Beginn einer neuen Reihe. Im Pop-Archiv werden jeden Monat Fundstücke aus der Pop- und Populärkulturgeschichte dokumentiert und kommentiert. Den Anfang macht die Zeithistorikerin Anne Kurr mit Anmerkungen und Analysen zur Zeitschrift Elaste, einem Zeitgeist-Magazin aus der ersten Hälfte der 1980er Jahre.
Abb. 1 Elaste Magazine (1/1981) Cover
Für den aufkommenden Pop-Journalismus der 1980er Jahre werden in der Geschichtsschreibung vorwiegend die Musikmagazine Sounds und Spex als Medienquellen angeführt, in denen auf neuartige Weise über Pop gesprochen wurde. Insbesondere die selbsternannten Pop-Intellektuellen werden darin als Protagonisten einer neuen politisch linken Denkfigur betrachtet.[1]
Obwohl einige dieser Akteure auch im Elaste Magazine publizierten, wies dieses weniger einen theoriegesättigten Pop-Diskurs auf und zählte eher zu den Lifestyle-Zeitschriften der Zeit. Sie zeichnete sich dennoch durch einen ähnlichen pop-journalistischen Schreibstil aus. Junge Journalisten, Grafiker und Fotografen waren auf der Suche nach der jetztzeitlichen Kunst und Kultur (Elaste Magazine 3/1982) und gestalteten diese in einer neuen Ästhetik. Für die historische Betrachtung liefert Elaste dadurch einen Zugang zu den lebensweltlichen Konzepten einer pop-affinen Jugendsubkultur weißer Mittelschichtsangehöriger im Westdeutschland der 1980er Jahre.
„Zentralorgan deutscher Insider“ nannten die Herausgeber Christian Wegner, Michael Reinboth und Thomas Elsner in der ersten Ausgabe ihr Magazin. Einblicke bekommen die Leser*innen in die damalige hannoveranische Kunst- und Kulturszene.
„Plaste und Elaste. Das Magazzin zur Völkerverständigung gibt sich der Vorstellung hin, den Twist zwischen Dir und Mir abzubauen. Ratsam wäre an dieser Stelle, wenn Du diese Zeitschrift liest oder wie ein Bilderbuch betrachtest und Wir Sie für Dich stylen. (…) Elaste, substantiviert von elastisch, ist in allen Trends und avantgardistischen Entwicklungen ein Plastischmacher. Wir zimmern und fügen. A Magazzin for Media Mutante. Mut zur Mutation. Hannover, eine Stadt wie Gummi, so beweglich vielschichtig in Scenen, Kultur, Musik, Film, Literatur, Mode, Kunst und Dir. (…)“ (Elaste Magazine 1/1981)
Der Schreibstil ähnelt von Beginn an sehr jenem des um sich greifenden Popjournalismus: flapsig, ironisch, assoziativ und distinktiv. Die Autoren und Gestalter drückten in ihren Beiträgen ihre Zugehörigkeit zur Szene aus und grenzten zugleich die Leser*Innen aus. Insidersprache und -wissen verstärken diesen Eindruck. Bezüge zur politischen Situation in Deutschland wie zum Beispiel der Name Elaste, die Mauer muss weg oder Zentralorgan werden aufgeworfen, sind jedoch reine Worthülsen, die in ihrer assoziativen Aneignung jeglichen Sinn verlieren und nur als posenhafter Schreibstil dienen.
Abb. 2 Impressum, Elaste Magazine (4/1982)
Die Selbstreferenzialität der Texte, Fotos und Formate ist ein dominantes Merkmal des Magazins. Diese zeigt sich vor allem in den publizierten Interviews mit lokalen Größen und internationalen Stars. Die Interviewsituationen, nach einer Show oder in einer Bar, nehmen einen großen Anteil des Inhalts ein und überhöhen nicht nur den Interviewten zum Star, sondern adeln die Interviewer (die Herausgeber) als Cool Kids der damaligen Szene.
Abb. 3 Interview mit Dieter Meier von der Schweizer Band Yello, Elaste Magazine (3/1982)
Die Themen, Texte und Bilder lassen trotz der übersteigerten Coolness eine Suchbewegung durchscheinen. Diese offenbaren eine Suche nach dem Stil, den Räumen und Helden der Subkultur, die sich in den Formaten der Beiträge, und insbesondere in der assoziativen Gestaltung, die massenmedial vermittelte Bilder aufgreift, ausdrückt. Die Herausgeber des Magazins betrieben eine lebensweltliche Selbstbeobachtung, die sie in Bilder übersetzten. Die produzierten Abbildungen werden in Bezug auf Musikvideos von Nadja Geer als nichtauthentische Authentizitätsposen bezeichnet, die im Alltagsleben übernommen werden.[2]
Abb. 4 Elaste Magazine (5/1982)
Modestrecken bebilderten den Lifestyle, und die Leser*innen konnten sich daran orientieren, was gerade in der Szene getragen wurde. Die Klamottenläden, in denen man diese Mode kaufen und wo man die Leute aus der Szene antreffen konnte, wurden zugleich mitgeliefert. In Texten und Fotostrecken von Bars, Clubs und Kunstgalerien kartografierte das Magazin die Szene und besetzte dadurch eigene Räume, meist nur Insidern bekannte Off-Spaces der Stadt.
„»Just what is it that makes today´s home so different, so appealing?« (Richard Hamilton, 1956) Wenn der Postmann zweimal klingelt, liegt meist ein kleines Kärtchen in meinem Flur. So auch diesmal »Basement« Hannover Raschplatz. Eröffnung Freitag 12.6.81 22h. Knapp am dreizehnten vorbei, dachte ich und lenkte meinen Wagen einige Tage später durch die trostlose Gegend hinter dem Bahnhof. Beinahe am Ziel angelangt ging´s dann auch noch in den Keller. (…) Gleißende Leuchtstoffröhren, Pirelligummi auf dem Boden, die Decke bleibt unverkleidet, hier und da ein bißchen Chrom. (…) der erste Blick signalisiert sofort, hier wollte jemand der verhärmten Café – und Diskothekenszene mit ihren pastellfarbig schimmernden Barocktempeln eine schallende Ohrfeige verpassen.“ (Elaste Magazine 1/1981)
Abb. 5 Blixa Bargeld, Elaste Magazine (4/1982)
Die Suche nach den neuen Intellektuellen – die neuen Helden der Jugend – offenbart sich in den vielen Interviews oder Beschreibungen von coolen Typen fast ausschließlich männlich. Die neuen Helden waren Hip-Intellektuelle, unter denen die Herausgeber (Lebens-)Künstler, Kuratoren, Journalisten, Regisseure oder auch Nachtlebenfiguren wie Blixa Bargeld aus der westdeutschen Kreativ-Szene verstanden. Frauen spielten dagegen eine passive Rolle und kamen meist nur als Modeobjekte oder als Beute der nächtlichen Abendgestaltung vor.
Auf allen drei skizzierten Ebenen ging es um das Jetztzeitliche der Subkultur, um eine Zugehörigkeit zu ihr in Form von bestimmten Moden, Musik, Räumen und gemeinsamen Leitbildern. Dieser vermeintlich verengte Fluchtpunkt auf einen lokalen Mikrokosmos weist zur gleichen Zeit in der neuen Ästhetik des Magazins eine transnationale Orientierung auf. Die assoziative Gestaltung der Elaste adaptierte vor allem die amerikanischen Pop Art und den Stil der (Post)Punk/New Wave Szene in London. Besonders das erste Cover ist ein ironisches Pastiche der Portraits von Andy Warhol, der von den Herausgebern nach wie vor als Kultfigur gefeiert wurde. (Elaste Magazine 3/1982) Alltagsästhetische Gegenstände wurden von ihnen ihrer Kontexte enthoben und zum Bestandteil des Layouts. Sie verarbeiteten und mixten die Bilder- und Produktflut der Massenkultur – und erhoben sie im Sinne der Pop Art zu Kunst. Ältere Pop Art-Arbeiten der 1960er Jahre, die nun zur Hochkultur gehörten, wurden auch aufgegriffen und ironisch nachgeahmt, wie zum Beispiel Warhols »Dance Diagram« von 1962.
Abb.6 Elaste Magazine (1/1981)
Das Design der Elaste kann als postmodern beschrieben werden. Nicht nur die ironischen Nachahmungen, sondern die verwendeten grafischen Muster erinnern sehr an postmoderne Klassiker wie zum Beispiel an den Designer Ettore Sottsass und die Gruppe Memphis. In der variierenden Gestaltung der Cover zeigt sich ein postmodernes Konzept, dass postmoderner Stil eine Anhäufung aller Stile sei.[3]
Abb. 7 Variierende Werbung für Marie Jo, Hannover, Elaste Magazine (1/1981 – 2/1981)
Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Arbeit der Grafiker und Fotografen an der Gestaltung des Magazins und der darin abgebildeten Werbung. Es stellt sich die Frage, welche Rolle die Gestalter im Aufkommen des Pop-Journalismus und der Lifestylemagazine gespielt haben. Das Magazin Elaste hat möglicherweise nicht nur sich etablierenden Journalisten eine Plattform gegeben, ihre Texte zu publizieren, sondern auch Gestaltern eine Möglichkeit geboten, sich auf dem wachsenden Medien- und Werbemarkt durch ihr „subkulturelles Kapital distinkter Kennerschaft“[4] zu positionieren. Anhand der Liste der Auftraggeber des Studios Thomas Elsner in München lässt sich dies zumindest vermuten.[5]
Einer der Gründe für den Erfolg der Elaste war die Gestaltung des Magazins. Die verhandelten Bilder in Form von Typen, Räumen, Moden, Musik und Einrichtungsstilen zeigten und prägten zugleich die Ästhetik der neuen pop-affinen Subkultur, deren Anhänger sich aus weißen, mittelschichtszugehörigen Kunststudierenden und urbanen Kreativen zusammensetzte. Die Gestaltung der ersten Ausgaben ist in ihrem assoziativen Charakter bemerkenswert und zeigt ein bildnerisches Pendant zum pop-journalistischen Schreibstil der Zeit.
Das Konzept des Magazins Elaste über den Lifestyle, die Akteure und Räume der lokalen „Szene“ zu publizieren, ging auf und die Auflage stieg in den ersten Jahren. Nach dem Umzug der Chefredaktion nach München 1982 erweiterte sich das Themenspektrum auf die westdeutsche Kultur- und Kunstszene. Sich etablierende und etablierte Popjournalisten (Diedrich Diederichsen, Kid P., Andreas Dorau, Thomas Meinecke, Maxim Biller, Thomas Hecken – nur um einige zu nennen), Grafiker und Fotografen beteiligten sich in unterschiedlichen Formaten am Elaste Magazine.
Abb. 8 Elaste (Cover der Ausgaben 2/1981 – 13/1986)
Höhepunkt und zugleich Wendepunkt bildet das Jahr 1984. Die Zeitschrift gewann den European Design Award for Print Magazine, jedoch wurde das Design in den folgenden Jahren professioneller (langweiliger) und verlor dadurch seinen jugendlich wilden DIY-Charakter. Zudem werfen das Coverbild und die Fotostrecke „Durch Wald und Wiesen. Eine kleine Pilzkunde“ (Elaste 9/1984) mit nackten 10- bis 12-jährigen Mädchen Fragen auf. Sie wirken verstörend und sollten im Kontext der vor kurzem aufgekommenen Debatte über den Umgang mit Pädophilie und den Diskurs der sexuellen Freiheit in den 1980er Jahren diskutiert werden.
Die letzte Ausgabe von Elaste erschien 1986. Im selben Jahr begannen finanzkräftigere Verlage, in Deutschland Zeitgeist-Magazine – Tempo und Wiener – auf den Markt zu bringen, die über eine wesentlich höhere Auflage verfügten.
Anmerkungen
[1] Vgl. exemplarisch, Detlef Siegfried, Das Subversive retten. Eine Denkfigur der 1980er Jahre, in: APuZ (46/2015), S. 15f.
[2] Vgl. Nadja Geer, »If you have to ask, you can´t afford it«. Pop als distinktiver intellektueller Selbstentwurf der 1980er Jahre, in: Bodo Mrozek, Alexa Geisthövel, Jürgen Daniel (Hg.), Popgeschichte, Bd.2, Zeithistorische Fallstudien 1958-1988, Bielefeld 2014, S. 345.
[3] Vgl. Postmodernism, Style and Subversion, 1970-1990, hrsg. von Glenn Adamson and Jane Pavitt, London 2011.
[4] Bodo Mrozek, Subkultur und Cultural Studies. Ein kulturwissenschaftlicher Begriff in zeithistorischer Perspektive, in: Bodo Mrozek, Alexa Geisthövel (Hg.), Popgeschichte, Bd. 1, Konzepte und Methoden, Bielefeld 2014, S. 120.
[5] Vgl. http://www.thomaselsner.com
Anne Kurr ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Universität Hamburg.