Konsumrezension Dezember
von Daniel Hornuff
16.12.2013

Zweiter Beitrag unserer neuen Serie von Artikeln, die sich der Besprechung des Designs und des Marketings von Konsumgütern widmet. Diesmal zu »Mr Muscle Aktiv-Kapseln Allzweck-Reiniger«.

 

Im ersten Moment erschien mir die Einladung, Konsumprodukte zu rezensieren, als leichte Übung. Man müsse doch nur das Versprechen der Verpackung mit der Wirksamkeit ihres Inhalts abgleichen. Und schon wäre ein Gradmesser gefunden, an dem Beurteilungen festzumachen seien.

Damit hätte man allerdings nicht rezensiert, sondern lediglich die Gestalt mit ihrem Gehalt abgeglichen. Übertragen auf eine Romanbesprechung würde das bedeuten, dass man sich darauf beschränkte zu prüfen, ob die Erzählung die Ankündigung des Buches auch tatsächlich einlöse. Neben zusätzlichen Nuancen im Inhalt hätten demnach auch abweichende Aspekte und Stimmungen ein Negativurteil zur Folge.

Zu einer Rezension gehört also mehr. Neben Beschreibungen des Gegenstandes erfordert sie auch dessen Eingliederung in seine Herkunft sowie einen Vergleich mit ihm verwandter Erzeugnisse. Rezensionen zeichnen sich gleichermaßen durch Stoff- wie Kontextbetrachtungen aus. Nur was in einen Bezugsrahmen gesetzt wird, ist in seiner Qualität bewert- und damit kritisierbar.

Folglich genügt es nicht zu klären, ob das mir vorliegende Produkt, ein »Allzweck-Reiniger«, auch wirklich Reinigung für alle Zwecke garantiert. Eher wäre zu fragen, welche Vorgeschichte diesem seit Sommer 2013 in Deutschland und Österreich erhältlichen Artikel zugrunde liegt. Denn auffällig ist, dass er sich in eine bereits seit 1992 auf dem internationalen Markt angebotene Produktpalette eingliedert, die ihrerseits das Erbe eines seit Mitte der 1980er Jahre existierenden Backofenreinigers angetreten hatte. Obwohl der aktuelle Artikel inzwischen in rund 30 Nationen zu erwerben ist, wurde darauf verzichtet, spezielle Produktvarianten zu erarbeiten.

So drängt sich der Eindruck auf, dass der Hersteller keine Zweifel an der kulturübergreifenden Bedeutung des Putzens privater Wohnungen hegt. Bleiben damit gesellschaftliche Unterschiede offenkundig unbeachtet, fällt ebenso auf, dass sich westliche Wohlstandsgesellschaften wohl tatsächlich auf einen gemeinsamen Putznenner geeinigt haben.

Denn oft geht es nicht nur um die Beseitigung von Schmutz und Dreck und die wohlduftende Wiederaufbereitung cleaner Erscheinungsbilder. Die Reinhaltung von Räumen assoziieren viele mit einer tugendhaften Lebensform. Sie deuten Angestaubtes als Makel und nehmen es als Ausweis dafür, dass Verwerfliches zugelassen und nachlässig mit sich und seiner Umgebung verfahren wird. Regelmäßiges Putzen, im Idealfall eingesetzt zur Vorbeugung größerer Dreckentwicklungen, fungiert als Mittel der sozialen Distinktion, als Leistungsbeleg eines entwickelten Sittlichkeitsgefühls.

So könnte man unsere Gesellschaft sogar als geprägt von einer Sauberkeitsideologie deuten, die sich in Wisch-, Feudel- und Kehrritualen entfaltet und entsprechende Normabweichungen mit Naserümpfen bestraft. Virginität als ästhetisches Oberflächenideal lässt sich demnach auf Körper und Möbel gleichermaßen beziehen. Ganzkörperrasur und Wohnungsputzen sind, sozialästhetisch betrachtet, verschwisterte Tätigkeiten.

Insofern überrascht nicht, dass neben Procter & Gamble und ihrem »Meister Proper« auch die SC Johnson Family Company mit »Mr Muscle« eine Fitnessfigur zum Reinigungsgaranten erklärt hat. Der Reinheitsfetisch findet im Kult um den trainierten männlichen Körper sein physisches Pendant, so dass dieser sich als Testimonial für Reinigungsprodukte offenbar in besonderer Weise eignet.

Gegenüber dem inzwischen unter Prollverdacht stehenden »Meister Proper« bedient »Mr Muscle« als Superman-Figur zwar ebenfalls sämtliche Gender-Stereotypen, allerdings wird er eine Spur raffinierter inszeniert: So ist das Putzmittel in 12 »Aktiv-Kapseln« portioniert, die sich bei Wasserkontakt aufzulösen beginnen. Eingefasst in einen tonnenartigen Behälter, der wie ein Fitnessdrink zu öffnen ist, kann man seinem Putzeimer einen Energieschub verleihen, den man in dieser Form sonst nur seinem Körper zuführt. Die kissenähnlichen »Aktiv-Kapseln«, die als »10x mehr konzentriert« gepriesen werden, suggerieren eine Eigenwirksamkeit, was den Eindruck verstärkt, dass das Mittel einer Dopingsubstanz nahe steht und leistungssteigernd wirke.

Insofern greift das Produktversprechen auch hier Formeln einer erfolgsorientierten Mentalität auf. Die Überblendung von Putzen und Fitness vereint zwei Imperative unserer Kultur: Mit der Herstellung von räumlicher Sauberkeit einerseits und körperlicher Makellosigkeit andererseits ist ein gelingendes Leben sichtbar zu zertifizieren. Wenn also das Reinigungsmittel als »Quelle der Frische« beworben wird, mag das plump und eindimensional wirken – und doch passt sich eine solche Floskel in den Assoziationsraum von Ursprünglichkeit, Jugendlichkeit und Natürlichkeit nahtlos ein.

Zu überlegen wäre also, ob Produktrezensionen nicht auch dazu dienen können, ein noch genaueres Verständnis unseres sozialen Miteinanders zu gewinnen.  Damit allerdings dürfte das Potenzial solcher Formate zu ambitioniert eingeschätzt sein. Was also unterscheidet die Besprechung eines Konsumprodukts von einer kulturwissenschaftlichen Diagnose? Möglicherweise gibt die Grenze, die zwischen beiden zu ziehen ist, Hinweise auf die Angemessenheit von Produktrezensionen – um Warenartikel in ihrer Bedeutung weder marginalisieren noch sie zu wesenhaften Autoritäten aufbauen zu müssen.

 

Dr. Daniel Hornuff ist Professor für Theorie und Praxis der Gestaltung an der Kunsthochschule der Universität Kassel.