Überlegungen zur Ästhetik des PDFs
PDFs schaffen Verbindlichkeit. Mit ihrer Erstellung gehen kreative Prozesse und Schreibphasen zu Ende. Man wird zur Leser:in des eigenen Textes in seiner womöglich finalen Form, es erscheinen Bilder von Seiten, die den Zustand permanenter Umschrift hinter sich gelassen haben. Für den Autor Wolfram Lotz wird die Erstellung eines PDFs zur Möglichkeit, eine produktive »Distanz«[1] zur Prozessualität des eigenen Schreibens einzunehmen, die Vorläufigkeit des handschriftlichen Manuskripts hinter sich zu lassen und den Blick auf die »Form des Textes«[2] selbst zu richten:
»Hatte mir in den letzten Jahren auch angewöhnt, zwischendurch den Text als PDF zu speichern, durch diese minimal andere Optik schon ein ganz anderes Anschauen, von weiter weg, die Schrift bereits etwas erkaltet
Das hat aber kurzzeitig dazu geführt, dass ich nach jedem zweiten Wort das ganze als PDF gespeichert und geöffnet habe, PDF-WAHN«.[3]
Die »Optik« des PDFs – die cleanness, Absolutheit und Rigidität seines Layouts – sehen aus ›wie gedruckt‹ und doch ist der Umgang mit dem PDF ein ganz eigener. Es herrscht die Tendenz zum Überfliegen, man blättert nicht, sondern scrollt, zoomt hinein und hinaus, die kleine weiße Cursor-Hand greift zwar fest zu, aber auch irgendwie ins Leere. Die Medientheoretikerin Lisa Gitelman hat daher zu Recht die »ontological complexity« des PDFs hervorgehoben,[4] mit dem die gedruckte Seite lediglich simuliert wird.
Seit seiner Entwicklung in den frühen 1990er Jahren ist das PDF unhinterfragter Bestandteil des Alltags und seiner Abläufe geworden. Das PDF (Portable Document Format) ist ein häufiges Austausch- und Archivierungsformat sogenannter grey literature, also von Broschüren, Bedienungsanleitungen und Memos. Als PDF werden Anträge und Bewerbungen eingereicht, Formulare ausgefüllt und Tickets vorgezeigt. Wie DIN-A4, VHS, MP3 und 16mm ist auch das PDF ein technisches Format und so durch die Spezifizität seiner intendierten Gebrauchsweisen determiniert.[5] Formate standardisieren den Umgang, die Rezeption und die Erscheinungsform eines Mediums, sie bestimmen seine Ästhetik ebenso entscheidend mit wie wirtschaftliche Aspekte seiner Produktion und Distribution. So wie Bilder, Texte und Dokumente in ihrer Formatierung als PDF andere werden, so verändert sich auch die Produktion, Rezeption und Zirkulation von Literatur unter den Bedingungen des PDFs.[6] Dies bedeutet weit mehr als nur die Tatsache, dass ein Text als PDF andere Produktions- und Gebrauchsweisen als ein gedrucktes Buch impliziert, und zwar insbesondere, dass damit Schreib- und Publikationsweisen ermöglicht werden, die sich explizit am Format des PDFs orientieren.
Wie eng die Geschichte des postdigitalen Veröffentlichens, Lesens und Schreibens mit dem PDF verbunden ist, zeigt ein Blick auf die experimentelle Print-on-Demand-Kultur, wie sie auf Plattformen wie GaussPDF und Troll Thread zu finden ist. Hier stehen Dateiformate selbst im Zentrum und werden jenseits von literarischen Gattungskonventionalitäten zur zentralen ästhetischen Kategorie. Das PDF wird für publishing collectives der 2010er Jahre wie K-HOLE oder Tegel Media zur Möglichkeit eines postdigitalen Kuratierens und Veröffentlichens jenseits von Verlagsprogrammen, ohne dabei gänzlich auf Werkhaftigkeit verzichten zu müssen. Abseits des konventionellen Buchmarkts und seiner E-Books konzentrieren sich im PDF, so die Ausgangsthese der folgenden Überlegungen, die Veränderungen des Literaturbetriebs durch die Digitalisierung: Auf der einen Seite scheint das PDF das digitale Versprechen der Zirkulierbarkeit zu erfüllen, auf der anderen Seite perpetuiert es ein klassisches Verständnis von Werk- und Buchhaftigkeit. Ich will zunächst auf die Geschichte des PDFs eingehen und anschließend anhand von einigen Beispielen die Spezifika eines kritischen, künstlerischen und literarischen Umgangs mit PDFs beschreiben.
I. Beyond Paper und die Geschichte des PDFs
Die Geschichte des PDFs nimmt Ende der 1980er Jahre ihren Anfang.[7] Das Internet ist zu dieser Zeit noch nicht weitläufig verfügbar, innerhalb von Konzernen, Betrieben und Firmen sind einzelne Computer selten miteinander verbunden, Networking erschöpft sich im Faxen oder Verschicken von Dokumenten – es ist die große Zeit der overnight mail und der Fahrradkuriere.[8] Für viele IT-Abteilungen stellt sich in Anbetracht dieser Umständlichkeit die praktische Frage, wie sich elektronische Dokumente vertraulich, kompakt und über verschiedene Betriebssysteme hinweg ›transportieren‹ lassen, ohne dass sich ihr Layout drastisch verändert. Wie kann ein stabiler und universaler Dokumentenverkehr aussehen, ohne das Dokument auszudrucken, zurechtzuschneiden und dann zu faxen? Wie lässt sich von Papierverschwendung auf das Versenden von Screen zu Screen umstellen?
Der Entwickler der Seitenbeschreibungssprache PostScript und spätere Adobe-Systems-Mitgründer John Warnock setzt sich daher zum Ziel, ein elektronisches Äquivalent zur ausgedruckten Seite zu entwerfen. Warnock imaginiert ein ›leichtes‹ (d.h. komprimiertes) Format, das die Veröffentlichung, Archivierung und den Workflow in Verbindung mit Dokumenten vereinfachen sollte. Im sogenannten »Camelot-Projekt« aus dem Jahr 1990 beschreibt Warnock die Ansprüche an ein solches portables Standardformat, das auf nicht weniger als eine fundamentale Veränderung der Arbeitswelt zielt:[9]
»The problem is concerned with our ability to communicate visual material between different computer applications and systems. The specific problem is that most programs print to a wide range of printers, but there is no universal way to communicate and view printed information electronically. […] What industries badly need is a universal way to communicate documents across a wide variety of machine configurations, operating systems and communications networks. These documents should be viewable on any display and should be printable on any modern printers. If this problem can be solved, then the fundamental way people work will change.«[10]
Das Abhilfe schaffende Format soll dabei wie ein Dokument aussehen, indem es Seiten in einem fixierten Zustand abbildet, soll dessen Gebrauchsmöglichkeiten, beispielweise durch den Einsatz von Hyperlinks, aber zugleich transzendieren. Es soll jederzeit und überall geöffnet und gedruckt werden können, einfach herunterzuladen, schnell zu verschicken und unkompliziert zu speichern sein.[11]
Kurze Zeit später veröffentlicht Adobe im Juni 1993 das Anwendungspacket Acrobat Exchange, das, wie der Name andeutet, Ausdauer und Flexibilität vereinen soll.[12] Das PDF ist dabei eher als Zirkulations- und Distributionsformat denn zur Erstellung und Veränderung von Dokumenten gedacht. Als »document communication tool, not a creation application« kommt es dann ins Spiel,[13] wenn kreative und editorische Prozesse bereits abgeschlossen sind. Mit der Umstellung auf digitalen Dokumentenverkehr soll nicht nur die Arbeitswelt revolutioniert werden, sondern sollen auch Versprechungen eines ökologisch vertretbaren paperless office Wirklichkeit werden.[14]
Die Veröffentlichung von Acrobat wird von einer Buchpublikation begleitet. In Beyond Paper. The official guide to Adobe Acrobat, das ironischerweise nur gedruckt erscheint und heute schwer zu bekommen ist, beschreibt Patrick Ames, ein früherer »publisher and publishing consultant« (BP Umschlagtext), die Vorteile und potenziellen Auswirkungen der neuen Technologie. Das knapp 130 Seiten umfassende Buch ist weder als bloße Anleitung noch als technische Abhandlung zu verstehen, sondern als praxeologische Beschreibung und Zukunftsvision zugleich. Auf präzise Weise wird der Umgang mit herkömmlichen Dokumenten in diversen Arbeitszusammenhängen beschrieben und mit den ›smarten‹ Lösungen kontrastiert, die das PDF bietet – alles, so die These des Buchs, kann effizienter, schneller und billiger ablaufen. Die in Beyond Paper beschriebene Praxeologie analoger Dokumentenverarbeitung zielt darauf, deren Redundanz und Ineffizienz zu entlarven sowie durch Prozessoptimierung Personalkosten zu sparen.[15] Warnocks Vorwort zu Beyond Paper skizziert ein düsteres Szenario der Arbeitswelt der frühen 1990er Jahre:
»We live in a sea of paper. Our everyday lives are flooded with newspapers, magazines, catalogues, promotional pieces, forms, and all manner of other printed communication. Information is exploding at a rate that is pushing the boundaries of our abilities to cope with it. Trees are being used up in ever-increasing numbers. Energy costs for shipping paper are increasing. The basic infrastructure and environment linked to our use of paper is straining to the point of collapse.« (BP 8)
So kann es nicht weitergehen. PDFs sollen dieser Verschwendung von Ressourcen, Arbeitszeit und Geld entgegenwirken und das Prozessieren von Dokumenten von Grund auf verändern, indem sie »the promise of digital information with the traditional security of printed materials« (BP 16) verbinden. Ames beschreibt anhand eines »normal business day« (BP 16) von acht Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags in zwei fiktiven amerikanischen Unternehmen – einem multinationalen Konzern mit 15.000 Angestellten und einem kleineren Hersteller mit 350 Mitarbeiter:innen – den bisherigen problematischen, unökologischen, kostspieligen Umgang mit Dokumenten sowie künftige Lösungen und Erleichterungen, die mit der Umstellung auf das portable Format möglich werden. Die neue Technologie »can improve communication, speed distribution, and create intelligent information that can be manipulated, accessed, searched, and stored electronically.« (BP 16) Da PDFs nicht mehr ausgedruckt werden müssen, werde eine ganze papierene Infrastruktur obsolet werden. Die Kosten für Papier würden sich selbstverständlich senken lassen, Ordner, Scheren, Umschläge und Aktenschränke würden langfristig verschwinden. Der Umgang mit den verschiedensten Dokumenttypen wie dem »morning memo« (BP 20) oder dem »project proposal« (BP 30) werde durch das neue Format effizienter werden. Das PDF übertreffe das gedruckte Dokument »in scope, richness und accessability« (BP 107). Indem es mit jedem Device jederzeit bearbeitet werden kann, lässt sich dementsprechend auch überall arbeiten. Meetings können außerhalb des Büros und spontan durchgeführt werden – in der in Beyond Paper skizzierten Welt insbesondere in Flughäfen –, Dokumente liegen nicht mehr im Büro, sondern sind nur einen Klick entfernt. Durch die neue ubiquitäre Verfügbarkeit ist ein Arbeitstag nicht um 17 Uhr zu Ende, sondern lässt sich stets verlängern. Exemplarisch wird dies am Beispiel des fiktiven Außendienstmitarbeiters Robert Hernandez gezeigt.[16] Hernandez kann während seiner Geschäftsreise nun im Flugzeug arbeiten, und auch als er im Hotel ankommt, geht die Arbeit weiter:
»Robert has dinner then returns to his hotel room to finish the day’s work. Connecting his notebook computer to the phone in the room, he calls his office and accesses CubeWork’s E‑Mail-system. He attaches the PDF memos to an email message and sends the memos. […] All in all it’s been a busy, but productive day. As Robert watches the late-night news he cannot contain his excitement«. (BP 110f.)
Der strukturierte Nine-to-five-Arbeitstag, an dem die Rahmenerzählung von Beyond Paper noch festhält, ist bereits in Auflösung begriffen. Zumindest für Außendienstmitarbeiter oder Manager erscheint das Homeoffice nun als Möglichkeit:
»The world is becoming smaller and offices are becoming mobile as we can carry our notebook computers and modems into the streets and airports of the worlds. A worldwide network is just a phone away, and advances in remote access can link you to your office network even though you’re on another continent. Mobile computing is advancing faster than this small book can hope to describe but what is apparent is that your office is no longer the only place you can ›work‹. Telecommuting from home to office is encouraged in many corporations. Frequent flyers swear they get more work done on the plane than anywhere else. […] The cafés of the world will never be quite the same.« (BP 107)
Doch nicht nur die Arbeitswelt werde sich durch das PDF verändern, auch die Publikation von Texten, Dokumenten und Literatur werde in den kommenden Jahren einfacher, da digitaler werden:
»In the very near future a set of tools for corporate and commercial publishers will provide a way to create PDF documents with a variety of enhanced functions. Publishers will use these tools to add value to PDF versions of their publications. Books, manuals, magazines, journals, even newspapers will be ›published‹ electronically, either online or on CD-ROM.« (BP 115)
Adobe propagiert das PDF in den Jahren nach der Erstveröffentlichung von Acrobat als ideales Format für einfaches und schnelles Publizieren im Internet. Nicht nur die Beschränkungen des Analogen ließen sich kostengünstig überwinden, sondern auch neue Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich: Verschiedene Medien ließen lassen sich miteinander verknüpfen, auf andere Files und Seiten lasse sich verweisen und insbesondere visuell anspruchsvolles Material könne damit jenseits von körniger Bildqualität und abfärbender Druckerschwärze auf unkomplizierte Weise zugänglich gemacht werden.[17] In Verbindung mit den Versprechungen der Hypertextpoetik versteht Adobe das PDF als spielerisches Format, in das sich (mehr oder weniger funktionierende) »interactive und navigational objects« einbauen lassen.[18] Die integrierte Suchfunktion des PDFs ermögliche zudem die leichte Navigierbarkeit innerhalb stets anwachsender Informationsmassen. Dagegen ist bereits früh eingewendet worden, dass sich PDFs nur wenig für das Lesen online und auf einem Screen eignen, da es sich meist um sehr lange Dokumente handle, in denen ›Orientierung‹ nur schwer möglich sei.[19] Um PDFs zu veröffentlichen, so Adobes Idee, benötige es wenig technische Expertise, was die Ökonomie des Publizierens sowie die damit verbundene Verbreitung und Rezeption von Informationen verändere.[20] Durch die kostengünstige Distribuierbarkeit und einfache Zugänglichkeit verändere sich auch der ›Wert‹ von Dokumenten, denn wo keine Druckkosten mehr anfallen, lassen sich umfangreichere Publikationen gestalten, »a magazine could easily be 10,000 pages long« (BP 117).[21]
Eine »world beyond paper« (BP 117) scheint im Jahr 1993 nur einen Schritt entfernt.[22] Viele Dinge, die Ames beschreibt, werden zwar in den darauffolgenden Jahrzehnten Wirklichkeit werden, doch der erhoffte Erfolg des PDFs bleibt zunächst aus. Acrobat wird als »solution looking for a problem« kritisiert,[23] die Preise für den einzelnen User sind mit knapp 200 Dollar, für Firmen mit 2.500 Dollar schlicht zu hoch, was eine weite Verbreitung und die Etablierung eines neuen Standards verhindert. Zudem konkurriert Adobe in den 1990er Jahren mit weiteren Dateiaustauschformaten. Das PDF ist Teil eines Standardisierungskampfes mit anderen Formaten wie Common Ground, Envoy oder DjVu. Erst mit der Veröffentlichung von Acrobat 2.0 im Jahr 1994 und der Entscheidung der US-Steuerbehörde, mit elektronischen Formularen ihre Druck- und Versandkosten für Steuerunterlagen zu senken, nimmt das Projekt an Fahrt auf.
Der große Sprung hin zum Standardformat sollte im Jahr 2008 gelingen, als Adobe das PDF nicht mehr als proprietäres Format führt und die kostenfreie Weitergabe der Software ermöglicht. Unter dem Namen ISO 32000-1:2008 wird das PDF zu einem offenen Standard. Wenngleich sich die papierlose Zukunft in der postdigitalen Gegenwart bislang nicht gänzlich verwirklicht hat – papierene Dokumente, z.B. Verträge, finden weiterhin Verwendung, Texte werden immer noch ausgedruckt, auch wenn E‑Mail-Signaturen explizit davon abraten –, so ist das PDF das Standardformat in Datenbanken wie JSTOR, unverzichtbarer Bestandteil im Workflow diverser privater und staatlicher Institutionen, der Goldstandard in der Langzeitarchivierung sowie im storing aller möglicher Formen von grey literature.[24] Im Beiheft zur Veröffentlichung von 2008 – nun nicht mehr als Buch, sondern als PDF – schreibt Adobe über das so einfach wie zuverlässig handzuhabende Format:
»PDF files may be created natively in PDF form, converted from other electronic formats or digitized from paper, microform, or other hard copy formats. Businesses, governments, libraries, archives and other institutions and individuals around the world use PDF to represent considerable bodies of important information.«[25]
PDFs haben dabei freilich nie uneingeschränkte Beliebtheit erfahren.[26] Kritiker:innen des PDF-Formats haben von Anfang an auf die ›Unlesbarkeit‹, die Orientierungsproblematik und Userunfreundlichkeit von PDFs hingewiesen, die eigenartige Substanzlosigkeit der »unnavigable content masses«[27] kritisiert. »Burying information in PDFs«, so Jakob Nielsen, »means that most people won’t read it.«[28] Als eher unflexibles, autorzentriertes Format ist es zunächst Ausdruck eines »corporate liberalism«, dem es um die Zirkulation, nicht um das Weiterschreiben von Dokumenten sowie die Operabilität von Programmen, Devices und Networks bestellt ist. In PDFs zeigen sich, so Gitelman, »hierarchical labor relations in which readers above, below, or beyond the authoring process passively receive its fruits.«[29] PDFs trennen die Sphäre des Schreibens scharf von der des Lesens: Der Preis des unkomplizierten on-the-same-page-Seins, um das es den Erfindern des PDFs ging, ist die strikte Trennung von Produktion und Rezeption.
II. PDF und Normcore
Mit Verfügbarmachung des Formats als offenem Standard im Jahr 2008 setzt auch ein literarisches und künstlerisches Interesse an PDFs ein. Die einfache Distribuierbarkeit und Zirkulierbarkeit macht das PDF für mehrere in den 2010er Jahren gegründete Kollektive zum zentralen Veröffentlichungsformat sowie zur Reflexionsfigur postdigitalen Schreibens und seiner Ästhetik.
Im Jahr 2010 gründen Greg Fong, Sean Monahan, Chris Sherron, Emily Segal und Dena Yago in New York das Kollektiv K-HOLE. Als selbsternannte »trend forecasting group«[30] veröffentlichen sie zwischen 2011 und 2016 insgesamt fünf sogenannte ›Reports‹. Diese auf der Website des Kollektivs kostenlos zur Verfügung gestellten und jeweils ca. 40-seitigen PDFs befassen sich vornehmlich mit Marketingstrategien von Luxusmarken, für die K-HOLE beratend tätig ist, aber auch mit allgemeinen Lifestylefragen und aktuellem Konsumverhalten. Es geht um die Kartierung kultureller, technologischer sowie sozioökonomischer Veränderungen, darum, gegenwärtige gesellschaftliche Stimmungen und ästhetische Tendenzen auf Begriffe zu bringen (Fragmoretation, Prolasticity, Normcore) sowie daraus (mehr oder weniger haltbare) ›Prognosen‹ für die nähere Zukunft zu entwerfen. K-HOLEs PDFs werden zur Inspirationsquelle für spätere Plattformen wie Tegel Media, jenem »Label für Content«,[31] das Leif Randt und Jakob Nolte 2017 gründen und das in den ersten PDFs den Business-Style von K-HOLE aufgreift.
K-HOLEs aufwendig gestaltete und einer Logik und Dramaturgie des Pitchs folgende Reports kombinieren Textabschnitte und Bilder, enthalten Interpretationen einzelner kultureller Artefakte (wie z.B. einer Stone-Island-Jacke) sowie Thesen zum Verhältnis von Branding und technologischer Innovation. Ihre Gestaltung ist an Slideshows und meme captation angelehnt, es findet sich meist eine linksbündige, überdimensionierte serifenlose Schrift in verschiedenen Farben. Die Ästhetik dieser PDFs – aphoristische Slogans und kontrastive Bilderfolgen angereichert mit Tabellen und Diagrammen – ist an Sprache, Ikonografie und Gestus der Jahresberichte großer Firmen und Luxusmarken angelehnt. K-HOLEs Bild-Text-Collagen nehmen sich dabei stets die Freiheit »to generalize, globalize, lob assumptions as thruth, casually plagiarize, misconstrue sociological date«, so Emily Segal in ihrem autofiktionalen Roman Mercury Retrograde.[32] Die PDFs sind als hyperbolische Hommage an den Jargon kostspieliger forecasting reports konzipiert. Die ursprüngliche Idee zu diesen Reports beschreibt Segal folgendermaßen:
»[W]e got our hands on a couple of PDF trend forecasting reports from friends who had gotten jobs like mine, but branding agencies instead of PR. We did some research and discovered that subscribing to these reports cost companies tens of thousands of dollars a year, and featured cheeky pseudo-sociological quasi-art-speak on currents of change in consumer behavior, with a focus on young urban consumers and artists in emerging cities, punctuated with emoticons. The fact that these expensive PDFs could be shared with any old schmo in an email, yet were meant to be private and scarce, only sweetened the deal in our eyes, quaintly speaking to an older generation’s conflicted views on media and how it ought to travel. Ultimately, our idea had been to make our own trend report in homage to these reports and release it for free on the Internet – kind of in the spirit of the fan fiction, or like a zine, albeit one that used a fairly obscure corporate format as its organizing principle.«[33]
Herausgelöst aus der internen Distributionslogik großer Firmen verbinden sich in K-HOLEs PDFs zwei Tendenzen: ›wertvolle‹ Einsichten über die Gegenwart sowie eine kostenlose Verfügbarmachung. Im Gegensatz zur Kostspieligkeit und Vertraulichkeit der für den internen Gebrauch bestimmten Dokumente stehen die Reports für eine zwischen Ironie und Universalitätsanspruch schwankende »public form of consumer fiction«.[34] Bereits in der Entscheidung, die eigenen Reports in jenem »obscure corporate format« des PDFs zu veröffentlichen, scheinen sich für K-HOLE Medienkritik, Gegenwartsanalyse und künstlerischer Anspruch verbinden zu lassen.
Besonders deutlich wird die für K-HOLE maßgebliche Spannung zwischen Veröffentlichungsformat und Ästhetik in deren wohl bekanntestem und einflussreichstem PDF. Unter dem Titel Youth Mode: A Report on Freedom erscheint im Oktober 2013 der vierte Report,[35] der das Konzept ›Normcore‹ prägt und damit eine Haltung, Ästhetik und Weltanschauung beschreibt, die mit dem Versprechen des Individualismus zu brechen versucht: »We were trying to come up with a way of being cool that wasn’t about making yourself as different from other people and special and unique as possible, but instead was about opting into being similar or the same as others.«[36] Normcore ist als Abgesang auf einen gesteigerten Individualismus zu verstehen, als expliziter Bruch mit dem Anspruch und Willen, sich ›ganz anders‹ zu verhalten, zu konsumieren und zu sein. Propagiert wird dagegen eine Ästhetik der Angleichung, der undogmatischen Anschlussfähigkeit – nicht Singularität (being special), sondern Gleichheit (being similar). Der Report beginnt mit der Diagnose einer tiefgreifenden und fundamentalen Überforderung:
»It used to be possible to be special – to sustain unique differences through time, relative to a certain sense of audience. As long as you were different from the people around you, you were safe. But the Internet and globalization fucked this up for everyone. In the same way a video goes viral, so does potentially anything. The likelihood that you and Michelle Obama wish upon the same start is greater than ever.« (YM 4)
Das durch den Aufstieg sozialer Medien sowie durch die Globalisierung der Lebenswelt verstärkte und letztlich illusorische Insistieren auf persönlicher Einzigartigkeit, auf einer zur Schau gestellten und der Abgrenzung dienenden Bedeutsamkeit von »significant details« (YM 19) führe, so K-HOLEs These, zu Unfreiheit und Isolation: »It’s the potluck where the guest have so many dietary restrictions, that everyone can only eat what they brought. It’s the party that’s so exclusive that no one even shows up. This is some Tower of Babel shit.« (YM 20) K-HOLEs Vorschlag, sich diesem Spiel nicht bloß zu entziehen, sondern es neu zu ›denken‹, zielt weder auf die regressive Leugnung der Komplexität der Welt noch auf Reduktionismus (»acting Basic«) oder Minimalismus, sondern auf eine neue Form der Anpassungsfähigkeit. »Adaptability« (YM 27) lautet das entscheidende Schlagwort und meint die Möglichkeit, sich den verschiedensten Kontexten zu öffnen:
»Normcore moves away from a coolness that relies on difference to a post-authenticity coolness that opts in to sameness. But instead of appropriating an aestheticized version of the mainstream, it just cops to the situation at hand. To be truly Normcore, you need to understand that there’s no such thing as normal.« (YM 28)

Abb. 1: K-HOLE: Youth Mode (2015)
Normcore ermöglicht ›Anschlüsse‹ an diverse soziale Gruppen, Stilgemeinschaften und Gesprächszusammenhänge. Konfligierende oder konträre Positionen einzunehmen, müsse nicht als heuchlerisch abgestempelt werden, sondern sei Ausdruck des Bewusstseins für die grundsätzliche Kontingenz (und Inkonsequenz) jeglicher Entscheidung.
»Normcore knows your consumer choices aren’t irrelevant, they’re just temporary. People compromise, people are inconsistent. Making one choice today and a conflicting choice tomorrow doesn’t make you a hypocrite. It just makes you complex. Consumption has never been a chance for absolute self-actualization.« (YM 32)
Youth Mode entwirft eine undogmatische Unausschließlichkeit, ein empathisches, situatives Sich-einlassen-Können. Das gute Leben, so K-HOLEs abschließende These, finde jenseits eines gesteigerten Individualismus statt und wisse um die unweigerliche eigene ›Formatiertheit‹ durch Umstände und Diskurse:
»Individuality was once the path to personal freedom – a way to lead life on your own terms. But the terms keep getting more and more specific, making us more and more isolated. Normcore seeks the freedom that comes with non-exclusivity. It finds liberation in being nothing special, and realizes that adaptability leads to belonging. Normcore is a path to a more peaceful life.« (YM 36)
Abb. 2: K-HOLE: Youth Mode (2015)
Spielend zwischen unterschiedlichen Systemen, divergierenden oder gar konträren Kontexten wechseln zu können, sich auf verschiedene Gesprächszusammenhänge und Lebenswelten einzulassen, unkompliziertes, nahezu universelles Funktionieren und Zirkulieren in diversen Milieus – diese easyness leitet sich aus dem Funktionalitätsversprechen des PDFs selbst her. Kompatibilität als bewusste Zurücknahme zugunsten einer höheren Anschlussfähigkeit wird zur Kategorie, in der sich Format, Ästhetik und Weltverhältnis verbinden. ›Non-exclusivity‹, ›adaptability‹, Zugänglichkeit, letztlich maximale Anschlussfähigkeit an diverse Systeme erfüllt sich in K-HOLEs Ästhetik des PDFs selbst.[37] Normierung bildet nicht nur die »Rückseite« jeglicher Formatierungsprozesse,[38] sondern wird zum Ausweg aus den Fängen dogmatischer Idiosynkrasien.
III. Poor Publishing und die Ästhetik der Formate
In New York formieren sich im Jahr 2010 zwei weitere Plattformen, für deren künstlerisches Publikationskonzept das PDF zur zentralen Komponente wird: Chris Sylvester, Holly Melgard und Joseph Yearous-Algozin gründen Troll Thread, wenig später ruft J. Gordon Faylor GaussPDF ins Leben. Während es K-HOLE um eine (Über-)Affirmation der corporate-Ästhetik des PDFs zu tun ist, betreiben GaussPDF und Troll Thread eine gezielte Subversion des Formats.[39] Beide verfolgen ein magazinhaftes, serielles sowie zweigleisiges Veröffentlichungsmodell, das die Grenze zwischen Digitalem und Analogem zu verwischen versucht:[40] Auf den schlichten Websites werden PDFs kostenlos zum Download zur Verfügung gestellt, zugleich finden sich Links zu Print-on-Demand-Anbietern wie Lulu, wo sich das Werk als gedrucktes Buch erwerben lässt: »Basically, we use Lulu as a means to host the PDFs, something Tumblr’s platform does not accomodate, withut having to pay for our own domain.«[41] Den künstlerischen Anspruch (»this poetry, you shouldn’t be making a profit/don’t be an asshole«) und die ökonomische Unrentabilität dieses »poor publishing«[42] thematisiert Yearous-Algozin in dem manifestartigen PDF How to stop worrying abt the state of publishing when the world’s burning and everybody’s broke anyways and all you really care abt is if anyone is even reading your work auf explizite Weise: »don’t worry about making it look good, guttes, paratext etc./that’s all just marketing«.[43] Die Orientierung an PDFs und Print-on-Demand ermöglicht schnelle und einfache Herstellbarkeit, die DIY-haftigkeit ist einer Nostalgie für büttenpapierene Minimalauflagen entgegengesetzt.[44] Im Zentrum steht das Spiel, die Verfremdung und Erkundung digitaler Formate, deren Verhältnis und Verflechtung mit Gedrucktem, die Reflexion der Zugänglichkeit und der Gebrauchsweisen von Literatur unter postdigitalen Bedingungen.[45]
Beide Kollektive verzichten in ihren Veröffentlichungen auf Genrebezeichnungen, Inhaltsangaben oder Kontextualisierungen.[46] Vor allem auf GaussPDF stehen Werke in verschiedensten Formaten und Gattungen konstellativ nebeneinander, was dem Projekt, so Faylor, Züge eines Archivs, einer Anthologie sowie einer Kunstgalerie verleihe:[47]
»GaussPDF ist, einfach gesagt, ein Verlag für digitale Arbeiten, der alle möglichen Dateitypen begrüßt. Alle Publikationen stehen kostenlos zum Download bereit. Die einzigen Parameter für das Einreichen von Werken sind, dass sie abgeschlossen sind und exklusiv bei uns erscheinen. Diese sehr offenen Vorgaben lassen dann alles zu, von PDFs und JPGs zu ZIP-Dateien oder Videos.«[48]
Für GaussPDF ist weder eine durchgehende poetologische Agenda leitend noch wird eine bestimmte literarisch-künstlerische Ästhetik verfolgt, vielmehr steht die Arbeit an der Erweiterung eines konventionellen Literaturverständnisses im Mittelpunkt. Die Heterogenität der Veröffentlichungen und die File-Vielfalt auf GaussPDF, so Faylor, ermögliche es »not to oppose poetry, but to use its materials and models towards broader purposes«.[49] Die extrem kurzen publizistischen Wege, die Adobe seit der Veröffentlichung von Acrobat in den frühen 1990er Jahren propagiert, werden konsequent (aus-)genutzt, woraus ein spontanes Publizieren hervorgeht: »Troll Thread is occasional in the way the internet is occasional. […] Our publishing activity is sporadic.«[50] Jenseits von Gattungszuschreibungen entstehen vornehmlich experimentelle Werke, werden Unklassifizierbarkeiten hervorgebracht, die den Blick auf das jeweilige Dateiformat zurückwerfen, das dabei zum explorativen »tool in categorizing manifold forms of art production« avanciert.[51] Neben PDFs finden sich unter den 300 Werken auf GaussPDF auch Dateiformate wie .mov, .rtf, .jpeg, .mp4 oder .doc.
Im Zentrum steht also nicht die Überführung der Literatur in den Bereich des Digitalen, sondern eine DIY-Ästhetik des Provisorischen sowie die Frage nach der Literatur in »expansiven Medienzusammenhängen«.[52] Das Interesse am Konzeptuellen rückt vor inhaltliche Aspekten und die Plattform wird zur Möglichkeit des staging und Veröffentlichens von ›Materialien‹. Die PDFs verstehen sich als Reflexionen und Kommentare auf die veränderte Rezeption von Literatur im Digitalen, neue Formen des Lesens und schweifende Aufmerksamkeit.[53] Sie provozieren eine Lektürehaltung, die nicht so sehr auf Linearität, Gründlichkeit und Vollständigkeit abzielt als auf Sprünge, Beiläufigkeit und scrollendes Zurkenntnisnehmen. In einem Interview beschreibt Yearous-Algozin dieses Lesen folgendermaßen:
»TBH, I think people read TT [Troll Thread, W. H.] in passing and sporadically. We know from Lulu that only a few people actually buy the physical books. Unfortunately, we don’t know how many people who visit the site access the PDFs. All I mean to say is that I’m not sure if people read them at all. I would imagine that most people download the PDF to their hard drive or just access it from their web browser, scroll thru a few pages and move on. It might be more accurate to call them TT tourists or browsers, rather than readers? But, I mean, that’s how I read Gawker or the Guardian, so I don’t think it’s really any different from how people consume other digitized texts.«[54]
Troll Thread verfolgt daher den Anspruch, ein postdigitales Leseverhalten in den Veröffentlichungen zu reflektieren:
»[W]e have entered the stage of a very peculiar type of ›looking/staring‹ in relation to the text object or process. Especially in minimally interactive formats. I see TT as being a site where this mutation in reading practice is being exploited, manipulated, (hopefully) grotesquely exaggerated.«[55]
Eine solche Agenda lässt sich sicherlich auch bei anderen Plattformen wie 0x0a oder TraumaWien finden, geht es doch darum, die Spezifizität postdigitaler Formate herauszustellen sowie die Gebrauchsweisen von Literatur auf mobilen Devices zu befragen. Dabei soll keineswegs Literatur im Medium des PDFs simuliert, sondern die ästhetische und reflexive Qualität digitaler Formate erkundet werden. Es geht nicht um die digitale Veröffentlichung von gut gemachten Kurzgeschichten oder die ›Aktualisierung‹ von Gattungen und deren Konventionen im Digitalen, sondern um das Kuratieren und Konstellieren von Content.[56] Veröffentlicht werden Werke, die vornehmlich auf digitalen Devices rezipiert werden sollen, die Ambivalenz des PDFs zwischen Print und Digitalität ausloten und die spezifische Gebrauchsweise von digitalen Texten vor Augen führen.
IV. Scrollen, Zoomen und Vorderseitigkeit
Viele der auf GaussPDF, Troll Thread oder Tegel Media veröffentlichten Werke verhandeln die Gebrauchsweisen und materiellen Spezifika, jenen »look and feel«[57] des Formats selbst.[58] So finden sich beispielsweise in John Paetschs annotated don cha (GPDF006)[59] von 2010 neben Links zu YouTube-Videos oder gescannten Dokumenten auch verstreute Textblöcke in ultrakleiner Schriftgröße, eine Anlehnung an das ›komprimierte‹ Format selbst.
In ihrer zufälligen Anordnung erscheinen sie auf dem Hintergrund der weißen Seite zunächst wie Farbkleckse und werden erst durch Heranzoomen erkennbar und als Text lesbar. Einige der Textblöcke ähneln einander, scheinen sich zu verdoppeln, andere wiederum erinnern an Farbe, die eine Leinwand hinunterläuft, und geben dem PDF eine Tiefendimension. Die Spezifik des Umgangs mit PDFs rückt damit explizit in den Blick: Zeitigt der kleinstgeschriebene Text im digitalen Format perspektivische Effekte und verdeutlicht so das Wechselspiel von Nähe und Distanz, von Abstraktion und Immersion, würde dies beim Ausdrucken der Seite schlichtweg verlorengehen. Paetschs PDF erinnert daran, dass das Medium der Schrift dort auf spezifische Weise wiedergegeben wird, es auf andere Weise neu in Erscheinung tritt.

Abb. 3: John Paetsch: annotated don cha (2010)

Abb. 4: John Paetsch: annotated don cha (2010)
Auch Lawrence Giffins Non facit saltus, das 2014 bei Troll Thread veröffentlicht wurde, hat die Gebrauchsweise des PDFs zum Thema.[60]

Abb. 5: Lawrence Giffins: Non facit saltus (2014)
Der Titel verweist auf ein naturgeschichtliches Axiom, natura non facit saltus, das bis ins 19. Jahrhundert hinein mit der Vorstellung verbunden ist, dass die Natur in ihrer historischen Entwicklung nicht plötzlich verfahre, dass die große Kette aller Wesen ohne Unterbrechungen zusammenhänge. Giffin überträgt dieses Linearitätsversprechen auf den digitalen Kontext und auf ein Format, das, wie oben skizziert, für Sprunghaftigkeit und nichtlineares Lesen steht. Die auf jeder Seite wiederholte Anweisung, auf die folgende Seite zu gehen, indem man auf diese blättere, ist dabei nicht nur als ironischer Kommentar auf die Interaktivität, Nonlinearität und ›Freiheit‹ des Hypertextes zu verstehen, sondern erweist sich auch als anachronistisch: Blätterndes going und sprunghaftes turning sind im Scrollen und Swipen nur bedingt möglich, und auch die Richtung ist eine andere. Nicht mehr von vorne nach hinten, sondern von oben nach unten verläuft der Fluss des digitalen Dokuments.[61] Das Scrollen macht im Gegensatz zum abwegigen Springen von Seite X zu Seite Y in der Tat keinen Sprung, non facit saltus, der vertikale Bildlauf des PDFs ist kontinuierlich, die Seiten eines PDFs, so Gitelman, »can be read, but they can’t be turned«.[62] Wahr ist Giffins Naturgesetz aber nur für den Gebrauch und die Struktur des Formats selbst, dessen nicht vorhandener Inhalt sich einer hermeneutischen Rezeption widersetzt. Zwar ist das PDF in seiner ›Buchhaftigkeit‹ endlich, zugleich nähert es sich dem an, was Segal als »[h]ypnogogic scroll« bezeichnet, jene »experience of the infinite document construct, the forever scroll that stretched to a greyish black horizon beyond time zones«.[63]
Eine ähnliche Reflexion auf die digitalen Gebrauchsweisen von Dokumenten findet sich auch in Max Kerstings Towers, das die scrollende Rezeption von PDFs selbst zum Thema hat.

Abb. 6: Max Kersting: Towers (2020)
Der im Mai 2020 bei Tegel Media veröffentlichte Bildband behandelt, so die Ankündigung bei Facebook, die »Themen Nostalgie, Monument und Vergänglichkeit«.[64] Es handelt sich um ein hundert Seiten langes PDF mit Fotos von leeren CD-Aufbewahrungsregalen, sogenannten CD-Türmen, die an die Wohn- und Teeniezimmer-Ästhetik der frühen 2000er Jahre erinnern. Die Türme sehen Wolkenkratzern wie den Twin Towers ähnlich, ihre Anordnung in der Mitte des Bildes lässt sie beim Scrollen beinahe ineinander übergehen, sie scheinen zu einem einzigen großen Turm zu verschmelzen. Zugleich verweisen ihre Spitzen wie Pfeile, jene »buttons of navigation«,[65] nach oben und/oder unten und scheinen dabei die Leserichtung und den Bildlauf anzudeuten, in der das PDF ›gelesen‹ wird. Kerstings Towers lassen sich als Allegorie eines scrollenden Lesens verstehen, was insofern interessant ist, als die leeren Regale selbst auf ein durch digitale Medien nahezu obsolet gewordenes Format verweisen: die Compact Disc. Deren Abwesenheit hinterlässt eine buchstäblich überflüssig gewordene Archivästhetik, bloße Möbelstücke, die ungebraucht ihre Monumentalität verlieren, Ruinen, die an die grundsätzliche Vergänglichkeit von Formaten erinnern.
Neben diesen auf die Gebrauchsweisen des PDFs abzielenden Werken finden sich auch solche, die sich mit der »ontological complexity« des Formats auseinandersetzen und die daraus resultierenden Konsequenzen für postdigitales Publizieren befragen.[66] Besonders augenfällig wird dies in Holly Melgards Black Friday, das im November 2012 auf Troll Thread als PDF sowie als Print-on-Demand-Buch veröffentlicht wurde.[67]
Von den 740 Seiten sind 734 komplett schwarz, nur die Seitenzahlen sind weiß, vorangestellt ist eine schwarzgerahmte Seite und der Hinweis »for BLACK INK ON WHITE PAPER«.[68] Der Umfang von 740 Seiten entspricht der maximalen Seitenanzahl eines POD-Buchs auf der Plattform Lulu, über die Black Friday vertrieben wird. Mit Bezug auf den vom US-amerikanischen Einzelhandel erfundenen ›Black Friday‹, an dem Konsument:innen mit Rabatten zum Kauf angeregt werden sollen, thematisiert Melgard die Frage nach dem ›Wert‹ ihrer Veröffentlichung und damit ein dem PDF von Anfang an eingeschriebenes Versprechen, die ökonomischen Bedingungen des Publizierens mit digitalen Möglichkeiten zu erweitern.[69] Da zumindest für die Kund:innen eine weiße Seite genauso viel kostet wie eine komplett schwarze, verspreche Black Friday, so Melgard, »the lowest cost and maximum value for the artist«.[70] Faktisch lässt sich das PDF aber als gedrucktes Buch nicht erwerben: Wissend um die immensen Produktionskosten hunderter schwarzer Seiten verschickt Lulu bei jeder Bestellung nur eine Fehlermeldung, wodurch der undruckbare Black Friday wie sein Format im Status der Simulation und des Imaginären verharrt. Black Friday verweist zwar noch auf Gedrucktheit, stellt aber zugleich seine Verschiedenheit zur Printkultur offensiv aus. In seiner avantgardistischen Schädlichkeit für jeden Drucker und seiner inhaltlichen Unlesbarkeit widersteht das PDF einer mimetischen Anlehnung an das gedruckte Buch und dessen close reading.

Abb. 7: Holly Melgard: Black Friday (2012)
Und obwohl die schwarzen Seiten außer einer weißen Seitenzahl nichts zu lesen geben, erschöpft sich Black Friday nicht in einem radikalen Gestus. Die weiße Schrift auf schwarzem Grund deutet auf die Konvention sogenannter ›mourning pages‹ hin, die seit dem 17. Jahrhundert Trauergedichten beigegeben sind.[71] Melgard schreibt ihren schwarzen Seiten damit eine intertextuelle Ebene ein, die auf die berühmteste dieser black pages verweist: die in Laurence Sternes The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman.[72] In der Originalausgabe von Sternes Roman findet sich am Ende des zwölften Kapitels des ersten Bandes auf Seite 73 und 74 ein Blatt, dessen Vorder- und Rückseite ein nahezu seitenfüllendes schwarzes Rechteck bedeckt. Diese Seite versinnbildlicht als papierene Grabplatte die Trauer um den in diesem Kapitel verstorbenen Pfarrer Yorick. Durch das Umblättern lüftet die Leserschaft die Grabplatte, auf der die Worte »Alas, poor YORICK« als »epitaph and elegy« stehen.[73] Das Spiel mit der Frage, was sich hinter oder unter der papierenen Grabplatte verbirgt, die blätternd ›umgewendet‹ wird, adressiert der Roman mehrmals explizit. Zusätzlich zu der schwarzen Seite findet sich im Roman auch eine marmorne Seite, die nicht nur betrachtet, sondern auch ›gelesen‹ werden soll. Kurz vor der »marmornen« Seite oder Platte findet sich die Aufforderung, der Wahrheit unter dieser sowie der schwarzen Platte nachzugehen, den »Schleier« dieser opaken Seiten zu lüften:
»Read, read, read, read, my unlearned reader! read, – or by the knowledge of the great saint Paraleipomenon – I tell you beforhand, you had better thrown down the book at once; for without much reading, by which your reverence knows, I mean much knowledge, you will no more be able to penetrate the moral of the next marbled page (motley emblem of my work!) than the world with all its sagacity has been able to unravel the many opinions, transactions and truths which still lie mystically hid under the dark veil of the black one.«[74]
Während Sternes black page eine materielle Vorder- und Rückseite besitzt, die gewendet werden kann und hinter und unter sich potenziell herauszulesende Wahrheiten verbirgt, ist Black Friday einer solchen buchartigen Materialität enthoben: Die digitale Schwärze (technisch gesprochen ›Radikalschwärze‹) ist eine undurchdringliche, das blätternde Spiel mit Vorder- und Rückseite verkehrt sich in absolute Seiten, deren Schleier sich nicht lüften lässt, da ihnen, wie dem PDF an sich, Rückseitigkeit gänzlich fehlt. Während Sternes schwarze Seite das Ableben einer Romanfigur visualisiert, scheinen Melgards black pages und die schwarze Rahmung der ersten Seite die Trauer um das gedruckte Buch selbst zu thematisieren, jene drucktechnischen und materiellen Problematiken wie das Abfärben der Druckerschwärze auf andere Seiten, die Haptik und Struktur eines solchen buchgestalterischen Spiels. In ihrer Multiplikation stehen die black pages für eine ins Ironische gewendete Trauer um eine vordigitale Buchkultur, die im PDF zwar noch simuliert wird, sich einer tatsächlichen Druckbarkeit aber verwehrt.[75] Melgards Black Friday ist ein Werk, das den elegisch-melancholischen Charakter des PDFs selbst ausstellt: ein Format, das in seiner vorderseitigen Simulation von Buchseiten und Gedrucktheit an vergangene Zeiten erinnert und zugleich über deren ›Verlust‹ hinwegzutäuschen versucht. Kathleen Fitzpatrick hat das PDF treffend als Übergangsformat bezeichnet, in Anspielung auf Donald Winnicotts Übergangsobjekt, das dem Kleinkind den Abschied von der Mutter erleichtern soll:
»The PDF […] is not print, but it is also not not-print; it allows us to let go of some of our identifications with print by permitting us to cling instead to something that reminds us sufficiently of it. The PDF is our safety blanket, in other words, one that allows us to cope with the loss we feel as the primacy of the book gives way to a range of forms of digital communication.«[76]
Wie lange an der Schmusedecke des PDFs noch festgehalten werden wird, lässt sich nicht sagen. Im Postdigitalen werden wohl auch weiterhin analoge und digitale Wirklichkeiten koexistieren, sich Spielräume im Dazwischen auftun. So überzeugend eine Illusion, um innerhalb Winnicotts Begrifflichkeiten zu bleiben, auch sein mag, früher oder später tut man sicherlich gut daran, sich neuen Wirklichkeiten zu stellen – auch den digitalen.
[1] Wolfram Lotz: Heilige Schrift I, Frankfurt a.M. 2022, S. 193.
[2] Ebd.
[3] Ebd., S. 193f.
[4] Lisa Gitelman: Paper Knowledge. Towards a Media History of Documents, Durham 2014, S. 128.
[5] Vgl. Jonathan Sterne: MP3. The Meaning of a Format, Durham/London 2012; daran anschließend Marek Jancovic/Alexandra Schneider/Axel Volmar (Hg.): Format Matters. Standards, Practices, and Politics in Media Cultures, Lüneburg 2019; Stefanie Stallschus: »Format«, in: Jörn Schafaff/Nina Schallenberg/Tobias Vogt (Hg.): Kunst-Begriffe der Gegenwart. Von Allegorie bis Zip, Köln 2013, S. 73-77; zur literarischen Problematik des Formats zuletzt auch Michael Niehaus: Was ist ein Format?, Hannover 2018; Carlos Spoerhase: Das Format der Literatur: Praktiken materieller Textualität zwischen 1740 und 1830, Göttingen 2018.
[6] Vgl. dazu Hannes Bajohr: »Infradünne Plattformen. Print-on-Demand, Autofaktografie und postdigitales Schreiben«, in: ders.: Schreibenlassen. Texte zur Literatur im Digitalen, Berlin 2022, S. 39-69.
[7] Vgl. Gitelman: Paper Knowledge, S. 111-136; Edgardo García: »History of the PDF«, rgbcmyk – colors & numbers, 20.9.2016, https://rgbcmyk.com.ar/en/history-of-pdf (aufgerufen am 11.01.2023).
[8] Vgl. Gitelman: Paper Knowledge, S. 123f.
[9] Vgl. ebd., S. 124, 130.
[10] John Warnock: »The Camelot Project«, entstanden 1990, erstellt als PDF 1995, zu finden auf der Website der PDF association, https://www.pdfa.org/norm-refs/warnock_camelot.pdf (aufgerufen am 11.01.2023).
[11] Ebd.: »Our visions for Camelot is to provide a collection of utilities, applications, and system software so that a corporation can effectively capture documents from any application, send electronic versions of these documents anywhere, and view and print these documents on any machines.«
[12] Zur Firmengeschichte Adobes vgl. Pamela Pfiffner: Inside the Publishing Revolution: The Adobe Story, Berkeley 2003.
[13] Patrick Ames: Beyond Paper. The official guide to Adobe Acrobat, Mountain View 1993, S. 24. Nachweise hieraus im Folgenden mit Sigle BP und Angabe der Seitenzahl direkt im Text.
[14] Vgl. dazu Abigail J. Sellen/Richard H.R. Harper: The Myth of the Paperless Office, Cambridge, Mass, 2002.
[15] »[I]t’s amazing how much lost productivity and needless money is spent communicating and processing documents.« (BP 25)
[16] Zu den Folgen unbegrenzter Arbeitszeiten vgl. Jonathan Crary: 24/7: late capitalism and the end of sleep, London 2013.
[17] Vgl. Roberto Simanowski: »Autorschaft in digitalen Medien. Eine Einleitung«, in: Text + Kritik 152 (2001): Digitale Literatur, hg. von dems., S. 3-22, hier S. 3: »Das Verhältnis von Literatur und neuem Medium bestimmt sich […] vornehmlich finanziell, was die neuen Diskussions- und Feedbackfaktoren auf den Websites im Sinne einer modernisierten PR-Strategie einschließt.«
[18] Gordon Kent: Internet Publishing with Acrobat, Mountain View 1996, S. 32.
[19] Vgl. Jakob Nielsen: »In Defense of Print«, Nielsen Norman Group, 31.01.1996, https://www.nngroup.com/articles/in-defense-of-print (aufgerufen am 16.01.2023).
[20] »These and other technologies will ultimately change the economics of publishing. The physical constraints of paper and associated restrictions of its delivery will eventually disappear. Information will still be printed, but it will no longer be a necessary step in the distribution process. […] This change in the economics of document delivery will transform the information business.« (BP 116f.)
[21] »The value of future documents will not be measured by today’s standards. Since documents will include massive amounts of information (a magazine could easily be 10,000 pages long), success will depend on the user’s ability to navigate. Feature articles might contain video and audio and enough background information to fill a full-length novel. Editorial content and interface design will have to rise to the occasion by providing information that allows the relating and amplifying of concepts and ideas.« (BP 117)
[22] »In twenty years«, so Ames in Beyond Paper, »we will have access to ever-widening circles of information. Millions of electronic papers will be readily available and complex searches on diverse material across multiple databases will be an everyday occurrence. Just as computers changed the way people create documents, computers will also change the way people communicate them, as well as the nature of the documents themselves.« (BP 117)
[23] García: »History of the PDF«.
[24] Vgl. Lisa Gitelman: »Searching and Thinking about Searching JSTOR«, in: Representations 127.1 (2014), S. 73-82.
[25] Adobe Systems Incorporated: »Document management – Portable document format – Part 1: PDF 1.7«, Adobe Open Source, 2008, https://opensource.adobe.com/dc-acrobat-sdk-docs/pdfstandards/PDF32000_2008.pdf (aufgerufen am 11.01. 2023).
[26] Vgl. Gitelman: Paper Knowledge, S. 132.
[27] Jakob Nielsen: »PDF: Still Unfit for Human Consumption, 20 Years later«, Nielsen Norman Group, 09.08.2020, https://www.nngroup.com/articles/pdf-unfit-for-human-consumption (aufgerufen am 11.01. 2023).
[28] Ebd.
[29] Gitelman: Paper Knowledge, S. 130f.
[30] K-HOLE: »About«, K-HOLE, http://khole.net/about/ (aufgerufen am 11.01.2023).
[31] o.A.: »Über«, Tegel Media, 2018, https://tegelmedia.net/ueber/ (aufgerufen am 11.01.2023).
[32] Emily Segal: Mercury Retrograde, New York/Los Angeles 2020, S. 53.
[33] Ebd., S. 17.
[34] Vgl. Huw Lemmey: »The Future isn’t what it used to be«, Rhizome, 05.02.2019, https://rhizome.org/editorial/2019/feb/05/acting-basic/ (aufgerufen am 13.01.2023): »By utilizing the language and visual lexicon of the trend forecast, the group has turned it in on itself, critically examining not just the propensity of consumer capitalism towards constant obsolescence and reinvention, but also its complex, knotty relationship with the affects and emotional landscapes it both produces and feeds off. Rather than just analysing the content of trends, they begin to explore what his culture actually does to its producers, users and consumers. In doing so, what they produce isn’t the blunt tool of a political analysis that directly condemns that relationship between consumer and the brand: it’s instead a response that acknowledges complicity, turns tools into critiques of themselves, allows itself the nuance of doubt, but also, fatally, opens itself up for recuperation by the targets of its critique.«
[35] Vgl. K-HOLE: »Youth Mode«, K-HOLE, 2013, http://khole.net/issues/youth-mode/ (aufgerufen am 11.01.2023), Nachweise hieraus im Folgenden mit Sigle YM und Angabe der Seitenzahl direkt im Text.
[36] Segal: Mercury Retrograde, S. 27; vgl. dazu auch Andreas Reckwitz: Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Berlin 2018.
[37] Vgl. zum PDF N. Catherine Hayles: Postprint. Books and Becoming Computational, New York 2021, S. 67: »This development accelerated the shift, already gaining momentum, from thinking of proprietary solutions that worked for only one device to a systems view in which interfaces were developed that allowed for flexibility and adaptability – the principle that made the web possible.«
[38] Susanne Müller: »Formatieren«, in: Heiko Christians/Matthias Bickenbach/Nikolaus Wegmann (Hg.): Historisches Wörterbuch des Mediengebrauchs, Köln 2014, S. 253-267, hier S. 261.
[39] Ein Archiv der Print-on-Demand-Literatur und Kunst haben Andreas Bülhoff und Annette Gilbert erstellt. Vgl. Andreas Bülhoff/Annette Gilbert: Library of Artistic Print on Demand, https://apod.li/about (aufgerufen am 16.01.2023).
[40] Vgl. Tan Lin: »Troll Thread Interview«, Poetry Foundation, 04.05.2014, https://www.poetryfoundation.org/harriet-books/2014/05/troll-thread-interview (aufgerufen am 16.01.2023): »I don’t want to argue that the kind of work that TT is publishing is not literary, clearly we publish ›books‹ and PDFs that we label as poetry and are distributed, for the most part, within different poetry communities. However, their status as literature has certainly become more generic or general, while also becoming more ephemeral and reliant on a different speed of production/publication/distribution. […] Holly’s ›Black Friday‹ foregrounds the medium of its composition/distribution and mobilizing that medium in unexpected ways. Ultimately, I think of this writing as coming after conceptual writing.«; vgl. auch Sophie Seita: Provisional Avant-Gardes. Little Magazines Communities from Dada to Digital, Stanford 2019, S. 164.
[41] Lin: »Troll Thread Interview«.
[42] Ebd.
[43] Joseph Yearous-Algozin: »How to stop worrying abt the state of publishing when the world’s burning and everybody’s broke anyways and all you really care abt is if anyone is even reading your work«, Troll Thread, 19.06.2016, https://www.lulu.com/shop/joey-yearous-algozin/how-to-stop-worrying-abt-the-state-of-publishing-when-the-worlds-burning-and-everybodys-broke-anyways-and-all-u-really-care-abt-is-if-anyone-is-even-reading-yr-work/ebook/product-22795127.html?page=1&pageSize=4 (aufgerufen am 13.01.2023); vgl. Seita: Provisional Avant-Gardes, S. 166f.
[44] Vgl. dazu ebd., S. 172; vgl. Bajohr: »Infradünne Plattformen«, S. 59: »Der De-facto-Standard kommerziellen E-Publishings, der auf die Lektüre mit Smartphones, Kindles und iPads abzielt, ist das Epub; für die hier genannten experimentellen Plattformen ist hingegen das PDF zum Standard geworden, weil die kommerziellen Print-on-Demand-Anbieter von diesem Format aus drucken. Daher bestimmt der Text nicht nur die Formatierung der Datei, auch die Datei ist durch Vorgaben der Buchproduktion bestimmt, die wiederum die Textästhetik beeinflussen. Text, Datei und Buchobjekt sind so miteinander verschränkt, dass sie jeweils aufeinander verweisen – postdigitaler geht es kaum.«
[45] Vgl. Holly Melgard: »Die Zukunft ist noch nicht passiert. Ein Gespräch mit Hannes Bajohr«, in: Kunstforum International 256 (2018), S. 160-165, hier S. 162.
[46] Ein Effekt, den Hannes Bajohr als »postdigitale Verfremdung« beschrieben hat: »Der scheinbar kühl-technizistische Rückzug auf das Dateiformat unterläuft eingefahrene Gattungszuschreibungen und entautomatisiert auf einer rein kategorialen Ebene klassische Erwartungen an Literatur«. Hannes Bajohr: »In der Asche des Digitalen«, in: Kunstforum International 256 (2018), S. 150-159, hier S. 152.
[47] Vgl. Tan Lin: »GaussPDF Interview«, Poetry Foundation, 04.05.2014, https://www.poetryfoundation.org/harriet-books/2014/05/gauss-pdf-interview-with-j-gordon-faylor (aufgerufen am 11.01.2023).
[48] J. Gordon Faylor: »Dateitypen als Publikationstaktik. Ein Gespräch mit Hannes Bajohr«, in: Kunstforum International 256 (2018), S. 166-171, hier S. 167, vgl. auch S. 170: »Anstatt also die Idee des ›Genres‹ umzudefinieren, konzentriere ich mich lieber auf den Dateityp einer Publikation, weil er auf die vielen Prozesse aufmerksam macht, die innerhalb und außerhalb eines bestimmten Werks ablaufen. Davon sind einige ›künstlerisch‹ und andere nicht. Das lässt wiederum die Materialität des Werks sichtbarer werden und das wiederum erhöht die Chance, die eigenen ideologischen, auf Genres fixierten Vorurteile aufzubrechen.«
[49] Kristen Gallagher: »The Gauss Interview. Chris Alexander talks to J. Gordon Faylor«, jacket2, 05.03.2013, https://jacket2.org/commentary/gauss-interview (aufgerufen am 13.01.2023).
[50] Lin: »Troll Thread Interview«.
[51] Lin: »GaussPDF Interview«; vgl. auch Rosa Menkmann: A Vernacular of File Formats, Amsterdam 2010.
[52] Harry Burke: »Page Break«, in: Texte zur Kunst 98 (Juni 2015), https://www.textezurkunst.de/en/98/burke-page-break/ (aufgerufen am 15.01.2023).
[53] Vgl. Maryanne Wolf: Reader, Come Home. The Reading Brain in a Digital World, New York 2018; Naomi S. Baron: Words Onscreen. The Fate of Reading in a Digital World, Oxford 2015.
[54] Lin: »Troll Thread Interview«.
[55] Ebd.
[56] Vgl. Seita: Provisional Avant-Gardes, S. 167.
[57] Kent: Internet Publishing, S. 44.
[58] Vgl. Seita: Provisional Avant-Gardes, S. 163.
[59] Vgl. John Paetsch: »annotated don cha«, GaussPDF, 10.11.2010, https://www.gauss-pdf.com/post/1537816920/gpdf006-john-paetsch-annotated-don-cha (aufgerufen am 16.01.2023).
[60] Vgl. Lawrence Giffin: »Non facit saltus«, Troll Thread, 02.02.2014, https://trollthread.tumblr.com/post/78371419861/non-facit-saltus-lawrence-giffin-troll-thread (aufgerufen am 16.01.2023).
[61] Vgl. Harun Maye: »Medien des Lesens«, in: Alexander Honold/Rolf Paar (Hg.): Grundthemen der Literaturwissenschaft: Lesen, Berlin 2018, S. 103-122, hier S. 106: »Die blätternde Lektüre bleibt auf das Medium Buch verwiesen, denn die alten Schriftrollen und die neuen Bildschirme lassen sich nicht durchblättern, sondern nur abrollen, umschalten oder wischen.«; vgl. auch Andrew Piper: Book was there. Reading in electronic times, Chicago 2012, S. 16-19.
[62] Gitelman: Paper Knowledge, S. 119.
[63] Segal: Mercury Retrograde, S. 64.
[64] Max Kersting: »Towers«, Tegel Media, Mai 2020, https://tegelmedia.net/entry/towers/ (aufgerufen am 13.01.2023).
[65] Kent: Internet Publishing, S. 33.
[66] Gitelman: Paper Knowledge, S. 128.
[67] Vgl. Holly Melgard: »Black Friday«, Troll Thread, 23.11.2012, https://trollthread.tumblr.com/post/36363864634/holly-melgard-black-friday-troll-thread-2012 (aufgerufen am 16.01.2023).
[68] Ebd.
[69] Man könne, so Hannes Bajohr, Melgards Werke »als eine Institutionskritik am nur scheinbar befreienden Potential von POD und self-entrepreneurialism bezeichnen, die offenlegt, wie in der Ökonomie des Digitalen die Position der Schreibenden immer noch vom begrenzten Zugang zu den Produktionsmitteln abhängt und damit so prekär ist wie eh und je. Und doch zeigt diese Art von Literatur auch, dass es zu einfach ist, die POD-Technologie oder Unternehmen wie Lulu pauschal als Vertreter einer ›aalglatten neoliberalen Logik‹ beiseite zu wischen, die ›individuelle Ermächtigung durch Selbstpublikation‹ vorspiegelt, wie Lisa Gitelman meint.« Bajohr: »Infradünne Plattformen«, S. 66.
[70] Zit. nach Seita: Provisional Avant-Gardes, S. 165.
[71] Vgl. Juliet Fleming: Cultural Graphology: Writing after Derrida, Chicago 2016, S. 130-136.
[72] Vgl. Monika Schmitz-Emans: »Harlekine und Grabsteine – oder: Wie ediert man den Zufall? Zu den marmorierten und schwarzen Seiten in Laurence Sternes ›Tristram Shandy‹ und ihrer Wiedergabe in neuen Romanausgaben«, in: editio. Internationales Jahrbuch für Editionswissenschaft 34 (2020), S. 96-122.
[73] Laurence Sterne: The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman, hg. von Melvyn New/Joan New, London 1997, S. 30.
[74] Sterne: Tristram Shandy, S. 203f.
[75] Vgl. Seita: Provisional Avant-Gardes, S. 167: »Black Friday, which commemorates ›BLACK INK ON WHITE PAPER‹ in the form of a serialized tombstone in pages, humorously mourns not the end of books but rather the readers’ attachment to a particular understanding of the printed page.«
[76] Kathleen Fitzpatrick: »The Future History of the Book: Time, Attention, Convention«, in: Babette B. Tischleder/Sarah Wasserman (Hg.): Cultures of Obsolescence. History, Materiality, and the Digital Age, New York 2015, S. 111-126, hier S. 118.
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: K-HOLE: »Youth Mode«, K-HOLE, 2015, S. 30, http://khole.net/issues/youth-mode/. Mit freundlicher Genehmigung von K-HOLE.
Abb. 2: K-HOLE: »Youth Mode«, K-HOLE, 2015, S. 37, http://khole.net/issues/youth-mode/. Mit freundlicher Genehmigung von K-HOLE.
Abb. 3: John Paetsch: »annotated don cha«, GaussPDF, 2010, https://www.gauss-pdf.com/post/1537816920/gpdf006-john-paetsch-annotated-don-cha. Mit freundlicher Genehmigung von John Paetsch.
Abb. 4: John Paetsch: »annotated don cha«, GaussPDF, 2010, https://www.gauss-pdf.com/post/1537816920/gpdf006-john-paetsch-annotated-don-cha. Mit freundlicher Genehmigung von John Paetsch.
Abb. 5: Lawrence Giffins: »Non facit saltus«, Troll Thread, 2014, https://trollthread.tumblr.com/post/78371419861/non-facit-saltus-lawrence-giffin-troll-thread. Mit freundlicher Genehmigung von Lawrence Giffins.
Abb. 6: Max Kersting: »Towers«, Tegel Media, 2020, https://tegelmedia.net/entry/towers/. Mit freundlicher Genehmigung von Max Kersting.
Abb. 7: Holly Melgard: »Black Friday«, Troll Thread, 2012, S. 1, https://trollthread.tumblr.com/post/36363864634/holly-melgard-black-friday-troll-thread-2012. Mit freundlicher Genehmigung von Holly Melgard.