Motorradfahren im Film und die Zyklen der Biker Movies
von Hans J. Wulff
20.5.2016

Eine Genregeschichte in Zyklen

[Eine Printfassung des Artikels erschien in: montage AV, 23,1, 2014, S. 11-32]

1.  Stoffkreise und Genrezyklen: Biking in the Movies

Das inzwischen fast sechzigjährige Genre des Biker-Films (biker movies) ist nicht aus dem Leib-Erlebnis des Fahrens heraus und auch nicht aus der Mobilisierung vor allem ärmerer Volksschichten motiviert, sondern vielmehr den Motorrad-Clubs (und den von ihnen abgeleiteten sozialen Formationen) sowie deren Begegnung mit bürgerlichen Siedlungs- und Lebensformen gewidmet.

In den 1930ern schlossen sich in den USA erste Gruppen von Motorradfahrern zu Motorcycle Clubs (oder kurz: MCs) zusammen. Nach dem Weltkrieg verbreiteten sich derartige Formationen in allen Kulturen der Industrienationen. Seitdem ist der Biker (im Deutschen: Rocker) als auch äußerlich auffallender sozialer Typus aus keiner ihrer Realitätsvorstellungen mehr wegzudenken [1].

Biker markieren dabei fast immer eine Gegenwelt zur bürgerlichen Normalität, gehen mit einer Vision der essentiellen Störung oder sogar Zerstörung bürgerlicher Weltordnung einher. Die Figur des Bikers ist Gegenstand einer ausgreifenden Bilder- und Geschichtenphantasie – sie ist eine Imagination der Nicht-Biker, keine oder nur in einem abgeleiteten Sinne aus realer Erfahrung gespeiste Vorstellung. Reales und Imaginäres werden miteinander verschmolzen. In diesem Sinne ist der Biker Vertreter eines eigenen Lebensstils, der sich von bürgerlichen Normen und gesellschaftlichen Regeln scharf abgrenzt.

Es sind die Lederwesten, die sogenannten Kutten, vielfach in den Farben der jeweiligen Clubs (colors), Club-Embleme, großflächige Tätowierungen mit oft provozierenden Motiven, die im Gedächtnis haften. Die Clubs sind zudem soziale Gemeinschaften, meist hierarchisch aufgebaut, mit scharfer Trennung der Geschlechterrollen. Die Innenbeziehungen der Clubs sind durch Ehrenkodizes geregelt, Loyalität ist die wichtigste Tugend, auf die sich die Mitglieder verpflichten. So militärisch-mönchisch diese Organisationsformen anmuten, so exzessiv sind die Alltags- und Freizeitpraxen mit der oft gewalttätigen Auseinandersetzung mit anderen MCs, Alkohol- und Drogenexzessen, männlich dominierten Formen der Sexualität und ähnlichem assoziiert.

Treten Biker in der Öffentlichkeit auf, sind ihre Verhaltensweisen auf Provokation, Machtdemonstration und die latente Androhung von Gewalt ausgerichtet. Biker stehen  im populären Urteil auf der Grenze zur Kriminalität, fallen so auch aus dem Gesetzesrahmen heraus, den sich bürgerliche Gesellschaften geben und der – nicht nur in der US-amerikanischen Tiefenideologie – einen zivilisatorischen Grundwert ausmacht

Das Interesse an der Innenwelt der Motorradclubs erwachte angesichts der Geschichte des Motorrads und seiner Nutzungsformen – von Ausnahmen abgesehen – erst spät. In den Dramatisierungen der 1950er bis noch 1990er Jahre, die ich im Folgenden vorstellen werde, wurden sie fast immer als eine Art „gesellschaftliches Außen“ beschrieben, als eine fremde und möglicherweise bedrohliche Welt. Erst in den 1990ern häuften sich dokumentarische Arbeiten, die sich der Realität und subjektiven Bedeutung des Motorradfahrens ebenso annehmen wie der Porträtierung der Motorrad-Clubs.

In der semiotischen Arbeit der Spielfilme hat man es mit „Rocker- oder Biker-Gangs“ und „-Banden“ zu tun, organisiert nach Mustern, die denen von Gangster-Banden abgelauscht sind; erst im dokumentarischen Zugriff stellen sich die Gruppen als gesellschaftliche Mikro-Welten dar, mit eigenen Werten, Rollenbeziehungen, Ritualen, Kodifizierungen und Umgangsformen. Mit der Intensivierung der dokumentarischen Zuwendung zum Motorradfahren und seinen zahllosen Erscheinungsformen wird auch die subjektive Bedeutung des Fahrens neu gefasst. Und eine ganze Reihe von Filmen haben in den letzten zwanzig Jahren das Motorradfahren mit dem Reisefilm vermählt, das Erlebnis der Bewegung mit einer modellhaften Vorstellung einer nicht-moderierten Besichtigung der Welt integrierend (ein neues Genre, das sich für Verwertungen im Fernsehen anbietet).

Das Genre der Biker-Filme handelt also weniger von einzelnen Fahrern als vielmehr von Biker-Gruppen. Es entstand im Gefolge der innergesellschaftlichen Herausbildung vor allem jugendlicher Subkulturen in den 1950er Jahren, die den vielleicht wichtigsten Trend der kulturellen Entwicklung der USA jener Dekade darstellte. Wenn auch die Doktrin von Kirchen und Politik, von Aufsichtsbehörden und bildungspolitischen Stellen unverändert an einem Amerika christlicher Grundwerte festhielt, nahm sich gerade die Filmindustrie der entstehenden Subkulturen an (Gilbert 1986, 183ff).

Eine besondere Rolle spielten dabei die Motorrad-Clubs, die vor allem an der amerikanischen Westküste entstanden waren. In einer Verbindung von Motorradfahren, Gruppenbildung, Verhalten, Outfit und gemeinsamer Musikstile entstanden (in der Realität, vor allem aber in den fiktionalen Welten des Kinos) gesellschaftliche Gegenwelten, die sich manchmal rigide gegen die umgreifende Gesellschaft abschotteten. Doch das Genre ist nicht homogen, sondern entfaltet sich in mehreren, klar voneinander unterscheidbaren Zyklen, die im Folgenden einzeln vorgestellt werden. Es handelt sich fast ausnahmslos um amerikanische Produktionen (vgl. die Liste in Wulff 2011), was einerseits auf die besondere Bedeutung der innergesellschaftlichen Differenzierung im US-amerikanischen Kulturraum hindeutet, zum anderen darauf, dass die Filme in einer noch zu erläuternden Weise Werte der amerikanischen Tiefenideologie aufgreifen und thematisieren.

In aller Regel wird das Genre homogen behandelt. Die Bezeichnung ist allerdings schwankend – manche sprechen vom Biker-Film, manchmal wird es komplett dem Road-Movie zugeordnet, manchmal werden die Biker-Filme im engeren Sinne als outlaw biker movies separiert oder als biker gang film tituliert; selbst die Bezeichnung chopper operas wird gelegentlich verwendet. Ich werde im Folgenden von dem von Thomas Schatz (1981), Rick Altman (1999) und anderen vorgeschlagenen Modell ausgehen, das Genres gerade nicht als homogene Gebilde ansieht, sondern von einer permanenten Veränderung der Formen und Stoffe ausgeht und darum Genregeschichte in Zyklen gliedert – Gruppen von Filmen, die auf verwandte Themen, Erzählmuster, dramatische Konstellationen etc. rekurrieren.

Oft (aber nicht immer) werden Zyklen durch erfolgreiche Filme ausgelöst, die zu einer Art „serialisierter Produktion“ führen, in der das erfolgreiche Grundmuster variiert, moduliert und mit anderen Mustern amalgamiert wird. Dabei kommt es auch zum Rezyklieren einst standardisierter Genreformate, die eigentlich längst durch neue Formen abgelöst zu sein schienen. Zyklen haben insofern jeweils einen zentralen Bereich der besonders prägnanten und typischen Filme (die zudem noch durch Publikumserfolg herausgestellt sind) und eine Peripherie mit abnehmender Typizität der Beispiele. Das Modell schließt eine Rezeptions- mit einer Produktionsperspektive kurz: Erfolgreiche Filme nehmen Themen- und Formenbedürfnisse des Publikums auf und werden ihrerseits als Leitlinien neuer Produktion genommen. Zyklen sind nicht scharf gegeneinander abgegrenzt, sondern überlappen einander.

Die Geschichte des Biker-Films läßt sich in drei derartige Zyklen gliedern, die jeweils auf einen (oder zwei) Kernfilme zurückgehen:

(1) die Rockerfilme, die im Anschluss an The Wild One (1953) entstanden;

(2.1) die Hells-Angels-Filme im Anschluss an The Wild Angels (1966);

(2.2) die Easy-Rider-Filme nach dem gleichbetitelten Film (1969);

(3) und die Mad-Max-Filme nach dem unerwarteten Erfolg des Endzeitfilms gleichen Titels (1979).

Die zahlreichen anderen Filme aus dem Stoffbereich des Motorradfahrens im Film (insbesondere Sport-, Reise- und Dokumentarfilme) gehören keinem dieser Zyklen und eigentlich auch nicht dem Genre des Biker-Films an, auch wenn sie gelegentlich auf deren Darstellungsmittel zurückgreifen.

  1. Erster Zyklus: Die Rockerfilme

Zum öfters bearbeiteten Thema und zu einem mehrfach variierten Motiv des Kinos wurde der Biker resp. die Biker-Gang erst mit dem Aufkommen der Jugendkultur in den 1950er Jahren. Es war Marlon Brando, der der Erscheinung des Rockers für viele Jahre das Vorbild abgab. Der Film The Wild One (USA 1953, Laszlo Benedek) lieferte fast so etwas wie eine dramatische und narrative Schablone, auf die sich zahlreiche Folgefilme beziehen konnten: Ein kleines Städtchen wird von einer Rocker-Gruppe terrorisiert, gerät gar in eine Auseinandersetzung zwischen zwei Gangs. Ein Mann stirbt, doch ist der Anführer der einen Gruppe, der des Totschlags bezichtigt wird, unschuldig. Es ist ausgerechnet die Tochter des Sheriffs, die ihn entlastet.

 

Der Film etablierte das Bild des Rockers: Er fährt Motorrad und tritt meistens in Gruppen auf. Die Gruppen fühlen sich nicht durch Sitte und Anstand gebunden, lavieren immer an der Grenze zur Illegalität. Der Biker ist aber kein Gangster im herkömmlichen Sinne – Konflikte trägt er nicht mit Waffen, sondern durch körperliche Auseinandersetzung aus. Der Rocker trägt Lederkleidung. Brandos Erscheinungsbild nimmt zwar dress codes der Biker seiner Zeit auf, doch er popularisiert sie und macht sie weltweit bekannt. Sie blieben bis in die Punk-Ära als Leitbilder in Funktion (Phillips 2005; Stern/Stern 1987, 57).

Der Rocker ist eine antibürgerliche Schreckensgestalt, in der sich die Abwehr der oft als rebellisch angesehenen Jugendstile djener Zeit kondensiert. Selbst ein so biederer Film wie Der Pauker (BRD 1958, Axel von Ambesser) inszeniert die von Klaus Löwitsch gespielte Figur des problematischen Jugendlichen in den Kleidungsstilen des Rockers (und es nimmt nicht wunder, dass ausgerechnet er sich der pädagogisch kontrollierten Verbürgerlichung entzieht, von der der Film erzählt).

Die Biker-Figur gehört zu den Ausdrucksformen der juvenile delinquency (zu ihrer Filmgeschichte vgl. McGee/Robertson 1982), die parallel zur Altersdifferenzierung der Gesellschaft die Jugendlichen in einer oft nur ungenau zu umreißenden Opposition steht, in einer diffusen Rebellion gegen die Dominanz der Väter, gegen die Enge der Konventionen, die Disziplinierung aller Formen der Lust. Dass gerade die Welt der Biker-Gruppen sich als eine rabiat-machistische Männerwelt darstellt, die in sich hochritualisiert ist und viel schärfere Hierarchien kennt als die umgebende Gesellschaft, wirkt angesichts der rebellischen Grundhaltung fast grotesk. Und wie eng die Bindung an die Mutterkultur ist, kann auch an der Travestierung bürgerlicher Rituale wie Hochzeiten und Beerdigungen abgelesen werden [2].

Andere Filme gingen über das Spiel mit der sich vor allem im Symbolgebrauch formierenden Provokation hinaus und stellten die Biker-Abweichler nicht nur in einen narrativen Konflikt, sondern untersuchten vor allem ihre Sachkultur auf tiefere Bedeutungen hin: Insbesondere Scorpio Rising (1964, Kenneth Anger) inszenierte das Outfit und die Motorräder – verbunden mit Rock‘n‘Roll-Titeln der Zeit – fast wie Fetisch-Objekte, so dass die verborgenen (homo-)erotischen Bedeutungen und die veränderten Umgangsweisen mit Sinnlichkeit und Körper lesbar wurden, die mit den Objekten der Bikerkultur verbunden waren [3]. Auch dieser Film stellt die Rocker-Figur deutlich gegen die bürgerliche Kultur, behauptet sie als Gegenkultur, gerade weil die Deutungsmuster, in denen die Objektwelt behandelt wird, so stark von der Normalität abweichen.

Dabei ist der Rocker dieses Genres keine Kunstfigur. Die Realität selbst bildet den Unterboden, auf dem schon die Story von The Wild One entstanden war: Sie geht zurück auf eine Kurzgeschichte, die 1951 in Harper‘s Magazine erschienen war und ihrerseits auf  Geschehnissen aus dem kalifornischen Städtchen Hollister basiert, das 1947 von mehreren hundert Motorradfahrern überfallen und tagelang terrorisiert worden war (vgl. Rubin 1994, 359f; Stiglegger 2006, 50f). Das Titelbild der Life, die über das Geschehen in Hollister berichtete, zeigt einen Biker in genau jenem Outfit, das Marlon Brando später so populär machte (Stern/Stern 1987, 56, 206). Die filmische Inszenierung lehnte sich eng an reale Vorbilder an.

Auch die Anlage der Figur hat mit realhistorischen Ereignissen zu tun. Dass sich der Rocker schon in den 1960ern zu einem stereotypen Bösewicht entwickelte – gewalttätig, sexuell bis zur Vergewaltigung aggressiv, rachsüchtig, Drogen genießend, am Ende zur Bildung krimineller Vereinigungen bereit – ist ebenso der Realität selbst abgelauscht. Zur ideologiegeschichtlichen Einschätzung des Genres ist auffallend, dass die Figur aus der Perspektive der bürgerlichen Gesellschaft gezeichnet ist, nicht aus jener der Rockergruppen.

Russ Meyers Motorpsycho (1965) ist ein Inbegriff dieser Konzeptionierung des Rockers, dessen Charakteristik in variierenden Kontexten bis heute fortentwickelt worden ist, dessen Grundelemente ihm aber viel länger anhaften: Gewalt, Sex, Drogen gehören zum Image der Rocker-Gruppen bis heute (ein Bild, das auch manche der realen Motorrad-Clubs wie die Hells Angels oder die Bandidos immer wieder unterfüttern). Bereits die schweren Auseinandersetzungen zwischen den beiden Subkulturstilen der Mods und der Rockers im England der frühen 1960er [4] verfestigten die Vorstellung einer antikulturellen, ja sogar latent antigesellschaftlichen Tendenz, die den verschiedenen Jugendkulturen anlastete. Stanley Cohen (1972) titulierte seinerzeit insbesondere die Rockerfiguren als folk devils, die Reaktion der bürgerlichen Gesellschaft verstand er als „moralische Panik“, die unmittelbar zu politischen und juristischen Verhärtungen im Umgang mit der Jugendkultur geführt habe.

In manchen Teilen der Populärkultur trat die Rocker-Figur in den 1960ern in der holzschnittartigen Prägnanz, wie sie im thematischen Feld der juvenile delinquency movies der 1950er sich herausgebildet hatte, wieder zurück. Sie hatte aber auch dann ein langes Nachleben. Noch die Figur des Eric Von Zipper und seine sich selbst als „Rat Pack“ bezeichnende Gruppe zitieren und ironisieren das Stereotyp zehn Jahre später in den so harmlosen Coming-of-Age-Filmen des Beach-Party-Zyklus (zuerst in Beach Party, 1963, William Asher). Und auch der MC „Black Widows“, der in dem Clint-Eastwood-Film Any Which Way You Can (USA 1980, Buddy Van Horn) den Helden quer durch Amerika verfolgt und ihn eigentlich daran hindern soll, sein Ziel zu erreichen, wird zum Opfer einer ganzen Reihe grober Slapstickiaden – seine ursprüngliche Gefährlichkeit ist zwar noch ikonografisch angezeigt, narrativ ist der Club dagegen nur noch komische Nebenfigur.

  1. Zweiter Zyklus: Antihelden und Bösewichter – Easy Riders und Hells Angels

Ein neues Bedeutungsfeld entstand in der zweiten Hälfte der 1960er – und wieder waren es reale Bedingungen, auf die die Filme der Zeit antworteten. Bürgerrechtsbewegung, Vietnamkrieg, Studenten- und Rassenunruhen: Eine tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft in ein konservatives und ein kritisches Lager wurde an vielen Stellen sichtbar [5].

Ausgerechnet ein Film wie Easy Rider (1969, Dennis Hopper) stellte die Frage nach den Werten der amerikanischen Tiefenideologie – und beantwortete sie mit einer fast paradoxalen Konsequenz: Zwar stoßen die Helden der Geschichte überall auf Abwehr und Missverständnis; ihre Ungebundenheit, ihr freizügiger Umgang mit Sexualität, der explizit benannte Drogenkonsum fügten sich so gar nicht in die Wertvorstellungen der kleinen ländlichen Gemeinden, die sie auf ihren Fahrten berührten. Und doch können sie sich auf die in der amerikanischen Verfassung garantierte individuelle Ungebundenheit und Freiheit berufen. Wenn ihnen mit oft aggressiver Abwehr begegnet wird, so sind es genau diese Vertreter einer amerikanischen Normalität, die Grundwerte aufgeben, das Projekt der américanité verraten. Die Protagonisten des Films sind Antihelden, die zwar moralisch im Recht sind, aber dennoch zu Opfern der Umstände und der Geschichte werden. Die Macher von Easy Rider waren sich der tiefenideologischen Bedeutung des Films durchaus bewusst, als sie ihn mit einem Slogan bewarben, der die paradoxale Anlage der Geschichte akzentuierte: „A man went looking for America, and couldn‘t find it anywhere!“

Manche Biker-Filme der Zeit beziehen sich deutlich auf die dramatischen Konflikte des Western, ein Bezug, an dem man die tiefenideologischen Bedeutungen dieser Filme ermessen kann [6]. In The Born Losers (1967, Tom Laughlin) gerät der Protagonist bei seiner Rückkehr aus Vietnam mit einer Biker-Gruppe aneinander. Vor seinem Einsatz als Soldat hatte er seinen Lebensunterhalt als Cowboy und Rodeo-Reiter verdient; danach konnte man davon nicht mehr leben, Motorradfahren hat das Reiten abgelöst. Das Western-Thema der Ablösung angestammter Arbeits- und Lebensformen einer agrarischen Kultur durch moderne, mit Maschinen assoziierte Produktions- und Lebensformen findet sich auch hier (wenngleich der Vergleich unter realistischer Perspektive fast absurd unglaubwürdig ist). Man mag auch die Angriffe von Bikern auf Kleinstädte als Konfrontation älterer ruraler Lebensformen mit solchen urbaner Herkunft ansehen – auch hier steht die Frage der Modernität der sozialen Aggregationsformen zur Diskussion. (Erinnert sei daran, dass der Gangsterfilm mit seinen sozialen Formationen ein rein urbanes Phänomen und gebunden an das industrialisierte Amerika des 20. Jahrhunderts ist.) Westernbezüge haben auch die „Biker-Cops“, die „legitime Nachfahren von Cowboy und reitendem Marshall [sind], die ältere Einheit von Pferd und Reiter wird zur Verschmelzung von Biker & Bike“ (Kaczmarek o.J.) [7].

So sehr sich die Verwandtschaften der Biker-Filme zum Western auch aufdrängen, so deutlich sind doch die Unterschiede: Im Bikerfilm stehen nicht die good guys im Zentrum, sondern die outlaws. Erst am Ende der Filme werden die Biker-Helden bestraft; bis dahin stehen sie im Zentrum der Geschichte, sie bilden die Anker für die Partizipation des Zuschauers (Stern/Stern 1987, 56). Western behandeln die Zivilisierungsgeschichte, treiben die frontier in einem positiven Sinne voran; Biker-Filme dagegen sind Geschichten der De-Zivilisierung, erzählen von der inneren Gefährdung der Werte der Zivilisation und der Kultur (Stern/Stern 1987, 56).

Auch das schon in The Wild One bezogene Genre des small town movie bildet einen konzeptionell-generischen Hintergrund der Biker-Filme: Die small town ist ein soziales Gebilde mit hoher Innenkontrolle, das auf äußere Störungen sehr sensibel reagiert. Sie ist in den USA ein Kern-Symbol nationaler Ideologie und muss in Verbindung mit den Wertvorstellungen gesehen werden, die mit Heirat, Familie und Freundschaft, Sexualität und Status, Arbeit und öffentlichem Leben sowie kommunaler Politik verbunden sind – die den Werthorizonten des Biker-Lebens fast konträr entgegengesetzt sind (vgl. dazu Levy 1991; McKinnon 1984).

Eine paradox-widersprüchliche Beziehung der Geschichten zur Moral der Geschichten durchzieht das Genre von Beginn an: Auf der einen Seite sind die Figuren der Biker-Bösewichter diejenigen, die die größte Faszination an sich binden; von ihnen gehen die Handlungsimpulse aus, sie verankern den Zuschauer in der Filmhandlung. Der Zuschauer ist nicht mehr in einer Position des Rechts konstituiert, sondern in einer der Angst. Die im klassischen Western so selbstverständliche Erwartung des „guten und gerechten Endes“ ist ausgesetzt. Zwar sorgen alle Filme dafür, dass die Bösewichter am Ende zur Rechenschaft gezogen, zumindest vertrieben werden, doch wirken diese Schlüsse so stereotyp wie unorganisch mit der Geschichte verknüpft. Es mag zur Charakteristik des Exploitation-Kinos gehören, dass die Schlüsse nur ironisch genommen werden können, als Zugeständnisse an die Zensur und an die bürgerliche Gerechtigkeitsvorstellung, die das Kino bedient. Wie in einem subversiven Schulterschluss legen die Filme aber zumindest die affektive Solidarität der Zuschauer mit den Bösewichtern nahe, bevor der Schluß sich der moralischen Doktrin des Kinos unterwirft

Sicher ein Extremfall ist das lange Finale von The Wild Angels (USA 1966): Nach dem Tode eines der MC-Mitglieder soll die Leiche in einer kleinen Kapelle mit einem Gottesdienst geehrt werden (die mit Insignien der Biker wie einem invertierten Hakenkreuz auf leuchtend rotem Grund geschmückt ist). Doch es kommt zum Wortwechsel zwischen dem Priester und dem charismatischen Führer der Fruppe (namens Heavenly Blues), jener fordert Freiheit und das Recht, tun zu können, was – gemeint ist die Biker-Gruppe – man wolle, vor allem grenzenlosen Genuss. Die bis dahin nur grob gewahrte Ordnung bricht zusammen, eine anarchistisch anmutende Party beginnt, Drogen, rauschhafter Tanz, Vergewaltigung, Zerstörung der Kircheneinrichtung, durchgängig mit Handkamera gefilmt, nahe an den Akteuren. Der Leichnam wird zwischen die ekstatisch Feiernden gesetzt, mit einer Zigarette im Mund; der Priester liegt dagegen gefesselt im Sarg. Die Orgie endet erst, als Heavenly Blues zur Beerdigung ruft. Der Sarg wird überhastet durch das kleine Dorf getragen, angeführt und gefolgt von den Bikern auf ihren Motorrädern. Nach einer Schlägerei mit den Dorfbewohnern auf dem Friedhof kündigt sich die Polizei mit ihren Sirenen an, als die Biker fliehen. Nur Heavenly Blues beibt zurück, resigniert, Erde in das noch offene Grab werfend. So grotesk das Geschehen in der Kirche und die Prozession zum Friedhof scheinen, schwenken die Sympathien des Zuschauers am Ende auf die Flüchtenden und vor allem auf die zurückbleibende Figur, die die Konfrontation mit der bürgerlichen Gesellschaft auch nach der (nicht gezeigten) Festnahme fortsetzen wird.

In den wenigen Jahren der Blütezeit des Genres haben sich eine ganze Reihe von Schlussformeln herausgebildet: Es mag die Wiederherstellung von Recht und Ordnung sein (wie in The Wild One), es mag die Eigeninitiative der bürgerlichen Bevölkerung sein, die zur Vertreibung der Biker (in The Savage Seven, 1968, Richard Rush, ist es ähnlich wie in Born Losers ein einzelner, der den Kampf gegen die Biker aufnimmt) oder sogar zu ihrem Tod führt (in Motorpsycho werden drei Rocker am Ende von einem Arzt umgebracht), es mag die Einsicht sein, dass Biker keine „freien Geister“, sondern Kriminelle sind (so dass sich die von Jack Nicholson gespielte Hauptfigur „Poet“ am Ende von Hells Angels on Wheels, 1967, Richard Rush, von den Bikern abwendet), es mag die Vollendung einer Rache sein, zu der die Biker in Dienst genommen werden mussten (wie in Chrome and Hot Leather, 1971, Lee Frost, sich ein Ex-Soldat einer guten Biker-Gruppe anschließen muss, mit der er Rache an einer bösen Gruppe übt, die seine Freundin vergewaltigt und umgebracht hatte). Am Ende all dieser Filme wird Normalität wiederhergestellt, oft kehren die Protagonisten in ihre bürgerliche Identität zurück. Zumindest das narrative Schema der Neuetablierung der Ordnung, das fast alle Gewaltfilme regiert, wird so gewahrt [8].

Es ist die Leistung der Antihelden-Filme, sich über diese zynische Repositionierung des Zuschauers hinwegzusetzen, die Biker-Figuren als tatsächliche Helden ihrer Geschichten zu behandeln. Mit dieser Verschiebung verkehrt sich auch das innere Werteverhältnis der Filme, die Beziehung von Normalität und Abweichung wird gewissermaßen invertiert. Ob damit auch eine Legitimierung mancher Verhaltensweisen der Biker-Helden (vor allem der promiske Umgang mit Sexualität und der Drogenkonsum) vollzogen wird, sei dahingestellt.

Die Phase der Antihelden im amerikanischen Kino ist recht kurz (auch wenn sie gelegentlich im Einzelfall wieder auftauchen) und datiert etwa von 1967 bis 1975. Für den Figurentypus des an Easy Rider angelehnten Antihelden ist extreme Mobilität die wohl zentralste Charakteristik. Manche dieser Figuren sind mit Autos unterwegs (erinnert sei an den Film Vanishing Point, 1971, Richard C. Sarafian, oder an den Trucker-Film Convoy, 1978, Sam Peckinpah), manche mit dem Motorrad. Es mag mit der intensivierten sensorischen Begegnung mit der Umwelt zusammenhängen, dass das Motorrad in der oppositionellen Kultur so große Bedeutung genoss; vor allem aber trägt es ein anderes Image (das Auto zählte seinerzeit zu den Statussymbolen bürgerlicher Existenz, das Motorrad nicht). Easy Rider – verbunden mit der ungemein einprägsamen und erfolgreichen Musik der Gruppe Steppenwolf [9] – bot sich als prägnantes Leitmodell für eine Romantisierung der Bilder des Bikertums an, nahm seinerseits eine weit verbreitete reale Praxis des Fahrens (und der besonderen Abarten des Motorrads wie dem Chopper) auf [10].

Ist der Chopper bis heute ein Symbol für die Hippie-Zeit, steht ihm mit der Harley-Davidson ein anderes Gefährt gegenüber, das einen härteren Stil des being on the road anzeigt. Es sind insbesondere die Geschichten um die Hells Angels, die die Tradition des antibürgerlich-kriminellen Biker- und Rockertums im Film der 1960er fortsetzten. Der so fatale Mord an einem Fan während des Rolling-Stones-Konzerts in Altamont (1969; dokumentiert in dem Rockumentary Gimme Shelter, 1970, Albert Maysles, David Maysles, Charlotte Zwerin) verfestigte die Vorstellung zusätzlich, dass die Gruppe in einem außergesellschaftlichen Niemandsland operierte. In die Schlagzeilen geriet die Gruppe nach der Vergewaltigung zweier Minderjähriger im Jahre 1964 (vgl. einen Artikel in The Nation, 17.5.1965; Rubin 1994, 361ff), die als Monterey Rape in die Geschichte der Gruppe einging.

Der Produzent und Regisseur Roger Corman nahm nach einem Bericht über eine Biker-Beerdigung in Life (28.1.1966) den Kontakt zu den Hells Angels auf (McGee 1988, 55). Peter Fonda und Nancy Sinatra sollten die Hauptrollen in The Wild Angels (1966) übernehmen. Die meisten Rollen des Films wurden durch Mitglieder der Gruppe selbst gespielt. Der Film enthält nur wenige hundert Zeilen Dialoge; er erzählt eher lakonisch vom vorgeblichen Leben der Biker – von Alkoholexzessen, Vergewaltigungen, Kriegen mit anderen Biker-Gruppen, Schlägereien; am Ende steht eine Beerdigung, die in eine wilde Orgie übergeht [11].

Gelegentlich treten in diesen Jahren auch schon weibliche Biker-Gangs auf (wie in The Hellcats, 1967, Robert F. Slatzer, oder in She-Devils on Wheels, 1968,  Herschell Gordon Lewis), die verglichen mit den männlichen Konkurrenz-Gruppen noch brutaler und rücksichtsloser gegen ihre Opfer vorgehen.

Gemessen an dem gängigen Hells-Angels-Stereotyp als einer zumindest latent kriminellen Vereinigung nimmt sich ein Film wie Hells Angels ’69 (1969, Lee Madden) fast naiv aus, thematisiert aber das Image der Angels indirekt: Er erzählt von zwei Gangstern, die als Angels verkleidet das Caesar‘s Palace in Las Vegas ausrauben; natürlich verfolgt die Polizei die Hells Angels, dem allgemeinen Urteil über ihre Bösartigkeit aufsitzend.

Die Konflikte zwischen den verschiedenen subkulturellen Stilen bleiben bestehen, bilden gelegentlich die Grundlage des Dramas. Angels Hard as They Come (USA 1971, Joe Viola) spielt in einer fast allegorisch wirkenden, mitten in der Wüste gelegenen Geisterstadt namens „Lost Cause“. Sie ist der Ort einer brutalen und nihilistischen Auseinandersetzung zwischen zwei Biker-Gangs und einer Hippie-Kommune, die gehofft hatte, ihre Utopie des Zusammenlebens hier in friedlicher Abgeschiedenheit realisieren zu können.

In der Konkurrenz dieser Modelle des Bikertums nimmt sich Klaus Lemkes Film Rocker (BRD 1971), der in fast ethnografischer Zurückhaltung sich in die Lebenswelt seiner Protagonisten hineinzutasten versucht, wie ein Fremdkörper aus – vergleichbar den dokumentarischen Arbeiten, die das Leben der Biker-Gruppen als gesellschaftliche Mikrowelten darstellen, datieren erst viele Jahre später.

  1. Der dritte Zyklus: Endzeit-Biker

Erst Ende der 1970er formierte sich ein neues Stereotyp des Bikers: Es war der australische Film Mad Max (1979, George Miller), der sich von der während der 1960er Jahre nur wenig sensationalisierten Kleidung der Biker [12]  verabschiedete. Nun fahren die miteinander verfeindeten Gruppen in abenteuerlichen Verkleidungen in der Gegend herum, auf der Suche vor allem nach Benzin. Die Geschichte spielt in einer nur ungenau datierten Zukunft nach dem Dritten Weltkrieg in einer verwüsteten und unfruchtbaren Realität. Alle gesellschaftlichen Strukturen sind zusammengebrochen, es gibt weder geordnete Produktionszusammenhänge noch irgendeine Form von Rechtssicherheit. Das alleinige Recht des Stärkeren gilt. Es mag wiederum zu den internen Logiken derartiger Endzeitszenarien gehören, dass in den Sequels des Films auch totalitäre Stadtstrukturen einschließlich martialischer Gladiatoren-Kämpfe thematisiert werden. Eine wie auch immer geartete Bindung an bestimmte oder benennbare historische Kulturen ist aufgelöst. Insbesondere die Bewaffnung dieser Gruppen umgreift die gesamte Zivilisationsgeschichte; selbst römische Kampfwagen tauchen auf [13]

So bedeutsam bis dahin die Realgeschichte für die Entwicklung der Biker- oder Rocker-Images gewesen ist, so ist sie nun ausgesetzt, als habe eine postmoderne Poetologie Einzug in das Genre gehalten. Biker-Geschichten sind in einer rein fiktionalen Spielewelt angesiedelt (und es dürfte eigene Überlegungen wert sein, die Verbindungen der Mad-Max-Motive mit der sich gleichzeitig entwickelnden Bild- und Handlungswelt der Computer-Kampfspiele zu untersuchen). Revisionistische Vorformen gibt es bereits seit den frühen 1970ern. Nam’s Angels (1970, Jack Starrett) erzählt die Geschichte der Rocker-Gruppe „Devil’s Advocates“, die zu einer Spezialeinheit der US-Armee gemacht wird, die mit Motorrädern einen von den Vietcong gefangenen Agenten befreien soll; die Yamaha-Räder werden mit Maschinenpistolen und Granaten ausgerüstet; schließlich wird das Gefangenen-Camp gestürmt.

Das Verfahren einer im Grunde beliebigen Amalgamierung von Requisiten-Kulturen gilt auch für die neue Ausprägung des Biker-Genres: Bis in die 1970er hinein hatten die Filme eigene formelhafte Erzählungen ausgebildet, sei es als Bedrohung bürgerlicher Lebenswelten, sei es als Gegenentwurf gegen die Verkrustungen der bürgerlichen Gesellschaft. Von Beginn an hatte die Selbstinszenierung der Biker auf Provokation gesetzt. Vor allem christliche und Nazi-Symboliken wurden offensiv verwendet, aus ihrem ursprünglichen Bedeutungskreis aber herausgebrochen und mit Bedeutungen aufgeladen, die den Biker-Kulturen zugehörten. Exzessive Ausstellung von Männlichkeit, Insignien des Terrors, eine selbstbewusste Inszenierung von Körperlichkeit, Elemente der Todessehnsucht (als Symboliken eines intensivierten Lebens): Die neuen Werthorizonte, in die die Symboliken eintreten, nehmen Reste der ursprünglichen Bedeutung auf, assimilieren sie aber in einen neuen Kontext. Biker-Sein ist eng verbunden mit einer Symbolpolitik, die sich gegen die Konventionalisierungen und Wertbesetzungen der Bedeutungssphäre stellt und deren anarchistischer Grundgestus darum gerade auf einer symbolischen Ebene Irritation und Abwehr erzeugen muss.

Mit den Mad-Max-Filmen werden die Biker-Gruppen und Reste ihrer Genre-Geschichten endgültig zu Spielmaterial, das mit Genres wie Horror- und Splatterfilm, Thriller und Krimi, Gladiatoren- und Kriegsfilm fast beliebige Mischungen eingehen kann [14]. So kann es geschehen, dass eine weibliche Biker-Gang sich in einer Stadt voller Zombies findet und den Kampf gegen die Untoten aufnehmen muss (Chopper Chicks in Zombietown, 1989, Dan Hoskins). Selbst die Figuren verlieren ihre realistischen Grundlagen: Es treten diverse Zombie- und Geister-Biker auf (etwa in Hot Wax Zombies on Wheels, 1999, Michael Roush). Bereits 1971 hatte sich eine Biker-Frau in einen Werwolf verwandelt, als ihre Gang sich in einem abgelegenen Kloster mit Mönchen auseinandersetzen musste, die satanistische Rituale vollführten (Werewolves on Wheels, 1971, Michel Levesque). Die De-Realisierung des Spiels erstreckt sich bis auf die Konfliktstrukturen. In dem auf einem Marvel-Comic beruhenden Film Ghost Rider (2007, Mark Steven Johnson) gibt der Protagonist seine Seele auf, um sich mit seinem Motorrad dem machthungrigen und bösen „Blackheart“ zu stellen, dem Sohn des Teufels persönlich.

So sehr die Handlungsrealitäten der Biker-Geschichten in eine mit der Realität kaum noch angebundene Spiel-Welt transformiert sind, sie bleiben doch in der Dimension der Moral-von-der-Geschichte realitätsnah. Immer wieder geht es am Ende um Selbsthilfe. Die moralisch-politische Botschaft mancher Filme dieses nachzivilisatorischen Modells der Biker- oder Rockerfigur ist ebenso schlicht wie problematisch: Wenn die gesellschaftlichen Kontrollorgane ausfallen, bleibt den Bürgern nur, ihre Interessen in die eigene Hand zu nehmen. Beispielhaft mag ein Film wie Hellriders (1984, James Bryant) für eine ganze Gruppe von Filmen stehen: Eine brutale Rockerbande (die „Hellriders“, im Deutschen: die Höllenengel) fallen in eine verträumte Kleinstadt im Mittelwesten der USA ein (die dramatische Grundkonstellation von The Wild One gilt also immer noch). Ihre Mitglieder zerstören alles, was sich ihnen in die Quere stellt. Die Männer werden zusammengeschlagen, die Frauen vergewaltigt. Erst als sich beherzte Bürger zusammentun, sich bewaffnen und dem Terror entgegentreten, gerät das Ende der Geschichte in Sicht.

  1. Der gesellschaftliche Rahmen

Biker-Filme gehören durch die Bank dem Exploitation Cinema an und sind oft unter äußerster Beschränkung der Produktionsmittel entstanden. Nur die wenigsten Filme entstammen dem Hollywood-Mainstream-Kino [15]. Vor allem die Filme der 1960er Jahre wurden in den Drive-In-Kinos mit großem Erfolg ausgewertet, was angesichts der geringen Mittel, mit denen sie hergestellt werden konnten, schnell zu Gewinnen führte – sie waren on location zu drehen (also ohne Studio-Aufwand), mit kaum ausgearbeiteten Drehbüchern und nicht-professionellen Darstellern. The Wild Angels (1966) spielte 5 Millionen US-$ ein, war bei minimalen Einstandskosten der zwölft-umsatzstärkste Film des Jahres. Zudem waren die Drive-In-Kinos zu Orten geworden, die nicht nur wegen der niedrigeren Eintrittpreise, sondern auch aus einer grundlegenden Veränderung der Kinopublika und der Konventionen des Kinobesuchs resultierend ein primär jugendliches Publikum aus der lower class hatten (Austin 1985; vgl. Rubin 1994, 369f). Drive-In-Kinos spielten in ihrer Blütezeit (1950-1970) bis zu 25% der Box-Office-Einnahmen ein.

Neben die Marktmacht der Off-Hollywood-Kinos trat der geringe finanzielle Aufwand, den die Filme erforderlich machten. The Wild Angels (1966) z.B. wurde nicht nur mit minimalen Mitteln realisiert, sondern macht bis heute einen überaus rohen und unbearbeiteten Eindruck, als solle die Tatsache, dass Mitglieder der Hells Angels den größten Teil der Film-Rollen gespielt hatten, auch in einem quasi-dokumentarischen look des Films ausgedrückt werden; gleichwohl wurde er ein großer Erfolg, lief sogar auf den Festivals von Cannes und Venedig (Stern/Stern 1987, 57). Der wohl größte ökonomische Erfolg war Easy Rider: Bei Kosten von 300.000 US-$ spielte er mehr als 30 Millionen ein (die Literatur berichtet sehr unterschiedliche Zahlen, aus denen aber immer hervorgeht, dass der Film ein Vielfaches der Produktionskosten einspielte).

Die Filme unterlagen einer strengen Zensur, obwohl sie (oft allerdings abseits der normalen Distribution der Hollywoodproduktionen) ein großes Publikum erreichten. Ausgelöst durch The Wild One, musste der Produzent Stanley Kramer seine Filme der Production Code Administration (der freiwilligen Selbstkontrolle der US-Filmwirtschaft) vorlegen; man hatte dem Film antikapitalistische, sprich: antiamerikanische Tendenzen unterstellt; der Schluss musste geändert werden (Perlman 2007; Simons 2008). Insbesondere in Großbritannien wurde eine ganze Reihe von Biker-Filmen verboten; unter ihnen wurde The Wild One (1953) bis 1968 mit Aufführungsverbot belegt (Robertson 1993, 104-110); zu den Verbotsfilmen gehörte auch The Wild Angels (1966; vgl. The Filmgoer‘s Companion, 1972, 694) und Hells Angels on Wheels (1967; vgl. den Eintrag in der Datenbank von Time Out, 2011) [16]. Eine internationale Liberalisierung der Zensur deutete sich angesichts Easy Rider (1969) an; zwar stieß auch er auf erhebliche Abwehr – in zwei Bundesstaaten der USA erhielt er Aufführungsverbot (Spiegel-Online / EinesTages, 17.7.1969) –, doch wurde er zugleich auf den Filmfestspielen in Cannes aufgeführt und in den meisten Ländern ohne größere Schnittauflagen freigegeben.

Die Geschichte der Zensurierung des Bikerfilms ist ungeschrieben. Es dürfte aber deutlich geworden sein, dass es sich lohnt, genauer hinzusehen: Weil gerade im Versuch, die Erzählungen und Erzählweisen des kleinen Genres, die sozialen Aggregationsformen, die strikte Altersdifferenzierung der sozialen Welt der Geschichten qua Zensur unter Kontrolle zu bringen, mittelbar das Kino als ein Ort der Auseinandersetzung um gesellschaftliche Veränderungen ausgewiesen wird. So fingiert und fiktional die Geschichten des Kinos sich auf den ersten Blick auch darstellen, so stehen sie doch im Horizont der Welt der Zuschauer, diskursivieren Tiefenthemen des sozialen Feldes.

Manches an diesen Vorstellungen ist durch die Realität gestützt, anderes einer sozialen Phantasie geschuldet, die sich in den imaginären Handlungswelten des Kinos und anderer Medien der populären Kultur um Gegenbilder bemühen muss. Das ist nicht naturwüchsig, geht nicht nur auf reale Erfahrung im Umgang mit Bikern zurück, sondern ist in vielfacher Weise Gegenstand filmischer Produktion gewesen, Produkt daramturgischer kalkulation. Die Imaginationen des Bikers antworten auf Geschichten, die im Kino erzählt worden sind. Heute lösen sich die Bilder des Bikers im Film auf. An die Stelle der strikt regulierten Clubs treten Vorstellungen einer viel tieferen Individualisierung und einer viel stärker subjektiven Aufladung des biking mit Bedeutungen der Mobilität, eines nicht touristisch kontrollierten Er=Fahrens der Welt, individualisierter Körpererfahrung und der zumindest zeitweiligen Entbindung aus sozialen Zwängen und Konventionen des Alltagslebens. Die als Biker verkleidete Kernfigur eines gesellschaftlich Anderen oder sogar Bösen hat sich aus dem Dunstkreis kollektiver Bildvorstellungen und narrativer Stereotype verflüchtigt, ist abgelöst worden durch neue Vorstellungsmodelle des Motorradfahrens.

Tatsächlich ist die filmische Bearbeitung des Stoffkreises so alt wie die Geschichte des Kinos, ohne dabei aber genreartige Konventionalität zu erreichen und zu einem sozialen Figurentypus kondensiert zu werden. Schon im Stummfilm finden sich Motorradfahrer-Figuren. Und auch Motorradrennen wurden zumindest als Film-Szenen ausgeführt – man denke etwa an Mabel at the Wheel (USA 1914), einen frühen Charlie-Chaplin-Film, oder an die berühmte Motorradrenn-Sequenz aus Buster Keatons Sherlock, Jr. (USA 1924). Durch die ganze Filmgeschichte hindurch kulminieren vor allem Action-Geschichten in Verfolgungsjagden, von der von Steve McQueen selbst realisierten Szene in The Great Escape (1963, John Sturges), Coogan’s Bluff (1968, Don Siegel) über Cobra (1986, George P. Cosmatos) bis hin zu Black Rain (1989, Ridley Scott). Es mag die Mischung von Akrobatik und Bewegung, von Geschwindigkeit und Dichte der dramatischen Handlung sein, deren Schauwert derartige Szenen in so viele Action-Filme befördert hat. Oft sind es aber nur Seitengeschichten oder episodische Einlassungen, in denen Motorräder oder Biker eine Rolle spielen.

Eine ganz andere Bedeutungsdimension des Motorradfahrens wird greifbar, wenn man nach seinen subjektiven Bedeutungen fragt – dann geht es um die Entfesselung einer Mobilität, die den Einzelnen gegenüber seiner Umgebung neu fasst [17]. Selbst in Filmen wie Kleine Fluchten (Schweiz/Frankreich 1979, Yves Yersin), der von den ungeheuerlich erscheinenden Implikationen erzählt, die der Besitz eines Mofas für einen alten Mann hat, wird etwas von diesem Gefühl der Ungebundenheit und seinen subjektiven Bedeutungen spürbar, die zu den höchsten Werten der Kulturen der Nachkriegszeit zählen.

Die Verbindung von Maschinen- und Körperbeherrschung, die beim Speedway- und Motorcross-Fahren erforderlich ist, hat schon früh dazu geführt, dass sich der Motorrad-Sport auch im Film manifestiert hat.  Der nur neunminütige Film Motodrom (BRD 2006, Jörg Wagner) ist ein neueres Beispiel. Der zwischen Dokumentar- und Experimentalfilm schwebende, dem Lyrischen zuneigende kleine Film beginnt mit sehr nahen Aufnahmen der Handgriffe an den Maschinen, Füßen, die ruckartig die Motoren starten, Details der Motoren, bevor er sich in das Innere des Motodroms begibt und der atemberaubenden Fahrt der Männer an der Steilwand folgt. Auf Musik wird ebenso verzichtet wie auf jeden Dialog; einzig das Dröhnen der Maschinen ist zu hören: Und gerade die spartanische akustische Ausstattung des Films intensiviert den Eindruck der Geschwindigkeit, der veränderten Schwerkraftverhältnisse, der ungeheuren Konzentration, die die Fahrt den Akteuren abverlangt. Das Faszinosum des Motorradfahrens unter reduziertesten Bedingungen wirkt bis heute.

Die Stereotypen und Variationen des Bikerfilms nehmen sich gegenüber diesen dramaturgisch, poetisch oder aus der Figurenkonzeption heraus motivierten Anverwandlungen des Motorrads als eines der Darstellungs- und Ausdrucksmittel des Films und seiner Geschichten wie eine historische Episode aus. Sie lassen sich nur aus einem Gesellschaftsmodell heraus erklären, in dem die Sicherheit bürgerlichen Alltagslebens durch Figuren gefährdet werden, die sich nicht unter der Kontrolle einer regulierten Welt befinden. Darum gestattet ein Blick in die ikonischen, dramatischen und narrativen Konventionen des Bikerfilms einen Blick in die Innenwahrnehmungen einer Gesellschaft, die sich mit massiven Veränderungen der gewohnten Realitätsordnungen auseinandersetzen musste.

Man möchte dagegenhalten, dass derartige dramatische Figuren antagonale Rollen realisieren, die die Gefährdungen der narrativ so wichtigen Normalität bürgerlichen Alltags verkörpern. Es mag aber (und ganz besonders im Falle der Biker-Filme) zur inneren Dynamik der Konzeptualisierungen der Realität gehören, dass der Biker gleichzeitig eine Gegenfigur und eine Vorbildfigur gewesen ist, Symbol einer tiefen Gefährdung alltäglicher Sicherheit wie zugleich aber auch ein Vorbild für den Ausdruck einer fundamentalen Opposition gegen die Kontrolliertheit, ja Repressivität angestammter Alltagswelten. Die Zyklen des Bikerfilms begleiten so den Übergang einer hierarchisch gegliederten Gesellschaftsordnung in die Phase eines individualisierten und deregulierten Spätkapitalismus, in dem es weiterhin die so zentralen MCs gibt, die aber ihre provokative Kraft verloren haben.

 

Anmerkungen

[*] Eingegangen sind Hinweise von Ludger Kaczmarek und Julian Lucks.

[1] Im Deutschen spricht man gemeinhin von Rockern, einem Wort des Kunst-Englischen, das wohl aus Rockmusik abgeleitet wurde. Schon die Wortherkunft deutet darauf hin, dass die Bezeichnung erst in den 1950ern entstand, als die Assoziation von Biker-Gruppen (im Deutschen auch damals meist schon: Rockerbanden) mit den Stilen der Rockmusik durch die Biker-Filme des ersten Zyklus bereits etabliert war. Eine Assoziation, die im übrigen bis heute Bestand hat und meistens die Stilrichtungen von Hard-Rock und Heavy-Metal mit den Motorradgruppen koordiniert.

[2] Heiraten, Hochzeiten und andere Gelegenheiten dienen in den Filmen öfters dazu, Kirchen als Orte der bürgerlichen Gesellschaft für eigene Zwecke zu entfremden. Als einer der Angels in Hells Angels on Wheels (1967) heiratet, fahren seine Biker-Freunde mit ihren Motorrädern in die Kirche. In Born Losers dient gar eine alte Mission als Hauptquartier der Biker, den sie als pleasure dome missbrauchen, einem Ritual, das in Massenvergewaltigungen einmündet. Und die berühmte Drogenszene in Easy Rider spielt auf einem Friedhof. Dass derartige Szenen oft als „Schändungsszenen“ wahrgenommen wurden, verwundert nicht.

Entgegen dieser antikirchlichen Attitüde finden sich ein paar Filme, die gerade von missionierenden Bikern erzählen (Il Profeta, Italien 1968, Dino Risi; Roadside Prophets, 1992, Abbe Wool; He Would Have Rode a Harley, 2000, Mary Beth Bresolin), eine Verdrehung der dominanten Haltung christlichen Werten gegenüber, die überrascht und irritiert. Ähnlich  irritierend wirkt der – allerdings nicht zum Biker-Film im engeren Sinne zählende – Dokumentarfilm Der Geist der Biker (BRD 2010, Stefan Kluge) über die Reise eines Bikerclubs nach Russland, wo ein legendärer Priester, der zugleich Mitglied des Black Bears Yaroslavl MC ist, ihre Motorräder segnen soll.

[3] Eine genauere Analyse findet sich bei Stiglegger 2006, 51-54. Vgl. zur Ikonografie der Schwulen im US-Avantgardekino der Zeit Suárez 1996. Gerade die homoerotischen Komponenten des Umgangs mit der Objektwelt, aber auch mit anderen Bikern scheint in sich widersprüchlich zu sein. Tatsächlich finden sich eine ganze Reihe von Beispielen, die z.B. den Austausch von Küssen zwischen Männern zeigen (vgl. Perlman 2007). Es mag mit der ausgestellten ‚Hyper-Maskulinität‘ der Biker zusammenhängen, dass derartige Handlungen zulässig sind, weil sie die Souveränität der Figuren nur unterstreichen. Trotzdem finden sich keine schwulen Biker. Ein Film wie Pink Angels (1976, Larry G. Brown), der von einer schwulen Biker-Gruppe erzählt, ist im Genre vollkommen isoliert.

[4] Vgl. dazu auch den von Arte France produzierten Film Mods & Rockers (Regie: Kamel; Sd.: Arte 2.9.2010). Vgl. außerdem Quadrophenia (1979, Franc Roddam), der diese Zeit dramatisiert. Insbesondere die Mods (Kurzwort, abgeleitet aus modernist) sind insofern eine äußerst auffallende Gruppierung und Stilistik jugendlicher Subkulturen, als sie zwar der englischen working class und der lower middle class entstammte, aber sich habituell von der eigenen Herkunft abzuwenden schien, indem sie sich in Auftreten und Kleidung eher an Stilistiken der upper middle class orientierte. Durch das Tragen von teurer Markenkleidung vor allem nach dem Vorbild italienischer Couture-Mode wurden Erfolg und sozialer Aufstieg signalisiert. Die Vespa und die Lambretta – zwei italienische Motorroller – wurden zum Gefährt der Mods, oft mit Acessoires ausgeschmückt, mit ganzen Batterien von zusätzlich angebrachten Lampen in eine Art Exzessform des ursprünglichen Gefährts weiterentwickelt (und dann custom roller genannt). So bürgerlich das outfit der Mods auch war, so roh wirkten ihre bevorzugten Freizeitvergnügungen: exzessives Trinken, Drogenkonsum, Schlägereien mit den „Rockern“, einer gleichzeitigen Jugendkultur/-stilistik, die ebenfalls der lower class entstammte. Vgl. dazu immer noch Cohen (1972) sowie Feldman (2009).

[5] Eine ganze Reihe der Biker-Filme hat mit der indianischen Bevölkerung zu tun: Der Held in The Born Losers (1967) ist Halbindianer; The Savage Seven (1968) spielt in einem Reservat; einer der Biker in Satan’s Sadists (1969) ist Indianer. Auch diese Bezüge verankern die Filme in den politischen Auseinandersetzungen ihrer Zeit, spielten doch die Rechte der indigenen Bevölkerung in der Bürgerrechtsbewegung eine wichtige Rolle. Allerdings fehlen schwarze Biker im Genre (wie in der Realität) fast völlig; eine der wenigen Ausnahmen ist The Black Six (1974). Man mag diese Beobachtung durchaus in Verbindung bringen mit der oft strikten rassistischen Mitgliederbeschränkung, die in vielen realen MCs gilt.

[6] Die These, dass der Biker eine moderne Form des Cowboys sei, ist mehrfach geäußert worden, angefangen von Roger Corman (anläßlich seines Film The Wild Angels, 1966); vgl. Perlman 2007.

Zum Western vgl. auch die Tatsache, dass Hell’s Belles (1969, Maury Dexter) den Stoff des James-Stewart-Westerns Winchester 73 (1950, Anthony Mann) auf das Biker-Genre überträgt: Hier geht es um ein Motorrad und nicht mehr um ein Gewehr; das eine wie das andere wird gestohlen und wandert von einem Besitzer zum nächsten. Beide Objekte symbolisieren Männlichkeit und Macht. Und beide stehen im Zentrum eines Zyklus nicht enden wollender Rache, sind Mittel, den Pessimismus, ja Nihilismus dieser erzählten Welt zu artikulieren. Die Objekte haben gewechselt, ihre Bedeutungen für die Selbstbestimmung der Figuren nicht. Die narrative und semantische Grundkonstellation des Western bleibt in Kraft, könnte man folgern, auch wenn die Figuren inzwischen einem anderen Genre angehören.

[7] In einigen Beispielen absolvieren die Polizisten klassischen Streifendienst per Patrouillenfahrten auf dem Krad (wie in James William Guercios Electra Glide in Blue, 1973, sowie in TV-Serien wie CHiPs, 1977-1983; andere handeln von Undercover-Ermittlungen in Biker-Gruppen (wie z.B. in  Motorcycle Gang, 1957, Edward L. Cahn; Beyond the Law, 1992, Larry Ferguson; Stone Cold, 1991, Craig R. Baxley; Miami Beach Cops, 1992, James Winburn).

[8] Zu den Schlüssen vgl. Rubin 1994, 367, 369. Zum allgemeinen Schema der Wiederherstellung der Ordnung vgl. Wulff 1985, cap. 1. Es gibt nur wenige Ausnahmen von dieser Schluss-Konvention. Ein Beispiel ist Kathryn Bigelows Film The Loveless (1981), der in einer winzigen Stadt im Mittelwesten spielt. Hier dienen die Biker, die aufgrund eines Motorschadens einige Tage bleiben müssen, nur als Katalysatoren, die die latente Gewalttätigkeit der Anwohner zu Tage fördern. Am Ende muss eine Tochter ihren Vater erschießen, bevor er ihren Biker-Liebhaber umbringt – und sie nimmt sich das Leben, bevor die Biker den Ort wieder verlassen. Vgl. Lane 1998, 62ff, passim, sowie Stiglegger 2006, 62f.

[9] The Wild One war mit einem jazzigen Sountrack unterlegt. Das änderte sich schon im ersten Zyklus des Genres, als vermehrt Rock‘n‘Roll-Titel zum Einsatz kamen. In den Filmen der 1960er und 1970er dominierten dann Titel der Hardrock-Musik, später auch solche des Heavy-Metal-Rock. Immer waren die Musiken Teil der Rocker- und Biker-Kulturen, so dass sich eine gewisse Perspektivität der Darstellung auch in der Auswahl nachweisen lässt. Zur „Biker-Musik“ vgl. Ahlsdorf 2008.

[10] Dagegen sind die Filme des Hells-Angels-Zyklus antiromantisch und zynisch; vgl. Rubin 1994, 369.

[11] Eine genauere Analyse findet sich bei Stiglegger 2006, 55-59. Vgl. dazu Suarez 1992 und 1996.

[12] Man ist geneigt, von einer „Tracht“ zu sprechen, damit auf eine implizit traditionsorientiert-konservative Tendenz der Biker-Kulturen aufmerksam machend.

[13] Bereits in Knightriders (1981, George A. Romero) hatte eine Motorradgang Turniere in mittelalterlichen Rüstungen ausgetragen.

[14] Zu den zahlreichen Genre-Mischungen und -Bezügen schon im Biker-Film der 1960er vgl. Rubin 1994, 369ff.

[15] Rubin (1994, 377) erwähnt von den Filmen der 1960er einzig C.C. and Company (1970, Seymour Robbie), der dem Mainstream-Kino zugerechnet werden könne. Es geht hier um stilistische Zugehörigkeiten, nicht um ökonomischen Aufwand oder Erfolg; deshalb fällt die Zuordnung zunehmend schwer.

[16] The Wild One stieß auch in anderen Ländern auf den Eingriff der Zensur; in Kanada etwa wurde er 1959 als eine „revolting, sadistic story of degeneration“ auf den Index gesetzt. Zwar lockerten sich die Beurteilungskriterien der Zensur in den späten 1960ern, doch da sich das Genre deutlich dem Exploitation-Film annäherte und vor allem in den Gewaltdarstellungen zu schockierender Explizitheit tendierte, wurde noch in den 1970ern ein Film wie Northville Cemetery Massacre (Rockerschlacht in Northville; USA 1976, William Dear, Thomas L. Dyke) – in dem die Bikergruppe vom realen Motorradclub „Scorpions“ gespielt wurde – mit Auflagen belegt, so dass er in den meisten Ländern nur in einer um mehrere Minuten gekürzten Fassung erschien. Immer richtete sich die Argumentation der Zensurbehörden auf die Möglichkeit, dass Bikerfilme sich als Modell jugendlichen Handelns anbieten und zu Vorbildern realer Jugendgewalt würden; vgl dazu Scherl 2008.

[17] Die mobile Unabhängigkeit ist seit den 1950ern insbesondere für Jugendliche ein hoher Wert gewesen. Erinnert sei an die Bedeutung der Vespa, die nicht nur zu den bevorzugten Mopeds der Mods gehört hat (vgl. Quadrophenia, 1979, Franc Roddam), sondern von Italien aus in ganz Europa verbreitet war. Zahlreiche europäische Gegenwartsfilme der 1950er thematisieren hintergründig die Vespa-Kultur, die vor allem für junge Frauen von großer Bedeutung war und ein gerüttelt Maß an Unabhängigkeit signalisierte, das ihnen in der Vor-Vespa-Zeit nicht gegeben war. Selbst in Europa spielende US-Filme wie Roman Holiday (1953, William Wyler) oder The Happy Road (1957, Gene Kelly) nehmen den Trend auf, zeigen die Protagonisten sogar auf den Filmplakaten auf einer Vespa. Eine Hommage an die Vespa-Zeit ist Nanni Morettis Film Caro Diario (1993), in dem der Protagonist auf dem Rücken einer Vespa die Straßen Roms erkundet. Zur Filmgeschichte der Vespa vgl. die Unmengen an Bild-Nachweisen in der Internet Movie Cars Database, URL: http://www.imcdb.org/vehicles.php. Im Jahre 2010 veranstaltete das Piaggio Museum in Pontedera eine Ausstellung „“The Vespa and the Movies”; vgl. die Homepage der Ausstellung, URL: http://www.lavespaeilcinema.it.

Gelegentlich wurde die These vorgetragen, dass die Biker der Frühzeit des Genres Impersonationen der Differenz und der Opposition zwischen den Alters-Gruppen der sich modernisierenden und gerade altersmäßig differenzierenden Gesellschaft gewesen seien; erst später sei die Rolle der Symbolisierung des Protestes (oder der Differenz) auf die Rockmusik übergegangen; vgl. etwa Schudack 1990, 190ff. Hingewiesen sei darum auch auf die Bedeutung des Motorrads und seiner Varianten für prominente Rock‘n‘Roll-Musiker der Zeit; Elvis Presley besaß nicht nur mehrere verschiedene Motorräder, sondern nutzte sie auch in mehreren Filmen: In Viva Las Vegas (1964) und Roustabout (1964) fuhr er eine Honda, in Clambake (1967) eine Harley Panhead, in Stay Away Joe (1968) eine Triumph.

 

Literatur

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Hans J. Wulff ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Kiel.