Die Influencerin als dezentriertes Subjekt
von Laura Haddad
07.10.2025

Über Hijabi Creatorinnen

Elins[1] Instagram Story zeigt ein schwarzes Bild vom Nachthimmel, versehen mit der caption: „The stars tonight were so beautiful Sometimes I think to myself how funny it is that we spend so much just to capture realityir and then it sometimes doesn´t even do its justice… But our eyes subhanallah they see it perfectly (Emoji mit Tränen in den Augen).“ (Instagram Story vom 14.04.2024). Ein swipe, es folgt die nächste Slide mit einem Bild von ihr im Park, auf dem sie vor einem blühenden Kirschbaum steht. Das Bild sieht aus wie ein laienhafter Schnappschuss, da auch ihre Beine abgeschnitten sind. Die caption deutet jedoch an, dass es sich hier um bezahlte Werbung handelt: „By the way my hijab is from @hijabiofficial (Herzen Emojis)“

Diese kurze Beschreibung steht illustrativ für die Verwobenheit von „reflexiver Mediatisierung“ (Grenz et. al. 2014), religiöser Performanz und bezahltem Fashion Content, den Influencerinnen in der Modest Fashion Bubble produzieren. Damit sind sie Teil eines sich stetig weiter ausdifferenzierenden Feldes von Mode- und Lifestyle Influencerinnen, die das eigene Bild in Wert zu setzen wissen und dabei normative, bisweilen aktivistische Positionen vertreten.

Hijabi Creatorinnen vermarkten nicht nur Produkte online, sondern bieten neue Identitätsangebote für muslimische Frauen in Deutschland an. Sie stehen als diskursiv verhandelbare Subjekte im Fokus verschieden positionierter Kritik. Dass sie dabei selbst Prozesse widersprüchlicher Subjektivierung durchlaufen und heterogene gesellschaftspolitische Positionen entwickeln, zeigen im Folgenden die Portraits zweier Creatorinnen. Anhand meines empirischen Materials zu Hijabi Creatorinnen in Deutschland zeige ich, wie die Akteurinnen religiöse und andere biographische Entwicklungen und Brüche dazu nutzen, um ihre digitale Präsenz zu navigieren und immer wieder neu auszurichten. Dabei entwickeln die Creatorinnen mitunter ambivalente Geschlechterperformanzen, die sich nicht grundlegend von Selbstdarstellungen anderer Influencerinnen unterscheiden. Wie ich zeigen werde, rekurrieren Hijabi Creatorinnen auf diverse Vorstellungen und Ästhetiken von Weiblichkeit. Dies geschieht nicht selten durch eine im Kollektiv ihrer jeweiligen Followerinnen verortete Suche nach Sinnstiftung und Zugehörigkeit sowie ein gesellschaftspolitisches Engagement, das zwischen postkolonial-feministischen und neokonservativen tradwife-Perspektiven changiert. Diese Analyse bietet das Potential zur Ausdifferenzierung und Nuancierung der Influencer-Figur.

Mediatisierter Wandel von Modesubjekten und Bildern

Zunächst lohnt sich ein kurzer historischer Aufriss der jüngsten Entwicklung in der Modebranche. Mit dem Aufkommen der Sozialen Medien hat das ursprüngliche „Modebild-Monopol der Wenigen“ (Weis 2020: 7) einen tiefgreifenden Wandel erlebt und neue Modebilder, also visuelle Repräsentationen von verkörperten Kleidungspraktiken, die auch textliche Bildunterschriften miteinschließen (vgl. Weis 2020), zutage befördert.

Das Monopol der Modebilder hatten bis vor Kurzem eine klar definierte „Mode-Elite“ bestehend aus Modeschöpfer:innen und den tonangebenden Modezeitschriften mitsamt ihren Vertreter:innen inne (vgl. Titton 2010: o. S.). Soziale Medien und Streetstyle-Blogs haben dies seit Ende der 2000er Jahre so radikal verändert, „dass sich Blogs neben den Printmedien zu einer eigenen Vermittlungsinstanz in der Mode entwickelt haben“ (ebd.). In den Streetstyle-Blogs, die die neuen Sozialen Medien zu Beginn der 2010er Jahre kennzeichneten, wurde zunächst weiterhin ein einheitliches Körperbild repräsentiert, das sich nicht von den zu dieser Zeit üblicherweise dargestellten „Mode-Körper-Hybriden“ zum Beispiel in Zeitschriften (Haller 2015: 207) unterschied. Dies ändert sich jedoch aktuell mit dem fortschreitenden Wandel digitaler Modebilder und dem Bedeutungszuwachs von Instagram und anderen Plattformen (vgl. Malli 2024).

Ein weiterer wichtiger Aspekt für neue Sichtbarkeit von muslimischen Modebildern in Deutschland und anderen westeuropäischen Kontexten liegt in der Entdeckung der Muslimin als Konsumentin durch den Mainstream-Modemarkt. Reina Lewis sieht die Verbreitung von muslimischen Modebildern als Folge von professionellem Marketing, das im muslimischen Milieu einen neu zu erschließenden globalen Absatzmarkt erkannt hat (Lewis 2019: 44). Gleichzeitig verweist sie auf kritische muslimische Stimmen, die den Wandel von der Stigmatisierung oder Ignoranz hin zu einer Fetischisierung des „Muslim body“ (ebd.: 37) beklagen.

Damit einher geht eine kulturwissenschaftliche Debatte, die die Trennung von westlichen und nicht-westlichen Modesystemen kritisiert und zu dekonstruieren sucht (vgl. Craik 1994; Rovine 2009). Unbestritten führt der epistemological turn in der Forschung zu einer Einbettung von Mode in das gesellschaftliche System globaler Ungleichheitsverhältnisse. Die Objektivierung nicht-westlicher modischer Artefakte, sei es durch Inbesitznahme oder durch Exotisierung, wird als eine Dichotomisierung von westlicher Mode und nicht-westlichen Kleidungskulturen beleuchtet (vgl. Mentges 2019: 129). „Style“ wird als Agency gefasst, der durch vestimentäre, performative und verkörperte Praktiken die Selbstermächtigung marginalisierter Subjekte ermöglicht (Tulloch 2016: 5).

In Bezug auf weiblich gelesene muslimische Repräsentationen lässt sich allerdings eine diskursive storyline erkennen, die weiterhin die Unvereinbarkeit von westlichen Modetrends und religiösen Kleidungsnormen konstatiert. Diese storyline wird in verschiedenen Diskursarenen von unterschiedlich positionierten Akteur:innen bekräftigt. Konservative muslimische Gläubige reproduzieren sie genauso wie nicht muslimische Sprecher:innen, selbst wenn sie sich grundsätzlich gegen  das Tragen des Kopftuchs aussprechen. Ein Kommentar zu einer zalando-Kampagne mit Hijabi Model verdeutlicht dies:

finde ja cool, dass hier so „jeder“ präsentiert wird. Aber das Kopftuch so groß darzustellen, welches in unserer heutigen Kultur einfach nur noch das Übrigbleibsel einer Kultur ist, in der Ungerechtigkeit, Frauenhass und Minderwertigkeit dadurch verkörpert wird ist nicht der richtige Weg. Mir ist klar, dass dies ein Zeichen ist um fremde Männer nicht „geil“ zu machen Umgangssprachlich [sic!], allerdings sich dann mit Make-up vollzustopfen ist nicht der Sinn dahinter. Es präsentiert einfach das falsche. Nehmt mir das nicht übel. (Instagram, Kommentar zu Zalando Werbung vom 05.01.2021)

Abgesehen von der diskursiven Dichotomie zwischen Musliminnen und Nicht-Musliminnen, die nicht nur auf Mode und Social Media bezogen bleibt, sondern als pauschalisierte symbolische Grenzziehung fungiert (Haddad 2017), sehen sich Hijabi Creatorinnen noch mit (mindestens) einer weiteren Problematisierung konfrontiert: Als Influencer:innen sind sie Gegenstand von Kulturpessimismus, Kritik und Häme. Ein in der edition suhrkamp erschienener Essay Band bringt diese Kritik an Influencer:innen polemisch auf den Punkt und bezeichnet sie als per se antiemanzipatorische und antiaufklärerische Werbekörper (Nymoen und Schmitt 2021: 10). Dieser kritischen Perspektive ist vielfach mit analytischer Pointierung begegnet worden, beispielsweise von Tanja Prokic, die darauf hinwies, dass Influencer:innen als Symptom einer Postwachsumsgesellschaft zu verstehen seien, die den Wandel und das Wegbrechen klassischer Berufe exemplarisch verdeutlichen (vgl. Prokic 2022).

Ich möchte im vorliegenden Text ein wiederum anders gelagertes Schlaglicht auf Influencer:innen werfen. Mein Interesse gilt der Frage, wie sich Influencer:innen als sinnhaft handelnde, normativ angeleitete Subjekte im Netz positionieren. Meine These ist, dass kommerzielle Content-Creatorinnen, die ihre persönliche Prominenz für Werbezwecke nutzen, häufig in einer affektiven Verbundenheit zu ihrer community stehen, die in kapitalistische Logiken eingebettet sein mag, ohne dadurch aber weniger sinnstiftend für die Akteur:innen zu sein, die aufgrund ihrer generationalen Lage als Digital Natives mit und in sozialen Medien aufgewachsen sind.

Da die Mehrheit der Top-Influencer:innen weiblich sind (Nymoen und Schmitt 2021: 98), erscheint die pauschale Kritik an ihrem medialen Auftreten nicht nur eindimensional, sie aktualisiert auch eine diskursive Marginalisierung junger Frauen und ihrer kulturellen Praktiken, in einer Weise, wie es bereits Angela McRobbie für die Subkulturen der 1960er und 1970er Jahre beschrieben hat: Weder wurde weibliche Mode als subkulturelle Praxis in den „Chroniken der Straßenkultur“ dokumentiert (vgl. McRobbie und Garber 1976: 210), noch wurde der weitgehend weiblich konnotierte Modekonsum als „bedeutungsvoll oder kreativ“ anerkannt (Weis 2020: 33, vgl. auch Palmer 2005: 75).

Ähnlich ergeht es nun kommerziellen Content Creatorinnen, denen die Kulturkritik jeglichen Gehalt abspricht. Doch damit nicht genug: Annekathrin Kohout beschreibt in ihrem Essay „Netzfeminismus“, dass feministische Bewegungen gegenüber der Inszenierung und Aneignung von reizvoller Weiblichkeit lange skeptisch waren (und in Teilen noch immer sind): „Einige Feminist*innen halten die Bilder für oberflächlich, lassen sich ernsthafte Anliegen doch nicht mit sexy slips und pinkfarbenem Licht artikulieren.“ (Kohout 2020: 29). Während Hijabi Creatorinnen zwar nicht in Unterwäsche auftreten, nutzen sie durchaus Symboliken und Trends, die aus dem Dunstkreis von popfeministischen Bildproduktionen stammen und in den Mainstream Content eingehen. Die Creatorinnen verschlagworten ihre Posts mit #femalefriendships, #girlhood, und #feminineenergy und inszenieren gegenderte Freizeitaktivitäten wie Häkeln, Armbänderbasteln und Blumenzusammenstecken als kollektive Praktiken, die sowohl auf eine historisch gewachsene Form der Frauengemeinschaft hindeuten, als auch als emanzipative Gestaltung der eigenen mediatisierten Repräsentationen verstanden werden können und sich damit in den Diskurs um popfeministische Bildproduktionen in sozialen Medien einfügen.

Transformation und Eigensinnigkeit

Eines der häufigsten Motive auf social media ist die Geschichte von Transformationen (vgl. Malli 2024: 142 ff), die konzeptionell eng mit Vorstellungen eines dezentrierten Subjekts zusammenhängen und dennoch häufig im Modus einer Besinnung auf den wahren Kern einer Identität erzählt werden. Diese innere Widersprüchlichkeit, die dem Topos der Transformation innewohnt, beschert ihm oft den Vorwurf der Unbeständigkeit und damit zusammenhängend der mangelnden Authentizität und Effekthascherei. Gleichzeitig wird ein bewusster Wandel des Lebensstils auch mit Anerkennung bedacht und als Läuterung gefeiert. Im Modest Fashion Kosmos hängt persönlicher Wandel häufig mit vestimentären Praktiken zusammen und lässt sich anhand von religiös kodierten Routinen dokumentieren. Bilgin, eine Creatorin, die mit einem streetwear-affinen Look bekannt geworden ist und eine der ersten Influencerinnen in Deutschland war, die als Hijabi größere Kooperationen mit Modelabels und Retailern einging, hat einen deutlichen Wandel ihrer persönlichen Religiosität erlebt und auf Instagram inszeniert.

Am Ende einer Pilgerreise nach Mekka und Medina schreibt sie auf Threads (einem Subkanal von Instagram):

Ich will ja nicht groß reden, aber ich habe seit meiner Umrah Reise die [sic!] Interesse an Fashion, Beauty und auch an meinem Job (Content Creator) verloren. Ich weiß nicht, ob diese Mindset Veränderung nur für kurze Zeit is oder ob es was langfristiges ist (…) (Threads Post, Januar 2024).

Der relativierende Einschub am Ende deutet die diskursive Erwartung von Langfristigkeit an und scheint sich dagegen absichern zu wollen. Auch wird in einer Antwort auf den Post die mitschwingende Frage adressiert, wie es für Bilgin als Creatorin dann trotzdem weitergehen kann. Eine Followerin schreibt: „das ist einfach motivierend und schön zugleich. Denk dran, es ist alles auf eine Art und Weise halal kombinierbar & machbar (weißes Herz) möge Allah es uns allen ermöglichen“. Die Kommentierende nimmt hier direkt Bezug auf die storyline, dass muslimische Kleidungspraxis mit westlich verstandener Mode nicht vereinbar sei und manifestiert hoffnungsvoll das Gegenteil. Bilgins Antwort folgt sogleich und macht deutlich, innerhalb welcher Konzessionen die „Möglichkeiten“ ausgehandelt werden können: „Amiiiiin (Smily mit Tränen in den Augen und rotes Herz) ja ich habe auch an Alternativen gedacht. Von Hosen auf Kleider und Röcke umsteigen. Weniger Gesicht zeigen usw.“ Bezeichnend an diesem Dialog ist auch die Vorstellung von Geschlechtlichkeit und Femininität, die sich andeutet. Tatsächlich wird dieser Zusammenhang von Bilgin in späteren Posts immer wieder aufgegriffen und verdeutlicht. Sie betont, dass sie sich so verhalte, wie sie gekleidet sei.

Umrah has somehow made me into the person, I always wanted to be. I finally became more feminine. I´ve somehow became softer, nicer and more humble. (Lächelndes Smiley mit Hand vor dem Mund) I had somehow lead a double life. I was the sweet mouse in my private life and the arrogant mouse on social media. (Zwei tränenlachende Smileys) Friends, I swearrr I behave the way I dress. If I´m dressed like a homeless person (jogging suit), then I´m a ghetto girl. And if I´m wearing a dress and something feminine, then I´m cute and ladylike. Do you know, what I mean? (Zwei tränenlachende Smileys). So apart from the Islamic perspective, I really enjoy wearing my abayas and dresses. (Kleid, Sternchen, Rose Emojis) (Story vom 09.01.2024)

Dieser Post, illustriert die Verwicklung von Genderperformanzen, Klassismus und religiöser Modellpraxis. Für Bilgin fallen diese intersektionalen Achsen in ihrer Argumentation zusammen. Nicht nur aus religiöser Sicht macht es für sie Sinn, sich genderkonform zu kleiden, sondern auch des sozialen Ansehens und ggf. Aufstiegs willen. An anderer Stelle wird die Argumentation wieder brüchig, wenn sie rückblickend konstatiert, dass ihr anfänglicher Erfolg als Creatorin auch mit dem streetstyle-affinen Look und ihrer Art, den Hijab durch andere modische Accessoires zu kaschieren, zu tun hatte. Sie habe sich damals angepasst, um in der Modebranche akzeptiert zu werden. Doch nun sei sie stark genug, um wahre Modesty in die deutsche Öffentlichkeit zu tragen. Mithilfe dieses Narrativs gelingt es ihr, ihre Transformation für sich als empowerment zu deuten, als eine emanzipative Entwicklung, die ihre Assimilation in die nicht-muslimische Mehrheitsgesellschaft ein Stück weit zurücknimmt. Sie unterstreicht diese Logik, wenn sie schreibt: „I want to please Allah, not society“ (Story vom 09.01.2024). Den Zusammenhang zwischen religiösem Identitätswandel und modischem Wandel verdeutlicht die Frage einer Followerin, auf die Bilgin in konsumistischer Logik antwortet und gleichzeitig Geschlechtsstereotype reproduziert:

How did you transition styles? Any tips on how to become more modest inshAllah – I stopped buying western clothes. Any new clothing purchase I made, I made sure it was an abaya or at least something very modest. It’s been 2 months since I’ve bought western clothes. I still wear them but to help me wear abayas more often, I’ve only been purchasing abayas in hopes that I’ll eventually clear out my old wardrobe and feel confident to wear abayas everyday. When I receive a package of my new abaya, I wanna wear it bc as girls we get excited when we receive a package in the post (Smily mit Tränen in den Augen und rosa Herzchen) idk the science behind it, but it´s been working lol (Post vom 14.04.2024)

Western clothes wird hier ein singuläres Kleidungsstück gegenübergestellt, das seit einigen Saisons als Trendstück der Modest Fashion Szene gehandelt wird: die Abaya (ein langes weites Kleid). Tausende Posts befassen sich damit, was für ein erhabenes Gefühl es sei, eine Abaya zu tragen. Gleichzeitig wird immer wieder konstatiert, wie auch im obigen Post mit der Formulierung „feel confident to wear abayas everyday“, dass das Tragen dieses Kleidungsstücks ein performatives Wagnis, und im (west)europäischen Kontext auffällig ist. Tatsächlich stammt der Trend von der Arabischen Halbinsel und wird deshalb auch als „Dubai Style“ bezeichnet. Das Kleidungsstück  ist also ein Trend, der zum Hype um die Vereinigten Arabischen Emirate passt und der Logik von Mode als zeitlich und räumlich kontextualisiert durch und durch entspricht. In Kombination mit einem gleichfarbigem Hijab ist die Abaya seit einigen Saisons nicht aus Modest Fashion Content wegzudenken und bestimmt den ästhetischen Mainstream des Feldes.

Eine weitere Influencerin, Sara, sticht hingegen durch ihren Vintage-lastigen Stil aus der Masse der typischen Fashion Influencerinnen heraus. Auch sie trägt meistens Röcke oder Kleider und sportet damit einen eher eleganten Look, der aber weniger an die clean girl-Ästhetik der pastellfarbenen Abayas und tone in tone Kombos erinnert und keinerlei old money vibes versprüht, sondern sich viel mehr an einer universalen Vintage Ästhetik orientiert, die den Looks der 1960er und 1970er Jahren huldigt. Sie trägt altmodische kleine Hüte und andere festliche Kopfbedeckungen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts zu ihrem Hijab und kombiniert dünne lange Handschuhe zu ihren Outfits, die an britische Adelsdamen erinnern.

Damit grenzt sie sich auch von anderen, meist studentischen Second Hand Konsumentinnen ab, die eher eklektische Used-Looks tragen, und kreiert einen einzigartigen Stil, der sich sowohl klassisch/traditionell weibliche Genderperformanzen aneignet als auch eine alternative modische Repräsentation darstellt, die im Kontrast zum (Modest) Fashion Mainstream in Deutschland steht. In dieser Abgrenzung liegt das emanzipative Potential des Looks. Sara äußert sich im Gegensatz zu anderen Creatorinnen aus dem Feld nicht zu den religiös-normativen Anrufungen, die ihr als muslimische Frau begegnen. Ihr extravagantes Auftreten drückt ein modisches Interesse aus, das weniger dem Wunsch nach Zugehörigkeit zu entspringen scheint als einer spielerischen Gestaltung des eigenen Auftretens.

Diese Praxis wirkt umso mehr wie eine subjektive empowerment-Strategie, da sie im Interview von Mobbing- und Diskriminierungserfahrungen in der Kindheit berichtet, in der sie und ihre Familie aus finanziellen Gründen auf Second Hand Kleidung angewiesen waren. Sara ist mittlerweile als Content Creatorin auch kommerziell erfolgreich und hat somit aus der Not eine Tugend gemacht. Sie wird von Retailern wie Zalando gefeaturet[2], die sie gerade für ihre individuelle Kombination aus elegantem Vintage und modernen Pieces buchen. Ihr eigensinniger Stil drückt sich auch in gesellschaftspolitischen Statements aus. Sie changiert in ihrer Positionierung zwischen scheinbarer Anpassung an bestimmte traditionelle Ästhetiken, wie damenhafte Weiblichkeit und dem unbeirrten Verfolgen eigener Ziele und Vorstellungen. Ein Post von ihr zum Muttertag verdeutlicht die Konflikte, die damit für sie einhergehen:

Ich bin mit einer migrantischen Mutter aufgewachsen. Streng kulturell erzogen, wird niemals verstehen, dass ich meinen eigenen Weg gehe. Ayyip und was sollen die Leute denken ist wie ein Keil zwischen uns. Es gibt keinen Muttertagspost über unsere Gefühle, aber eins an alle anderen Töchter, die ebenfalls so fühlen und ihre Mütter trotzdem lieben, weil sie es nicht besser wussten. Ihr seid damit nicht alleine. (Instagram Post vom 12.05.2024).

Dieses Statement wirkt dezidiert gesellschaftskritisch vor dem Hintergrund der standardisierten, gefälligen Inszenierungen von glücklichen Mutter-Töchter-Beziehungen, die auf Instagram wie auch im analogen öffentlich-kommerzialisierten Raum rund um den Muttertag zirkulieren. Sara stellt auch in anderen Belangen (religiöse) Regeln in Frage. So trainiert sie zum Beispiel in einem gemischtgeschlechtlichen Fitness Studio, was für viele andere Hijabi Creatorinnen, die ihre Fitnessroutine auf Instagram inszenieren, ein no-go ist. Im Interview erklärt sie mir:

Ja, also ich poste das, am Anfang war das einfach aus Langeweile und mit der Zeit habe ich dann gemerkt, dass ich sehr vielen Mädchen dabei helfe oder nicht nur Mädchen, nicht nur Frauen, sondern auch Nicht-Muslime damit erreiche, ein anderes Bild ein bisschen vom Islam zu zeigen. Ich habe das Gefühl, dass viele Leute uns als irgendwie schwach sehen, als Personen, die nicht selbst entscheiden können, was sie anziehen sollen und was nicht, als unterdrückt. Und wenn die an Hijabis denken, dann direkt eine Frau, die komplett verschleiert ist, schwarz anhat und nichts zu sagen hat. Und ich habe gemerkt, dass ich damit richtig viele Leute erreichen konnte und auch umstimmen konnte, ohne dass ich aktiv was dazu sage, sondern einfach nur indem ich online existiere. (Interview, März 2024)

Online existieren und mit selbstbestimmten Bildern in die Öffentlichkeit treten, ist eine neuere Entwicklung für Frauen, und kann als Geste des Widerstands gegenüber male-gazed dominierten Medien verstanden werden (vgl. Kohout 2020: 29). Im Fall von Hijabi Creatorinnen kommt noch hinzu, dass muslimische Frauen lange unsichtbare Körper waren, die die somatische Norm der deutschen Gesellschaft (Puwar 2021) störten. Sara steht beispielhaft für eine subkulturelle Bildproduktion, die soziale Medien noch immer zu einem Raum für alternative Inszenierungen machen: Es gibt Megatrends (wie die Abaya im Dubai Style) und es gibt immer auch Akteur:innen, die diese Trends unterlaufen und marginalisiertere ästhetische Positionen vertreten und damit sogar erfolgreich sind.

(Hijabi) Influencerinnen als neue Vorbilder für muslimische Frauen in Deutschland?

Ähnlich wie in der – sehr viel größeren – Mainstream Fashion Influencer Bubble, in der Creatorinnen jeweils unterschiedliche Stile und Milieus bedienen, bilden sich auch in der Modest Fashion Szene vielfältige Subjektivierungsangebote, die über modische und vestimentäre Gestaltungsvorschläge hinausgehen und einen umfassenden Lebensstil vorleben und für ihre Follower:innen affizierbar machen. Die Analyse der Hijabi Creator Szene ist auch insofern fruchtbar für das Verständnis von Mainstream Lifestyle-Accounts in sozialen Medien, da spirituell-esoterische Themen rund um essentialisierende Geschlechtlichkeit (#feminineenergy) sowie auch traditionell konservative Konzepte von Weiblichkeit und Ehe (#tradwife) in beiden Milieus große Resonanz finden.

Eine weitere Entwicklung lässt sich feldübergreifend beobachten und zeigt erneut, wie sich muslimische und nicht-muslimische Fashion Content Creation ähnelt und wechselseitig inspiriert: Unter #girl core und dem konzeptionellen Begriff des Netzfeminismus (Kohout 2020) performen Künstlerinnen und Creatorinnen die kreative Aneignung und Würdigung von Ästhetiken „des Süßen, Weiblichen, Lieblichen, Verlockenden“ (Kohout 2020: 19). Damit machen sie weibliche Bildproduktion anschlussfähig für ein breiteres Publikum und stoßen gleichzeitig häufig auf Kritik aus verschiedenen gesellschaftspolitischen Perspektiven, seien es intellektuelle Feministinnen, konservative islamische Gelehrte oder durchschnittliche Social Media Nutzer:innen. Marginalisierung und Kritik machen die Creatorinnen nicht per se zu emanzipativen Akteurinnen, aber reine Werbekörper sind sie eben auch nicht. Gemeinsam mit den kontroversen Reaktionen und Kommentierungen von Follower:innen und der breiteren Netzöffentlichkeit verhandeln Fashion Creatorinnen also um nichts weniger als die Frage, welchen Raum Frauen öffentlich einnehmen und wie sie sich dabei verhalten und kleiden (sollen). Dabei bieten die Hijabi Creatorinnen sich selbst als Medien eines muslimischen Lifestyles an und stellen nicht zuletzt bisherige Performanzen religiöser Autorität, die traditionell männlich gegendert ist, auf den Prüfstand.

Ich schlage daher ein situiertes Verständnis von Influencer:innen als dezentrierten Subjekten vor, die durch Widersprüchlichkeit gekennzeichnete kulturelle Praktiken wie das Bewerben und Vermarkten von Konsumprodukten und die aktivistisch/emanzipative Partizipation an gesellschaftspolitischen Diskursen gleichermaßen vollziehen. Die Vielfalt und Heterogenität der verschiedenen Creatorinnen und ihrer visuellen Performanzen lässt keine eindeutige Aussage über den Stil von Musliminnen in Deutschland zu. Es gibt nicht das eine richtige Outfit für die muslimische Frau, auch wenn dominante Diskurse dies- und jenseits der muslimischen Wissensproduktion uns das Glauben machen wollen. Die kurzen Portraits der Hijabi Creatorinnen in diesem Text machen deutlich, dass vestimentäre Emanzipation ein situiertes Phänomen ist.

Vor dem Hintergrund einer historisch männlich dominierten Bildproduktion und der patriarchalen Logik, die normative Vorstellungen der richtigen Weiblichkeit weiterhin bestimmen, kann die Modest Fashion Bubble auch als emanzipatorisches Projekt verstanden werden, in dem Frauen sich der agency über ihre eigenen Bilder ermächtigen. Gleichzeitig ist die Content-Produktion zumeist in hyperkapitalistische, bisweilen selbstausbeuterische Prozesse eingeflochten und verbleibt häufig in einer religiösen Orthodoxie, die Heteronormativität und strikte Modellpraktiken für Frauen aktualisiert. Auch darin fügt sich der Modest Fashion Content geräuschlos in den Mainstream ein. Das eigentlich Überraschende am Diskurs um Hijabi Creatorinnen ist, dass sich weiterhin die storyline aufrechterhält, muslimische Kleidungspraxis sei unvereinbar mit sogenannten westlichen Modetrends und stelle etwas völlig anderes dar. Die Fashion und Social Media Praxis von Hijabi Creatorinnen erzählt eine andere Geschichte.

Anmerkungen

[1] Die Namen der Creatorinnen sind aus forschungsethischen Gründen geändert worden, um die Anonymität der Akteurinnen zu bewahren.

[2] Abrufbar unter: https://www.zalando.de/creator/062cca1d-af5a-4313-b214-c06364f74a80/

Quellen

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