Occupy und Popkultur
von Annett Scheffel
15.1.2013

Die Stimmung im Zuccotti-Park

Als bloße Worthülse spukte die Rebellion seit den 1990ern umher – wie ein schwacher Geist alter Zeiten. Das Gesicht Che Guevaras auf T-Shirts und Postern, die gestreckte Faust als Symbol der schwarzen Bürgerrechtsbewegung im Hip-Hop-Videoclip oder nietenbesetzte Punk-Lederjacken waren dabei weniger ernstgemeinter Ausdruck von Auflehnung als leere popkulturelle Gesten.

Als Reaktion auf Finanz- und Schuldenkrisen ist nach 2008 in vielen Ländern eine deutliche Repolitisierung der Gesellschaft wahrzunehmen. Politischer Protest ist von einer Randerscheinung wieder zum Massenphänomen geworden – zu einer großen Bewegung. Überall auf der Welt demonstrierten seit 2011 Menschen, besetzten Plätze, organisierten Aktionen. Die Occupy-Wall-Street-Proteste wurden in Amerika zum vorläufigen Höhepunkt dieser wachsenden Begeisterung für gesellschaftlichen Aktivismus.

‚To occupy‘ bedeutet ‚besetzen‘. Und eben damit nahm die Bewegung ihren Anfang: Am 17. September 2011 blockierten Demonstranten den Zuccotti-Park in Manhattan, in dem dann eine Zeltstadt errichtet wurde. Hier wurden Diskussionen, Workshops und Aktionen organisiert und von hier aus marschierten die Demonstranten immer wieder in großen Mengen durch die Stadt. Das Besondere am Konzept von Occupy war seine Ausrichtung als „dual power movement“ (Klein/Maron 2012). Die Protestaktionen konzentrierten sich von Beginn an nicht nur auf den Widerstand gegen bestehende Ordnungen, auf Märsche und Blockaden. Sie beinhalteten auch den Anspruch, eigene Werte und Institutionen – wie die dezentrale Organisation und den konsensbasierten Entscheidungsprozess – im Occupy-Camp auszugestalten, die der Vorstellung einer gerechten Gesellschaft im 21. Jahrhundert entsprechen. Occupy zielt auf die Artikulation von Unmut und gleichzeitig auf die kollektiv-solidarische Erweiterung ihrer Handlungsfähigkeit.

Diese Verbindung beider Wirkungsweisen, so Mitorganisator Yotam Marom, sei etwas, das vielen Bewegungen in der Vergangenheit gefehlt habe, die eine Wirkungsweise der jeweils anderen meist vorgezogen hätten. Im Gegensatz dazu hätten die Beteiligten der Occupy-Bewegung verstanden, dass Beides im Grunde untrennbar sei: „Fighting has to be done in a way that represents the values of the world we want to create.“ (Ebd.) Die Besetzung des Zuccotti-Parks stellt demnach gleichzeitig direkten Widerstand und die Vorführung von Alternativen dar. Diese doppelte Ausrichtung lässt sich auf das Gefühl zurückführen, sofort selbst handeln zu müssen, um den geforderten Veränderungen den Weg zu ebnen.

Wenn man die Occupy-Bewegung und die mit ihr einhergehende Repolitisierung deshalb auch als kulturelle Erscheinung versteht, erscheint es sonderbar, dass in die Debatte die Popkultur noch nicht im vollen Maße mit einbezogen wurde. Natürlich hörte und las man von Popmusikern, wie Kanye West, Tom Morello oder auch Rufus Wainwright, die dem Occupy-Camp im Zuccotti-Park einen Besuch abstatteten oder dort ein kleines Konzert gaben. Jenseits dieser Solidarisierungsbekundungen der Künstler taucht die Popkultur als Faktor in all den Kommentaren und Analysen aber erstaunlich wenig auf – obwohl sie doch sonst stets als erstes befragt wird, wenn es um neue soziale oder kulturelle Bewegungen geht. Ob Bürgerrechtsbewegung, Punk-Ethos oder Globalisierungsproteste – Pop ist seit seinen Anfängen im 20. Jahrhundert Inspiration, Hintergrund und Ausdrucksgeste derlei gesellschaftlicher Entwicklungen gewesen.

Bewegung der Vielen – Occupy und seine kollektive Identität

Bei genauerer Betrachtung werden rasch auch einige Schnittstellen sichtbar, die die Entwicklungen in der Popkultur der Nullerjahre mit wichtigen Prinzipien und Methoden der Occupy-Bewegung verbindet. Zunächst einmal fällt sowohl in der Popmusik der letzten Jahre als auch bei Occupy Wall Street die Betonung einer kollektiven Identität auf. Popmusiker verwenden das ‚Wir‘ als Solidarisierungsmittel. Occupy verwendet eine ähnliche Rhetorik: ‚99 Percent‘. Die New Yorker Protestbewegung ist, wie viele Popsongs, auf Gemeinschaft angelegt, die sich nach und nach aus dem Krisenbewusstsein herauskristallisiert. Die drohende Apokalypse, die in der Popmusik der letzten Jahre heraufbeschworen wird, ist mit der wachsenden sozialen Armut, Massenarbeitslosigkeit und Privatschuldenbelastung in das reale Leben vieler Amerikaner geschwappt.

Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl äußert sich auf Seite der Popkultur wiederum in einer abnehmenden Bedeutung des Autors als fester Referenzpunkt. Zwar spielt die Präsenz von Künstlern im Werkkomplex immer noch eine Rolle, nicht aber im klassischen Sinne eines konkreten, alleinigen Urhebers. In der gegenwärtigen Sample- und Mashup-Kultur der Popmusik ist der tatsächliche Ursprung eines Songs oder eine einzelne Quelle oft gar nicht mehr auszumachen. Auch hier funktioniert mittlerweile vieles nach dem Prinzip einer kollektiven Schöpfung. Dieses Schwarmprinzip, das aus der Netzkultur stammt, hat sich also sowohl auf die Popkultur als auch auf die Protestbewegung ausgeweitet. Das vernetzte Handeln ersetzt in allen Bereichen einzelne Gesten.

Auch die Do It Yourself-Kultur – ursprünglich im Zuge der Punkbewegung entstanden – hat durch die Entwicklungen des World Wide Web neue Kraft bekommen und wirkt sich auch auf die Occupy-Philosophie aus: eigene Kommunikationsplattformen, selbstständige Berichterstattung, improvisierte Zeltstädte und spontan organisierte Aktionen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der performative Charakter der Occupy Wall Street-Proteste, die ihre Medienwirksamkeit in gewisser Weise aus popkulturellen Gesten bezieht.

Das ‚Schauspiel‘ der Demonstranten kann dabei als eine Mischung gesehen werden, die die kriegerische Aktion eines klassischen, schwarzverhüllten Straßenkämpfers mit der friedlichen Prozession – einer ‚Love Parade‘ im weitesten Sinne – verbindet. Die militärische Semantik der Proteste – Besetzung, Märsche, Straßenumzüge – wird durch eine strikte Gewaltlosigkeit und eine fast rituelle Feststimmung ad absurdum geführt.

Konzerte und Drum Circles verliehen dem Geschehenen im Zuccotti-Park ein Art Festivalstimmung. Die Feststellung, dass Occupy Wall Street das postmoderne Äquivalent zu Woodstock sei, wäre wahrscheinlich zu weit gegriffen. Fest steht allerdings, dass Woodstock und Occupy Elemente des Protests mit denen ausgelassener Happenings verbinden. Vielleicht könnte man behaupten, dass sie sich vor allem durch die Gewichtung dieser Elemente unterscheiden: Bei Woodstock war die politische Komponente angenehmer Nebeneffekt, bei Occupy ist es der Spaßfaktor. Beide neigen jedenfalls in ihrer Außenwirkung zu einer mystischen Verklärung. Der Reiz des Geheimnisvollen, des diffusen Charakters, spielt für Occupy eine große Rolle, weil sich die mediale Aufmerksamkeit zunächst in einem großen Rätselraten erschöpfte. Die prinzipielle Unergründlichkeit der Bewegung macht einen Großteil ihrer Magie aus: „It was difficult to get a read on what the occupations were, so it was difficult to write them off.“ (Madrigal 2011) In vielerlei Hinsicht funktioniert popkulturelle Legendenbildung ähnlich.

Occupy für alle! – Demokratisierungsmechanismen

Ebenso wie die Popkultur in den 1950ern enthalten die Prinzipien der Occupy-Bewegung eine völlig neue Idee von Demokratie: die bedingungslose Horizontalität. Drückt sich der demokratische Charakter im Pop seit damals vor allem über seine massenhafte Verfügbarkeit und einen gleichberechtigten Zugang zur Kultur aus, erreicht das Prinzip der Basisdemokratie mit Occupy Wall Street eine ganz andere Qualität. Indem die Bewegung auf eine Führungspersönlichkeit und Hierarchien verzichtet, hebt sie sich deutlich von der sechzigjährigen Poptradition ab, in der Bewegungen, Strömungen und Trends immer nach einer zentralen Figur verlangt hatten – nach einem Gesicht für die Musik und einem Vorbild zum Aufschauen. Was Bob Dylan für die Bürgerrechtsbewegung war, war Johnny Rotten für den Punk und Kurt Cobain für den Grunge.

Für die Organisation der Occupy-Bewegung sind solche Hierarchien hinfällig geworden. Weder brauchen noch wollen ihre Anhänger einen politischen Redeführer oder einen musikalischen Stellvertreter. Einen konkreten Soundtrack gibt es ebenso wenig wie ‚die Stimme‘ der Bewegung. Occupy – das sind viele. „Für Occupy“, meint Mark Greif (2012), „hätte eine solche Personalisierung die Travestie der Bewegung bedeutet.“ Trauen könne man aber nur noch der Anonymität, wie die Netzaktivisten von Anonymous zeigen. Dieses Schwarmprinzip verdankt die Bewegung weniger den popkulturellen Entwicklungen als vielmehr ihrem Ursprung im Netz.

„This Land is your Land“ – Occupy und Popmusik

Während der Proteste in New York spielte Musik eine große Rolle. Rapper wie Talib Kweli, Questlove und Immortal Technique traten auf, ebenso Rockmusiker wie Tom Morello und Jeff Mangum, aber auch altbekannte Gesichter der musikalischen Gesellschaftskritik: Pete Seeger, Joan Baez, David Crosby und Graham Nash. Die Integration von Musik in die Proteste ist von der Maxime der Selbstbemächtigung geprägt, die Occupy auf die Straße hinaus trug. Auf die Straße zu gehen bedeutet nicht nur die Politik mitbestimmen zu wollen, sondern eben auch das eigene Leben in die Hand zu nehmen und es von den Rationalisierungsprozessen eines ‚geordneten Daseins‘ abzukoppeln. Musik als Spektakel, Kunstform und Party ist deswegen geeignetes Mittel zum Protest. Das Spaßprinzip wird zum Störfaktor in einem vereinheitlichten öffentlichen Raum, der nur auf eine möglichst effektive Konsumatmosphäre geeicht ist.

Dieser kreative statt konfrontative Charakter der Occupy Wall Street-Proteste richtet sich gegen die Ansprüche einer Leistungsgesellschaft. Der musikalische Aspekt – die Konzerte, Performances und Gesangschöre im Zuccotti-Park – hat zunächst keinen unmittelbaren Sinn in gesellschaftspolitischer Hinsicht. Musik signalisiert aber – und das ist ihre ursprüngliche Kraft –, dass es Alternativen zu einem rein zweckbestimmten Protest gibt. Und dass die Diskussion politischer und sozialer Fragen nicht unbedingt auf der Grundlage von durchdachten Argumenten funktioniert, sondern eben auch über Gemeinschaftsgefühl und Stimmung. Der Wille zur Mitbestimmung wird durch kreative, lustvolle Aktionen zum Ausdruck gebracht.

Die Präsenz von Popmusikern im Zuccotti-Park besaß verschiedene Hintergründe. Die Mehrzahl der Musiker, von denen viele schon jahrelang politisch aktiv sind, solidarisierte sich mit den Demonstranten, gab als Zeichen der Unterstützung kleine Konzerte und beteiligte sich an Aktionen. Andere wiederum machten eher den Anschein, als wollten sie die Bewegung für ihre Zwecke vereinnahmen. Das Erscheinen Kanye Wests etwa wurde von vielen Seiten als heuchlerischer Akt gesehen, der weniger politisches Engagement anstrebte als eine Image-Aufwertung durch den aktuellen Protest-Trend. Die Kritik bezog sich dabei auf den extremen Widerspruch zwischen dem Widerstand gegen eine entfesselte Finanzwelt und dem Rapper, der bekannt dafür ist, Reichtum und Luxus auch oft in absurder Übertreibung zur Schau zu stellen. Andere wie Medienmogul Russell Simmons oder Hip-Hop-Schwergewicht Jay-Z versuchten unter Verwendung des Namens Occupy Festivals zu organisieren oder Slogan-T-Shirts zu verkaufen, was eine heftige Diskussion über die drohende wirtschaftliche Vermarktung der ‚Marke Occupy‘ auslöste.

Die Musiker, die im Occupy-Camp auftraten, um ihre politischen Unterstützung zu bekunden, interpretierten sowohl alte, traditionelle Protestsongs der Folk-Musik als auch eigene Stücke, von denen einige sogar als direkte Reaktionen auf die aktuellen Ereignisse entstanden. Der Rapper Talib Kweli, selbst gebürtiger New Yorker und bekennender Anhänger des politischen und sozialkritischen Conscious Rap, präsentierte dem Publikum im Zuccotti-Camp am 7. Oktober seinen frisch geschriebenen Song „Distraction“, in dem es heißt: „Skip the religion and politics, head straight to the compassion. Everything else is a distraction.“ Mitgefühl, fordert er, solle bei all den Ablenkungen der Informationsgesellschaft wieder an erster Stelle stehen.

Neben Kweli traten vor allem viele altbekannte amerikanische Protestmusiker im Camp auf und solidarisierten sich mit der Bewegung ihrer Nachfolger. Joan Baez interpretierte die bereits 1925 geschriebene, sozialkritische Folk-Ballade „Joe Hill“, die die Geschichte des gleichnamigen Wanderarbeiters, Gewerkschaftsaktivist und Arbeiterführer erzählt. In dem Lied, das durch Baez’ und Pete Seegers Auftritt auf dem Woodstock-Festival große Bekanntheit erlangte, heißt es, überall dort, wo sich Arbeiter organisieren und ihre Rechte lautstark verteidigen, sei auch der Geist des toten Joe Hill – eine Vorstellung, die ihr mystisches Pathos auf die Occupy-Protest übertragen sollte. Dazu trug auch Graham Nash bei, der gemeinsam mit David Crosby seinen 1969 komponierten sozialkritischen Song „Teach Your Children“ im Zuccotti-Park vortrug. „This is a song that I wrote 40 years ago, but that’s still true today“, rief Nash der applaudierenden Menge zu, bevor er das Lied anstimmte. Eher auf Provokation als auf die Beschwörung des amerikanischen Geistes setzten hingegen Sean Lennon und Rufus Wainwright, die Madonnas „Material Girl“ performten.

Ebenfalls im Oktober, einige Tage nach Kweli, trat der Rage Against the Machine-Gitarrist Tom Morello in New York auf. Morello, der schon jahrelang politisch aktiv ist und sich unter anderem für Gewerkschaften einsetzt, hatte bereits 2002 zusammen mit seinen Bandkollegen und Serj Tankian, dem Sänger von System of a Down, die gemeinnützige politische Organisation „Axis of Justice“ gegründet – als Reaktion auf das von George Bush geprägte Schlagwort ‚Achse des Bösen‘. „Axis of Justice“ veranstaltet seitdem musikalische Protestaktionen, koordiniert ein wachsendes Netzwerk aus Aktivisten und produziert eine monatliche Radiosendung. Auch Morello setzte auf die legendengepflasterte Geschichte der amerikanischen Protesttradition und sang mit Woody Guthries „This Land is your Land“ das wohl bekannteste Protestlied der Folk-Ära. Das Lied entwickelte sich später zu einer Art Occupy-Hymne und verknüpfte die Ereignisse der Gegenwart mit den Wurzeln der politischen Popmusik im Folk.

Morello initiierte außerdem zur Wiederaufnahme der New Yorker Proteste nach der Winterpause am ersten Mai 2012 die Musik-Performance „Guitarmy“, bei der Demonstranten in Form einer ‚Open Source‘-Band gemeinsam bekannte Protestlieder einstudierten und dann Gitarre spielend durch Manhattan zogen. Die Aktion entstand wie viele andere ihrer Art unter der Organisation der „Music Working Group“, einer konsensgesteuerten Arbeitsgruppe innerhalb der General Assembly, der Hauptversammlung von Occupy. Die Gruppe, die aktuell aus rund 60 Mitgliedern besteht, unterstützt Musikproduktionen und -konzerte, die sich für die Werte und Prinzipien der Bewegung engagieren. Eine weitere musikorientierte Non-Profit-Organisation gründete sich unter dem Titel „Music for Occupy“ , die im Mai 2012 die Compilation „Occupy This Album“ veröffentlichte, deren Erlöse der Bewegung zugutekommen. Die CD besteht aus 78 Occupy-inspirierten Songs von u.a. Mogwai, Yoko Ono, Patti Smith, Yo La Tengo, Ladytron, Tom Morello, Debbie Harry, Amanda Palmer, Willie Nelson und Micheal Moore.

Parallel zu den Protesten im Herbst 2011 wurden bereits über tausend Musiker auf der Website „Occupy Musicians“ aufgelistet, die sich offen für die Bewegung einsetzten – neben den bereits erwähnten finden sich dort Namen wie Lou Reed, Laurie Anderson, Roy Harper und Amanda Palmer von The Dresden Dolls. Die Internetseite sollte die Möglichkeit bieten, auf weiteren Protestveranstaltungen musikalische Beiträge zu initiieren.

Außerdem erschien im März 2012 – sechs Monate nach Beginn der Wall Street-Demonstrationen – mit Bruce Springsteens Album „Wrecking Ball“ eine der ersten unmittelbaren Reaktionen auf dem Musikmarkt. Springsteen hatte die Arbeiten am Album bereits 2009 unter dem Eindruck der verheerenden Auswirkungen der Finanzkrise begonnen. Wie schon auf „The Rising“, der Platte zur amerikanischen Stimmung nach 9/11, versucht Springsteen die Gemütslage seines Landes musikalisch widerzuspiegeln. Auf „Wrecking Ball“ beschimpft er die „Bad Banker“ als „Fat Cats“ und bringt die Wut der Occupy-Protestanten auf die Wall Street mit dem Lied „Death to my Hometown“ auf den Punkt: „Send the robber barons straight to hell / The greedy thieves who came around / And ate the flesh of everything they found / Whose crimes have gone unpunished now / Who walk the streets as free men now.“

Der Song „We Take Care Of Our Own“, ein Appell zur Selbstermächtigung, wurde im Frühling auch auf Protestaktionen gesungen. In einem Interview mit dem „Rolling Stone“ sagte Springsteen (2012): „The song’s chorus is posed as a challenge and a question. Do we take care of our own?“

Im Kreis der Wissenden – Popkulturelle Zeichensysteme

Immer wieder fielen während der Proteste in New York symbolträchtige Gesten, Riten und Bilder ins Auge. So entwickelten die vielen jungen Kreativen, die sich für die Bewegung engagierten, schnell Motive und Logos für die Occupy-Bewegung. Diese fanden etwa auf Plakaten Verwendung oder vermehrt auch als T-Shirt-Prints. Die Slogans und Symbole als modische Statements der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe erinnerten stark an Band-T-Shirts, mit denen Musikfans ihre Anhängerschaft für alle sichtbar zur Schau stellen. Man denke nur an all die Metallica- oder ACDC-Shirts oder das berühmte Rolling-Stones-Logo mit der herausgestreckten Zunge, das heute noch auf der Brust von jungen wie alten Leuten prangt. Immer transportierten die T-Shirt-Prints auch gewisse Lebensstile, Einstellungen und Werte.

Dieses Phänomen war auch bei den Occupy‑Demonstrationen zu beobachten. Sprüche wie ‚I am the 99%‘ oder nur auch Abkürzungen wie ‚#OWS‘ zierten die T-Shirts ebenso wie Bilder der Guy-Fawkes-Maske, Symbol der Internet-Aktivisten von Anonymous, oder der Schablonendruck eines Polizisten, aus dessen Pfefferspraydose Herzen kommen. Die Pfefferspray-Attacke gegen Demonstranten hatte vorher für viel Empörung gesorgt. Das T-Shirt wurde also gleichzeitig zur Leinwand der Außendarstellung einzelner und zur Vermittlung von gemeinsamen Forderungen.

Auch das Handzeichenvokabular der Besetzer erinnerte an die spezifischen Gesten verschiedener popkultureller Strömungen, besonders aber an Hip-Hop-Praktiken: Die gehobene ausgestreckte Hand als Zeichen der Zustimmung beziehungsweise ihr Senken bei anderer Meinung verweist auf Handbewegungen bei Hip-Hop-Jams oder -Konzerten, auf denen die Rapper ihr Publikum dazu aufrufen, die Arme im Takt der Musik ausgestreckt nach oben zu werfen. Gleiches gilt für die nach oben deutenden Zeigefinger, als Symbol für den Wunsch nach mehr Lautstärke. Auch das Handzeichen, das bei den General Assemblies zur Forderung nach einem neuen Thema verwendet wurde, ähnelt stark dem ‚magischen Dreieck‘ aus beiden Handflächen und Daumen, das Jay-Z häufig bei Auftritten und Fotoshootings zeigt. Die Kenntnis der spezifischen Handzeichen vermittelt ähnlich wie in den Ursprüngen der Hip-Hop-Gangs Zugehörigkeit zum Kreis der Wissenden. Mark Greif (2012) betonte, dass ebendiese Handzeichen im Zusammenspiel mit dem „Human Mircrophone“ der Occupy-Bewegung eine eigene Qualität gaben und sie so auch zu einer Art Marke machten.

Auch das Veranstalten der sogenannten Drum Circles im Zuccotti-Park verweist auf eine lange popkulturelle Tradition. Drum Circles bestehen aus einer unbegrenzten Gruppe von Menschen, die improvisiert zusammen verschiedene Schlaginstrumente spielen. Das Konzept ist bewusst dafür ausgelegt, auch Nichtmusiker an das Erleben musikalischer Gemeinschaftserlebnisse heranzuführen und wurde in der Popkultur von vielen Strömungen aufgegriffen, darunter die Hippie-Bewegung der 1960ern und auch die in den 1970ern beginnende Hip-Hop-Gegenkultur in der Bronx.

Es geht, wie oft betont wurde, bei den Drum Circles nicht in erster Linie um das Musizieren, sondern vielmehr um das Kommunizieren untereinander und um den Aufbau eines Gruppenbewusstseins. In einem Artikel über die Drum Circles schreibt Mark Greif (2011) in der „Occupy! Gazette“, die spontanen, polyrhythmischen Aktionen seien ein zentrales Charakteristikum der neuen sozialen Bewegungen, weil sie für 40 Jahre alternativer Kulturgeschichte stehen: „radical feminism and eco-anarchism, not just as enter­tainment or spiritual practice.“ Sie seien gleichzeitig eine zum Mitmachen anstiftende Methode, die die neuen offenen Strukturen der Occupy-Bewegung ohne Worte befruchtet. Musik wird also im Sinne des Occupy-Gedankens als gemeinschaftlicher friedlicher Protest eingesetzt.

Peace and No Future – Rückbezüge auf die Popgeschichte

Die Stimmung im Zuccotti-Park erinnerte vor allem viele ältere Teilnehmer wegen der leidenschaftlichen Einsatzbereitschaft der Demonstranten an die Zeit der Anti-Vietnam-Proteste in den 1960ern. So schreibt Mark Rudd (2011) über seine persönlichen Erfahrungen in der „Occupy! Gazette“:

„I’ve been thinking a lot about mass movements […] since 1965, when, as an 18 year-old freshman at Columbia, I got swept up into the anti-Vietnam War movements. The young people already educating themselves on the war and protesting it were the coolest kids around and I wanted to be one of them. What made them so attractive was not only their intelligence, but that they were on fire with moral outrage. That’s exactly the same feeling I get from Occupy Wall Street.“

Neben augenscheinlichen Verbindungen mit historischen Protestbewegungen gibt es allerdings auch einige schwerwiegende Unterschiede. Zunächst einmal ist Occupy ein vornehmlich von ökonomischen und damit einhergehenden sozialen Bedingungen hervorgerufener Widerstand. Die großen popkulturellen, politischen Jugend- und Protestbewegungen seit den 1950ern hatten sich im Gegensatz dazu eher auf libertäre, antirassistische, friedensbewegte, feministische oder ökologische Kämpfe konzentriert. Weitere Unterschiede sind die breiter angelegte demografische Zusammensetzung der Demonstranten, das Prinzip der Horizontalität und die Ausrichtung als „dual power movement“.

Trotz ihrer Einzigartigkeit in vielerlei Hinsicht lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die Occupy-Bewegung ideengeschichtlich von früheren popkulturellen Strömungen teils stark beeinflusst ist. Besonders auffällig sind hier Ähnlichkeiten zur Punk-Bewegung. Die Zukunftslosigkeit als Grundthema etwa haben beide gemeinsam. Die Beschreibung des typischen Occupy-Demonstranten als „Graduate with no Future“ in Paul Masons Buch „Why It’s Kicking Off Everywhere – The New Global Revolutions“ erinnert stark an die „No Future!“-Parolen der 1970er. In gewisser Weise kann auch die Punk-Attitüde insofern auf Occupy übertragen werden, als sich ihre Teilnehmer weigern, Teil eines Systems zu sein, das ungerecht, ungleich und heuchlerisch ist, und ihre Würde durch bestimmte Handlungen und Lebensweisen einfordern.

Natürlich griffen die Punks der 1970er auf ganz andere Lösungskonzepte zurück: Auch wenn sie sich stets als entschiedene Gegner der Zustände sahen, galt bei ihnen im Gegensatz zu den Occupy-Aktivisten politisches Engagement als „Hippiescheiße“: „Biertrinken in der Öffentlichkeit war schließlich auch Protest und wurde von Spießern aller Couleur auch so empfunden“ (van der Buchholz 2001: 138). Diese ‚I Don’t Care‘-Haltung wandelte sich erst mit den Hausbesetzungen in den 80ern zu militantem Widerstand.

Die wohl wichtigste Gemeinsamkeit von Punk und Occupy aber liegt nicht in der kritischen Haltung an sich, sondern in einer gewissen Gleichzeitigkeit von Kampfansage und Zurschaustellung der eigenen Verwundbarkeit. Ebenso wie der Protest der Occupy-Bewegung war auch der Protest der Punks ein Kampf derjenigen, „die wussten, dass sie zu den Schwächeren, zu den Verlierern gehören würden“ (Büsser 2000: 102). Während die Punks ihren Körper durch zerrissene Kleidung und Piercings „als öffentlich inszenierte Wunde“ einsetzten (ebd.), stellen die Occupy-Anhänger ihre Leidensgeschichten auf dem Tumblr-Blog „We Are the 99 Percent“ zu Schau. Ihre Verletzlichkeit zeigt sich dort auf bekritzelten Pappschildern, mit denen sie sich fotografieren. Der Blog bietet ein Portrait der verschuldeten, desillusionierten und vor allem entwürdigten amerikanischen Mittelschicht. So beschreibt es auch Marco Roth (2011: 26): „stripped of dignity, tormented by the anxieties over how to care for themselves and their families“ – ihrer Würde beraubt, gepeinigt, ängstlich seien sie.

Zweckentfremdung und Selbstaneignung – Situationismus und Antifolk

Ebenso wie der Situationismus den Punk und viele weitere linksalternative popkulturelle Bewegungen beeinflusst hat, spielte er auch eine gewisse Rolle für die Occupy-Bewegung. Das Werk des wichtigsten Situationisten und Gesellschaftstheoretikers Guy Debord gilt als wichtige intellektuelle Inspiration für Occupy. So behauptet etwa Kalle Lasn, der mit dem jahrelangen antikapitalistischen Aktionismus seines „Adbusters“-Magazin einer der Initiatoren der Wall-Street-Besetzung war, in fast jedem seiner vielen Interviews, er sei stark geprägt von Guy Debord und seiner Situationistischen Internationale.

Letztere war eine von Debord 1957 gegründete, linksradikal orientierte Gruppe von Künstlern und Intellektuellen. Die Praktiken des sogenannten ‚adbustings‘ – Namensgeber des Magazins – geht auf eine von der Gruppe entwickelte künstlerische Technik zurück: ‚Détournement‘. Durch die Zweckentfremdung von Filmsequenzen, Bildern und Texten, die von der Warenkultur pausenlos hervorgebracht werden, sollen deren Inhalte parodistisch kommentiert werden. ‚Adbuster‘, die meist aus der Street Art-Szene stammen, verfremden nach diesem Prinzip Werbung im öffentlichen Raum.

Auch der Aktionismus vieler Occupy-Anhänger folgt der Maxime der Zweckentfremdung. Unter dem Motto ‚Occupy Pop Culture‘ – ‚Besetze die Popkultur‘ – wandeln Aktivisten popkulturelle Inhalte in Symbole des Widerstands um. So wurden etwa Szenen aus Kultfilmen wie „Rambo“ oder „Robocop“ von kreativen Occupy‑Aktivisten so bearbeitet, dass sie als Protestaufruf fungierten, und über das Internet verbreitet. Diese Technik des ‚Détournement‘ sei, wie Natasha Lennard (2012) befindet, ein effektiver Akt der Zurückeroberung: „ [It’s] a cheeky ‘fuck you’ to late capitalism: We will take your products [and] spit them back at you.”

Ein gutes Beispiel für die Effektivität der Zweckentfremdung ist die Guy Fawkes-Maske, die ursprünglich für die Verfilmung des dystopischen Comics „V for Vendetta“ (2005) entworfen und von einer Hollywood-Requisite zum Symbol des modernen politischen Netzaktivismus wurde. Die Maske, die auf den katholischen Offizier Guy Fawkes zurückgeht, der 1605 eine Revolution gegen den englischen Köning anzetteln wollte, indem er versuchte das Parlament in die Luft zu sprengen – die sogenannte „Schießpulververschwörung“ –, hat eine eigene, von ihrem Ursprung ganz unabhängige Wirkungskraft entwickelt.

Weiterhin ist die Occupy Wall Street-Bewegung von einer jüngeren popkulturellen Strömung geprägt: der weit verzweigten Antifolk-Szene, die im New York der 1980er und 1990er Jahre entstand. Beeinflusst vom Punk und seiner DIY-Kultur, besteht sie aus einem eng verknüpften Netzwerk aus Künstlern und kann durch musikalische Unbekümmertheit, Witz, Provokation und ein sensibles Händchen für inszenierten Dilettantismus charakterisiert werden. Martin Büsser (2004: 116) beschreibt die Szene als ein Kollektiv von Künstlern, „die noch einmal alle Tugenden des alten Independent- und Do-It-Yourself-Gedankens wiederbelebt hat und genau wegen der damit verbundenen Direktheit und Integrität vielleicht als die erste ernstzunehmende musikalische Underground-Bewegung des neuen [Jahrtausends] gelten darf.“ Wie auch die Konzerte im Zuccotti-Park war die Antifolk-Szene in ihren Anfängen von klassischen Folkliedern geprägt, geht aber seit 2000 eigene, experimentellere Wege.

Die Underground-Bewegung hat aber nicht in erster Linie mit der Rückkehr authentischer Rockmusik zu tun. Vor allem geht es, wie in der Poetry Slam-Szene, „um Selbstaneignung, um das offene Mikrophon für alle, also um einen radikal demokratischen Ansatz.“ (Ebd.) Dieser Anspruch, möglichst viele aktiv teilhaben zu lassen, verbindet Antifolk-Musiker wie Beck, Regina Spektor und Adam Green mit den Prinzipien der Occupy-Bewegung. Zwar sind ihre Texte nicht konkret politisch, doch erzählen sie durchaus vom Überlebenskampf in einem gescheiterten ‚Land of the Free‘. Die Thematisierung von Mangel, finanzieller Not und gesellschaftlicher Entfremdung ist immer auch verbunden mit dem Stolz auf ein nichtmaterielles Wertesystem, das ja auch viele Occupy-Demonstranten im Sinn haben.

Das Ende des Hipsters als unpolitisches Subjekt oder die Revolution als leere Geste?

Immer wieder erhoben sich während der Occupy-Proteste kritische Stimmen gegenüber den Demonstranten, die, so die Kritiker, keineswegs geeignete Repräsentanten für eine ‚Revolution von unten‘ wären. Eben weil viele Zuccotti-Aktivisten junge, gut gebildete, technikaffine Menschen waren, forderten sie die Häme der Beobachter heraus, die die Ernsthaftigkeit der Bewegung mit dem Verweis auf ihre elektronischen ‚Gimmicks‘ herabzuwürdigen versuchten (Sloty 2011: 13). Von Empörten mit MacBooks war die Rede und einer verarmten Mittelschicht gekleidet in hippe American-Apparel-Shirts. Viele hätten auch nur an den Protesten teilgenommen, weil es für sie eine Art ‚cooles‘ New Yorker Happening darstelle und alle ihre Freunde auch dabei waren.

Tatsächlich bestand ein großer Teil der Demonstranten aus Menschen, die um ihre Zukunft fürchteten, sich für ihre Ausbildung hoch verschuldet hatten oder Berufe mit unsicherer Beschäftigung ausübten – Freiberufler, Zeitarbeiter und Selbständige. Jedoch die Allerwenigsten gehörten wirklich zur Bevölkerungsschicht des Prekariats – zumindest nicht zu seinem entkoppelten Teil (Die ‚entkoppelte Zone‘ des Prekariats ist ein von Klaus Dörre eingeführter Begriff zur Unterscheidung von tatsächlich prekären Lebensverhältnissen und dem Teil des ‚integrierten‘ Prekariats, das Erwerbstätige umfasst, die zwar in keinem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen, aber gleichwohl durch temporäre oder unregelmäßige Arbeit in ihrer Existenz bedroht sein können – das heißt Selbständige, Freiberufler, Gewerbetreibende.). So beschimpfte etwa Brandan O’Neill (2011) in einer britischen Tageszeitung die Occupy-Bewegung als „gathering of angry actors, graphic designers and various other hipsters“ und „gaggle of rich kids“. Es drehe sich bei den Demonstrationen, so O’Neill, nur um möglichst verrückte Forderungen, ironische Plakatsprüche und ‚super-coole‘, selbstbedruckte Slogan-Shirts.

Auch wenn dieses Urteil deutlich zu hart ausfällt, ergeben sich beim Blick auf die Hintergründe der Bewegung durchaus Widersprüche, die nicht unerwähnt bleiben dürfen. Denn die Demonstranten, die dort auf der New Yorker Wall Street ihrem Unmut zum Ausdruck brachten, waren ebendiese jungen Menschen, die Beobachter der letzten Jahre noch als typische Mitglieder einer postmodern unpolitischen Generation beschrieben hatten: die sogenannten Hipster. Junge Menschen einer urbanen Mittelschicht also, die ihr subkulturartiges Szenebewusstsein oft exzentrisch zur Schau stellen und sich dafür auf der Suche nach Andersartigkeit teils ironisch und wahllos bei den Subkulturen des 20. Jahrhunderts bedienen. Den oft in kreativen Berufen arbeitenden Hipstern wird vorgeworfen, durch das permanente Zitieren nur noch sinnentleerte Zeichen zu produzieren und somit das Ende jeder Kreativität zu markieren: „We’ve reached a point in our civilization where counterculture has mutated into a self-obsessed aesthetic vacuum. So while hipsterdom is the end product of all prior countercultures, it’s been stripped of its subversion and originality.“ (Haddow 2008)

Die westliche Zivilisation, so glauben viele Kritiker der Popkultur des 21. Jahrhunderts, sei mit den Hipstern an ein Ende der gegenkulturellen Bewegungen gelangt, die seit 1945 den jeweiligen Status quo permanent hinterfragt hatten. In der Gegenwart gebe es für Jugendkulturen kein revolutionäres Potenzial mehr. Denn nachdem Punk kommerzialisiert worden war und Hip Hop seinen ursprünglichen sozialkritischen Impuls verloren hatte, seien alle vormals dominanten gegenkulturellen Strömungen ineinander verschmolzen. „Now, one mutating, trans-Atlantic melting pot of styles, tastes and behavior has come to define the generally indefinable idea of the ‘Hipster’ […] – a culture lost in the superficiality of its past and unable to create any new meaning.“ (Ebd.) Der Vorwurf der Oberflächlichkeit bezieht sich dabei vor allem auf die künstliche Aneignung verschiedener Stile aus verschiedenen Jahrzehnten, die in ihrer Gesamtheit mittlerweile in die Massenkultur übergegangen sind – in den „Mainstream der Minderheiten“, von dem Holert und Terkessidis sprechen.

Sind diese Hipster von gestern – narzisstische Konsumenten ohne politische Agenda – also wirklich die Demonstranten von heute? Thomas Assheuer (2011) jedenfalls schrieb in der „Zeit“ über die Demonstranten im Zuccotti-Park: „Es sind vor allem junge Leute, die aussehen, als seien sie direkt aus dem Herzen der postmodernen Coolness, aus den Szene-Cafés und Retro-Clubs, auf die Straße gestolpert.“

Oder ist es so, wie viele junge New Yorker behaupten, und Occupy kennzeichnet wiederum das Ende des Hipsters als unpolitisches Subjekt? Occupy also als das Ende vom Ende der Gegenkulturen? Hat die Bewegung die Kraft, auch Orte und Symbole des Hipstertums neu mit politischen Themen zu besetzen? So zumindest interpretiert es ein junger Aktivist, der in einer hippen Bar im New Yorker Trendbezirk Williamsburg eine General Assembly leitete: „I think hipsterdom is dead. I think Occupy marks the end of it.“ (Estes 2011)

Die Frage ist, ob Occupy Wall Street tatsächlich eine Möglichkeit bietet, dem endlosen ironischen Treiben ein Ende zu bereiten und aus rebellischen Kleidungsstilen wieder rebellisches politisches Handeln zu machen. Oder ob der Protest wieder nur zum „weiteren Posten im Lifestyle-Katalog“ (Jörg Häntzschel bei Greif 2012) wird. Mark Greif hat eine durchaus positive, wenn auch nicht ganz endgültige Antwort gefunden:

„Im Zuccotti-Park rückte ein Segment der Jugend wieder in den Blick, das wir einfach nicht beachtet hatten: die Leute nämlich, von denen die Hipster ihre Motive geklaut haben, Leute wie die anarchistischen Fahrradboten. Plötzlich sehen die Kinder in den Malls in Illinois oder sonst wo Bilder von tatsächlich rebellischer Jugend, nicht nur von ‚rebellischen‘ Konsumenten.“ (Ebd.)

Wie so oft in der Geschichte der Popkultur ist auch bei der Occupy-Bewegung das politische Potenzial als gesellschaftlicher Einflussfaktor vor allem auf symbolischer Ebene zu suchen. Aber auch ein solches symbolisches Widerstandsmoment kann mit beachtlichen gesellschaftlichen Folgen einhergehen.

 

Literatur

Assheuer, Thomas (2011): Frühling in Amerika. In: Die Zeit vom 06.10.2011.
Büsser, Martin (2000): Rebel in Society. Der Aufstand des Punk aus dem Geist der Pubertät. In: Testcard #9.
Büsser, Martin (2004): Bildet Netzwerke! Antifolk. Zurück zum Do-It-Yourself. In: Testcard #12.
Estes, Adam Clark (2011): Occupy Williamsburg Welcomes the End of the Hipster. In: The Atlantic Wire [Link mittlerweile erloschen] vom 14.12.2011.
Greif, Mark (2011): Drum Circle History and Conflict. In: In: Occupy! Gazette #2 [Link mittlerweile erloschen], vom 14.11.2011, S. 38.
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– Annett Scheffel, geb. 1986, ist freie Journalistin und schreibt u.a. für das Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“, „Die Zeit“ und „Rolling Stone“ über Popkultur, Film, Gesellschaft, Netzkultur und urbanes Leben. Sie lebt und arbeitet in Berlin. Ihr Masterstudium „Kulturjournalismus“ an der UdK Berlin beendete sie 2012 mit einer Arbeit über den Zusammenhang von Occupy und Popkultur, die hier auszugsweise zu lesen ist. Mehr zum Thema findet man auch auf ihrem Blog polipopular
Kontakt: annett.scheffel@web.de