Easy Listening
von Elena Beregow
6.8.2024

Muzak, Ambient, Smooth Jazz, Vaporwave, Feelgood Indie

[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 19, Herbst 2021, S. 28-34]

Ein Dialog: »›Du magst also auch Musik, was?‹ ›Ja, ich liebe Musik.‹ ›Auf was für Musik stehst du?‹ ›Alle Sorten.‹ ›Also ich mag Easy Listening.‹ ›Ja, ich auch, Easy Listening ist echt geil!‹« So reden Thomas und Stefan, die Protagonisten im Song »00:30, gleiches Ambiente« von den Goldenen Zitronen noch eine Weile weiter, über Filme (»Hast du den neuen Quentin Tarantino schon gesehen?«), Menschen (»Ich mag Menschen.« »Ich auch, ich liebe Menschen!«), und irgendwann erhalten wir das perfekte Beispiel für Easy Listening (»Wow, das ist super, ich liebe dieses Lied!« »Moby hat echt eine tolle Stimme!«). Thomas und Stefan, das sollen diese normcorigen Typen Mitte 30 sein, irgendwie generisch, farblos, ununterscheidbar, ohne einen interessanten Gedanken, geschweige denn Musikgeschmack. Das Unbehagen an ihnen und ihrem enthemmten Smalltalk übersetzen die Goldenen Zitronen in einen dezidiert ›uneasy‹ Sound, der unmelodisch, zäh und schrill vor sich hinwabert.

Dass das Populäre und Eingängige, die das Easy Listening auszeichnen, selbst an seinem legitimen Ort des Mainstreams keinen besonders guten Ruf haben, wird an den Reaktionen auf den diesjährigen ESC [2021] erkennbar. Nachdem die italienische Rockband Måneskin gewonnen hatte, war das Feuilleton schnell mit zeitdiagnostischen Deutungsangeboten. Die Hörer:innen, so der Tenor, hätten genug vom üblichen Einheitsbrei, von den immergleichen bombastischen Pophymnen und den entsprechenden modischen Darbietungen; gerade in der Pandemie sei ein Bedürfnis nach Exzess, Rebellion und Transgression entstanden, das Gehör finde in Måneskins Absage ans Leise- und Bravsein (»Zitti e buoni«) im gleichnamigen rotzigen, rockigen Song.

Haben sich Måneskin also durchgesetzt gegen das leicht Konsumierbare, das gut Hörbare, das Gefällige und hübsch Anzusehende? Nun, sie sind nach dem ESC sowohl in den deutschen als auch in den internationalen Charts mit teils älteren Songs auf den vordersten Plätzen gelandet, Schnipsel ihres britpophaften Songs »Begginʼ« untermalen dieser Tage wegen ihrer extremen Eingängigkeit jedes zweite TikTok-Video, und nicht zuletzt ruft ihr optischer Auftritt durchgängig großes Entzücken hervor: Für über alle Maßen schön, cool, sexy, anziehend und attraktiv wird die ganze Band und besonders der Sänger Damiano David befunden, und das nicht trotz, sondern wegen der zwischen Rockismus und Androgynität oszillierenden und damit vermeintlich provokanten Posen. Der androgyne Glamrock-Look ist es, der spontan Wohlgefallen hervorruft – zum einen, weil er mit seinen zahlreichen historischen Vorbildern bereits gut einzuordnen ist, zum anderen, weil er nicht an der normschönen, heterosexuellen Ausstrahlung der (in LGBTQ-Themen engagierten) Band zu rühren vermag. Deshalb überrascht es kaum, dass Damiano David schon zum »David Bowie seiner Generation« (»Welt«, 19.6.2021) erklärt wird.

Die Grenzen zwischen Easy Listening und der Provokation von Hör- und Sehgewohnheiten sind also durchlässig und nicht genregebunden. Easy Listening beschreibt zunächst eine Hörerfahrung, die sich durch Unaufdringlichkeit und Widerstandslosigkeit auszeichnet. Die entsprechende Musik ist beiläufig hörbar und soll als Hintergrundmusik eine zerstreuende, entspannende, ablenkende oder aufheiternde Wirkung entfalten. Als typische Form von Easy Listening gilt die ›Ambient Music‹, also Musik, die sich in ihr Ambiente, ihre räumliche Umgebung nahtlos einfügt; idealerweise so nahtlos, dass sie nicht einmal bewusst bemerkt wird. Daher bewegt sich Easy Listening immer schon an der Grenze zur Unwahrnehmbarkeit.

Als ›Muzak‹ bezeichnet man etwa jene ›Fahrstuhlmusik‹, die in den 1930er Jahren gezielt eingesetzt wurde, um die Nutzer:innen des technologisch neuartigen und damit höchst beunruhigenden Konstrukts Fahrstuhl zu besänftigen. Die Genrebezeichnung geht auf die Firma Muzak Holdings zurück, die sich für eine möglichst lückenlose Beschallung des öffentlichen Raums mit ebendieser funktionalen Musik einsetzte, um sowohl die Geräuschkulissen öffentlicher Räume zu verschlucken als auch peinliche bzw. bedrückende Stille zu vermeiden. Als besonders geeignet, um diesen harmonisierenden, harmlosen (Nicht-)Höreindruck zu schaffen, haben sich Genres wie populäre Klassik und Smooth Jazz erwiesen, zudem meist in instrumentalen Varianten, weil die Gesangsstimme sich bereits zu stark ins Bewusstsein drängt. Auf diese Weise hielt die Muzak Einzug in Supermärkte, Kaufhäuser und Casinos, auf Kreuzfahrtschiffe, Flughäfen und Bahnhöfe, in Restaurants, Bars, Hotels und Cafés, aber auch in Wartebereiche von Ämtern und Krankenhäusern sowie Telefonwarteschleifen. An all diesen Orten soll sie für eine unproblematische, dezent heitere Stimmung sorgen – und ist als zum Kaufen und Konsumieren animierende, einlullende und so subtil, weil unbewusst manipulierende ›Zwangsbeschallung‹ in die Kritik geraten.

Im Genre ›Ambient‹ – nicht zu verwechseln mit ›Ambient Music‹ – fand seit den 1990er Jahren mit Bands wie Aphex Twin oder Air eine Aneignung dieser Eingängigkeit statt, um sie dann mit teils experimentellen und psychedelisch inspirierten Soundlandschaften zu verfremden. Dieser Ansatz wurde auch im Vaporwave der 2010er wichtig, wo er geradezu mit einer Ehrenrettung der Muzak einherging. Für das häufig als ›Post-Internet‹-Musik klassifizierte Genre gilt das Album »Floral Shoppe« von Macintosh Plus als stilprägend; der Track »リサフランク420 / 現代のコンピュ« wurde auf YouTube fast 16 Millionen Mal geklickt. Bei Macintosh Plus und ähnlichen Künstler:innen werden typische Muzak-Melodien der 1980er und 1990er Jahre leicht verlangsamt, zerstückelt, gesampelt und gemixt, repetitiv geloopt und so in ihrer leiernden, sedierenden Anmutung gesteigert. Trotz dieser gezielten Produktion von Hörwiderständen ist Vaporwave auf merkwürdig hypnotische Weise ›comforting‹. Das liegt vor allem daran, dass der Sound eine diffuse Nostalgie aufruft, ohne dass die Hörer:in die referenzierte Zeit der 1980er oder 1990er biografisch erlebt haben muss. Die nostalgische Sehnsucht wird zum einen durch Geräuschversatzstücke aus zeittypischen Videospielen und Werbeclips erzeugt, zum anderen aber auch durch eine gewisse Kaputtheit des Sounds, der in seinem Rauschen, den Sprüngen, Rissen und Fehlern analoge Medien wie Kassettenrekorder wachruft. Die Dekonstruktion der Muzak im Vaporwave gibt deren leichte Hörbarkeit zwar nicht ganz preis, aber sie zielt auf ihre hauntologische Verfremdung und Verzerrung, weshalb Vaporwave auf stereogum.com auch als »nihilistic easy listening« bezeichnet wurde. Kulturkritiker:innen wie Mark Fisher hat das dazu verleitet, Vaporwave als satirisches bzw. kapitalismuskritisches Projekt zu interpretieren. Eine solche Deutung unterschlägt aber das spezifische Vergnügen, das beim Hören dieser Musik geschaffen wird – jenseits ironischer Gebrochenheit. Es ist kein euphorisches, sondern ein eher gedämpftes, ja ein träges Vergnügen, bei dem die Musik wie schon bei der Muzak zum Hintergrundgeräusch, zum Ambiente bzw. zur Atmosphäre wird – es ist daher nur konsequent, dass der Song »リサフランク420 / 現代のコンピュ« sich in ein- bis zehnstündig geloopten Versionen auf YouTube findet, die die Grenzen der Einheit Song vollends auflösen. Diese Musik lädt dazu ein, sich immersiv in ihr zu verlieren, indem sie mit dem umgebenden Raum verschmilzt.

Seit einigen Jahren floriert eine ebenfalls nostalgische, aber weniger geisterhafte Spielart von Easy Listening. Langhaarige Indiepopbands wie Drugdealer, Foxygen oder TOPS, die teils auch stilistische und personelle Überschneidungen zum ›Weirdpop‹ im Stil von Mac DeMarco, Ariel Pink und Connan Mockasin aufweisen, sind stark vom psychedelischen Rock der 1960er und 1970er, gleichzeitig aber auch von Disco und Funk geprägt. Ein häufig erwähntes Vorbild ist Todd Rundgren, dessen Song »I Saw The Light« von 1972 durch die Retro-Indie-Welle neue Popularität erlangte. Zusammengehalten wird der seifige und heitere, aber auch etwas schleppende Song durch einen simplen melodischen Orgelakkord, der durch seine fast durchgehende Wiederholung auch einen beiläufigen Sog entfaltet; dazu kommen ölige Gitarren, Falsetto-Chöre und in vielen anderen Songs Rundgrens auch Trompeten.

Die Indiebands der Gegenwart haben keine Angst vor diesem lange belächelten, weil sehr seichten und zugleich überladenen Wohlfühlsound. Das Weichgespülte wird nicht nur zitiert, um es dann wieder zu brechen, sondern die virtuose Großband aus geschulten Instrumentalisten kehrt zurück, um es in aller möglichen handwerklichen Perfektion zu spielen; Drugdealer etwa treten zu acht auf. Neben dem Keyboard und gelegentlichem Synthie-Einsatz ist es meist ein analoger und warmer Sound, der dabei herauskommt und zusammen mit den nostalgischen Referenzen den Wohlfühleffekt leichten Hörens generiert. Hier besteht auch eine gewisse Verwandtschaft zum funkigen und stärker elektronischen Feelgood-Indie, der aktuell mit Namen wie Parcels, Jungle oder Leisure verbunden ist. Dieser Strang reiht sich in das Erbe des New Pop ein, der in den 1980er Jahren daran arbeitete, Mainstreampop und ›anspruchsvollen‹ Spartenpop miteinander zu versöhnen.

Im Video zu »Tieduprightnow« von den Parcels sieht man die Band mit wehendem Haar in einem türkisen Cabrio die australische Küste entlangfahren, abgelöst von entspannten Surfszenen, Kängurus und Koalas und ironisch brav wackelnden Hintern in Badebekleidung; das Ganze hinter Retrofilter und viel Weichzeichner. Entsprechend sorglos und unproblematisch ist der Sound. Auch der kürzlich erschienene Song »Take You Higher« von Leisure klingt so hell, warm, weich, sanft, leicht und unbeschwert, wie es nur irgendwie geht. Er fordert dazu auf, sich in diese Wolke der Friedlichkeit hineinzulegen, die Verkrampfungen zu lösen und sich einfach dem Vibe zu ergeben. Easy Listening ist also kein festes Genre, sondern eher eine Form des Stimmungsmanagements, weshalb sich die Bands auch so gut für Mood-Playlists mit Namen wie »Beach Vibes«, »Feelgood Indie« oder »Summer Chillout« eignen. Statt der vereinheitlichenden Muzak legt die Nutzung von Musikstreaming-Plattformen eine individuelle und situativ ständig neu abgestimmte Installierung von Hintergrundmusik nahe, deren Selektion sich nun an konkreten Alltagstätigkeiten festmacht: Lernen, Kochen, Arbeiten, Aufräumen, Joggen, Meditieren, Einschlafen.

Die algorithmisch generierten Listen werden aber zugleich zur Muzak der Gegenwart, sie bahnen sich ihren Weg in Starbucks-Filialen, Friseursalons und Arztpraxen. Der Sound der Lokalradios wird durch die Radio-Funktion bei Spotify ersetzt, dank der die Liste nicht von vorne abgespielt werden muss, wenn sie vorbei ist, sondern im Modus endloser automatischer Erweiterung ähnliche Songs vorschlägt. Auf diese Weise kommt es zu einer Einspeisung von gut hörbarer Spartenmusik wie dem Indiepop in öffentliche ›Soundscapes‹, gleichzeitig aber auch zu einem Mainstreaming der häufig gespielten Titel, die nun von Liste zu Liste gereicht werden.

Auf was aber stoßen wir, wenn wir auf Spotify gezielt nach Easy Listening suchen – einem Begriff, der nach wie vor eher abschätzig verwendet und selten zur Charakterisierung der eigenen Hörgewohnheiten bemüht wird? Die mit Abstand erfolgreichste Easy-Listening-Liste eines privaten Nutzers versammelt John Lennon und Jack Johnson, Phil Collins und Ed Sheeran, Bob Marley und Robbie Williams, Bon Jovi, Santana, Aerosmith und Bryan Adams, kurzum: alle Reiznamen des ›schlechten Geschmacks‹. Das Wohlgefühl, das sich beim Hören der Liste einstellen soll, speist sich aus dem vertrauten Klang dieser Radiohits, aber auch aus den gemütlich-akustischen Gitarrenklängen und dem eher langsamen Schunkelrhythmus vieler Stücke. Dieser Sound des Einverstandenseins ist das ultimative Schreckbild vieler Popkritiker:innen. Aber die 24.000 Abonnent:innen der Liste scheren sich nicht um Prinzipien der Popdistinktion; die meisten von ihnen kämen vermutlich nicht einmal darauf, diese Hörpraxis mit dem Etikett ›guilty pleasure‹ zu belegen. Ach, und einer darf natürlich auf der Liste nicht fehlen: Moby.

 

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