Ko-mod-i-fizierung: Fashion&Honesty
von Elke Gaugele
9.8.2024

Die neuen Kleider der Moral

[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 1, Herbst 2012, S. 48-53]

Sie passieren bereits seit einiger Zeit in größeren Ausstellungen Revue: Die Dekaden der »Mode nach der Mode«. Dem System der Mode wird mit analytischer Distanz begegnet, das Styling der Kleider, Posen und Bilder fällt künstlerisch-dekonstruierend aus. »Not in Fashion!« rief im letzten Jahr das Frankfurter Museum für Moderne Kunst (25.09.2010-9.01.2011). »No Fashion Please!« tönte es jüngst aus der Kunsthalle Wien (10.11.2011-29.01.2012) – und dennoch präsentiert sich das Wiener MQ als Ort aktueller Sommerkollektionen beim Spektakel »Catwalk für Mode und Kunst«  (»Summer of Fashion«, 14.06.-16.09.2012). Doch was folgt auf den »letzten Schrei« kunstförmiger Mode und modeförmiger Kunst, den Isabelle Graw in »Texte zur Kunst« 2004 diagnostizierte? Was kommt nach dreißig Jahren Repräsentationskritik durch »Kommentare in Kleidern über Kleider« (Barbara Vinken)?

»Honest By« lautet die Antwort des Antwerpener Designers Bruno Pieters, der im Januar 2012 mit dem Launch seines Fashion-Labels das neue Paradigma der Mode klar umriss (honestby.com). »The Earth is in an environmental crisis«, lautet der erste Grundsatz seines »Ethical Fashion Programs«, mit dem Mode zur Umweltaktivistin und Produzentin sozialer Gerechtigkeit erklärt wird. Emotionen wie Vertrauen und Tugenden wie Ehrlichkeit sind Teil dieser neuen Ko-mod-i-fizierung, die ihren Ursprung in der ›Krise‹ verortet. »Honest By« gibt Pieters als weltweit erstes Unternehmen aus, das die Aufschlüsselung seiner Materialien, Kosten und Preiskalkulationen komplett offen lege; »honest« stehe für hundertprozentige Transparenz und die Mission vollends bewusster Konsumentscheidungen. Der vormalige Art Director von Hugo Boss positioniert sich mit seinem eigenen Label sowohl bei der Pariser Sustainable Luxury Fair als auch in einem gouvernementalen Rahmen wie dem Kopenhagener Fashion Summit, bei dem im Mai 2012 führende Modeunternehmen, CSR-Experten, EU-Beamte und Politiker zur Vorstellung des neuen Ethikkodex der UN für die Modebranche zusammentreffen. Die Kleider der neuen Ehrlichkeit gestaltet Pieters für Frauen und Männer als eine minimalistische Linie aus 58 klaren puristischen Einzelteilen und limitierten Editionen in schwarz, weiß, grau und naturbeige.

›Honest fashion‹ als Kleidung, die zum einen unaufdringlich und untheatralisch, zum anderen als »aufrichtige Mode« nicht vom Markt verdorben ist, wird bei den Antwerp Six seit Mitte der 1980er Jahre mit Dries van Noten assoziiert. Der Begriff soll von Suzy Menkes, der Modekritikerin des »Herald Tribune«, in Umlauf gebracht worden sein. Dennoch galt in den 1980ern nicht nur ökologische Kleidung als ›Anti-Mode‹, sondern das »kurzlebige Mode-Design« fungierte damals sogar als Feindbild jeglichen »guten Designs«, wie es Dieter Rahms in seinen »Zehn Prinzipien« verlautbaren ließ. »Honest« zum Grundsatz von »Good Design« hatten in den 1930er Jahren bereits die US-amerikanischen Designer Max de Pree und Gilbert Rohde erklärt: »By good design, I mean design that is simple and honest, materials should be used properly«. Die aktuelle Finanzkrise bringt nun eine Debatte um »Trust Design« hervor, bei der es der Disziplin darum geht, Antworten auf die Krise des Vertrauens zu geben, z.B. durch das niederländische Institut für Design und Mode »Premsela« (trustdesign.nl). Die Wende zum ethischen Konsum zeigt sich darin, dass nicht nur Kriterien wie soziale Verantwortung, ein hohes Umwelt- und Naturbewusstsein, sondern insbesondere ›Ehrlichkeit‹ höchste Relevanz für Kaufentscheidungen zugesprochen bekommen.

Der Ansatz »Trust is the New Currency« (Trust Design, Bd. 4) charakterisiert auch das Design des belgischen Modelabels »Honest by«. Ins Deutsche übersetzt, bedeutet ›honest‹ neben ›ehrlich‹ auch ›brav, offen, ehrenwert, rechtschaffen, aufrecht‹ sowie ›bieder‹. Bruno Pieters’ Kollektion bringt die gesamte Palette dieser bürgerlichen Tugenden zum Klingen. Aufrechte Bundfaltenhosen, schmale Hemden und Shirts, offene Bomberjacken und Sweater, brave Wickelkleider, rechtschaffene Jerseyhosen und Pullover mit ehrenwerten Schulterklappen. Asymmetrie ist nur in der Frauenkollektion zu finden – unter den ehrlichen Leinentops und Wickelröcken. Die Webseite bietet Filtermöglichkeiten nach Kriterien wie »biologisch«, »vegan«, »recycelt« oder »in Europa hergestellt«.

Mit Umsätzen, die sich seit 2000 bereits mehr als verzehnfacht haben, ist Kleidung neben Lebensmitteln der Schlüsselmarkt der Greenomics. Parallel zu den Öko-Food-Trends wird »Ethical Fashion« aus regionalen Biozutaten produziert und verzichtet dabei möglichst auf tierische. »We believe in animal welfare«, der Glaubenssatz aus der Firmenphilosophie rezitiert nicht nur ein Mode-Mantra für Veganer. Er dient auch dem Consciousness-Raising für neue Fashion-Coming-Outs: Als Fashion-Vegetarier, der niemals Tierisches wie Leder, Pelz oder Horn trägt oder zumindest als Fashion-Flexitarier agiert, der gelegentlich doch noch nach Wolle oder Seide verlangt – und wenn, dann soll diese wie bei Pieters aus recycelten Beständen oder aus garantiert regionaler ökologischer Tierhaltung stammen.

Marktforscher raten Unternehmen zur Neo-Regionalisierung von Produkten, weil diese den Sinn und die Sinnlichkeit des Konsums befördere. Die Re-Regionalisierung der Mode bzw. ihrer Materialitäten verknüpft Pieters’ ›ehrliches‹ Label mit der Kategorie »European«, die durch die weißen Körperbilder auf der Website eine neo-kolonisierende Repräsentation erfährt. »Honest by« präsentiert dabei zu jedem Kleidungsstück bis hinein in den kleinsten Knopf und dünnsten Faden Auskünfte zu Materialien, Produktionsbedingungen und Preiskalkulationen. Das Konzept lädt nicht nur andere Designer ein, »Ethical Fashion« oder einen »Green Look« auf der Plattform zu präsentieren, sondern nennt auch Hersteller ökologisch und fair produzierter Garne und Knöpfe.

Pieters folgt dem globalen Trend in der Mode, alternative Produktions- und Materialstrategien ins Zentrum zu rücken. NGOs wie die Clean-Clothes-Campaign reklamieren soziale und ökologische Leitlinien für ethisch vertretbare Kleidung unermüdlich seit mehr als zwanzig Jahren. Sie demonstrieren gegen Sweatshops, Ausbeutung, gegen die ökologisch unvertretbar vergiftete textile Kette und für Konsum als alltagspolitische Handlung. Als Social Entrepreneurs entwickelten viele kleine Modelabels alternative Produktions-, Handels- und Materialstrategien: Upcycling, Cradle to Cradle, Social Design, Antikonsum, D.I.Y., ökologische Kleidung, Nachhaltigkeit und Prosumer Culture. Auch ein großer Konzern wie H&M reagierte darauf jüngst mit »Greenwashing« – der Edition einer Conscious Collection, die im April 2012 sogar um eine Luxuslinie erweitert wurde.

Pieters Geschäftspolitik verkündet als Offenbarung die einhundertprozentige Transparenz: Zu »material information«, »manufacturing details« treten Angaben zur »price calculation« und sogar zum CO2-Ausstoß, dem »carbon footprint«. Wir erfahren, dass ein Sweater zur Produktion von 2,31 kg CO2 und damit zu einem Wert geführt hat, für den ein Baum ungefähr 259 Tage brauchen würde, um ihn zu neutralisieren, dies zudem 14,44 Autokilometern entspreche oder dem 88,85-stündigen Leuchten einer Glühbirne. »How green are you in your daily life?«, fragt Bruno Pieters in einem auf der Website veröffentlichten Interview und erhält folgende Antwort: »To quote a famous friend: it ain’t easy bein’ green.«

Mit den ›ethischen Kleidern‹ verknüpft scheint der Übergangsritus zu einem neuen Glauben und dessen sakralen Handlungszeremonien. Bei diesen Performanzen des ›besseren Mensch-Seins‹ geht es um die Wertschöpfungskette einer neuen Kapitalsorte, um ›ethisches Kapital‹. Bevor Pieters erklärte, zur Erkenntnis des neuen Fashion-Konzepts während eines einjährigen Sabbaticals in Südindien gelangt zu sein, hatten Ökonomen längst »Sinnmärkten« große Zukunftschancen prognostiziert und Unternehmen angeraten, ihre Produkte zu spiritualisieren. Bei dieser neuen Form des ethischen Mehrwerts geht es um eine Transsubstantiation der Ware nach den Ökonomien des Glaubens. Bruno Pieters’ Firmenphilosophie formuliert Glaubenssätze, die mit »we believe in« oder »we respect« beginnen. Auch die Trust-Design-Debatte sieht Ökologie und Nachhaltigkeit als religiös basierte Versprechen: »Faith is trust. Faith is connection to a promise. Trust is a promise. Sustainability is a promise. Green design is a promise. The object may not hold the promise in itself, but it is a connection to a promise« (trustdesign.nl). Dass 20% des Profits von »Honest By« als Spende an ein Hilfsprojekt fließen, ist Teil dieser ethischen Kapitalschöpfung in einer klassen- wie kolonialgeschichtlichen Tradition der White Charity, die aktuell viele Unternehmen und Designerinnen praktizieren, z.B. Vivienne Westwoods »Ethical Fashion Africa Collection« oder Donna Karans Haiti-Kampagne.

Ethischer Konsum und die Produktion des ›ethischen Kapitals‹ erzeugen neue Produktionsfelder für soziale und globale Unterschiede. Nicht nur das Störgefühl und schlechte Gewissen, das der Kauf teurer Waren erzeugt, wird dadurch gemildert. Einer sozial-kapitalistischen Logik zufolge, in der Konsum eine Klasse ethisch besserer Menschen und moralisch überlegener KonsumentInnen produziert, erscheinen anti-konsumistische Praxen als unterlegen. ›Honest Fashion‹ kommodifiziert disziplinargesellschaftliche Tugenden wie Ehrlichkeit und Vertrauen und appelliert an neo-feudale religiöse Sinnstrukturen. Dass Umstrukturierungen im Feld der Mode als Äquivalent zu den Umstrukturierungen des Feldes der Macht zu sehen sind, haben Pierre Bourdieu und Yvette Delsaut schon 1975 in »Die neuen Kleider der Bourgeoisie« beschrieben. Die Neuorganisation der Arbeitsteilung der Herrschaft wird demnach von einem Wechsel der Gruppen begleitet, die nach neuen Modalitäten Zugang zu den Profiten und zum Prestige der bürgerlichen Existenz haben. »Honest By« produziert sie, die »neuen Kleider« der neuen »Bourgeoisie«, für das Prestige und den Profit des ›ethischen Kapitals‹. LOHAS-Mode (Lifestyle of Health and Sustainability) ist längst zum Synonym für »Ethical Fashion« geworden, als Ausdruck eines sozial-kapitalistischen Klassenkonzeptes oberer Mittelklassen, in dem Stil und Engagement, Konsum und verantwortungsvolles Handeln zusammenfallen. Das Netz, in das ModeproduzentInnen wie KonsumentInnen nach wie vor verstrickt sind, wird dabei zur Präsentationsfläche. Was als eine Umsetzung politischer Kämpfe in Praktiken formuliert wird, ist gleichzeitig ökonomisches Kalkül eines Social Entrepreneurship, das der ›Krise‹ mit dem Design von Vertrauen begegnet.

 

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