Ausstellungen der Jahre 2014/15
[zuerst erschienen in: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 9, Herbst 2016, S. 118-121]
Die Geschichte der Kunstgeschichte zeichnet sich dadurch aus, dass jede Generation das Feld in seiner Gesamtheit neu bestellen möchte. Einerseits wird der gesicherte Bestand aus einem anderen Blickwinkel als zuvor betrachtet, andererseits der Zuständigkeitsbereich auf bisher zu wenig beachtete Gegenstände ausgeweitet.
Auch vier aktuelle Bände zu Pop-Art-Ausstellungen durchmessen noch einmal Altes und führen zugleich unbekannte Bestände einer interessierten Öffentlichkeit erstmals vor Augen. Die Kataloge zu den Ausstellungen »International Pop« (Walker Art Center, Minneapolis) und »The World Goes Pop« (Tate Modern, London) versuchen nichts weniger, als die Schlagschatten der westlich dominierten Kunstgeschichte auszuleuchten. Mit dieser durchaus neuen Form der ›global art history‹ will man den Beweis antreten, dass es nie nur eine Pop-Art gegeben habe, sondern von dem Phänomen nur im Plural zu sprechen sei.
Zwar können die neu in den Blick genommenen Spielarten der Pop-Art den kanonisierten Positionen in formaler Hinsicht durchaus ähnlich sehen, doch sind sie unter vollkommen anderen kulturellen, sozialen und politischen Bedingungen entstanden. Keinesfalls lassen sie sich als affirmative Ästhetisierungen der mehrheitlich durch den Westen beeinflussten Konsumkulturen verstehen, sondern müssen ganz im Gegenteil auch als gesellschaftlich relevante Bewegungen begriffen werden, die etablierte Kommunikationsstrategien dazu nutzten, individuelle oder kollektive Identität in deutlicher Opposition zum jeweiligen System kritisch, subversiv und ironisch zu formulieren.
Wie Jessica Morgan im Vorwort zum Katalog »The World Goes Pop« schreibt: »›Pop‹ did not just signify North American popular culture. Pop arose in singular forms and designations, but in no singular lineage. Many pops emerged simultaneously, and often imbued with an ambivalence, if not outright hostility, to the notion of American economic (and implicitly artistic) dominance.«
Die Frage nach der Qualität der globalen Pop-Art wird von den Autor/innen des Kataloges erst gar nicht an die ausgestellten Werke herangetragen, weil es ihnen weniger um die Präsentation einer schon lange etablierten ›Kunstmarktkunst‹ geht als um Gegenstände, die aufgrund ihres konkreten politischen Engagements vor allem lokale Aufmerksamkeit erringen konnten – ablesbar an Bildern, mit denen Ende der 60er Jahre zum Massenprotest aufgerufen werden sollte, etwa Equipo Crónicas »Concentration becomes Quality« (1966) oder Claudio Tozzis »Multitude« (1968).
Auch die Kurator/innen des Walker Art Center in Minneapolis, Darsie Alexander und Bartholomew Ryan, versammelten unter der Überschrift »International Pop« unterschiedliche künstlerische Gegenentwürfe aus Europa, dem Nahen Osten, Asien und Südamerika, konfrontierten diese aber mit ›Klassikern‹ der Pop-Art (unter anderem mit Werken von Peter Blake, Richard Hamilton, Ed Ruscha, Andy Warhol oder von Sigmar Polke und Gerhard Richter), um die dialektischen Beziehungen zwischen den vernakularen Popkulturen und vermeintlich gesicherten künstlerischen Pop-Positionen herauszuarbeiten.
Im Mittelpunkt standen in beiden Ausstellungen die in den frühen 60er Jahren überall in der Welt hervorwachsenden Versionen hausgemachter Pop-Art, die im Vergleich zu den englischen und amerikanischen Erscheinungsformen deutlich ideologischere Züge aufwiesen. In Ländern wie Brasilien, Japan oder Ungarn wurde Pop-Art nicht allein mit glatter Oberfläche und subversiver Unterhaltung identifiziert, sondern mit sozialem Engagement, politischer Überzeugung, ja teilweise revolutionärem Aktionismus.
Dass sich die amerikanische Pop-Art gegenüber den vielen anderen ›Pop-Arten‹ so schnell international durchzusetzen verstand und kanonisiert wurde, war nicht zuerst ihrer ›Qualität‹, sondern dem funktionierenden Kunstsystem der amerikanischen Ostküste geschuldet, der engen Verflechtung von Galeristen, Kritikern und Ausstellungsmachern, denen es schon in der Mitte der 60er Jahre gelungen war, ausgesuchte Künstler als eine exklusive Alternative zum damals dominierenden Abstrakten Expressionismus zu vermarkten.
Eine zeitgeistige Kunstgeschichtsschreibung tat ihr Übriges. Die frühen Autor/innen wie etwa Lawrence Alloway oder Lucy Lippard stellten in ihren Geschichtsentwürfen auf wenige englische und amerikanische Künstler scharf und vernachlässigten absichtsvoll andere Entwicklungen, übersahen Nebenschauplätze und übergingen wichtige Protagonisten – sie unterschlugen alles, was einer griffigen Erzählung hätte im Weg stehen können.
Durch das Raster der Vereinfachungen fielen mehrheitlich nicht nur die internationalen Künstler und ihre Werke, sondern auch amerikanische Künstlerinnen, Frauen der ersten Stunde, wie etwa Rosalyn Drexler, die in einem Interview 2015 anmerkte, sie sei immer von den männlichen Kollegen akzeptiert worden, habe aber anders als diese nie einen Cent mit ihrer Kunst verdient; dass man sie nun in einer Ausstellung wie »International Pop« zeige, sei herzerwärmend, doch komme die Aufmerksamkeit für ihre Arbeit ein wenig spät.
Die beiden angeführten Projekte, durch Ausstellungen und reich bebilderte Kataloge das kunsthistorische Feld zu weiten, lassen sich aber auch kritisch lesen, nämlich als Versuche, westliche Deutungshegemonien für die global aufgefundenen Gegenstände festschreiben zu wollen. Die vermeintlich aufklärerischen Ansätze der amerikanischen und britischen Kurator/innen und Kunsthistoriker/innen greifen mit einem durchaus kolonialistischen Habitus zu ›archäologischen‹ Methoden, um die historischen Ränder des Kunstsystems der 60er Jahre neu auszumessen.
Das Anliegen, lang vergessene Gegenstände und die unterrepräsentierten Künstler/innen dem westlichen Diskurs und damit auch dem international operierenden Markt zuzuführen, besitzt eine problematische Seite: Mit der Ausflaggung der Peripherie wird auch die Geschichte des Zentrums weiter zementiert und der frühere politische Gehalt der globalen Pop-Phänomene durch ihre Kommerz- und Musealisierung zum Absterben verurteilt.
Zwar wird die mit der ›global art history‹ unmittelbar verbundene Behauptung einer Produktions-, Deutungs- und Vermarktungshoheit der internationalen Pop-Art kritisiert, doch nehmen die verschiedenen Initiativen, die diesen kunsthistorischen Überschreibungsgesten entgegenstehen wollen, nicht selten selbst den Habitus des Hegemonialen an, zu beobachten etwa bei der Ausstellung »German Pop« in der Frankfurter Schirn.
Dort bemühte man sich um eine »Bestandsaufnahme des Pop-Prinzips« in Deutschland und wollte – so Max Hollein im Vorwort des Katalogs – die »neue realistische Kunstproduktion« der 60er Jahre präsentieren. Gezeigt wurden deshalb neben den berühmteren Namen wie Bayrle, Klapheck, Polke, Richter verschiedene in Vergessenheit geratene »Positionen« und – ausdrücklich – Arbeiten von Protagonistinnen, »die in ihrer Zeit nicht ausreichend gewürdigt wurden« (z.B. Werke der Künstlerin Christa Dichgans).
Auch hier verfolgten die Ausstellungsmacher »eine Archäologie der 1960er-Jahre« und setzten auf ein methodisches Vorgehen, das »aus der historischen Distanz den Blick auf das breite Spektrum der Szene auch jenseits ihrer heute prominenten Hauptvertreter« zu eröffnen beabsichtigte. Der direkte Vergleich mit amerikanischer Kunst wurde absichtsvoll vermieden, um die deutsche Situation besser nachzeichnen zu können, mit Blick auf die »Metropolen« Düsseldorf, Berlin, Hamburg, München. Dabei sollte das Typische und Zeitgemäße, das Charakteristische und kulturhistorisch Aufschlussreiche herausgearbeitet werden, und darum waren in Frankfurt – wie auch in London und Minneapolis – neben wenigen herausragenden auch viele durchschnittliche Werke zu sehen.
Ganz ohne Zweifel blieb die westdeutsche Rezeption der englischen und vor allem der US-amerikanischen Pop-Art eine eher retardierte und überwiegend private Sache, das macht der Katalog sehr deutlich. Zwar hatten sich Gerhard Richter und Konrad Lueg mit ihrer Aktion »Leben mit Pop – eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus« im Düsseldorfer Möbelhaus Berges 1963 konkret auf amerikanische Beispiele bezogen (auf Bilder, die sie in einer Ausgabe der Zeitschrift »Art International« gefunden hatten), doch blieb diese in vielfacher Hinsicht und auf verschiedenen Ebenen ironische Veranstaltung weitgehend Episode. Gerade die Bemühung, »German Pop« auszustellen, weist auf die Schwierigkeiten hin, eine deutsche Pop-Art anhand der verschiedenen großstädtischen »Künstlerszenen« zu konturieren – bis hin zum »Bavarian Way of Pop«.
Bekanntermaßen ging der Durchbruch der Pop-Art in Deutschland nicht von den Künstlern aus, sondern wurde am und durch den Kunstmarkt verwirklicht, das heißt von potenten Sammlern vorangetrieben, die sich von den Galeristen ihres jeweiligen Vertrauens von der Wichtigkeit und Wertbeständigkeit des Phänomens hatten überzeugen lassen. Diese Unternehmer begannen zwar erst spät zu kaufen, dafür aber im großen Stil.
1968 übernahm, wie man dem launigen Beitrag von Walter Grasskamp im Katalog zur Ausstellung »Ludwig Goes Pop« entnehmen kann, der Shampoo-Unternehmer Karl Ströher (Wella) in einem Coup die New Yorker Sammlung Kraushaar, die aus rund 200 Werken bestand, darunter 36 Bilder und Objekte von Andy Warhol, 21 Skulpturen von Claes Oldenburg, 16 Gemälde von Roy Lichtenstein, sieben von Tom Wesselmann sowie eine lebensgroße Rock ’n’ Roll-Band aus Gips von George Segal. Allerdings wurde Ströher, was die Leidenschaft für Pop-Art anging, noch von dem Schokoladenfabrikanten-Ehepaar Irene und Peter Ludwig übertroffen, deren bemerkenswerte Sammeltätigkeit mit der Ausstellung im Kölner Museum Ludwig und einem aufwendigen Katalogbuch gewürdigt wurde. Dieser Katalog muss als tiefe Verbeugung vor dem Wohltäter- und Stifterehepaar Ludwig verstanden werden, er feiert die Gründungsgeschichte des Museums Ludwig ohne den leichtesten Hauch kritischer Distanz.
Dass Peter Ludwig, wie Eduard Beaucamp sich im Katalog auszudrücken pflegt, als »Sammlungspolitiker den Kanon der Weltkunst aufsprengte und damit als Erster einen globalen Kunstbegriff vorschlug, der ausdrücklich der ›Völkerverständigung‹ dienen sollte«, ist natürlich Unsinn, was u.a. durch die aktuellen Gegenentwürfe »The World Goes Pop« und »International Pop« deutlich wird. Claudio Tozzi oder Rosalyn Drexler wurden dem Sammler Ludwig nicht als Wertanlage vorgeschlagen.
Literatur
The World Goes Pop (Tate Modern, London), hg. v. Jessica Morgan und Flavia Frigeri, New Haven und London 2015.
International Pop (Walker Art Center/Dallas Museum of Art/Philadelphia Museum of Art), hg. v. Darsie Alexander und Bartholomew Ryan, Minneapolis 2015.
German Pop (Schirn Kunsthalle Frankfurt), hg. v. Martina Weinhart und Max Hollein, Köln 2014.
Ludwig Goes Pop (Museum Ludwig Köln), hg. v. Stephan Diederich und Luise Pilz, Köln 2014.
Weitere Hinweise zu Heft 9 von »Pop. Kultur und Kritik« hier.
Joseph Imorde ist Professor für Kunstgeschichte an der Universität Siegen.