gefühl, ein individuelles, maßgeschneidertes Produkt zu bekommen, sondern versetzt sie vor allem in die Rolle aktiver Gestalter. Statt etwas Fertiges zu kaufen, wenden sie eigens Zeit auf und erleben sich als kreativ, zumindest aber als produktiv.
Eine noch intensivere Erfahrung von Teilhabe erlauben die in den letzten Jahren beliebt gewordenen Crowdfunding-Projekte. Bei ihnen nehmen die Konsumenten sogar einen kompletten Rollenwechsel vor. Bevor ein Produkt – ein Sportschuh, ein Film – hergestellt werden kann, muss nämlich die Finanzierung gesichert sein; es müssen sich genügend Interessenten zusammenfinden, die vorab Geld zahlen, damit der Produktionsprozess möglich wird. So werden sie selbst zu Herstellern: Teilhaber einer Produktionsgemeinschaft. Ohne ihren – finanziellen – Einsatz käme das Produkt nicht zustande. Sie können es nur konsumieren, weil sie es mitproduziert haben. Da Crowdfunding-Projekten oft die Erfahrung zugrunde liegt, dass bestehende Angebote bestimmten Kriterien – etwa einem Anspruch auf Nachhaltigkeit – nicht genügen, wird der initiierte Produktionsprozess zudem als besonders verantwortungsvoll empfunden. Aus einem verschwenderisch-egoistischen Konsumenten wird ein vernünftig-altruistischer Produzent.
Viele Marken und Unternehmen legen ihre Produkte aber bereits so an, dass Konsumenten der Eindruck vermittelt wird, sie würden allein durch den Kauf – und nicht erst als Prosumer oder Crowdfunder – aktiv an einer weltverbessernden, produktiven Maßnahme mitwirken. Dazu genügt die Information, dass ein Teil des Kaufpreises z.B. für den Bau von Brunnen in einem Land der Dritten Welt verwendet wird. Das entkräftet die Sorge, passiv zu sein und wie ein Schmarotzer auf Kosten anderer ein schönes und komfortables Leben zu genießen; dafür verbindet der Kauf (ähnlich wie im Fall von Crowdfunding) mit anderen Konsumenten, die dieselbe Wahl treffen. Das fühlt sich bestenfalls so an, als habe man sich in einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen, um gemeinsam etwas anzupacken.
In manchen Milieus begreifen sich Konsumenten sogar als so bewusst und aktiv, dass sie auch überprüfen, ob jene Brunnen wirklich gebaut werden. Sie sehen den Konsum generell als eine der besten und stärksten Möglichkeiten an, etwas zu verändern. Für sie besteht kein Zweifel, dass sie Missständen abhelfen können, wenn sie das Richtige kaufen. Wer etwa ‚Fair Trade’-Produkte erwirbt, um bessere Löhne in Ländern der Dritten Welt durchzusetzen, verändere unmittelbar, so die Verbraucherschützerin Tanja Busse, „die Nachfrage und – schneller als wir glauben – auch das Angebot“.[11] Wer diese marktwirtschaftliche Regel ernst nimmt, erkennt also, dass man nicht Produzent sein muss, um Einfluss auf das zu haben, was produziert wird. Spielt der traditionelle Gegensatz zwischen ‚Produzent’ und ‚Konsument’ aber keine Rolle mehr, kann dem Konsumieren auch nicht länger vorgehalten werden, schlechter – unproduktiver – als Arbeit zu sein. Es ist nicht wichtig, auf welcher Seite man steht, sondern mit welchem Bewusstsein man produziert oder konsumiert.
Eine bereits ältere Strategie besteht darin, den Konsumenten Arbeit zu machen, wenn sie ein Produkt gekauft haben. Um es nutzen zu können, müssen sie zuerst selbst Hand anlegen oder gewisses Knowhow anwenden. Anders als bei Prosumern, die an der Herstellung oder Konfiguration dessen beteiligt sind, was sie kaufen, geht es dann darum, ein an sich schon voll entwickeltes Produkt funktionsfähig zu machen. So bieten Hersteller von Möbeln ihren Kunden an, Bücherregale, Betten oder Schränke selbst zusammenzubauen. Wer die Montage übernimmt, spart auch Geld, was suggeriert, man werde für das Zusammenbauen regelrecht entlohnt: wie für eine Arbeit bezahlt.
In anderen Fällen dient das Angebot der Fertigstellung eher der Kompensation von schlechtem Gewissen, das bei Konsumenten entsteht, wenn sie befürchten, selbst zu wenig gearbeitet, zu wenig Engagement gezeigt zu haben. So könnten Hersteller von Fertiggerichten den Konsumenten oft jegliche Eigenbeteiligung ersparen, designen ihre Produkte aber derart, dass noch ein paar Handgriffe nötig sind, die in der Beschreibung zudem zu relevanten Tätigkeiten aufgewertet werden. Die Marktforscherin Helene Karmasin, die Entwickler von Convenience Food beraten hat, hält die Sorge, mit dem Servieren eines Fertiggerichts nicht genügend Zeit, Arbeit, Liebe für die eigene Familie aufgebracht zu haben, für so weit verbreitet und tief sitzend, dass man die Kunden paradoxerweise nur dann davon überzeugt, wenn sie selbst das Essen vollenden dürfen: „Sie geben z.B. ein bisschen Petersilie und einen Löffel Rahm dazu – dann aber haben sie das Gefühl, selber ein Essen hergestellt zu haben.“[12]
Das Design hat viele Produkte aber auch in anderer Weise so umgestaltet, dass ihr Gebrauch das Gefühl erzeugt, man leiste eine Arbeit, gehe einer hocheffizienten Tätigkeit nach. Selbst Dinge aus Lebensbereichen, die nichts mit Arbeit zu tun haben, lassen mittlerweile jeden, der sie nutzt oder um sich hat, als engagiert, aktiv, ergebnisorientiert erscheinen. Fahrradhelme signalisieren weniger Schutz als Hochleistung, Wanderschuhe nicht Erholung in der Natur, sondern optimale Performance, Kosmetikprodukte nicht nur Schönheit, sondern genauso Fitness und Power.[13] Der Verdacht, passiv zu sein, kann also gar nicht aufkommen. Vielmehr werden Konsumenten durch das Design in die Rolle von Profis versetzt, die in jedem Moment zu Leistung motiviert sind und sich ganz mit dem identifizieren, was sie gerade tun. Selbst etwas wie Wohnen oder Sich-Erholen wird in eine Aktivität transformiert, die effizient und produktiv zu betreiben ist und daher Arbeit viel nähersteht als Müßiggang und Passivität.
Die Karriere von ‚functional food’ und Funktionskleidung passt ebenfalls dazu, alles auf Nützlichkeit, Effizienz, Produktivität hin auszurichten. Dabei wird das Funktionale – die Eignung für Arbeit und Leistung – nicht selten überbetont, manchmal sogar vorgetäuscht, so wie früher eine Dysfunktionalität suggeriert wurde, um den Eindruck zu erwecken, man könne sich Müßiggang und Ineffizienz leisten. Bei Thorstein Veblen, der die ‚leisure class’ am Ende des 19. Jahrhunderts genauer als jeder andere analysierte, findet sich die Feststellung, Kleidung solle „allen Beobachtern von vornherein klarmachen, dass wir nicht produktiv zu arbeiten brauchen“; als „elegant“ gelte gerade, was nicht nützlich sei und „die Vorstellung eines müßigen Lebens wachruf[t]“.[14] Der hier ablesbare Wandel der Designprioritäten – Funktionalität statt Müßiggang – bezeugt am deutlichsten, was es heißt, dass in der Wohlstandsgesellschaft nicht nur eine privilegierte Elite, sondern eine große Mehrheit von Menschen zu Konsum befähigt ist – eine Mehrheit, die sich nach wie vor über Arbeit definiert und alles ihrem Arbeitsethos unterwerfen will.
Der neueste Weg, sich als Konsument – gerade auch teurer Markenprodukte – als produktiv und bei der Arbeit zu fühlen, ist das Selbstverständnis als Influencer. Man fotografiert sich mit der jeweils aktuellen Mode, bei der Nutzung schicker Kosmetik oder technischer Produkte, postet die Fotos auf einem Instagram-Account und bemüht sich um Follower, Likes und Kommentare. Wer genügend Resonanz erzielt, bekommt von Unternehmen unaufgefordert neue Produkte; falls es noch besser läuft, erhält man zusätzlich Geld, und im besten Fall kann man unter seinem eigenen Namen sogar Produktlinien vertreiben. Unter Jugendlichen gehört ‚Influencer’ aktuell zu den Traumberufen, winken doch Prominenz und Reichtum. Als Konsument kann man also erreichen, was sonst nur Stars gelingt, zumindest aber kann man das Konsumieren zur Profession machen, mit der sich genauso Geld verdienen lässt wie in klassischen Berufen. Nach und nach setzt sich so die Vorstellung durch, auch der Konsum – von der Kleidungswahl über die Wohnungseinrichtung bis hin zum Essen – sei eine Arbeit, mit der eine Wertschöpfung stattfindet.
Konsum als kreative Leistung
Da Influencer das, was sie konsumieren, eigens inszenieren, wird ihre produktive Tätigkeit aber nicht nur als profane Arbeit, sondern genauso als kreative Leistung gewürdigt. Das wiederum ist Teil einer breiteren Entwicklung, die darin besteht, Konsumieren als höhere Form der Produktion anzusehen und in Kategorien des Schöpferischen zu beschreiben.
Statt als Influencer kann man sich etwa auch als kritischer Verbraucher in Szene setzen und auf diversen Internet-Foren – von Airbnb bis Tripadvisor – Rezensionen von Ferienwohnungen und Restaurants, erst recht von Alltagsprodukten aller Art verfassen, um dabei nicht nur Versiertheit mit den jeweiligen Kriterien, sondern vor allem auch Urteilskraft, Findigkeit und Artikulationsvermögen unter Beweis zu stellen. Einmal mehr ist man dann ein Profi, aber zugleich jemand, der insbesondere über kreative Fähigkeiten verfügt.
Üblicher ist es, Konsumenten als kreativ zu würdigen, indem man sie mit Kuratoren vergleicht oder Konsumieren sogar als Form des Kuratierens definiert. Man attestiert den Konsumenten dann, allein durch geschickte Kombination von Kleidern oder Möbeln deren jeweils interessanteste Seiten überraschend zur Geltung bringen, sie exponieren und inszenieren und so in ihrem Wert steigern zu können und sich damit einmal mehr als produktiv zu erweisen.
Sofern die Produktivität nicht mehr nur das Ergebnis von Arbeit, sondern auch Ausdruck von Kreativität ist, deutet sich aber auch ein neuer Paradigmenwechsel an. Denn während Arbeit etwas ist, das allen Menschen zugetraut und zugemutet werden kann, bleibt Kreativität, so sehr sie mittlerweile auch zu einem allgemeinen Anspruch geworden sein mag, an Begabungen und Fähigkeiten, oft auch an Bildung gebunden und steht daher nur privilegierten Menschen zur Verfügung. Konsum in Kategorien des Kreativen zu begreifen, heißt somit, sich auf den Weg in eine neue Klassengesellschaft zu begeben. War die ‚leisure class’, die Veblen beschrieb, exklusiv, weil ihre Angehörigen nicht arbeiten mussten, sondern sich demonstrative Unproduktivität leisten konnten, so würde sich die neue Konsumaristokratie zwar ebenfalls nicht durch Arbeit definieren, verstünde sich aber im Gegenteil gerade als besonders produktiv, nämlich durch Kreativität ausgezeichnet. Man kuratiert und ist Influencer und kann es sich leisten, weil man entweder fähig genug ist, um damit Geld zu verdienen, oder weil man ohnehin schon wohlhabend ist und daher die Freiheit hat, sich selbst zu verwirklichen und sich dabei kreativ und produktiv zu fühlen. So oder so unterscheidet man sich aber deutlich von den Menschen, die Konsum als Arbeit begreifen und die vor allem auch – voll – arbeiten müssen, um sich Konsum überhaupt leisten zu können. Für sie ist es nicht nur unmöglich, hohe Kreativitätsansprüche zu erfüllen, sondern oft schon ein Problem, genügend Zeit aufzubringen, um den diversen Spielarten von als produktiv empfundenem Konsum nachgehen zu können. Ihnen fällt es schwer, vor einer Kaufentscheidung großen Rechercheaufwand zu treiben oder gar ein Crowdfunding-Projekt zu starten, es überfordert sie, als Prosumer vieles selbst tun und als kritische Verbraucher immer noch mehr Kriterien lernen zu müssen.
Das aber lässt die Wahrscheinlichkeit einer neuen Klassengesellschaft umso größer werden. Nur wer viel Zeit, Bildung, Freiräume für Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung hat, wird Konsum auch wirklich als Arbeit – oder gar als Kreativität – praktizieren können. Die Menschen hingegen, die sich nach wie vor vornehmlich über Erwerbsarbeit definieren, haben einen niedrigeren Status, ganz zu schweigen von denen, die arbeits- und einkommenslos sind und die daher auch nur in eingeschränktem Maße konsumieren können, was sie gleichsam ein zweites Mal arbeitslos sein lässt.
Die semantische Umpolung von ‚Produktion’ und ‚Konsum’
Generell ist zu befürchten, dass die Aufwertung des Konsums zu etwas Aktivem und Produktivem, die eigentlich gerade einer Mehrheit bisher nur über Arbeit positiv definierter Menschen zu einer besseren Identität und einem besseren Gewissen verhelfen sollte, gesellschaftliche Ungleichheiten verstärkt. Denn während sich das Feld des Konsums früher, so negativ es konnotiert sein mochte, als Gegenpol zur Welt der Arbeit und des Effizienzzwangs verstehen ließ und damit – gerade dank der ihm unterstellten Passivität und Infantilität – kompensatorische Funktionen entfalten konnte, fehlt heute ein ausgleichendes Prinzip. Vielmehr sind Arbeitsethos und Produktivitätsdenken universal geworden – und wer hier nicht mithalten kann, hat kaum noch eine Chance auf ein gelingendes Leben.
Die lange gültige Polarisierung von ‚Konsum’ und ‚Arbeit’ wurde also nicht dadurch unterlaufen, dass man die konträren Bewertungen außer Kraft setzte und das Unproduktive auf- sowie das Produktive abwertete, sondern allein damit überwunden, dass man alles dem priorisierten Prinzip der Produktion unterwarf. Das wird auch noch durch eine weitere Entwicklung bestätigt. So wäre die Transformation des Konsums in etwas Produktives und damit Positives eine halbe Sache geblieben, hätte man nicht zugleich das bisherige Verständnis von Produktion verändert, um auch weiterhin einen negativen Gegenpol zu haben. Damit die vielen Menschen, die einer Arbeitsethik verpflichtet sind, ein wirklich ungezwungenes Verhältnis zum Konsum finden können, genügt es also nicht, diesen zur Arbeit zu erklären und damit aufzuwerten; vielmehr muss zugleich vieles dessen, was traditionell mit Arbeit und Produktion assoziiert ist, als Verschwendung, als unverantwortlich und damit als negativ erscheinen. Der alte Gegensatz zwischen Produktion und Konsum wird also hinsichtlich der Bewertung nicht aufgehoben, vielmehr tauschen seine Pole ihre Position.
Tatsächlich hat in den letzten Jahrzehnten eine Umpolung stattgefunden, die – zumal in dieser Stärke und Geschwindigkeit – ideengeschichtlich kaum Parallelen haben dürfte. Vor allem dank der Debatten um Ökologie, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit ist es gelungen, die Produktion zu problematisieren. Geht es um Ressourcenverbrauch, CO2-Bilanzen und Arbeitsbedingungen, wird die Schuld an Formen von Verschwendung und unverantwortlichem Handeln nämlich nicht etwa (auch) den Konsumenten gegeben, die für Nachfrage sorgen und immer mehr kaufen und verbrauchen, sondern allein den Produzenten zugeschoben, die ein Angebot bereitstellen: Sie verschmutzen die Umwelt, sie beuten Ressourcen und Menschen aus. So gerne sich Konsumenten als verantwortlich für jede Verbesserung ansehen und stolz sind, mit ihrer Nachfrage direkt auf das Angebot einzuwirken, so sehr müssen sich also die produzierenden Unternehmen Umweltprojekte einfallen lassen, Recyclingprogramme entwickeln oder ihren Mitarbeitern bessere Konditionen verschaffen. Sie nehmen die Schuld auch auf sich, weil nur so sichergestellt ist, dass die von Vorwürfen völlig entlasteten Konsumenten weiter einkaufen.
Haben die Konsumenten nicht nur kein schlechtes Gewissen mehr, sondern erscheint ihnen ihr Konsum als sinnvolle, produktive Arbeit, ja sogar als die bessere Arbeit gegenüber der herkömmlichen Produktions- und Erwerbsarbeit, dann verführt ihr Arbeitsethos sie aber sogar dazu, umso mehr einzukaufen. Denn je mehr sie konsumieren, desto mehr verändern und verbessern sie die Welt.
Konsum als Arbeit zu erfahren, heißt somit nicht zuletzt, in eine Steigerungs- und Wachstumslogik zu geraten. Wie für sämtliche modernen Arbeitsgesellschaften – nicht nur im Kapitalismus – der Anspruch selbstverständlich war, von Jahr zu Jahr effizienter und produktiver zu werden, verspüren heute viele Konsumenten mindestens so sehr das Bedürfnis, sich fortwährend noch professioneller, noch engagierter, noch umfassender einzubringen. Umso erstaunlicher ist, dass ein Typus von Kritik, der fest mit jeder Spielart von Wachstumsidee verbunden war, fast völlig verschwunden ist. So war es bis vor kurzem noch selbstverständlich, die Konsumgesellschaft als Wegwerfgesellschaft zu brandmarken, womit neben der Einschätzung des Konsums als Verschwendung und Nicht-Arbeit gerade auch die Vorstellung zum Ausdruck kam, das Wachstum müsse Grenzen haben. Doch ist mittlerweile nicht nur der Ausdruck ‚Wegwerfgesellschaft’ ungebräuchlich geworden, sondern es ist sogar gelungen, selbst das Wegwerfen und Entsorgen umzucodieren und auf einmal als etwas Produktives erscheinen zu lassen. Vor allem dank der Mülltrennung haben die Konsumenten heute das Gefühl, auch Wegwerfen sei eine Art von Arbeit und Profession; damit würde man von Produzenten verschwendete Ressourcen wieder freigeben, geradezu erlösen. Nicht einmal dem Wegwerfen haftet somit noch schlechtes Gewissen an, es bedeutet vielmehr, einen ökologischen Kreislauf zu schließen und damit neue Rohstoffe zu produzieren.
Zu Ursachen und Folgen der semantischen Umpolung von ‚Produktion’ und ‚Konsum’
Wenn man bedenkt, dass die Umwertung der Pole ‚Produktion’ und ‚Konsumption’ vor allem dank der Einführung von Kriterien für verantwortungsvollen Konsum durchgängig möglich geworden ist, wird man paradoxerweise der Ökologiebewegung und einigen anderen emanzipatorischen Strömungen den größten Anteil an der Entlastung der Konsumenten und damit an der Ankurbelung des Konsums zuzusprechen haben. Mit Kriterien wie Nachhaltigkeit, Arbeitsschutz und Fair Trade haben sie den Konsumenten Mittel verschafft, sich als aktiv und konstruktiv zu erfahren, zugleich aber Ansprüche formuliert, die letztlich nur von den Herstellern erfüllt werden können. Wurden diese dadurch in die Rolle von Schuldigen versetzt, so konnten die Konsumenten erstmals ohne schlechtes Gewissen sein und sogar zu dem Schluss gelangen, sie seien umso bessere Menschen, je mehr sie kriterienbewusst konsumierten. Dem Konsum wurde alles Frivole genommen. Er ist Arbeit. Er verbessert die Welt. Er ist protestantisch und links.
Tatsächlich dürften gerade die Strömungen mehr Interesse oder zumindest eine unbewusste Neigung haben, Produktion als Verschwendung darzustellen und den Konsum umgekehrt in Arbeit zu verwandeln, die diesen ursprünglich besonders stark als Sünde, als Verschwendung, als passiv und infantil, in jedem Fall aber als unproduktiv angesehen haben. Zugleich mussten aber überhaupt erst so viele Menschen in die Rolle von Konsumenten gelangen wie in der heutigen Wohlstandsgesellschaft, damit genügend Antrieb für eine Umwertung des Konsums entstehen konnte. Ob sie alle allerdings wirklich davon profitieren, als Konsumenten nun grundsätzlich positiv definiert zu sein, ist keineswegs sicher; vielmehr könnten sie neue Erfahrungen von Exklusion machen, sofern sie den hohen Ansprüchen an Konsum als Arbeit und Profession nicht zu genügen vermögen.
Dass Konsum zu einer Form von Arbeit geworden ist, nimmt jedoch zuerst einmal einem Großteil traditioneller Konsumkritik den Wind aus den Segeln. Sie war letztlich so wirkungsvoll, dass sie unnötig, wenn nicht gar deplatziert geworden ist. Denn wie sollte man Konsumenten noch Materialismus, Passivität, Infantilität, Eskapismus oder mangelnde Individualität vorwerfen, wenn sie mittlerweile in jeder Phase des Konsumierens unter Beweis stellen können und sollen, von Verantwortungsgefühl, Eigeninitiative und Produktivitätsehrgeiz getrieben zu sein?
Dafür steht die Konsumforschung vor ganz neuen Fragen und Aufgaben. So müsste man etwa überprüfen, ob, wann und wie sich der gewünschte produktive Charakter des Konsums wirklich erfüllt. Wann also ist Konsum Arbeit, wann hingegen vielleicht nur ein Surrogat davon und letztlich doch nach wie vor – oder gar mehr denn je – Verschwendung und Ausbeutung? Wann demonstrieren Konsumenten damit bloß einen Willen zur Arbeit, wann hingegen leisten sie tatsächlich etwas Produktives? Und wann ist das erfüllende Arbeit, wann hingegen nur lästig? Wann müssten sie von dieser Arbeit vielleicht sogar befreit werden – so wie man sie früher von entfremdender Erwerbsarbeit befreien wollte?
Noch wichtiger und näherliegend aber scheinen mir andere Themen. Was bedeutet es, wenn Konsumarbeit vielleicht sogar höher geschätzt wird und mehr zur Identitätsbildung beiträgt als Erwerbsarbeit? Und was heißt es, wenn der Konsum noch mehr gilt, sofern er als Form von Kreativität in Erscheinung tritt? Vor allem aber: Welche Ausprägung und Folgen hat die Klassengesellschaft, die daraus entsteht? Wie viele Menschen werden dem neuen Anspruch, doppelt arbeiten zu müssen, auf Dauer nicht nachkommen können? Braucht es hier neue Konzepte von Verbraucherschutz? Und wie verändert es die Menschen, wenn alle Lebensbereiche der Logik von Produktion und Professionalisierung unterworfen sind? Wird man sich vielleicht schon in naher Zukunft eine Zeit zurückwünschen, in der man zwar schlechtes Gewissen beim Konsumieren hatte, gelegentlich aber auch die Frivolität von etwas bloß Passivem, Kindischem, Unnützem genoss, vor allem aber keinerlei Leistungsimperativen unterworfen war, wenn man zum Einkaufen ging?
Gerade weil herkömmliche Konsumkritik nicht mehr greift, sind Konsumtheoretiker und -forscher umso wichtiger. Sie müssen Antworten auf die vielen neuen Fragen finden, Probleme rechtzeitig erkennen und vor allem zu beschreiben und zu interpretieren üben, wie sich heutige Konsumerfahrungen von früheren Konsumerfahrungen unterscheiden. In dem Moment, in dem erkannt wird, dass Konsum und Arbeit einander so nah gerückt sind wie noch nie in ihrer Geschichte, hat ein neues Kapitel der Konsumkritik zu beginnen.
Wolfgang Ullrich ist freier Autor.
Anmerkungen
[1] Vgl. Hellmann, Form und Formen des Konsumenten. Zur Konstruktion des ‚homo consumens’“, 2011.
[2] Bauman, Leben als Konsum, 2009, S. 74, 77.
[3] Barber, Consumed! Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Bürger verschlingt, 2007.
[4] Heath/Potter, Konsumrebellen. Der Mythos der Gegenkultur, 2005.
[5] Hellmann, Form und Formen des Konsumenten. Zur Konstruktion des ‚homo consumens’“, 2011, S. 204, 201.
[6] Hohnsträter (Hg.), Konsum und Kreativität, 2015.
[7] Hecken, Das Versagen der Intellektuellen. Eine Verteidigung des Konsums gegen seine deutschen Verächter, 2010, S. 224.
[8] Groys, Der Wille zur totalen Produktion, 1992.
[9] Kuzmany, Gute Marken, böse Marken. Konsumieren lernen, aber richtig!, 2007, S. 84.
[10] Zola, Das Paradies der Damen, 4. Kapitel, auf: http://gutenberg.spiegel.de/buch/das-paradies-der-damen-1249/5.
[11] Busse, Die Einkaufsrevolution. Konsumenten entdecken ihre Macht, 2006, S. 241.
[12] Karmasin, Die geheime Botschaft unserer Speisen, 2001, S. 256.
[13] Vgl. Ullrich, Alles nur Konsum. Kritik der warenästhetischen Erziehung, 2013, S. 81.
[14] Veblen, Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen, 1971, S. 129f.
Literaturverzeichnis
Barber, Benjamin, Consumed! Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Bürger verschlingt, München 2007.
Bauman, Zygmunt, Leben als Konsum, Hamburg 2009.
Busse, Tanja, Die Einkaufsrevolution. Konsumenten entdecken ihre Macht, München 2006.
Groys, Boris, „Der Wille zur totalen Produktion“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (Bilder und Zeiten), Nr. 114, 16. Mai 1992.
Heath, Joseph/Potter, Andrew, Konsumrebellen. Der Mythos der Gegenkultur, Berlin 2005.
Hecken, Thomas, Das Versagen der Intellektuellen. Eine Verteidigung des Konsums gegen seine deutschen Verächter, Bielefeld 2010.
Hellmann, Kai-Uwe, „Form und Formen des Konsumenten. Zur Konstruktion des ‚homo consumens’“, in: ders.: Fetische des Konsums. Studien zur Soziologie der Marke, Heidelberg 2011, S. 185–210.
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