»Der Rock’n’Roll macht es Dir«: Günter Amendt und die Popkultur
von Detlef Siegfried
10.8.2024

An Stelle eines Nachrufs

[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 1, Herbst 2012, S. 126-133]

Als Hauptströme der aus ›1968‹ hervorgegangenen Gegenkultur hat Rolf Schwendter  eine »rationale« und eine »emotionale Subkultur« unterschieden (Schwendter 1973). »Rational« waren demnach die vielen politischen Gruppen, die sich im Zerfall des SDS radikalisierten, »emotional« die aus der kulturrevolutionären Seite von ›1968‹ entstehenden Milieus von Musikfans, Drogenaffinen und Alternativen, die ein anderes Leben hier und jetzt wollten. Die Trennung in Idealtypen mag heuristisch sinnvoll und empirisch teilweise zutreffend sein, verdeckt aber, dass im Alltag vieler Beteiligter radikale Politik und alternativer Lebensstil eng miteinander verknüpft waren. Nimmt man die SDS-Großen, so war Günter Amendt (1939-2011) einer der wenigen, die nach 1968 nicht in revolutionärer Parteiarbeit aufgingen, sondern in der Öffentlichkeit präsent waren und weit in die Gesellschaft hineinwirkten. Er reduzierte seinen Aktionsraum nicht auf das Politische, wie es die meisten seiner Genossinnen und Genossen taten, sondern verkörperte die Ideen von ›1968‹ – sofern man darunter die Verknüpfung von linker Politik und individueller Emanzipation versteht – in ihrer wechselseitigen Bedingtheit. Sex, Drugs, Rock’n’Roll – Amendts Themen – waren wichtige Schauplätze des Kulturkampfes seit den 60er Jahren, Prüfsteine für die Liberalisierung der Gesellschaft und zugleich thematische Schneisen zur Etablierung neuer Gefühlsnormen, die die Grenzen einer sich selbst disziplinierenden Angestelltenkultur überwanden (Reckwitz 2006). Amendt gehörte zu den Wegbereitern eines emotionalen Habitus, der die Trennung von Geist und Körper und damit die von Schwendter postulierte Bipolarität überwand (Flach/Söffner 2011).

Amendts Ansatz fügt sich in einen Zusammenhang von Popkultur und Linksradikalismus ein, der eine längere Tradition hat. Er resultiert aus der Koexistenz von Massenbezug und Avantgardismus und ist historisch etwa an Walter Benjamin, Bertolt Brecht oder Willi Münzenberg zu exemplifizieren. Im Aufschwung von Massenkultur und Sozialismus in den 60er bis 80er Jahren kam diese Verbindung zu neuer Bedeutung, wobei Amendt einer ihrer herausragenden Protagonisten war, weil er die sinnlichen Seiten des kulturellen Wandels zugleich lebte, erforschte und in einem gesellschaftskritischen Zugang beurteilte. 1996 gefragt, was seine »Botschaft« sei, antwortete er: »Ich habe keine Botschaft. […] ›Ich glaube an die sanfte Gewalt der Vernunft‹ – dieser Satz von Brecht ist so etwas wie das Leitmotiv meiner Arbeit« (Hering/Lützenkirchen 1996: 80). Diese Selbstbeschreibung stand für die intellektuelle Seite von Amendts Zugang zu seinen Themen, die sich in einem produktiven Spannungsverhältnis zu den sensitiven Triebkräften eines ›richtigen‹ Lebens befand.

Amendts Denken wurde von der Kritischen Theorie bestimmt, aber es kam ihm auf eine emanzipatorische gesellschaftliche Praxis an. Die Kritische Theorie in eine Form zu bringen, die einer breiten Masse zu einem freieren Leben und zugleich zu kritischem Bewusstsein gegenüber dem Bestehenden verhilft – darum ging es dem Adorno-Schüler. Mit Reimut Reiche und Rudi Dutschke löste er den SDS aus der Begrenzung der Universität und öffnete ihn gegenüber jugendlichen Ostermarschierern, »Gammlern« und Beat-Adepten, die seit Mitte der 60er Jahre eine kritische Masse bildeten. Ihrer Politisierung diente auch Amendts 1970 erschienenes Buch »Sexfront«. 1973 promovierte er über die »Sexualität Jugendlicher in der Drogensubkultur« und bündelte damit zwei Themen, die ihn sein Leben lang beschäftigen sollten. Sein drittes Feld war die Pop- und Rockmusik. Amendt war nicht nur der bekannteste Bob-Dylan-Experte der Bundesrepublik, er schrieb auch über Festivals und Medienereignisse, die Rolle von Sexualität und Drogen in der Popkultur. Drei Themen bestimmten seinen Zugang zur Rockmusik: Erstens ihre affektive, körperliche Seite, bei der das ›feeling‹ im Mittelpunkt stand. Zweitens, unmittelbar damit verbunden, die Zuschreibung einer ›rebellischen‹ Funktion, die nur begrenzt aus ihren kognitiven Aspekten rührte. Und drittens der Live-Act als Kriterium der ästhetischen Wahrheit. Allen drei Themen war als Kern gemeinsam eine Wahrnehmung des Rock’n’Roll als umfassende Erfahrung, die Körper und Geist gleichermaßen einbezog und nicht auf den Teilbereich einer ›Kultur‹ zu begrenzen war, sondern die Stellung des Einzelnen in der Gesellschaft berührte. Daher auch ihre per se politische Qualität.

Amendt hatte, wie schon die knallgelbe »Sexfront« mit ihrer eingängigen Sprache und der offensiven Bebilderung als Gesamtkunstwerk zeigte, eine frühe Affinität zur Popkultur, die sich auch auf die Popmusik erstreckte – als Helden Bob Dylan (bezeichnenderweise erst in der elektrifizierten Phase ab »Highway 61« von 1965) und Jimi Hendrix. Damit unterschied er sich von vielen der führenden SDS-Genossen, deren Ignoranz er kritisierte, weil sie populäre Künste in erster Linie »als Ausdrucksformen des politischen Kampfes instrumentalisieren« wollten (Amendt 1975). Zwar betrachtete auch er Popmusik als ein Medium der »kulturimperialistischen Expansion«, attestierte ihr aber in Teilen »emanzipatorische Inhalte« und nannte exemplarisch den Blues, der die Lage einer unterprivilegierten Klasse, und Bob Dylan, der die Protestbewegung der 60er Jahre repräsentierte. Damit unterschied er sich kaum von anderen zeitgenössischen Deutern der Popmusik wie Helmut Salzinger oder Manfred Miller, die ihr trotz ihrer offensichtlichen kommerziellen Bedeutung ein befreiendes Potenzial abgewinnen wollten (Siegfried 2006: 662ff.).

Auch deutsche Jugendliche waren fasziniert von den Texten amerikanischer und britischer Rockmusik. Aber im Grunde rührte ihre Affinität aus dem Sound, der am stärksten die sinnliche Seite der Musik repräsentierte und den Körper zum Vibrieren brachte. In einem zentralen Text zu diesem Thema von 1979 verknüpfte Amendt Rock’n’Roll, Sexualität und Rebellion (Konkret-Sexualität 1979: 83). »Rock’n’Roll, das ist, wenn Musik vom Kopf in den Körper rutscht. Rock’n’Roll, das ist, wenn du deinen Körper spürst.« Gleichzeitig wurde Rockmusik zum politisch-kulturellen Wandel in Beziehung gesetzt: »Wer euch die Geschichte des Rock’n’Roll erzählen will und es unterlässt, das Leben und die Revolten der Jugend zu beschreiben, die den Rock’n’Roll erst zu ihrer Musik machten, der verfälscht die Geschichte.« Dieser emphatische Begriff der ›Rockmusik‹ stand seinerzeit im Gegensatz zum Begriff des ›Pop‹, der die kommerzielle Seite repräsentierte, aber in seiner Authentizitätssuggestion auch im Gegensatz zu ostentativ anti-authentischen Ausformungen wie Glam-Rock, die die Pose in den Vordergrund rückten.

In den 70er Jahren hatte die von Amendt gegen alle Kommerzialisierung verteidigte Verbindung von Rockmusik und Rebellion noch erheblichen Widerhall und wurde im deutschsprachigen Raum am prominentesten adaptiert von Udo Lindenberg (Lindenberg 1981: 5). In eine Reihe mit Lindenberg stellte Amendt u.a. BAP und »allen voran Rio Reiser«, denen es gelungen sei, »den angelsächsischen Sound so zu verarbeiten, dass ein eigenständiges Produkt entstand – weder bloße Kopie der anglo-amerikanischen Tradition noch ein Anknüpfen an die vom Faschismus missbrauchte und vom Stalinismus verdorbene deutsche Liedtradition« (Amendt 2001: 45). Ein neuer rebellischer Sound nach der Rockmusik war für ihn vorerst nicht zu erkennen. Punk als ein »trauriger Versuch, Protest und Rebellion, wie die Schwestern und Brüder vor ihnen, mit der Musik zu verbinden«, sei in der Bundesrepublik bloß eine »schlaffe Welle ohne Schaumkronen« (Konkret-Sexualität 1979: 83). Während Punk aus Amendts Sicht immerhin von unten kam, sei Disco in »den Chefbüros großer Musik- und Freizeitkonzerne« geboren worden, die nicht nur einen Sound verkaufen wollten, sondern »Weltanschauung«. Das Disco-Tanzen habe nichts mit Körpergefühl zu tun: »Das ist Tanzen als Marschbefehl, als allgemeine Mobilmachung: Stumpfsinnige Kommandos, wo du deine Füße hinzusetzen hast, wo deine Hände zu bleiben haben, wie du führst, oder, wenn du das Pech hast, ein Mädchen zu sein, wie du dich führen lässt.«

Ein paradigmatisches Beispiel für die Einpassung ursprünglich ›rebellischer‹ Elemente der Popkultur in einen konservativen Mainstream Anfang der 80er Jahre sah Amendt in dem kurzlebigen Versuch, die in den 60er Jahren erfolgreiche Zeitschrift für die ältere Jugend, »Twen«, zu reanimieren, die Popper und Punks versöhnen wollte: »Für das neue ›Twen‹ sehe ich ein Publikum im Umkreis der Jungen Union, wo man einem seelenruhig ins Gesicht sagen kann, er sei ein Reaktionär oder gar ein Faschist, wo man sich aber hüten sollte, jemanden unmodern zu nennen. Dieser flotte Typ, extravagant, brillant und stockreaktionär, wird sich ›Twen‹ auf den Rauchtisch legen.« Diese zeitdiagnostische Beobachtung sollte sich auch im Vorgriff auf nachfolgende Popliteraten à la Christian Kracht und Benjamin Stuckrad-Barre als zutreffend erweisen.

Drei Ansätze bestimmten Amendts Dylan-Wahrnehmung. Erstens verortete er Dylan immer im Kontext der globalen politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse, ohne ihn auf die Rolle des ›Protestsängers‹ zu reduzieren. Zweitens nahm er Dylan nicht literaturwissenschaftlich wahr, aus der Textperspektive, sondern als in vielerlei Hinsicht an- und aufregendes Phänomen, bei dem die Musik – der Blues – die entscheidende, aber keineswegs die alleinige Rolle spielt. Drittens wird das Werk nicht auf die Platten begrenzt, sondern manifestiert sich vor allem in der Live-Performance.

Weil das Verhältnis zwischen einer antiautoritären Bewegung und den aus dieser Bewegung hervorgehenden oder von ihr erwählten Leitfiguren strukturell problematisch war, hatte es schon in den 60er Jahren harte Auseinandersetzungen über die Rolle des Stars gegeben – herausgehobenen Einzelnen, denen immer wieder Verrat an der gemeinsamen Sache vorgeworfen wurde, insbesondere dann, wenn Geld ins Spiel kam. Amendt, der selbst ein »Star der Studentenbewegung« (Werner Heine) war, hat sich früh an dieser Debatte beteiligt und auch das eigene Tun reflektiert. Im Gegensatz zum »charismatischen Führer«, wie er von Max Weber beschrieben wurde, war der »antiautoritäre Führer« ein »Star«: »Man erwartet von ihm keine Wunder, sondern man will von ihm unterhalten werden. Er soll etwas verkaufen, soll ankommen. Im Unterschied zum Star der Freizeitindustrie will er etwas und nicht sich verkaufen. […] Wo er auftritt, findet er zwar nicht aktuell politisches Bewusstsein vor, wohl aber potentiell. Er wird zum Handlungsreisenden in politischer Potentialität, zum Auslöser kraft Aufklärung und nicht kraft Wunder« (Amendt 1968: 23f.). Zwischen »antiautoritären Führern« und Popidolen der sechziger Jahre sah er Ähnlichkeiten: »Dutschkes Bild passt mehr neben das eines Mick Jagger als das eines bürgerlichen Politikers« (Amendt 1977: 23). Was er dem »antiautoritären Führer« attestierte – »etwas und nicht sich« zu verkaufen –, übertrug er später auf jene Rockstars, die eine gewisse Distanz zu Medien und Fans hielten und sich Zudringlichkeiten aller Art zu erwehren hatten. Amendt hielt es für unangemessen, von Bob Dylan mehr zu erwarten als seinen Job zu tun: Gute Songs zu schreiben und auf der Bühne zu präsentieren. Interviews, Ansprachen an das Publikum, Details aus dem Privatleben: Überflüssig und immer redundant im Verhältnis zu seiner Kunst.

Die Verehrung Dylans beruhte auf den Texten ebenso wie auf dem Sound, wobei sie nicht in einer Bipolarität von Vernunft und Gefühl aufgingen. Auch die Lyrics transportierten Gefühle: »Dylans Texte führten weg von den Trivialitäten gängiger Rocksongs hin zur Alltagserfahrung von Jugendlichen. Musik wurde zu einer Erlebniswelt, in der Liebe, Sehnsucht, Hass, Trennungsschmerz, Angst, Wut, Verzweiflung, Trauer, Paranoia und Einsamkeit – alle Stimmungslagen und alle Gefühlszustände ihren Platz hatten« (Amendt 2001: 47). Gleichzeitig lehnte Amendt jene Akademisierung der Dylan-Rezeption ab, die sich ausschließlich auf den Text stützte, ernsthaft und ironiefrei Dylans Werk analysierte (Amendt 1995: 15). Die immer wieder vorgebrachte Forderung, Dylan mit dem Nobelpreis für Literatur zu ehren, war eine Kapitulation vor den herrschenden Verhältnissen: »Mancher Dylan-Liebhaber scheint nun die beabsichtigte Heimholung seines Idols in den Olymp der bürgerlichen Hochkultur als Auszeichnung des eigenen Beharrungsvermögens und Bestätigung seiner jahrelangen Gefolgschaft zu begreifen. […] Danach kann sich nur sehnen, wer in dieser Welt zu Hause ist oder ihr zuzugehören trachtet. […] Wie kann jemand, der gerade Dylans Performance in Zürich, Stuttgart, Oberhausen, Köln, Hannover, Berlin, Dresden und Regensburg gesehen oder den Mitschnitt gehört hat, auf die Idee kommen, diese Show ausgerechnet mit einem Literaturpreis auszeichnen zu wollen? Das war keine Dichterlesung. Das war eine furiose Rockandrollshow« (Konkret, 9/2000: 60). Die einseitige literarische Lesart vernachlässigte den wichtigsten Teil des Werkes – die Musik.

Amendt maß der Musik, dem Sound, generell einen hohen Stellenwert zu. Vor allem aber war sie entscheidend beim Live-Auftritt, der erwies, ob ein neues Stück wirklich ausgereift war. Schon 1986 entschied sich für ihn an der Bühnenperformance die Qualität eines Songs – Jahre bevor Sony Music mit der Veröffentlichung aussortierter Songvarianten deutlich machte, welcher Reichtum jenseits des veröffentlichten Albummaterials vorhanden war. Dies bestand im Grunde nur aus »Songideen, die sich erst auf der Bühne voll entfalten. Oder auch nicht« (Konkret, 10/1986: 96). Im Konzert spielte der Text eine vollkommen untergeordnete Rolle, nicht zuletzt, weil er oftmals kaum zu verstehen war – nicht nur vom größten Teil der Besucher, deren Muttersprache nicht Englisch war. »Dylans Songs sind als Lieder entstanden und nicht als Gedichte. In der Show sind sie Stimm-Material. And nothing more…« (Amendt 1995: 13).

Seit Mitte der 80er Jahre, mit dem Wandel des Künstlers selbst, relativierte Amendt nach und nach das von ihm bis dahin stets hochgehaltene Authentizitätsideal der Rockmusik und gewichtete auch in seinen rückblickenden Urteilen das Moment der Konstruktion stärker. Ihre andauernde Anziehungskraft konnte Dylans »Never Ending Tour« nur gewinnen, weil der »Song-and-Dance-Man« sich permanent wandelte und seinem Material immer neue Facetten abgewann. Gerade in der Wandlungsfähigkeit, im flüchtigen Charakter seiner Kunst bestand aus Amendts Sicht das Faszinosum Bob Dylan seit den 60er Jahren, wo er »das Bedürfnis vieler Jugendlicher, sich selbst zu erfinden und neu zu definieren, um sich zu unterscheiden von einer Elterngeneration, die moralisch versagt hatte«, verkörperte (Amendt 2001: 49). »It ain’t me, babe« – das in dieser knappen Formel verdichtete Selbstverständnis des Künstlers unterlief alle Authentizitätserwartungen des Publikums und musste zu Enttäuschungen führen. Darin sah Amendt eine von vielen Parallelen zu Bertolt Brecht, auf die er lange vor der Veröffentlichung des ersten Teils der Dylan-Autobiografie und der Erinnerungen Suze Rotolos, in denen Dylans Brecht-Adaption der frühen 60er Jahre beschrieben wird, verwiesen hatte (Dylan 2004: 272; Rotolo 2008: 233ff.). Später hob er besonders die Gemeinsamkeit des Sich-Entziehens hervor: »Wie Brecht fühlt sich auch Dylan als einer, der ›aus den schwarzen Wäldern‹ kommt und sein Publikum wissen lässt: ›In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen.‹ Wer so vor das Publikum tritt, muss mit Liebesentzug rechnen.« (Konkret, 1/2005: 62)

So sehr Amendt Dylan verehrte, so wenig unkritisch war er – wie überhaupt der kulturpessimistische Topos, Fans seien hörige Adepten ihrer Stars, in die Irre führt. Verständnislos reagierte er um 1980 auf Dylans barocke Bühnenshow und besonders auf seinen religiösen Fundamentalismus. Einige Songs auf der ersten Platte der religiösen Phase, »Slow Train Coming« (1979), hielt er für »offen reaktionär«, prophezeite aber, diese werde bald wieder beendet sein, um dann angesichts von »Saved« (1980) zur »bissigen Persiflage« (Martin Schäfer) überzugehen. In seiner »Konkret«-Besprechung – wie stets in diesen Jahren zusammen mit Uwe Heidorn verfasst – erklärte er die Platte zur Fälschung, auf der »ein (nicht unbegabter) Dylan-Imitator religiöse Liedchen darbietet«, und erfand ein Album namens »Raved« (die auf dem Originalcover dem göttlichen Finger entgegengereckten offenen Hände hatte Alfred von Meysenbug in Fäuste verwandelt) und besprach es, als habe der Künstler zu seinen Wurzeln zurückgefunden (Amendt 1991: 34). Obwohl auf »Shot of Love« (1981) nach wie vor christliche Töne zu vernehmen waren, war auf beiden Seiten Ernüchterung eingetreten. »Wir glauben, dass Dylan glaubt, was er glaubt, das ist die Geschäftsgrundlage unserer Beschäftigung mit ihm. Deshalb geht es nicht darum, sich nach irgendeinem ›alten‹ Dylan zurückzusehnen und zu beklagen, dass er nicht mehr ist, wer er einmal war.« Jedenfalls markierte »Shot of Love« Dylans »Wendepunkt, die langsame Abkehr von allzu rascher Bekehrung« (ebd.: 45). Schon der spielerische Umgang mit »Saved« zeigt, dass Amendt seinem Helden mit Ironie entgegentreten konnte. Allerdings war sie, anders als der um 1980 in der Popkritik sich durchsetzende Gestus der demonstrativen Distanz, mit Bitternis durchsetzt, die aus enttäuschter Identifikation rührte (Rauen 2010).

Günter Amendt war ein theoretisch reflektierter und zugleich empirisch an konkretem Material arbeitender, praktischer Intellektueller, der seine Gegenstände grundsätzlich in einen politischen Kontext stellte und politisch bewertete, ohne sie auf diese Dimension zu reduzieren. Er setzte auf das rationale Argument in der Auseinandersetzung um Themen, die zu weiten Teilen emotional und affektiv bestimmt waren. Gerade weil sie die unterschiedlichsten Gefühle zuließen, reflektierten und erzeugten, waren sie für den Alltag Jugendlicher so wichtig geworden. Auch weil im Gestrüpp überwuchernder moralischer Wertungen von rechts wie links die Fakten schwer zu erkennen und eigenständige Urteile nicht leicht zu gewinnen waren, gab es nur wenige, die sich mit derart fluiden Gegenständen ernsthaft auseinandersetzten. Amendt attackierte die kulturkritischen Werturteile, mit denen seine hoch umstrittenen Themen in der Regel bedacht wurden. Bei der Untersuchung ihres empirischen Gehalts bediente er sich der Sprache der ›Sachlichkeit‹, allerdings nicht in der Rhetorik des Antiemotionalen, wie es in den 50er Jahren insbesondere durch Helmut Schelsky als antitotalitäres Programm propagiert und zum generationellen Stil einer »skeptischen Generation« überhöht worden war (Kersting 2002). Der positive Bezug auf Massenbewegungen und ihre emotionalen Triebkräfte verband Amendts Ansatz mit der linken Sachlichkeit Brechts, ohne dessen ›Kälte‹-Duktus zu übernehmen. Ideale des Kampfes, der Militanz und des Dezisionismus waren ihm nicht fremd, aber sie verbanden sich mit Offenheit und Empathie, die auch ideologische Grenzen überschritten. Der vorurteilsfreie Zugang bedeutete nicht, dass Amendt keine Moral gehabt hätte: Im Gegenteil, sie radikalisierte den nach Emanzipation des Individuums strebenden Zeitgeist und setzte ihn in Politik um. Fehlurteile kamen vor, Amendt hat sie gelegentlich revidiert, manchmal auch nicht. Im Hinblick auf die Popkultur sind etwa antikommerzielle Affekte nicht zu übersehen, wie sie weit verbreitet waren und eine nüchterne Sicht verstellten; dass die »kids« »immer alright« waren, wie er 1985 meinte, war eine der vielen schönen Fortschrittsideen, die man verabschieden konnte, spätestens als Neonazis auf Rechtsrock setzten (Konkret, 5/1985: 68; Diederichsen 1993).

Im 20. Jahrhundert korrespondierten revolutionäre politische Ideen oft mit neuen Trends in Musik, Mode und Habitus. Ihre Protagonisten nach 1945 bezogen sich immer wieder auf die in dieser Hinsicht tonangebenden Akteure der ersten Jahrhunderthälfte und betteten ihre eigenen Präferenzen in einen solchen Bezugsrahmen ein. Amendts Zugang zur Popmusik wurde theoretisch von der Kritischen Theorie und praktisch von der Kulturrevolution der 60er Jahre bestimmt. Da diese mit ihrer Etablierung ihr kritisches Potenzial teilweise einbüßte, wollten im 70er-Jahre-Geflecht von Maoismus und Poststrukturalismus sozialisierte Jüngere wie Diedrich Diederichsen oder Günther Jacob die Fixierung auf Rockmusik und ihr Authentizitätspostulat aufbrechen (Hecken 2009: 345ff.). Im Gegensatz zu manchen von ihnen ging es Amendt darum, den deutschen Hang zur Intellektualisierung von Popkultur mit elitären Zügen grundsätzlich zu überwinden. Auch ein Grund, sich besonders für sinnliche Erfahrungen zu interessieren, auf denen die Wirkungsmacht von Pop beruht.

 

Literatur

Amendt, Günter (1968): Über die trostlose Generation, in: ders. (Hrsg.): Kinderkreuzzug oder Beginnt die Revolution in den Schulen?, Reinbek, S. 13-36.

Amendt, Günter (1975): Künstler in der antiautoritären Bewegung, in: A. v. Meysenbug: Supermädchen und andere Comics aus den letzten Tagen des großen Boom, Frankfurt am Main, o.Pag.

Amendt, Günter (1977): Väter und Erben. Ein Interview, in: Frank Deppe (Hrsg.): 2. Juni 1967 und die Studentenbewegung heute, Dortmund, S. 19-32.

Amendt, Günter (1985): Reunion Sundown. Bob Dylan in Europa, Frankfurt am Main.

Amendt, Günter (1991): The Never Ending Tour. Günter Amendt über Bob Dylan, Hamburg.

Amendt, Günter (1995): Vorwort, in: Paul Williams: Forever Young. Die Musik von Bob Dylan 1974-1986, Heidelberg, S. 10-19.

Amendt, Günter (2001): Back to the Sixties. Bob Dylan zum Sechzigsten, Hamburg.

Diederichsen, Diedrich (1993): The Kids are not alright, Vol. IV – Oder doch? Identität, Nation, Differenz, Gefühle, Kritik und der ganze andere Scheiß, in: ders.: Freiheit macht arm. Das Leben nach Rock’n’Roll 1990-1993, Köln, S. 253-283.

Dylan, Bob (2004): Chronicles, Vol. 1, New York.

Flach, Sabine/Söffner, Jan (2011): Emotionaler Habitus. Verkörperte Sinnlichkeit zwischen Subjektivität und Umweltrelation, Paderborn.

Hecken, Thomas (2009): Pop. Geschichte eines Konzepts 1955-2009, Bielefeld.

Hering, Sabine/Lützenkirchen, Hans-Georg (1996): Wohin führt der lange Marsch? Die politische Erwachsenenbildung der 68er. Gespräche, Frankfurt am Main.

Kersting, Franz-Werner (2002): Helmut Schelskys »Skeptische Generation« von 1957. Zur Publikations- und Wirkungsgeschichte eines Standardwerkes, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 50, S. 465-495.

Lindenberg, Udo (1981): Rock’n’Roll und Rebellion. Ein panisches Panorama, Frankfurt am Main.

Rauen, Christoph (2010): Pop und Ironie. Popdiskurs und Popliteratur um 1980, Berlin u.a.

Reckwitz, Andreas (2006): Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne, Weilerswist.

Rotolo, Suze (2008): A Freewheelin’ Time. A Memoir of Greenwich Village in the Sixties, New York.

Schwendter, Rolf (1973): Theorie der Subkultur, Köln.

Siegfried, Detlef (2006): Time Is on My Side. Konsum und Politik in der westdeutschen Jugendkultur der 60er Jahre, Göttingen.

 

Eine längere Version dieses Aufsatzes steht hier.

 

 

 

 

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