Das Feelgood Movie als moralisches Überlebensmittel
von Georg Seeßlen
10.8.2024

Filme für den braven, gutmeinenden, trostsüchtigen, bescheidenen und politisch korrekten Mainstream

[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 1, Herbst 2012, S. 15-20]

Im Kino gibt es einerseits die großen Blockbuster, die mit Millionen, Stars und digitalen Effekten nach ihren Zuschauern schreien, billige und böse Horrorfilme, die gelegentlich Medienpädagogen, Moralphilosophen und Soziologen ins Grübeln bringen, und transgressive Komödien, die ein offensichtlich ewiges Bedürfnis nach Furzen, Sex-Missgeschicken und anderen Peinlichkeiten befriedigen. Mittendrin dürfen alte Meister und junge Wilde gelegentlich eigenwillige und vom Feuilleton nachdenklich begrüßte Werke vorstellen. Für den Kino-Abend zu zweit sorgen ›Romantic Comedies‹, und spätestens am Wochenende ist Zeit für ›Family Entertainment‹, Filme also, die das Kunststück fertig bringen, Vater, Mutter und Kinder gleich gut zu unterhalten, wenn auch mit unterschiedlichen Zutaten.

Diese Ordnung des Kinos ist weitgehend akzeptiert und vermessen, man hat seine Fan-Foren und Spezialzeitschriften, und man weiß, was man als Produzent produzieren muss, damit der Verbraucher im Kino verbrauchen kann, was er gebrauchen kann. Aber dann gibt es eine weitere cineastische Formel, die man gern belächelt und diskursiv beiseite schiebt, und die deswegen immer für gewaltige Überraschungen sorgt, an den Kinokassen und in der Psychosoziografie des Kinopublikums. Man hat ihr den Namen ›Feelgood Movie‹ gegeben. Und bei jedem Sensationserfolg eines Feelgood Movie reibt sich die Kritik kurz die Augen. Filme für den braven, gutmeinenden, trostsüchtigen, bescheidenen und politisch korrekten Mainstream geben nicht wirklich viel her.

Gerade war es einmal wieder so weit: Ein eigentlich eher ›kleiner‹ Film aus Frankreich mit einer einfachen, menschlichen und irgendwie herzerwärmenden Geschichte um einen nach einem Unfall schwer behinderten Mann aus der Elite-Klasse, der durch seinen afrikanischen Betreuer neuen Lebensmut erhält, »Ziemlich beste Freunde«, schlägt an den Kinokassen alle möglichen Blockbuster und Star-Vehikel. Das passiert immer einmal wieder.

Gute Feelgood Movies kommen zur rechten Zeit. »Intouchables«, wie »Ziemlich beste Freunde« von Eric Toledano und Olivier Nakache im Original heisst, ist nicht nur ein Buddie-Film und ein Behinderten-Film, zwei Formeln zum Wohlfühlen im Kino seit Langem,  sondern konterkariert auch eine wachsende soziale Spannung, jene Stimmung, auf der Rechtspopulisten und Neonazis ihre Suppen kochen. So wird der Kinobesuch auch zu einem niederschwelligen, gut belohnten und wenig kostenden politisch-moralischen Statement. Das positive Feelgood Movie will immer auch humanistisches Bekenntnis sein. Es hilft nicht nur dem einzelnen Zuschauer beim Sich-Gut-Fühlen, sondern auch dem Mittelstand beim Gut-Sein.

Niemand lässt sich gern in einem Feelgood Movie erwischen. Sie haben wohl die Erbschaft dessen angetreten, was man früher ›Kitsch‹ nannte. Sehr spezifisch war das auch damals nicht. Welche Meisterwerke mussten später aus der Kitsch-Zone befreit werden, man muss nur an die Melodramen von Douglas Sirk denken. Es gibt derzeit wahrscheinlich kein Film-Format, was so viel Spott auf sich zieht und so viel Erfolg hat. Das ist das Kino, in das der Lehrer seine Schüler schickt und Menschen mit Gesundheitssandalen und Wolljacken nicht weiter auffallen. Oder Menschen, die ›sonst‹ eher nicht ins Kino gehen, so wie es mittlerweile ist. Wenn es keine Feelgood Movies gäbe, hätte vermutlich die Mehrzahl der Programmkinos und Arthouse-Abteilungen in den Multiplexen längst die Pforten geschlossen.

Aber was zum Teufel ist ein Feelgood Movie?

Es beschreibt menschliche Probleme, die man in der einen oder anderen Form kennt, wenn auch nicht immer in der geballten Weise, die das Kino uns vorhält. Es geht, schlicht gesagt, um die Ungerechtigkeit, ja die Grausamkeit des Lebens. Gewiss gibt es religiöse Feelgood Movies, aber selbst in ihnen müssen die Menschen ohne die Hilfe der Götter auskommen. Mit Tapferkeit, Willen, Humor und Solidarität zum Beispiel.

In einem Feelgood Movie kommen Konflikte zu einer Lösung, erweisen sich Menschen als lernfähig, trotzen andere, die von der Gesellschaft schon aufgegeben worden sind, dem Leben noch Liebe und Glück ab. Es geht nicht darum, die Welt zu verbessern, sondern darum, die Inseln des Guten anzusteuern.

Ein Feelgood Movie lässt den Zuschauer sich selbst als besseren Menschen erleben, er imitiert gewissermaßen einen sozialen Akt des Sich-Kümmerns. Je brutaler die Lebenspraxis in einer Gesellschaft, desto größer das Bedürfnis nach Feelgood Movies. Die Protagonisten und die Zuschauer tauschen symbolische Module von Glück und Unglück aus. Es ist, mit anderen Worten, ein in Fiktion verpacktes Ritual von Geben und Nehmen, Opfer und Erlösung.

Feelgood Movies dürfen sich eine sehr genau bemessene Portion von Frechheit leisten. Es geht an den Rand dessen, was gute Bürger sich an Sex & Drugs & Rock’n’Roll leisten oder es wenigstens anderen zubilligen.

Das Feelgood Movie bleibt in der Regel in der Sphäre der Realität, die Grenze zur White Fantasy, wo Engel und Geister bemüht werden müssen, um ein Menschenschicksal einzurenken, bleibt gewahrt. Man muss wenigstens die Illusion mitnehmen können, einen Teil der Botschaft des Films im wirklichen Leben praktiziert zu erleben.

Das Feelgood Movie ist immer ein wenig appellativ. Es lässt sich lesen als Appell zur Mitmenschlichkeit, ein Manifest, das man durch den Erlös der Kinokarte unterzeichnet.

Das Feelgood Movie, obwohl es eine gewisse Aura der Peinlichkeit des Intimen aufweist, schweißt das Publikum zusammen, erzeugt ein wohliges Wir-Gefühl. So ist ein Fernseh-Feelgood-Movie schon etwas anderes, auch wenn dort das Genre nicht minder verbreitet ist. Im deutschen Fernsehen nennt man es denn auch ›Wohlfühl-Film‹, und entsprechend schert man sich nicht nur um die Grenze zum Kitsch nicht, sondern auch nicht um die Grenzen im Kitsch. Das gute Kino-Feelgood-Movie steuert auf den entscheidenden Satz in der Kritik zu: Es sei, soll da stehen, frei von Kitsch und Klischee.

Feelgood Movies handeln nicht von Menschen wie du und ich, sondern von Menschen, die schwächer, behinderter, unglücklicher sind. Die Filme leben von dem Wissen um diesen Abstand; sie handeln von Kranken, Behinderten, Ausgestoßenen, Unglücklichen; deren Rebellion gegen das Unglück bleibt individuell und familiär. So wie der Zuschauer im Horrorfilm im Sicheren bleibt, wenn die Körper zerfetzt werden, so bleibt er im Feelgood Movie im Sicheren, wenn es um das Unglück geht, das gleichsam durch die gemeinsame Anstrengung von Protagonist und Zuschauer ertragen und gemildert wird.

Das Feelgood Movie feiert die ›verlorenen Werte‹: Freundschaft, Verständnis, Respekt, Kreativität… Es entdeckt das Gute im Menschen. Feelgood Movies sind gegen die falschen Institutionen, die falschen Autoritäten, die falschen Ziele (vor allem sind sie gegen Geld).

Feelgood Movies behandeln zwar soziale und ökonomische Probleme, sie werden aber auf einer Ebene des ›Menschlichen‹ abgehandelt; wenn sie überhaupt an eine konkrete historische Situation gebunden sind, dann wird diese vor allem als Bühne der Metapher verwendet. Feelgood Movies sind für die Schwachen, aber sie sind nicht parteilich.

Feelgood Movies werden von Schauspielern getragen; vor allem sie sind es, die die Grenze zum Kitsch bestimmen. Diese Schauspieler sind entweder ›betroffene‹ Laien, einfühlsame und wandlungsfähige Profis oder, derzeit besonders beliebt, Kollektive von ›Schauspieler-Legenden‹. In Feelgood Movies muss man Nähe fühlen.

Vom Feelgood Movie strikt zu unterscheiden ist das klassische Melodrama, das nicht am Leitfaden des Glücks, sondern an dem der Moral erzählt, außerdem die sozialen Dramen, die statt eine (mehr oder weniger märchenhafte) Lösung anzubieten, der Anklage bis zum bitteren Ende folgen, von den romantischen Komödien (in denen nur Scheinprobleme behandelt werden) und natürlich von jenen Schenkelklopfern, die Vorurteile und komische Formen des unerklärten Bürgerkriegs am Ende sentimental auflösen (wie, sagen wir, »Nichts zu verzollen«, der in seiner Boshaftigkeit, anders als sein Vorgänger »Willkommen bei den Sch’tis«, die Grenze des Feelgood Movie weit überschreitet).

Diese Grenzen sind natürlich weithin fließend. In den Filmen von Mike Leigh wie »All or Nothing« (2002), wo eine Familie aus der Unterschicht, Kassiererin und Taxifahrer, durch den Herzinfarkt des Sohnes aus der Lethargie des Alltags gerissen wird, oder Robert Guédiguian (wie jüngst »Les Neiges du Kilimandjaro« – »Der Schnee am Kilimandscharo«, 2011) mischen sich immer wieder Elemente des Feelgood Movie in den sozialen Realismus, vor allem wenn es darum geht, Liebe, Freundschaft, Solidarität als Waffe der ›kleinen Leute‹ gegen die Bosse und Konzerne und Korruptionen des Alltags zu feiern. Mit »Le Havre« übrigens gelang Aki Kaurismäki wohl zugleich die Apotheose und die perfekte Parodie eines Feelgood Movie. Und auch »Le Gamin au vèlo« (»Der Junge mit dem Fahrrad«) von den Gebrüdern Dardenne lebt von dem unerschütterlichen Glauben daran, dass die Verhältnisse zu verbessern sind. Diese ›linken‹ Feelgood Movies glauben nicht an Wunder, aber sie glauben an die Menschen, vor allem an die Menschen, die am unteren Ende der Hierarchien Solidarität und Achtsamkeit untereinander gelernt haben.

Jede Klasse, jedes Geschlecht, jede Generation bekommt das Feelgood Movie, das es verdient. Selbst die gestresste, doppelt belastete Frau im Haifischbecken des Finanzkapitalismus bekommt ihr Feelgood Movie, etwa in »I Don’t Know How She Does It« (»Der ganz normale Wahnsinn«, 2011, Regie: Douglas McGrath), wo Sarah Jessica Parker eine Investmentmanagerin ist, die so ihre Schwierigkeiten hat. Der Film behauptet zwar, Powerfrau und gute Mutter seien am Ende doch unter einen Hut zu bekommen, aber nur indem er alle wirklichen Probleme dabei ausblendet (und auch von Geld wird eigentlich nicht gesprochen).

Generell lassen sich deshalb wohl ›linke‹ von ›rechten‹ Feelgood Movies unterscheiden, also solche, die von der Kraft des Widerstands und der Gemeinschaft handeln, und solche, die von der Aura des Einzelnen und der Familie als Lösung handeln. Wirklich erfolgreich sind indes jene Feelgood Movies, denen es gelingt, auch noch die Spannung innerhalb einer Gesellschaft zu heilen (womit wir wieder bei »Ziemlich beste Freunde« wären).

Ansonsten gibt es für die Feelgood Movies einige todsichere Themen, wie zum Beispiel die Multikultikomödie. Dazu gehören hierzulande etwa »Russendisko« (2012, Regie: Oliver Ziegenbalg), der, nach Wladimir Kaminers Erfolgsbuch, ausgesprochen harmlos und unspezifisch mit den verschiedenen nationalen und religiösen Identitäten umgeht, oder »Türkisch für Anfänger« (2012, Regie: Bora Dagtekin), wo sich nach einer Flugzeugnotlandung ein deutsches Mädchen, ein junger Türke, seine strenggläubige Schwester und ein (stotternder) Grieche auf einer einsamen Insel wiederfinden. Damit verbunden ein weiteres Subgenre des Feelgood Movie, das von der ›Erlösung‹ der bürgerlich-urbanen Welt, mit ihrem Materialismus und ihrer sinnlichen Verklemmung, durch das Land, durch die ›mediterrane‹ Leichtigkeit, durch ›das Volk‹ handelt, das mittlerweile in den Industriegesellschaften selber nicht mehr zu finden ist und darum durch Menschen ›mit Migrationshintergrund‹ ersetzt werden muss.

Politischer wird es mit den Friedenskomödien. »Et maitenant, on va ou?« (»Wer weiss, wohin?«, 2011, Regie: Nadine Labaki) erzählt von einem Dorf, in dem es zwischen Christen und Moslems einen heftigen Konflikt gibt, den schließlich die Frauen mit unorthodoxen Mitteln beilegen. Sie engagieren ausgerechnet einen Bus voll ukrainischer Stripperinnen. Es ist die Balance zwischen märchenhafter Hoffnung, Ironie und dem Wissen um den ernsten, tragischen Hintergrund, die die Harmonie eines gelungenen Feelgood Movie ausmacht. Menschlichkeit ist stärker als alles, so lautet seine Botschaft. Man kann sie unterschreiben, ohne dass sich viel ändert. Es gilt das etwas desillusionierende Motiv: Je weiter der Ursprungsort eines Feelgood Movie von der eigenen Lebenswirklichkeit entfernt ist, desto unkritischer wird es gesehen. Deswegen gehören zu den Feelgood Movies auch Reise- und Märchenfilme, die von Menschen hinter sieben Bergen erzählen, die noch ganzheitlich, lebensglücklich und ökologisch leben.

Zu den Standards des Feelgood Movie gehören die geglückten Schulexperimente und  Außenseitergeschichten wie die von »Monsieur Lazhar« (2011, Regie: Phillippe Falardeau) aus Kanada, die Geschichte eines vom islamistischen Terror gezeichneten Manns (Mohamed Fellag), der sich als Lehrer in eine Schule schmuggelt, aus Liebe zur Literatur und zu den Kindern. Ein starres soziales System wie die Schule reagiert dabei auf eine emotionale Katastrophe, den Selbstmord einer Lehrerin. Aber letztlich geht es darum, wie Lehrer und Schüler sich gegenseitig Trost spenden in einer Institution, die nicht zu retten ist. Für ein echtes Feelgood Movie lassen Filme wie dieser vielleicht zu viele Fragen offen. Aber das Hauptkriterium, die Lösung der gesellschaftlichen Probleme durch die Akkumulation des Menschlichen, wird in jedem Fall erfüllt.

Feelgood Movies gestatten sich eine Portion Melancholie und Rebellion, bleiben aber im Kern immer optimistisch. Entscheidend ist, dass sie ein geschlossenes System bilden, Lösungen werden immer in der Geschichte selbst geliefert, der Zuschauer wird entlassen mit einer Aussage und Botschaft, an der nichts zweifelhaft bleibt (auch wenn sie durchaus vage formuliert sein kann). Der Zuschauer eines Feelgood Movie verlässt das Kino mit einem Lächeln, vielleicht. In aller Regel verschwindet es, sobald er wieder in die Wirklichkeit eintaucht. Ein sehr gutes Feelgood Movie erkennt man daran, dass es ein wenig länger bleibt.

 

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