Die Eisrevue
von Hans J. Wulff
29.10.2024

Ein Unterhaltungsformat zwischen Sport, Theater, Musik, Film und Fernsehen

Geschichte der Eisrevue und ihrer Kommerzialisierung

Die Geschichte des Eislaufens beginnt in einer nicht bestimmbaren Vorzeit, als man auf das Zufrieren von Gewässern angewiesen war. Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts kommt es wohl zuerst in England (1742) zum ersten Eislaufverein der Welt (dem Edinburgh Skating Club). Erste Wettkämpfe wurden veranstaltet (zuerst 1814), ein deutlicher Hinweis auf die Entstehung von Organisationsformen des Eissports bzw. das Entstehen einer eigenen Eislaufkultur.

Von England aus breitete sich der Eislauf in ganz Europa und den USA aus. Man fügte dem Eiskunstlauf schon bald Musik hinzu und setzte Tanz- und Ballettelemente ein. Die ersten internationalen Eiskunstlaufwettkämpfe wurden vom Wiener Eislauf-Verein im Jahr 1882 auf seinem Vereinsplatz abgehalten. Eiskunstlauf gehört seit den Olympischen Sommerspielen 1908 zum Programm der Olympischen Spiele. Das Eiskunstlaufen war auch die erste olympische Wintersportart (seit 1908). Es war zudem die erste olympische Sportart, bei der es Wettbewerbe für Damen gab.

Bereits in den 1910er Jahren wurde aus dem Schaulaufen olympischer Art ein Übergang in die Formate der Bühnenkünste angebahnt: Im Berliner Admiralspalast trat das erste professionelle Eislaufensemble von 1911 bis 1922 auf; nach dem Neubau des Gartentrakts wurde auch eine Indoor-Eislaufarena eröffnet, in der neben Eisrevuen auch Eishockeyspiele und Boxkämpfe ausgetragen wurden.

Seit den 1940ern wurde eine ganze Reihe von meist ortsungebundenen Eislauf-Kompagnien gegründet, deren Tourneen nach und nach internationales Publikum gewannen (und eine Zeitlang – bis anfangs der 1960er – auch das Interesse der Filmindustrie auf sich zogen). Maxi Herber und Ernst Baier, deutsche Paarläufer, die 1936 bei den Olympischen Spielen Gold gewannen, gründeten 1940 ihre eigene Eislauftruppe, das Baier Eisballett, das in den 1969ern nach Südamerika expandierte. Hans Thelans Scala-Eisrevue kam 1951 dazu, begann, Elemente von Eis-Show und Zirkus miteinander zu verbinden. Karl Schäfer, zweifacher österreichischer Olympiasieger, wurde 1936 Profi und zum Hauptdarsteller der Karl Schäfer Eis-Revue (gegründet 1940, zusammen mit Hertha Wächtler), aus der 1945 die Wiener Eisrevue wurde.

Opulente Inszenierungen, Eislaufstars wie Eva Pawlik, Rudi Seeliger, Fernand Leemans und Emmy Putzinger und der immer wieder bezaubernde Wiener Walzer ließen zwei Truppen bis in die 1970er Jahre durch Ost- und Westeuropa und schließlich nach Nordamerika touren. Auch in der DDR wurde als Ableger des Circus Aeros die Aeros Eisrevue gegründet, die 1958 in die Berolina Eisrevue überging. In anderen Ländern des europäischen Ostblocks wurden Eisrevuen wohl nur gelegentlich produziert.

Die bekannteste, bis heute existierende Eisrevue war (und ist) Holiday on Ice, die 1943 in den USA von dem Sportunterhaltungsmanager Morris Chalfen gegründet wurde. Sie wurde als erste Ausprägung der Eisrevue eine viele Jahre beliebte Form der Life-Unterhaltung, zwischen Revue und Eiskunstlauf angesiedelt. Sie fand mit der von Will Petter angestoßenen Gründung der Wiener Eisrevue 1945 auch in Europa eine Heimstatt (das Projekt wurde erst in den 1970ern beendet).

Es entstanden in den 1950ern eine ganze Anzahl von Filmen mit dem Ensemble der Wiener Eisrevue, die entweder längere Eisrevue-Sequenzen enthielten oder sogar ganz im Milieu der Eisrevuen spielten (u.a. Frühling auf den Eis, Österreich 1950/51, Georg Jacoby, oder Traumrevue, Österreich 1959, Eduard von Borsody). Die amerikanische Adaption der Eisrevue im Kino beginnt bereits in den 1930er (etwa in Thin Ice, USA 1937, Sidney Lanfield, oder Ice-Capades Revue, USA 1942, Bernard Vorhaus).

Eine Spielart der Revue war die Eisoperette. So, wie diese das Bühnengenre der Revue adaptierte, so wurde auch die Operette zur Eisoperette fortentwickelt und amalgamierte die Eistanz-Elemente der Revue mit dem Handlungsfaden der Wiener Operette. Als Schöpfer der kleinen Gattung gelten Robert Stolz (Musik) und Will Petter, der Schöpfer der Wiener Eisrevue, der das Buch schrieb. Die erste von 19 Eisoperetten wurde in der Saison 1952/53 aufgeführt und trug den Titel Die ewige Eva (anspielend auf die Eiskunstlauf-Europameisterin und Olympiazweite Eva Pawlik). Eis-Stars, die das Genre der Eisoperetten berühmt gemacht haben, waren Emmy Puzinger, Rudi Seeliger, Hanna Eigel, Sissy Schwarz/Kurt Oppelt, Ingrid Wendl, Joan Haanappel, Marika Kilius/Hans-Jürgen Bäumler und Emmerich Danzer. Filmadaptationen von Eisoperetten hat es allerdings praktisch nicht gegeben.

Oft wurde auf die Popularität von Sportstars zurückgegriffen – so auf die deutsche Eiskunstlauf-Meisterin Ina Bauer in Kauf dir einen bunten Luftballon (Österreich 1960, Geza von Cziffra) oder in Ein Stern fällt vom Himmel (BRD/Österreich 1961, Géza von Cziffra) oder das Paar Hans-Jürgen Bäumler und Marika Kilius in Die große Kür (BRD 1964, Franz Antel). Die sportlichen Trophäen der Darsteller unterstreichen die Perfektion der Durchführung und sind Teil der production values der Show. Diese Praxis wurde schon mit der norwegischen Eiskunstläuferin Sonja Henie in den 1930ern realisiert (in dem Eisrevue-Film One in a Million, USA 1936, Sidney Lanfield, der wie alle anderen Filme mit ihr zum Erfolgsfilm wurde).

Die große Zeit der Eislauf-Firmen endete in den frühen 1970ern. Die verbliebenen und neugegründeten Projekte setzten auf den Publikumserfolg von Kurztourneen mit Ein-Nacht-Shows internationaler Champions (wie Norbert Schramms – zweimaliger Europameister – Stars On Ice). Die zwei Goldmedaillen von Katharina Witt wurden vor allem in Einzelprojekten ausgewertet (wie auch Filmen und zahlreichen TV-Talk-Auftritten); sie blieb aber Eissportstar, mutierte nicht zur Eisrevue-Ikone.

Der Marktwert der Eissportprominenz

Die Geschichte der Eisrevue ist auch die Geschichte einer Annäherung und sogar Überlagerung der Unterhaltungssparten Sport und Theater (einschließlich des Films). Schon Sonja Henies Popularität entstand in sportlichen Wettkämpfen, über deren Höhepunkte in der Boulevardpresse massiv in Wort und Bild berichtet wurde. Neue Medien wie Film (vor allem in den Wochenschauen), Radio und später Fernsehen kamen als Popularitätsmaschinen dazu.

Vor allem die oft sehr langen Live-Berichte über Wettkämpfe in Eiskunstlauf (Einzel- und Paardarbietungen) und Eistanz machten die Leistungen von Sportlern allgemein zugänglich (und manchmal wurde sogar über die These nachgedacht, ob die filmische Eisrevue angesichts der hohen Produktionskosten unter dem Konkurrenzdruck der neuen Medien der Zeit an Attraktivität auch für die Filmproduzenten zurückging, trotz der unzweifelhaft hohen Schauwerte des Genres).

Zudem stellt sich die Frage, ob die nationale Popularität der deutschen Weltmeister Marika Kilius und Hans-Jürgen Bäumler (1964) – schon damals ein sogenanntes „Traumpaar“ – ihren sportlichen Erfolgen geschuldet war oder weil ihnen die Silbermedaille 1964 entzogen wurde, weil sie schon vor den Winterspielen einen Profivertrag unterschrieben hätten (die Medaille wurde ihnen erst 1987 zurückgegeben). Bis in die 1980er traten die beiden mit großem Erfolg als Profis in Holiday on Ice, der Wiener Eisrevue und in diversen Eisoperetten auf.

Das Paar ist auch als durch Auftritte in der Schlagerbranche erwähnenswert. Nach all seinen Medaillen spielte das Paar nicht nur eine Schallplatte für Columbia-CBS ein („Honeymoon in St. Tropez“), sondern agierte auch zusammen in dem Eisrevuefilm Die große Kür (BRD 1964, Franz Antel) – eine Verbreiterung der Präsenz der beiden in diversen Sparten der sich entfaltenden Unterhaltungsindustrie der Zeit, was man wiederum durchaus in Zusammenhang mit einem Engagement bei der Wiener Eisrevue bringen kann. Auch die mehrfache deutsche Eiskunstlauf-Meisterin Ina Bauer spielte in einem Eisrevuefilm (Kauf dir einen bunten Luftballon, Österreich 1960, Geza von Cziffra) mit; ihre Stimme wurde dabei allerdings von Marianne Lutz gedoubelt.

Eine ganze Reihe bekannter Sportler wurde in den 1950ern und 1960ern zu Musik- und Filmstars umnominiert, ihre Prominenz oder Bekanntheit aus dem Sport wird in eine Verwertungskette einbezogen. Der Eiskunstläufer Manfred Schnelldorfer hatte nach diversen Titeln als deutscher und als Europameister 1964 die goldene Olympiamedaille und den Weltmeistertitel errungen; bereits im gleichen Jahr wurde er mit dem Lied „Wenn du mal allein bist“ in Holiday in St. Tropez (Österreich 1964, Ernst Hofbauer) trotz erheblicher Unfähigkeiten in der Arbeit als Schauspieler unter Vertrag genommen (der Titel stand auf der Jahreshitparade auf Platz 23); mehrere Jahre trat er zudem in einer Eisrevue auf, nachdem ihn die Deutsche Eis-Revue 1969 unter Vertrag genommen hatte.

So sehr sich vor allem der olympische Sport gegen seine ökonomische Ausbeutung gewehrt hat: Eisrevuen sind kapitalistische Unternehmungen, auf Gewinn orientiert. Anders als im sportlichen Wettkampf, in dem es um die Perfektion der Ausführung und die Qualität des Athletischen geht, muss die Revue-Darbietung in das Unterhalten-Werden des Publikums einmünden. Die Qualität der Bewegung, um die es im sportlichen Wettkampf geht, ist nur noch ein Mittel, um dieses Ziel zu erreichen; die sportlichen Trophäen unterstreichen die Perfektion der Durchführung und sind Teil der production values der Show. Meisterschaftstitel und Medaillen werden für die Sportler zu Wertgegenständen und ermöglichen die Gagen – je mehr Auszeichnungen, desto publikumsattraktiver ist der Sportler-Akteur.

Die Nähe der Musikfilm-Gattungen der Zeit legen eine formale Nähe zur Eisrevue nahe. Dass allerdings eine einzelne Eisrevue-Nummer in einen Schlagerfilm eingebunden wird (wie in der Initialphase von Schwarzwaldmädel [BRD 1950, Hans Deppe]), einer Gattung, die auf der lockeren Einbindung von Schlagern in die Erzählung aufruht, geschieht nur äußerst selten, weil die narrative und diegetische Motivation derartiger Szenen sich so gar nicht aufdrängt.

Die Eisrevuefilme sind aber ein besonderer Fall der Adaption einer Sportart durch den Musikfilm: Anders als der Zirkus, der des öfteren als diegetisches Handlungsmilieu von Schlagerfilmen herhalten muss, ohne dass es sich um wirkliche Zirkusfilme handelte, drängen die Eisrevuefilme viel stärker dazu, das eigene Performance-Format auch filmisch zu realisieren – in Bildgestaltung und Bühneninszenierung mit deutlichen Anlehnungen an den Revuefilm, im Bewegungsmodus und im Umgang mit Musik aber mit klaren Unterschieden. Darum auch ist der Übergang von Eis-Sportlern in die Gattung der Eisrevue naheliegend – die Revuen erscheinen nur wie die Unterhaltungsform des Eissports. Für Sportler anderer Sportarten ist der Übergang schwieriger.

Eine Sport-Prominenz, die die Sympathien großer Unterhaltungspublika genießt, muss reflektieren, dass sich das Wissen des Publikums, die Bilder, die es sich vom jeweiligen Akteur macht, die Persönlichkeitsattribute, die es ihm vielleicht zuordnet, auf die Berichterstattung der Sportpresse und des Sportfernsehens und der yellow press stützt. Und es gilt – zumindest im Beginn der Auswertung der Sportprominenz – zumindest ansatzweise, Orte und Bewegungsmuster des Sports, in dem die Akteure aufgetreten waren, in filmische Handlung zu transformieren. Einer der Gründe, warum diverse Filme bis heute im Milieu der Eisrevuen selbst angesiedelt sind.

 

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