Martialisches Übergangsgenre und popkulturelle Reinszenierung totalitär konnotierter Körperästhetiken
Das Genre Electronic Body Music (EBM) entstand im Laufe der 1980er Jahre im nicht nur musikalisch weit gefassten Kontext des Postpunk (vgl. Reynolds [2005)] 2007). Heutzutage ist EBM in der höchst heterogenen und vielfach ausdifferenzierten Schwarzen Szene anzusiedeln (Matzke/Seeliger 2001).
Im Rahmen einer kulturwissenschaftlichen Analyse mit popmusikgeschichtlichem Schwerpunkt soll in den folgenden Kapiteln zuerst zentralen visueller Elemente der EBM, d.h. ihrer Ikonographie,[1] nachgegangen werden. Sie stehen in enger Verbindung zu hypermaskulinen und totalitär konnotierten Körperästhetiken und Inszenierungen.[2] Mit beidem geht eine popkulturelle ,Germanness‘ (respektive ,Whiteness‘) einher, wobei der Typus des ,deutschen Arbeiters‘ als ,Kämpfer‘ zur emblematischen Figur des Genres avancierte. Dieser Stilistik haftet zumindest äußerlich durchaus ein „Odium des Faschistoiden“ (Kaul 2017b: 103) an. Im Anschluss an die Analyse der entsprechenden Prozesse vor dem Hintergrund zeitgeschichtlicher Kontexte erfolgt eine kritische Erörterung der Ästhetik und sozialen Praxen der Electronic Body Music.[3]
1. Martialisches Übergangsgenre EBM / EBM als popkulturelle Dystopie
Die Electronic Body Music zeichnet sich vor allem durch die musikalisch nahezu konstitutiv anmutende und klanglich oft sehr dominante Verwendung von Bass-Sequenzern aus sowie durch zumeist ebenfalls maschinell erzeugte Beats um die 120 bpm. Diese jackboot beats tragen ebenso zum martialischen und tendenziell düsteren Charakter der EBM bei wie der vorherrschende tiefe männliche Gesang, der oft durch geshoutete Passagen ergänzt wird. Hinzu kommt eine signifikante Präferenz für Moll-Tonarten sowie die häufige Verwendung von Geräuschen und anderen Samples.
Letztere Elemente sind teilweise dem Kontext von Krieg und Propaganda entnommen und stehen zumeist im Zusammenhang mit einer stets auch an die NS-Vergangenheit gekoppelten popkulturellen Inszenierungen von ,Germanness‘ (Kaul 2017b: 102 f.). Entsprechend den verschiedenen Bedeutungsebenen des Zeichensystems Pop (Petras 2011) korrelieren Sounds, Thematiken der Texte, Artworks von Cover und Plakaten sowie Performances des Genres miteinander, wodurch sich sein dystopischer Grundcharakter ergibt (vgl. Monroe 1999).
1.2 Übergangsgenre EBM und Gender
Das Genre EBM stellt gleich in mehrfacher Hinsicht ein Übergangsgenre dar (Kaul 2017a). Musikgeschichtlich betrachtet bildet es eine Brücke zwischen dem Industrial und europäischen Varianten des Techno.[4] Die damit einhergehende Verwendung von ,Musikmaschinen‘ impliziert zugleich eine veränderte Sichtweise der musikalischen Akteur*innen. Während gerade im Bereich des Rock die handwerklich möglichst souveräne Beherrschung eines Instruments durch (überwiegend männliche) Musiker weitgehend als Leitbild fungiert, trug EBM, gemeinsam mit dem oft genannten Vorbild der Band Kraftwerk, dazu bei, letztendlich den (ebenfalls überwiegend männlichen) Produzenten auch als popmusikalischen Künstler zu etablieren. Dieser gebietet seitdem über elektronisches Equipment, oft in der Verschmelzung von DJ und Producer.
In diesem Zusammenhang ist auch in der EBM ein technizistischer Diskurs hinsichtlich des jeweils verwendeten Instrumentariums festzustellen (Preve [1989] 2011, 77 ff.). Äußerst interessant ist, wie sich hierbei der neue Musikertypus und dessen Verwendung elektronischer Instrumente mit Konstrukten und Inszenierungen ,harter‘ Männlichkeit überschneidet bzw. durch diese Legitimierung erfährt. So heißt es etwa bei Patrick Codenys von der Band Front 242, die EBM sei „a reaction to the fact that people say electronic music is just for faggots behind keyboards […] EBM takes exactly the opposite angle and says, Listen, this can be as fast and physical as you guitar guys“ (zitiert nach Reed 2013: 155). Damit wird offensichtlich eine neue ,Verortung‘ von Synthesizern in Sachen Gender reklamiert, die nun mittels der hypermaskulinen und körperbetonten Performance der Musiker des EBM ebenso ,männlich‘ konnotiert erscheinen wie die gerade im Rock der 1970er Jahre gerne phallozentristisch präsentierte E-Gitarre und damit einhergehendes oder gar entsprechend gestisch umgesetztes Virtuosentum.[5]
Trotz ihrer hier nur kurz skizzierten Brückenfunktionen auf verschiedenen Ebenen beharrte die EBM mikrosoziologisch doch auf dem Konzept der Band – wohlgemerkt, auch diesbezüglich in lange Zeit ungefragt dominierenden Mustern verharrend, auf einer rein männlich besetzten Band.[6] Dies ist, zumindest zunächst, um so erstaunlicher, als in Punk und Postpunk erstmals Frauen in größerer Zahl als Instrumentalistinnen oder Bandleaderinnen agierten und auch das unmittelbar verwandte Genre Industrial durchaus prominente weibliche Protagonistinnen aufzuweisen hatte.
2. Der popkulturelle Rekurs auf totalitär konnotierte Ikonographien
2.1 Die ‚Signifying Practice‘ des Punk
Die subkulturelle Bricolage des Genres Punk stellt einen bedeutsamen popmusikalischen Kristallationspunkt der expliziten und demonstrativen Adaption totalitär konnotierter Symbole in provokativer Absicht dar.[7] Die radikale Abgrenzung der damaligen Protagonist*innen war eine doppelte: Sie richtete sich zum einen gegen bürgerliche Gesellschaft und kapitalistisches System, aber auch gegen die ,Hippies‘ und andere 68er und ihre, in den Augen der Punks, gescheiterte Revolte (Büsser 2005: 21). Vor diesem Hintergrund erscheint die Ikonographie des popmusikalischen Genres Punk gerade nicht hinsichtlich der einzelnen Symbole (bis hin zum Hakenkreuz) bedeutsam, sondern vor allem als Artikulation einer „signifying practice“ (Hebdige 1979: 120). Diese reklamierte schrill eine Sprecherposition um ihrer selbst willen und verweigerte sich dabei bewusst der Sinnstiftung (ebd.: 130 f.).
Angesichts dessen ist es nicht verwunderlich, dass gerade der frühe Punk in seiner Radikalität gelegentlich politisch ambivalent erscheint. Dies lässt sich in der rheinischen Szene beispielsweise an Bands wie Cotzbrocken (Köln) und Oberste Heeres Leitung (OHL, Leverkusen) festmachen (Büsser 2005: 27 ff.), oder eben auch an der Deutsch Amerikanischen Freundschaft aus Düsseldorf – bei deren Bandnamenkürzel DAF war so manchem zeitgenössischen Beobachtern durchaus bewusst, dass dieses auch als Kürzel der NS-Organisation Deutsche Arbeitsfront verstanden werden konnte (Hartwig 1984: 65). Aus heutiger Sicht sind die beiden DAF-Veröffentlichungen „Alles ist gut“ und „Gold und Liebe“ aus dem Jahre 1981 durch die intensive Verwendung des Moog-Sequenzers, aber auch die Thematik der Texte und körperlichen Inszenierungen der Cover (und der Auftritte) als Proto-EBM zu bezeichnen.[8] Mit den Krupps und Liasons Dangereuses waren darüber hinaus zwei andere in Düsseldorf agierende Bands für die Entwicklung der Electronic Body Music relevant (Kaul 2017b: 102).[9]
Im Genre Industrial war ab Beginn der 1980er Jahre ebenfalls ein Rekurs auf NS-Symboliken zu verzeichnen, zunächst insbesondere bei der britischen Band Throbbing Gristle.[10] Von besonderer Bedeutung für die Ikonographie der entstehenden EBM scheint dann allerdings die slowenische Gruppe Laibach geworden zu sein.
2.2 EBM und ,Germanness‘
Die Geschichte popkultureller ,Germanness‘ begann zunächst mit Zuschreibungen aus der Außenperspektive bezüglich des Phänomens Krautrock, die vor dem Hintergrund von Stereotypen über Deutschland und die Deutschen erfolgten. Angesichts des „Fortschritt[s] durch Technik“, zumal vor dem Hintergrund der NS-Vergangenheit und zweier Weltkriege, changierten diese zwischen Bewunderung und Furcht (Witts 2011). Die Band Kraftwerk wusste entsprechende anglo-amerikanische Vorstellungen für sich zu nutzen, indem sie auf der Bühne und darüber hinaus ,Germanness‘ inszenierte (Kaul 2016a: 214 f.).
Allerdings trafen die kühlen Mensch-Maschinen-Inszenierungen der Kraftwerker, ihre Texte und ihr Habitus bei anderen Szene-Protagonisten, wie etwa Gabi Delgado von der Deutsch-Amerikanischen-Freundschaft, auf wenig Begeisterung (Esch 2014: 222; 286). Die Live-Auftritte von DAF zeichneten sich dementsprechend auch durch betonte Körperlichkeit und Vitalität aus, wobei der Disco-Hit „I Feel Love“ (Donna Summer/Giorgio Moroder 1977) und die dortige Mischung aus „Sex und Elektronik“ als wichtige künstlerische Referenz von Delgado genannt wurde (a.a.O.: 189). Darüber hinaus spielte das Duo in seinen Texten, Outfits und Auftritten immer wieder dezidiert auf die NS-Zeit an. Dies wurde zu einer der Inspirationsquellen der in der entstehenden EBM zur Schau getragenen popkulturellen ,Germanness‘. Darüber hinaus wären diesbezüglich wohl vor allem die britische Band Joy Division und die bereits erwähnte Gruppe Laibach aus Ljubljana zu nennen.
Die ,Germanness‘ der Electronic Body Music mit ihren oft eindeutigen NS-Bezügen knüpfte unmittelbar an die genannten Vorbilder an. Sie äußert sich zunächst darin, dass die Verwendung deutscher Bandnamen, Titel oder Textpassagen und Samples auch in nichtdeutschsprachigen Ländern keineswegs ungewöhnlich ist. Des weiteren ist die ,Germanness‘ an den martialischen Grundcharakter des Genres gekoppelt: die Verwendung von Uniformen oder uniformähnlicher Kleidung, die Kurzhaarschnitte, das befehlsartige Shouten der Sänger und auch der ikonographische Typus des ,deutschen Arbeiters‘ als ,Kämpfer‘.
2.3 Der Typus des ,Arbeiters‘ in der Propaganda
Der Typus des ,Arbeiters’ erschien im Laufe des 19.Jahrhunderts zunächst in der sozialistischen Ikonographie.[11] Dort wird er beispielweise als in Ketten darniederliegender menschliches Wesen dargestellt, das durch den als Trompetenengel personifizierten Sozialismus geweckt werden muss, um weiterer Ausbeutung des als blutsaugenden Vampir dämonisierten Kapitalismus zu entgehen.[12] In der frühen sowjetischen Propaganda findet sich der ,Arbeiter’ als nunmehr befreites und selbstbewusst agierendes Subjekt der Geschichte, gemeinsam mit der gleichberechtigten Frau das ,Vaterland des Sozialismus‘ und dessen Industrie aufbauend.[13]
Die NS-Propaganda knüpfte ikonographisch zunächst durchaus an diese „Ästhetik der Befreiung“ (Schirmbeck 1984: 35) und klassenkämpferische Agenda an, wenn auch mit antisemitischer Wendung. Nach der Machtübertragung des Jahres 1933 beschworen Plakate der neu gegründeten NS-Einheitsgewerkschaft Deutsche Arbeitsfront dann jedoch die auf der vorgeblichen ,Frontgemeinschaft‘ des Ersten Weltkrieges beruhende Verbundenheit von Arbeitern und restlicher ,Volksgemeinschaft‘ oder feierten das (bekanntlich durch den NS-Terror gegen die linke Opposition erzwungene) Ende klassenkämpferisch motivierter Auseinandersetzungen als Erfolg.[14] Der eingeführte Reichsarbeitsdienst trug, neben der erwünschten Senkung der Arbeitslosenzahlen und dem Ausbau kriegsrelevanter Infrastruktur, zur Militarisierung der Gesellschaft bei. In der Propaganda kam es dementsprechend zu einer Überschneidung des dort uniformierten ,Arbeiters‘ mit dem Typus des ,Soldaten‘ (vgl. u.a. Schirmbeck 1984: 173 ff..),[15] aber auch dem des ,Sportlers‘.[16]
Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges sind weitere Verschiebungen der körperbezogenen NS-Ikonographie festzustellen. Zum einen bündelten sich die genannten Typen im ,SS-Mann‘. Dieser Aspekt gewann durch die Waffen-SS und die Kollaboration in besetzten Ländern eine europäische Dimension, sodass sich ikonographische Beispiele dieser Art etwa auch in Belgien finden lassen. Diese zunehmende Koinzidenz verschiedener heroischer Männertypen war bereits zuvor im NS-Kunstdiskurs formuliert worden (vgl. Schirmbeck 1984: 173 ff.). So äußerte beispielsweise Kurt Lothar Tank angesichts der übergroßen Skulpturen des Bildhauers Josef Thorak, hier sei „der neue deutsche Mensch, der Kämpfer“ (zit. in Mühler-Mehlies 1976: 101) dargestellt. Dieser ,Kämpfer‘ manifestierte sich in der NS-Ikonographie allerdings nicht nur im ,Soldaten‘, bzw. ,SS-Mann‘, sondern eben auch im ,Sportler‘ und ,Arbeiter‘.[17]
Gerne wurde der ,Kämpfer’ überdies auch romantisierend als archaischer Typus dargestellt, wobei er als ,Arbeiter‘ dann angeblich gar ohne die Kraft der Maschinen auszukommen vermochte (Mehlies 1976: 102). Entgegen propagandistischen Behauptungen und eigenen ideologischen Vorgaben war die NS-Führung im Verlauf des Krieges jedoch verstärkt auf den Einsatz von Frauen im industriellen und militärischen Bereich angewiesen. Dies spiegelte sich auch in Propaganda-Plakaten wider, auf denen Frauen dann auch in bis dato Männern vorbehaltenen Rollen auftauchten.[18]
2.4 Der ,Arbeiter‘ als popkulturell adaptierter Typus
Im popmusikalischen Kontext erschien der Propaganda-Typus ,Arbeiter‘ im Jahre 1980 wohl erstmals auf dem Plakat „Metalec“ (Der Werfer) der slowenischen Industrial-Band Laibach als schemenhafte Figur, die mit der rechten Hand einen Hammer erhebt. Während ein Zahnrad dort lediglich, in der linken Hand getragen, angedeutet ist, prangt es auf einem Laibach-Plakat anlässlich der 40-jährigen Befreiung Jugoslawiens von der Nazi-Okkupation im Jahr 1984 als Symbol mit mittigen Balkenkreuz, hinter einer übergroßen erhobenen Faust mit Hammer und mit einer Figur im Vordergrund, die ,Arbeiter‘ oder auch ,Kämpfer‘ sein könnte.[19] In diesem Plakat überschneiden sich somit faschistisch und kommunistisch konnotierte Elemente und Inhalte, wobei die Figur diesbezüglich indifferent bleibt. Den historischen Hintergrund dieser ideologiekritischen De- und Rekontextualisierungen der Propaganda-Figur des ,Arbeiters‘ bildet die seinerzeit noch bestehende kommunistische Diktatur in Ex-Jugoslawien und die historisch-politische Relevanz, welche der Arbeiterklasse durch den Marxismus beigemessen wird.
Die deutsche Gruppe Die Krupps entstammt der Szene rund um das Lokal Ratinger Hof in Düsseldorf. Bereits der Bandname nimmt ironisierend Bezug auf das Thema Industrie, dem sich die Gruppe auch musikalisch näherte. Auf ikonographischer Ebene schlug sich dies allerdings nur gelegentlich nieder, so etwa beim Logo der ersten Single der Band „Wahre Arbeit- Wahrer Lohn“ von 1981, das von zwei gekreuzten Hämmern geziert wird.[20] Ein Tourplakat aus demselben Jahr nahm dieses Motiv auf, was zusätzlich auch als Hinweis auf die Bergbauregion Rhein-Ruhr gelesen werden kann, in der die Auftritte stattfanden. Der Typus des ,Arbeiters‘ erscheint dann auf dem gemalten Cover der Veröffentlichung „Entering the Area“ aus dem Jahre 1985 gleich als Gruppe, wobei diese scheinbar eine ebenfalls abgebildete Fabrik stürmen will.[21]
Wesentlich deutlicher wurde die hier besprochene Ikonographie von der britischen Industrial-Band Test Department adaptiert und fortgeführt, wenn sie auch wiederum lediglich einen Teil von deren Bilderkosmos ausmachte. Bereits auf einer zweiten Auflage ihrer auf Kassette erfolgten Erstveröffentlichung „Strenght to Metal in Motion“ aus dem Jahre 1983 ist ein Vorschlaghammer schwingender ,Arbeiter‘ abgebildet. Auf einer weiteren Kassette, „European Network“ aus dem Jahre 1986, erscheint dann im Booklet der Hammer, hier neben einem Zahnrad, einer Kette und einem Blitz auf, wobei letzterer die Kette sprengt. Dass dies offensichtlich im politisch linken Sinne gemeint war, ergibt sich anhand von zwei dazwischen liegenden Veröffentlichungen von Test Dept. Bereits im Beiheft der Kassette „Ecstasy under Duress“ (Test Department 1984) hatte sich ein Foto finden lassen, auf dem die Bandmitglieder mit entblößtem Oberkörper vor der Diaprojektion des sowjetischen Denkmals „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ zu sehen sind, welches von Werena Mucina anlässlich der Weltausstellung des Jahres 1937 geschaffen worden war.[22] Die Hämmer der Bandmitglieder von Test Department sind ebenso erhoben wie der des monumentalen Proletariers in Stein auf der Projektion, vor der sie posieren. Mit dem Album „Shoulder to Shoulder“ (South Wales Strikers Mining Choir/Test Department 1985) vollzog die Gruppe dann in der Ära Thatcher im Kontext der seinerzeitigen Streiks der Bergleute den Schritt von der symbolischen Identifikation mit dem ,Proletarier‘ zum konkreten politischen Engagement, da auf dieser Veröffentlichung aus dem Jahre 1985 der South Wales Striking Miners Choir musikalisch beteiligt war. Auf Cover und Label der Platte waren wiederum Hämmer Teil einer konstruktivistisch inspirierten Ikonographie.[23]
In bewusst ästhetisierender Weise hatte ein ,Arbeiter‘ mit Vorschlaghammer und nacktem Oberkörper vor schneebedeckten Hochgebirgsgipfeln bereits 1983 auch schon auf dem Cover des Albums „Construction Time Again“ der Synth-Pop-Band Depeche Mode geprangt. Diese Platte war bei dem Label Mute Records erschienen; dessen damaliger Besitzer, Dominic Miller, stand als eine Schlüsselfigur des elektronisch ausgerichteten Postpunk in enger Verbindung mit der Düsseldorfer Szene (Esch 2014: 79). Ab Mitte der 1980er Jahre bündelten sich die an verschiedenen Orten wohl zunächst noch relativ unabhängig voneinander und vor allem im Kontext des Genres Industrial entstandenen Bestandteile der Ikonographie des ,Arbeiters‘ dann bei der britischen EBM-Band Nitzer Ebb und eben bei der Plattenfirma Mute Records.[24] Zunächst erfolgte dies auf dem Cover der von Nitzer Ebb noch im Eigenvertrieb veröffentlichten Maxi-Single „Let Your Body Learn“ (1986), anschließend auf dem des Albums „That Total Age“, welches ein Jahr später von Mute Records herausgebracht wurde. In beiden Fällen waren lediglich die Symbole Hammer, Zahnrad und ein fünfzackiger Stern zu sehen. Dass bei dem Album diese Zeichen rot eingefärbt waren, lässt sich, zumal angesichts von dessen Titel, als Hinweis auf jene Parallelen zwischen rotem und braunem Proletkult (Stern neben Zahnrad) lesen, auf die schon Laibach angespielt hatte. Zugleich bestätigt sich die bereits bei Test Dept. festzustellende Tendenz zum abstrahierenden Minimalismus, wenn auch in weniger retro-futuristischer Variante.
Eine weitere Wendung nahm diese reduzierte Ikonographie von Nitzer Ebb bei ihrer musikalischen Kollaboration mit der Düsseldorfer Band Die Krupps, dem Titel „The Machineries Of Joy“ aus dem Jahre 1989 (Die Krupps/Nitzer Ebb 1989). Dabei war der rote Stern auf dem Cover durch einen Mercedesstern ausgetauscht worden, der sich auch auf der Rückseite innerhalb des Zahnrads befand, also an Stelle von Hakenkreuz (Deutsche Arbeitsfront) bzw. Balkenkreuz (Laibach). Neben dem offensichtlich gegebenen Aspekt der Kapitalismuskritik kann man diesen Austausch der Sterne durchaus auch als Hinweise auf das sich nahende Ende des realsozialistischen Ostblocks sehen. Der Text des Songs bestätigt eine gegebene gesellschaftskritische Intention durch die Forderung nach angemessener Entlohnung.
Die Ikonographie der Electronic Body Music hatte sich, wie dargelegt, im Laufe der 1980er Jahre aus der des Genres Industrial heraus entwickelt. Dabei etablierte sich mit ,Arbeiter‘, dessen Hammer und dem Zahnrad ein Kanon von Symbolen, die bereits in der sowjetischen Propaganda der frühen 1920er Jahre zu finden gewesen waren und dann von der NS-Propaganda übernommen wurden. Während die EBM-Ikonographie in den 1980er Jahren durchaus noch variiert worden ist, zumeist mit ideologiekritischer Absicht, ist dies im heutigen Old-School-EBM nicht mehr in diesem Maße und mit der einst gegebenen Ambivalenz des Bezuges auf sozialistische und faschistische Vorbilder erkennbar. Zum zentralen Symbol des Genres avanciert das Zahnrad, das einst auch Emblem der NS-Einheitsgewerkschaft Deutsche Arbeitsfront gewesen war. Auch durch andere graphische Elemente, wie etwa die gelegentlich verwendete altdeutsche Schrift, wird deutlich, dass die heutige EBM in ihrer klischeehaft gewordenen Ikonographie vor allem an die der NS-Propaganda anknüpft. Insofern ist es auch der Typus des ,deutschen Arbeiters‘ als ,Kämpfer‘, welcher als Bestandteil popkultureller ,Germanness‘ adaptiert wird. Dies korrespondiert mit den Körperdiskursen des Genres.
3. Die Körperdiskurse der EBM
3.1 Popkulturelle Adaption totalitär konnotierter Körperästhetiken
Schon die im Rahmen eines rund zehnjährigen Diskurses entstandene Genrebezeichnung ‚Electronic Body Music‘ verdeutlicht den zentralen Bezug des Genres auf den Körper, wodurch zugleich eine stets gegebene Dimension populärer Musik explizit zum Ausdruck gebracht wird.[25] Hinsichtlich der damit verbundenen Inszenierungen von Körperlichkeit ist wiederum die Band Deutsch Amerikanische Freundschaft von Bedeutung. Auf dem Cover ihres Albums „Alles ist gut“ (DAF 1981) präsentieren sich Gabi Delgado und Robert Görl mit nackten Oberkörpern und Kurzhaarfrisuren. Der dabei deutlich sichtbare „Schweiß ist der Diskurs“ (Kleiner zit. nach Kaul 2016), d.h. die Schweißperlen werden zum semiotisch decodierbaren Diskursbeitrag. Auf dem Cover der noch im selben Jahr nachfolgenden Platte „Gold und Liebe“ (DAF 1981) sind die beiden Bandmitglieder in schwarzen, kurzärmeligen Lederoutfits zu sehen, die uniformähnlichen Charakter haben. Die Homosexualität beider Protagonisten dürfte einen wichtigen Hintergrund dieser modischen Inszenierung sowie diverser Thematisierungen und Theatralisierungen des Faschismus darstellen. Denn innerhalb der schwulen Subkultur waren schon länger Präferenzen für faschistische Ästhetiken in unterschiedlichen Varianten virulent, etwa der Begeisterung für die Werke Leni Riefenstahls, einer Fetischisierung von SS-Uniformen oder der Einbeziehung dieser und entsprechender Accessoires in S/M Praktiken (vgl. Sontag [1974] 1981). Die Band DAF griff das bereits erwähnte provokante Signifying des Punk auf, brachte dabei aber eigentlich nur einiges von dem auf die popkulturelle Bühne, was schon lange Teil subkultureller Praxen gewesen war.
Das 1982 gegründete britische Trio Nitzer Ebb knüpfte erkennbar an diese Inszenierungen an. Bei Fotos der Bandmitglieder ergibt sich auch hier eine unmittelbare Präsenz des fetischisierten jungen männlichen Körpers, wie etwa auf dem Cover der Veröffentlichung „Murderous“ aus dem Jahre 1986. Auffällig ist, dass die Bandmitglieder sich durch die Verwendung ärmelloser Unterhemden und Uniform ähnlicher Kleidungsstücke an den Typus des ,Kämpfers‘ und dessen Variante, dem ‚Sportler‘, anlehnen.[26] Darüber hinaus entsteht gerade bei den Gruppenbildern der Eindruck jener Grauzone zwischen Homosozietät und Homosexualität, die für Männerbünde typisch sind (vgl. Brunotte 2004).
In den popkulturellen Adaptionen der Figur des ,Kämpfers‘ in seinen verschiedenen Varianten sind die Körper der männlichen Akteure im semiotischen Sinne indexikalische Zeichen, sie erscheinen als objektiv gegeben und lediglich medialisierte Wirklichkeit. Doch ebendieser vermeintlich rein abbildende Charakter der Fotografien ist entscheidender Teil ihrer Rhetorik. Die eigentliche Bedeutung der ,unschuldig‘ wirkenden Signifikanten, der makellosen, muskulösen und jungen männlichen Körper, ihrer weißen Haut, der Kurzhaarschnitte und sportlichen oder militärischen Kleidungstücke, zumal in ihrer Kombination, lautet: ,Faschismus‘ und darin implizierte ,Germanness‘ (vgl. Barthes 1977).[27] Der einst künstlerisch und propagandistisch etablierte Mythos des ,NS-Körpers‘ (vgl. Barthes [1957] 1964: 85 ff.) wurde somit popkulturell adaptiert und künstlerisch re-inszeniert.
3.1.1 „The Machineries Of Joy“: Von Körpern, ,Arbeitern’ und Maschinen
Im Jahre 1989 kam es zu einer Kooperation von Nitzer Ebb mit der deutschen Band Die Krupps. Mit „Machineries Of Joy“ wurde der Song „Wahre Arbeit – Wahrer Lohn“ (Die Krupps 1981) neu aufgenommen, nunmehr zweisprachig und umarrangiert. Auf das Cover dieser Veröffentlichung ist bereits eingegangen worden; im dazugehörigen Video korreliert diese graphische Ebene unter anderem mit den dargelegten Körperästhetiken. Es stellt Höhepunkt und Schnittstelle der hier in den Blick genommenen Entwicklungen dar. Der Clip hat eine Länge von 4:02 und ist komplett in schwarz-weiß gehalten, wobei umfassender Gebrauch von Schatten gemacht wird, teilweise auch von erkennbaren Spotlights und Gegenlicht. Schon diese cineastischen Mittel erinnern an die Werke der Regisseurin Leni Riefenstahl. Der Bezug zu ihren beiden Filmen von der Olympiade 1936[28] wird durch die Verwendung zweier Rhön-Räder verstärkt,[29] aber auch durch die Kleidung der beiden Hauptprotagonisten. Krupps-Sänger Jürgen Engler trägt ein weißes ärmellose Hemd mit Zahnradlogo und verkörpert so den Typus des ,KdF-Sportlers‘, während der Frontmann von Nitzer Ebb, Douglas Mc Carthy, einen leichten weißen Pullover trägt, der auch Freizeitdress eines Athleten sein könnte. Die übrigen Musiker sind schwarz gekleidet und agieren bis auf den Schlagzeuger zumeist unbeweglich im Hintergrund. Der Keyboarder trägt eine Schweißermaske, sodass der ,Arbeiter‘ in leicht variierter Form repräsentiert wird. Als weiteres, diesbezügliches Requisit dient eine große Sauerstoffflasche, welche auch gelegentlich, in Ermangelung eines Schlagzeugs, mit den Drumsticks bearbeitet wird. Die zwei Rhönräder sind mit einer Turnerin und einem Turner besetzt, die diverse Übungen mit und an diesem Turngerät absolvieren. Durch den immer wieder hoch flatternden kurzen Rock der weiblichen Akteurin enthält das Video ein erotisches Klischee. Eine weitere, ambivalentere sexuelle Dimension ist hinsichtlich der ,maskulinen‘ Inszenierungen von Peter Engler gegeben, die sehr expressive, hingebungsvolle Posen implizieren. Die Performance von Douglas McCarthy lassen dies auch erkennen, allerdings kommen bei ihm, deutlicher als bei Engler, Andeutungen potentiell autodestruktiven Verhaltens hinzu. Sowohl das Agieren der beiden Sänger als auch das von Turnerin und Turner erfolgen synchron zum Rhythmus des Songs, der ein Tempo von 126 bpm hat.
Das Video erweckt insgesamt den Eindruck eines höchst dynamischen Geschehens, was aus der Performance der Sänger und den zumeist schnellen Schnitten des Filmmaterials resultiert. Durch die gewählten Stilmittel soll offensichtlich primär die Synchronizität von Maschinen und Körpern dargestellt werden. Auch folgende Textstelle weist darauf hin: „Meine Muskeln sind Maschinen, Sehnen stählern, Schweiß wie Öl.“ Der ,Arbeiter‘ erscheint somit als Teil der Maschine. Diese Aussage wird durch den englischen Text variiert, wo es heißt: „Join the rhythm of machines, feel the power while you learn.“ Dabei ist nicht eindeutig, ob mit „power“ die Kraft der Maschinen oder die des lernenden ,Arbeiters‘ gemeint ist. Einig sind sich beide Texte in der Aussage, dass es sich um „wahre Arbeit“ handelt, die auch mit Schmerz verbunden ist, der allerdings auch als „sweet pain“ bezeichnet wird. Letzteres korrespondiert mit den autoaggressiven Komponenten der Performance. Der Songtext endet mit der mehrfachen Wiederholung der Wörter „Lohn!“ und „Arbeit“, was man ohne die Textvorlage, rein auditiv aber auch als „Lohnarbeit“ identifizieren könnte. Insofern ist auch eine potentiell sozialpolitische Dimension gegeben, die Forderung nach gerechter Entlohnung „wahrer Arbeit“, die hier eindeutig als körperliche und schweißtreibende verstanden wird. Allerdings erscheint die Lohnarbeit durch die im Video erfolgte Ästhetisierung nicht als im marxistischen Sinne entfremdete Tätigkeit, sondern vielmehr als Erfüllung durch das Aufgehen in der Maschine. Im Kontext des Videos gewinnen so gerade die Rhön-Räder über die historische Assoziation hinaus noch weitere symbolische Bedeutungen. Denn sie können als ,Maschinen‘ interpretiert werden, wobei die Sportler ebenso ein Teil von ihnen werden, wie es der Text hinsichtlich der Arbeiter nahelegt. Darüber hinaus weisen die Räder auf das Zahnrad hin, das sich sowohl auf dem Cover der Maxisingle des Songs als auch auf dem von dem Hemd von Jürgen Engler wiederfinden lässt.[30]
All die genannten visuellen Stilmittel scheinen, in Korrelation zur Musik, eindeutige Bezüge zur NS-Ästhetik herzustellen, doch wird dies auch unterlaufen. Auf der filmischen Ebene schon ansatzweise durch die schnellen Schnitte und flackernden Lichter, vor allem aber auch durch kurz erscheinende und irritierende Negativbilder. Trotz der offensichtlichen Anleihen an der Ästhetik von Riefenstahl ergibt sich damit letztendlich ein anderer Charakter des Videos, eine bewusste Verfremdung.[31] Darüber hinaus sind die autoaggressiven Momente zu nennen, die eben nicht als Ausdruck einer visuellen Umsetzung der NS-Körperästhetiken und ihrer ideologischen Implikationen geltend gemacht werden können. Noch deutlicher wird dieser Aspekt in den alternativen Körperdiskursen der EBM, welche neben und in Opposition zu den aufgeführten Adaptionen totalitär konnotierter Körperinszenierungen stehen.
3.2 Die alternativen Körperdiskurse der EBM
Im Genre EBM stehen totalitär konnotierte Körperdiskurse neben alternativen, wobei es häufig zu Überschneidungen kommt. Alternative Körperdiskurse erfolgen vor allem als Inszenierungen sexueller Devianz in Form von Fetischobsession und S/M-Praktiken, etwa bei den Bands Borghesia und à;GRUMH. Hierbei ist erneut jene subkulturelle Verortung zu konstatieren, auf die schon hinsichtlich der Gruppe DAF hingewiesen wurde. In den entsprechenden sozialen Praxen werden zwar NS-Insignien adaptiert und ästhetisiert, vor allem aber vielfach im Kontext homosexueller Praktiken auch funktionalisiert. Gerade durch letztgenannten Aspekt ist dies jedoch inhaltlich inkompatibel zur NS-Ideologie.[32]
Die Verfolgung Homosexueller im NS-Staat stand ebenso im Kontext „rassehygienischer Konzepte“ (Grau 1993: 32) wie die Vernichtung vorgeblich ,lebensunwerten Lebens‘ im Rahmen der NS-Euthanasie (vgl. Klee 1983). Auch wenn deren Mordaktionen der Geheimhaltung unterlagen, erfolgte eine umfassende Propaganda, welche die potentiellen Opfer als ,minderwertig‘ darstellte und das Ideal des ,Gesunden‘ und angeblich ,Höherwertigen‘ etablieren sollte. Eines dieser Plakate wurde von der Gruppe Laibach verwendet, bezeichnenderweise für ihr Album „Sympathy For The Devil“ (Laibach 1988).[33] Vor dem gegebenen Hintergrund ist dies zum einen als geschichtlicher Kommentar auf die rassistisch motivierte ,Auslese‘ und ,Züchtungen‘ der NS-Zeit zu sehen, durchaus aber auch als Kritik an aktuelleren Versuchen der Perfektion des menschlichen Erbmaterials und Körpers.
Die belgische EBM-Band à;GRUMH hatte sich bereits zuvor ebenfalls künstlerisch auf dieses Themenfeld bezogen, wenn auch ambivalenter und teilweise kontroverser. So bilden auf dem Cover ihres Album „Mix Yourself“ (1987) etwa die nackten Körper der damaligen Bandmitglieder ein Dreieck, das wiederum in das Bandlogo, ein Dreieck mit innenliegendem Kreis integriert ist. Auf der Rückseite sind sechs jeweils in der Hälfte geteilte Portraits der drei zu finden. Dies ließe sich als Hinweis auf Zusammenhänge von Identität, Aussehen und Körperlichkeit lesen, die damit zugleich auch als jeweils veränderbare Konstrukte erscheinen. Für die EP „Underground“ (à;GRUMH 1986) waren bereits zuvor medizinische Bilder von siamesischen Zwillingen und anderen Anomalien verwendet worden, was an entsprechende Praxen im Genre Industrial anknüpfte. Wohl bewusst dem gegenübergestellt, wurden bei einer weiteren Veröffentlichung des Jahres 1987 Bilder ,gesunder‘ Babys verwendet. Diese sind jedoch durch den sexuell expliziten Titel „Too Many Cocks Spoil The Breath“ (à;GRUMH 1987 b) provokativ kontrastiert. Vor dem Hintergrund der Popularität der Gruppe in der Lederschwulenszene (vgl. Reed 2013: 166) erscheint der EP-Titel, zumindest für sich genommen, trotz seiner Derbheit allerdings eher ironisch.
4. Kritische Affirmation totalitär konnotierter Ästhetiken
4.1 Politische Dimensionen der Affirmation des Totalitären
Das popmusikalische Genre Electronic Body Music entstand in den 1980er Jahren, einer Dekade, welche durch die Kontinuität des Kalten Krieges und die massive Präsenz US-amerikanischer und sowjetischer Truppen in Mitteleuropa gekennzeichnet gewesen ist. Das damit einhergehende atomare Wettrüsten ließ Szenarien einer Apokalypse keineswegs als unbegründet erscheinen. Ebenso real erschien die Gefahr eines Überwachungsstaates, für den „1984“ (George Orwell) als Chiffre stand. In den subkulturellen Kontexten des Post-Punk sah man diesen Zustand in der ersten Hälfte der Dekade vielfach schon als gegeben an – und zwar auf beiden Seiten des ,Eisernen Vorhangs’ (vgl. Pehlemann/Papenfuß/Mießner 2015). Auch im Zusammenhang mit dem drohenden Überwachungsstaat war die verdrängte NS-Zeit gerade in der BRD von besonderer Bedeutung. Angesichts der Kollaboration während des Zweiten Weltkrieges, vor allem aber auch aufgrund der gegebenen politischen Lage und der Allgegenwart des Militärischen gewann die gesamte NS-Vergangenheit jedoch zusätzlich eine europäische Dimension. Längst nicht nur die Band Laibach ging von einigen „last few days“ in einem erneut besetzten Europa aus, wie es das Tourplakat des Jahres 1983 zum Ausdruck brachte.
Die scheinbar affirmative Adaption totalitär konnotierter Ästhetiken, Insignien und anderer Versatzstücke im Genre EBM kann insofern als kritische Widerspiegelung der historischen Situation der 1980er Jahre verstanden werden (Kaul 2017b: 105), wobei an entsprechende Praxen im Bereich Industrial angeknüpft wurde (Monroe 2014). Das Zitieren des Totalitären in kritischer Absicht erfolgte in der EBM teilweise explizit, wie mit dem Sample einer Hitler-Rede in dem Szene-Hit „Fuck The Army“ (Spartak 1990). Vielfach blieb die Bezugnahme auf die NS-Zeit politisch jedoch weit weniger eindeutig, wie etwa im Falle der belgischen Band Signal Aout 42. Deren Bandname bezieht sich auf die französischsprachige Ausgabe der NS-Propagandazeitschrift „Signal“, die im August 1942 erschienen war. Das Foto des Typus des ,Kämpfers‘, das auf deren Titelseite zu finden ist, wurde von der Band als Poster verwendet.[34] Während gerade bei der Band Laibach und ihrem Umfeld eine umfassende theoretische Reflexion diesbezüglicher künstlerischer Praxen erfolgte (Monroe 2014 ff.), werden von Signal Aout 42-Frontmann Jacky Meurisse lediglich ein provokanter Punk-Gestus und die eigene Begeisterung für Militärgeschichte als Motivationen genannt (Gadget 2016). Dieser Aspekt ambivalent bleibender Provokation wird durch das bewusst zweideutige Bandnamenkürzel SA 42 bestätigt oder auch Titel wie etwa „Pro Patria“ (Signal Aout 42 1989). Das Bekenntnis von Meurisse ist vermutlich Indiz für eine ,männliche‘ Sozialisation, in der das Thema Krieg im Jugendalter sehr präsent ist. Vor allem ist aber auch auf eine umfassende und oftmals ebenfalls kontroverse Wendung der Thematisierung der NS-Zeit und des Zweiten Weltkrieges hinzuweisen, die in der Popkultur ab den ausgehenden 1960er Jahren erfolgte (vgl. Ravetto 2001, Stiglegger 2011). Die Adaptionen faschistischer Ästhetiken durch die EBM ist sicherlich zum einen von dieser Welle beeinflusst, zum anderen jedoch auch als subkulturell verankerte popmusikalische Variante davon zu betrachten.[35]
Angesichts der gegenwärtigen Renaissance von Nationalismus und Rassismus erscheinen die künstlerischen Inszenierungen der Electronic Body Music als unerwartet aktuell. Die Frage hierbei wäre, ob gerade mehrdeutige und kontroverse Verweise eventuell eher als explizite Distanzierungen vermögen, das verdrängte und tabuisierte faschistische Erbe anzuzeigen sowie das offensichtlich weiterhin vorhandene Potential auf kollektiver, aber durchaus auch individueller Ebene, das wichtige „ territory of ‚the enemy within‘“ (Ravetto 2001: 27, vgl. Stiglegger 2011: 81ff). Demgegenüber verwiesen Kritiker auf Koinzidenzen faschistischer Ästhetik und Ideologie und warnten deshalb vor dem in ihren Augen verführerischen Potential erstgenannter (Sontag [1974] 1981: 96 ff.) sowie dem „zeitunabhängigen Reiz“ (Büsser 2005: 23), welche die NS-Ästhetik durch eine historisch und politisch entkontextualisierende Adaption gewinnen kann. Gerade vor dem Hintergrund gegebener Zusammenhänge zwischen Ikonographie und Ideologie erscheint der oft betont unpolitische Charakter von EBM-Akteuren wie etwa dem bereits genannten Jacky Meurisse (Buljeta 2017) zumindest als fragwürdig.
Die Electronic Body Music stellt somit ein popmusikalisches Phänomen dar, welches Elemente der Ästhetisierung des Politischen durch den Faschismus (Benjamin 2010 [1936]: 73 ff.) zunächst vor einem spezifischen historischen Hintergrund bewusst aufgriff und damit die „Faszination und Gewalt des Faschismus“ (Reichel 1996) in ambivalenter und kontroverser Weise thematisierte – unter anderem wohl auch deshalb, weil diese Faszination und Gewalt gar nicht als antithetisch verstanden wurden.[36] Bereits die Düsseldorfer Band DAF machte zuvor, so der Kritiker Georg Seeßlen ablehnend, „den Faschismus tanzbar und erklärte zugleich ein wenig vom Faschismus in den Tänzen […]“ (Seeßlen 2013: 207). Darüber hinaus, und das wäre unbedingt zu ergänzen, wies die Deutsch Amerikanische Freundschaft aber auch auf das faschistoide Potential jeglicher Ideologie hin, was dann auch immer wieder in den Veröffentlichungen und Inszenierungen von EBM-Bands in ähnlicher Weise zum Thema gemacht worden ist.
Durch den prinzipiell gegebenen Modus der De- und Rekontextualisierung popkultureller Praxen der Aneignung von Bildern und Symbolen ergeben sich Verschiebungen hinsichtlich damit verbundener semantischer Botschaften. Das popkulturelle Bilder-Reservoire im Gesamten unterliegt ferner einer permanenten Akkumulation, was in Spannung zur Entstehung von Genre-Konventionen steht, die zu Klischees werden können; beides geht mit einer gewissermaßen inflationären Tendenz einher, einem Zuviel der immer gleichen Zeichen. Popkulturelle Ikonographien verwenden unter anderem zwar auch totalitär oder anderweitig ideologisch konnotierte Zeichen und Ästhetiken, entwerten diese aber zugleich aus der Perspektive der jeweiligen Weltanschauung als „reine Oberfläche und konsumierbare Formel“ (Jazo, zitiert nach Chatzoudis 2017) zugleich.[37] Während totalitäre Ideologien jedweder Art dem Individuum unter anderem auch Zugehörigkeit und Identität versprechen, lebt Popkultur gerade davon, „Identität zum Konsumgut zu machen, und dass sie das folgenlos tun kann, beschädigt das ihr zugrunde liegendes Konzept nachhaltig“ (Schneider 2015: 20). Als popkulturelle Mode oder Pose, d.h. ihrem historisch-politischen Kontext entbunden, verlieren gerade die Symbole der Ideologien neben ihren Bedeutungen auch ihre potentielle Macht hinsichtlich ihrer identitätsstiftenden Funktion im Sinne der jeweiligen Ideologie: „Stets fällt ein herrschaftsfreier Überschuss ab, wo Identität zum Überschuss wird, die die ‚Identität des Nichtidentischen‘ zum Ausdruck bringt“ (ebd.). Die Aneignung totalitär konnotierter Symbole durch popkulturelle Akteure im Bereich der EBM erscheint somit als Selbstermächtigung, die in ihrer widersprüchlichen und oftmals ambivalenten Praxis genau jenen von Schneider beschriebenen Freiraum ermöglichte; eine Selbstermächtigung, die auch emanzipatorische Potentiale beinhaltet, welche den teilweise verwendeten Ikonologien und diesen zugrunde liegenden Ideologien der diversen Totalitarismen zuwiderlaufen.
4.2 Das emanzipatorische Potential der Körperdiskurse
Vor dem Hintergrund der erwähnten erhöhten Präsenz weiblicher Akteur*innen im Kontext des Postpunk und Industrial vermag die Electronic Body Music durchaus Züge einer reaktionären Gegenbewegung mit misogynen Untertönen, vor allem aber mit dementsprechenden sozialen Praxen anzunehmen (vgl. Reed 2013: 167). Dies wird auch daran deutlich, dass die in den 1990er Jahren entstandene, eingängig und weniger ,hart‘ daher kommende EBM-Variante Future Pop in szeneinternen Diskursen häufiger abwertend als ,Weiber-Electro‘ bezeichnet worden ist (Matzke/Seliger 2002: 449).[38] Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass die Electronic Body Music durch die Übertragung des DIY-Prinzips auf den Bereich der elektronische Populärmusik für den nachfolgenden Techno bedeutsam gewesen ist, wo bereits in den 1990er Jahren weibliche Produzentinnen vermehrt präsent waren. Insofern sind zumindest mittelbare Synergieeffekte der EBM anzunehmen.[39]
Die auch im Kontext der EBM erfolgte visuelle Präsentation subkulturell verorteter, da devianter sexueller Praxen implizierte in den 1980er Jahren sicherlich vielfach noch einen durchaus intendierten Schockeffekt. Insofern ist dies zunächst als Bestandteil distinktiver Strategien zu verstehen. Anderseits wurde dabei aber offensichtlich, analog zur bereits erwähnten Signifying Practice des Punk, eine minoritäre Sprechposition eingenommen, die das öffentlich machte, was im subkulturellen Kreis Eingeweihter bereits länger virulent gewesen war. Nachdem bereits zuvor im Genre Glam Rock Inszenierungen von Travestie oder auch Androgynität erfolgt waren, haben die hypermaskulinen Körperdiskurse der EBM dann mit dazu beigetragen, die Leder- und Fetischszene, eine jenseits von Persiflagen bis dahin öffentlich kaum wahrgenommene Variante männlicher Homosexualität, zu präsentieren und somit popkulturell zu etablieren. Als wichtiger ,Ort‘ dieser anschließend immer selbstbewusster werdenden Präsenz von ,Lederschwulen‘, aber auch anderer LGBT-Protagonist*innen erscheint wiederum die Techno-Szene der 1990er Jahre. [40]
Der vielleicht zunächst paradox anmutende und näher zu verifizierende Zwischenbefund hier dargelegter Sachverhalte und angestellter Überlegungen lautet: Die mit dem Genre EBM verbundenen künstlerischen und sozialen Praxen vermochten, eben durch ihren männerbündlerischen Charakter und dem offenen Geheimnis der Präsenz schwuler Akteure, dazu beitragen, sexuelle Diversität sichtbarer zu machen und damit längerfristig zu deren erhöhter Akzeptanz beizutragen (vgl. Reed 2013: 166).[41] Somit erscheint die EBM, neben anderen Genres wie Hi-NRG und House, auch in kultur- und gesellschaftsgeschichtlicher Perspektive durchaus als ein Übergangsgenre. Allerdings ist bereits die kritische Reflexion der Figur des ,Arbeiters‘ geeignet, die Grenzen des emanzipatorischen Potentials entsprechender Inszenierungen aufzuzeigen.
4.3 Die popkulturelle Romantisierung des ,Arbeiters’
Der popkulturelle Rekurs auf die Figur des ,Arbeiters‘ erfolgte, wie bereits dargelegt, zunächst im Genre Industrial. Während dieser Typus bei der Band Laibach nur eine Nebenrolle spielte, rückt er bei Test Department in den Mittelpunkt. Bei dem britischen Trio bildete der sowjetische Proletkult den ikonologischen Anknüpfungspunkt. Während des Streiks der britischen Bergarbeiter in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre solidarisierten sich die Mitglieder der Band durch Konzerte und musikalische Kooperationen mit den Streikenden. Insofern ist in diesem Fall eine Koinzidenz von künstlerischer Praxis, politischen Haltungen und damit unmittelbar verbundenem Engagement festzustellen.
Auch der besprochene Titel „The Machineries Of Joy“ (Die Krupps/Nitzer Ebb 1989) enthält zumindest Hinweise auf diese politische Dimension, zumal wenn man bedenkt, dass es sich um ein Remake des Titels „Wahre Arbeit – Wahrer Lohn“ der Krupps von 1981 handelt. Doch angesichts des 1989 bereits weit fortgeschrittenen Niedergangs der Schwerindustrie wirken textliche und sonstige Bezugnahmen auf den ,Arbeiter‘ an dieser Stelle eher romantisierend denn klassenkämpferisch.[42] Der Text des Songs stellt die Verbindung von „wahrer Arbeit“ und dabei entstehendem Schweiß her. „Wahre Arbeit“ wird somit als harte körperliche Arbeit gesehen, die es in der Dienstleistungsgesellschaft durchaus noch gibt, die aber nicht mehr in dem Maße offenbar wird wie zuvor. In dieser Lesart erscheint „The Machineries of Joy“ als ein Abgesang auf den wahren ,Arbeiter‘. Dessen untergehende Welt der Maschinen wird in dem Video – und bekanntlich längst nicht nur dort – zum illustren Hintergrund popkultureller Inszenierung. Diese ist jedoch nur teilweise Re-Inszenierung, zumal sie sich dabei auch anderer historischer Vorbilder bedient, hier vor allem des Typus des ,Sportlers‘.[43] Damit allerdings wird auch an entsprechende Überschneidungen der NS-Ikonographie angeknüpft, wohlgemerkt ohne deren ideologische Kernbotschaft von einem angeblichen Kampf der ,Rassen‘ vermitteln zu wollen.
Die ursprünglich totalitär konnotierten Körperästhetiken der Figur des ,Arbeiters‘ und seiner Varianten wurden dann auch durch das Tanzen zum Teil hedonistischer Praxen der Popkultur. Der Tanz synchronisiert Körper und die Rhythmen, der in der EBM verwendeten musikalischen Maschinen. Damit gehen gelegentlich weitergehende Ansprüche einher – etwa der, dass dies dem „Rhythm Of Time“ (Front 242, 1991), dem Zeitgeist entspräche oder dass es der Körper selbst sei, der dabei lerne („Let Your Body Learn“ , Nitzer Ebb, 1987). Hierbei ergeben sich Bezüge zum vitalistischen und antirationalistischen Denken (vgl. Reed 2013: 154), aber auch zur Begeisterung der Futuristen für die Maschinen und die Geschwindigkeit.
Der US-amerikanische Musikwissenschaftler Alexander Reed wies darüber hinaus auf eine weitere, seiner Meinung nach bestehende Korrelation zwischen ,cleanen‘ Sounds der EBM und dem ,reinen‘ Körper hin. Letzteres schon an sich problematische Konzept der „bodily purity“ (Reed 2013, 166.) wurde von der Band à;GRUMH in ihrem Titel „Danger Zone“ im Jahre 1989 (à;GRUMH 1989a) dann auf den Kontext der gegebenen Gefahr einer Infizierung mit Aids übertragen (ebda.). Noch weitergehend interpretiert erscheint der ,harte‘ und ,reine‘ männliche Körper der EBM in Opposition zur Körperästhetik des Genres Industrial, dessen „unclean, disorderly conception of the body“ (ebd.: 167), die etwa aus der Darstellung von Unfallopfern oder auch den Leichenbergen des Holocaust resultiert (vgl. Stiglegger 2017:100).[44]
Die für EBM ästhetisch konstitutiv erscheinende Verbindung von Maschinen und schweißgebadeten männlichen Körpern hat auch künstlerische Implikation. Schon auf dem bereits erwähnten DAF-Cover von „Alles ist gut“ (DAF 1981) wird der Schweiß auch zum beglaubigenden Zeichen ,wahrer Arbeit‘ der sich verausgabenden, in ihrer Musik aufgehenden Künstler. Der Schweiß indiziert somit Authentizität, welche einen zentralen Wert im Bereich populärer Musik darstellt (Thornton 1995: 26 ff.). Zugleich erfolgt hier scheinbar eine Überwindung der Grenze von Kunst und lebensweltlicher Realität, was auch von Futuristen, Konstruktivisten und anderen Avantgardisten des frühen 20 Jahrhunderts angestrebt worden war (vgl. Schmidt-Bergmann [1993] 2009).[45] Durch diese fraglos prinzipiell ebenfalls Inszenierung bleibende ,Authentizität‘ knüpft der musikalische ,Arbeiter‘ der EBM an eine entsprechende Positionierung Gruppe Kraftwerk an.[46] Allerdings bleibt die Figur des ,Arbeiters‘ in der Electronic Body Music – der Genrebezeichnung entgegenstehend – stets an den menschlichen (und männlichen) Körper und die ,wahre Arbeit‘ gebunden. Durch diese Kopplungen und dem erwähnten Bezug auf den ,harten‘ und ,reinen‘ Körper wird erneut belegt, dass es tatsächlich die ,deutsche‘ und faschistische Variante des ,Arbeiters‘ als ,Kämpfer’ ist, auf welche die EBM rekurriert.[47]
Demgegenüber bezog sich die Gruppe Kraftwerk mit dem Album „Mensch-Maschine“ (Kraftwerk 1978) auf die utopische Vision des Maschinenmenschen oder auch „vollendeten elektrischen Menschen“ (Vertov 1922, Hervorhebung im Original) der sowjetischen Kunst-Avantgarde, der als zentraler Beitrag der – bekanntlich historisch auch im ,Vaterland des Sozialismus‘ nicht erfolgten – Befreiung der Arbeiterklasse verstanden worden war.[48] Die bei Kraftwerk nach 1978 fortgesetzt erfolgende Stilisierung der Bandmitglieder als Roboter oder Menschmaschinen ermöglichte eine Verbindung zur Figur des Cyborg, welche im popkulturellen Genre Science Fiction entstanden war, sich aber auch als höchst anschlussfähig zur afro-futuristischen Tradition erwies. Gerade weil die Musik und Performance von Kraftwerk als explizit weiß wahrgenommen worden ist,[49] war im frühen Detroit Techno die Kombination vollständig elektronischer Klänge mit dem utopischen Cyborg willkommenes und probates Mittel, um die Kategorien von künstlerischer Authentizität und rassistischer Zuschreibung bezüglich ,schwarzer‘ Musik zu unterlaufen (Eshun 1999 [1998] 119 ff.). An anderer Stelle wurde nahezu zeitgleich das emanzipatorische Potential des oder eben auch der Cyborg auf die Kategorien der Klasse und des Geschlechts ausgeweitet (Harraway 1985).
Die Figur des ,deutschen Arbeiters‘ war kurz nach dem Millenium im Video zum Song „Sonne“ (Rammstein 2001) erneut zu finden. Darin erscheinen die Bandmitglieder von Rammstein zunächst als Bergarbeiter, was anschließend mit dem Motiv der Zwerge aus dem Märchen Schneewittchen verbunden wird. Das Verhältnis der ,Arbeiter‘ zu der weiblichen Hauptprotagonistin oszilliert. Sie werden einerseits offensichtlich ausgebeutet, bewundern aber ihre attraktive Gebieterin und erscheinen als geradezu sexuell hörig. Ihr Aufstandsversuch scheitert angesichts der Wiederauferstehung der kapitalistischen Herrin. Durch die Kombination mit der Grimmschen Märchenwelt erscheinen die ,Arbeiter‘ und deren revolutionäres Potential vollends als legendäre Reminiszenz.[50] Ähnliches gilt auch für die Coverversion des Songs „Industriemädchen“ (Die Krupps 2012). Die Hülle dieser Platte stellt, anders als das Punk-Original (S.Y.P.H 1980), die Tätigkeit der besungenen und vor allem begehrten Arbeiterin durch uniformähnliche Kleidung in den Kontext von ,Germanness‘ und NS-Zeit[51] – wenn auch augenzwinkernd. Im heutigen Old School EBM blieb der ,deutsche Arbeiter‘ dann zwar bis in die Gegenwart hinein präsent, allerdings lediglich als popkulturell reinszenierte Genre-Konvention.
5. Popkulturelle Kontinuitäten: ,Germanness‘ und dystopische Techno-Sounds
Im Kontext des Genres Techno fungierten Electronic Body Music und Industrial in den 1990ern als kreative und ideologische Bezugspunkte für jene Produzent*innen, die der Kommerzialisierung des Techno und seines oftmals naiven Utopismus mit härteren, schnelleren und dadurch dystopisch erscheinenden Subgenres wie etwa Hardcore oder Gabba entgegensteuerten (Monroe 1999). Ähnliches gilt auch für die derzeit noch immer angesagte düstere Minimal-Variante des Berliner Labels Ostgut. Der mit dieser Plattenfirma vernetzte Berliner Klub Berghain ist überdies jener Lederschwulenszene verbunden, die auch für die EBM bedeutsam gewesen war. Phänomene dieser Art verweisen auf musikalische, ikonographische, soziologische und ideologische Kontinuitäten und Traditionslinien in subkulturell orientierten Szenen (Kaul 2017b: 105).[52]
Im Genre Punk diente die Verwendung totalitär konnotierter Ästhetiken vor allem der distinktiven Provokation, in der EBM und nachfolgend davon beeinflussten Techno-Subgenres erscheint sie hingegen vermehrt auch als Teil ästhetischer Faszination und hedonistischer Praxis. Man mag dies politisch und ethisch bedenklich finden oder explizit verurteilen, viele subkulturell orientierte Protagonist*innen wird dies gerade angesichts ihres Strebens nach wirksamer Abgrenzung kaum stören. Dabei hatte die Adaption totalitär konnotierter Ikonographien und Körperästhetiken und eine damit verbundene Inszenierung popkultureller ,Germanness‘ im Kontext der dystopischen Electronic Body Music in den 1980er-Jahren jedoch durchaus auch gesellschaftskritische und emanzipatorische Implikationen. Akteur*innen des Techno haben in unterschiedlicher Weise und wohl auch mit unterschiedlichen Motiven an diese subkulturelle Traditionslinie angeknüpft. Die ästhetische vorrangige Frage wäre die, ob und wie weit dies jeweils künstlerisch überzeugend erfolgte.
Höchst erstaunlich bleibt, dass das musikalisch teilweise verwandte Genre Italo-Disco in der Electronic Body Music vielfach zugleich an- und abwesend erscheint. Dabei repräsentiert Italo-Disco all das, was die EBM zu vermeiden suchte oder zunehmend ausblendete: poppig eingängige Melodien, weibliche Akteurinnen und ,Weiblichkeit‘, ein Tanzen mit Hüftbewegungen, eine Camp-Ästhetik, das offenkundig ,Schwule‘ sowie die oftmals gegebene ,Blackness‘ der eigenen Beats und Basslines (Kaul 2017b: 105).[53] Trotz der inszenierten ,Whiteness‘ des Genres wiesen Bands wie DAF und Nitzer Ebb auf gegebene Verbindungen zur afro-amerikanischen Musik hin (Reed: 2013: 153 f., Esch 2014: 188 f.). Diese Bekenntnisse stehen zugleich in höchst produktiver Spannung zu den jeweils adaptierten Körperästhetiken und deren NS-Konnotationen. Darüber hinaus ist auf Verbindungen der EBM zum nachfolgenden Genre New Beat hinzuweisen, in der all die genannten ausgeblendeten Aspekte wieder präsent waren.
Resümee
An dieser Stelle wurden die Entwicklung der Ikonographie der EBM und damit verbundene Adaptionen totalitär konnotierter Körperästhetiken mit engem Bezug zu dem zugänglichen Quellenmaterial rekonstruiert und in kulturwissenschaftlicher Perspektive interpretiert. Dabei wurde eine Korrelation von Ikongraphie, Körperästhetiken sowie einer popkulturell inszenierten ,Germanness‘ des Genres und dessen dystopischen Sounds erkennbar. Diese künstlerischen Praxen auf verschiedenen Bedeutungsebenen des Zeichensystems Pop wurden als provokante und kontroverse, dabei häufig ambivalent erscheinende, aber doch vorrangig kritische Widerspiegelung der politischen Situation der ausgehenden 1980er Jahre gedeutet. Die Körperdiskurse der Electronic Body Music wurden darüber hinaus im weiteren Kontext der subkulturellen Praxis und Emanzipationsbestrebungen homosexueller Akteure verortet. Hinsichtlich aller genannten Punkte wurde auf subkulturell orientierte Traditionslinien von den Genres Industrial und EBM hin zum Techno aufmerksam gemacht, welche immer wieder auf neue Distinktionen innerhalb dieser Szene und zur Kontrastfolie ,Mainstream‘ ermöglichen. Die weitere und nähere Beschäftigung mit dem Phänomen der Electronic Body Music erscheint somit auch durchaus aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven von Interesse, zumal diese in mehrfacher Hinsicht ein spannungsvolles sowie popmusikgeschichtlich relevantes, aber bisher wenig untersuchtes Übergangsgenre darstellt (Kaul 2017a).
Anmerkungen
[1] Unter Ikonographie wird mit Bezug auf den Kunsthistoriker Erwin Panofski (Panofski [1939] 1991) ein mehr oder weniger kodifizierter Kanon von bildlichen Repräsentationen mit symbolischen Bedeutungen verstanden. Dabei weisen Ikonographien Bezüge zu Ideologien auf, die im Rahmen ikonologischer Analysen aufgezeigt werden können (vgl. a.a.O.: 212 ff.). Peter Schirmbeck hat diesen methodischen Ansatz in einer höchst bemerkenswerten Untersuchung auf die Darstellung des ,Arbeiters‘ als Typus der NS-Kunst angewandt (Schirmbeck 1984). Weitere wichtige Referenzpunkte der angestrebten Decodierung der Bilderwelten und Körperdiskurse der EBM in kritischer Perspektive sind die semiotischen Überlegungen von Roland Barthes (u.a. Barthes [1957] 1964 und 1978) sowie Alexei Monroes quellenorientierte Untersuchung des Œuvres der Band Laibach und mit ihr verbundener Künstler*innen (Monroe 2014).
[2] Zum Totalitarismus in NS-Deutschland und der Sowjetunion sowie in anderen Staaten siehe u.a. Hannah Arendt ([1951] 2014, 629 ff.). Saul Friedländer übte berechtigte Kritik an dem Totalitarismus-Begriff als Forschungsparadigma, weil dabei der radikale Antisemitismus als Kern der NS-Ideologie, aus dem sich vielfach das Handeln von NS-Protagonist*innen erklärt, nicht ausreichend Berücksichtigung findet (Friedländer [1982] 1984: 106 ff.).
[3] Dies entspricht methodisch dem Dreischritt von Analyse, Sachurteil und Werturteil, wie er etwa auch in der Geschichtsdidaktik angewandt wird (Jeismann 1980: 207 ff.). Dabei strebt das Sachurteil an, die im Rahmen der Analyse rekonstruierten Handlungen und Motive von historischen Akteur*innen zunächst aus ihrer Zeit heraus zu verstehen. Erst im Werturteil erfolgt die fraglos notwendige eigene Positionierungen, bei der auf heutige Vorstellungen, Werte und Normen Bezug genommen wird. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass bereits die Rekonstruktion der Vergangenheit von „Deutungsinteressen“ und dem „Orientierungsbedürfnis“ der jeweiligen Gesellschaft beeinflusst wird (ebd.: 187), aber auch von den politischen und sonstigen Verortungen von Historiker*innen. Dementsprechend ist mein hier vorliegender Text grundsätzlich einer gesellschaftlich emanzipatorischen Agenda verpflichtet. Eine Kritik der EBM hinsichtlich der Aspekte Gender und Postkolonialismus kann jedoch an dieser Stelle nicht näher und theoretisch fundiert erfolgen. Bei der gegebenen Fokussierung auf eine detaillierte pophistoriographische Analyse ist zu bedenken, dass die Electronic Body Music bisher weitgehend ein Forschungsdesiderat darstellt. Mit diesem Beitrag möchte ich daher auch Impulse sowie eine möglichst solide Basis für weitere Untersuchungen dieses kontroversen Genres durch Forscher*innen unterschiedlicher akademischer Disziplinen geben. Wünschenswert wäre es dabei, umfassender als hier möglich, an ältere Diskurse über faschistische Ästhetiken als solche sowie deren Adaptionen in der Populären Kultur anzuknüpfen (siehe u.a.: Sontag [1974] 1983, Friedländer 1984, Hartwig 1984, Reichel 1996, Ravetto 2001). Der vorliegende Beitrag war bereits 2020/21 verfasst worden, die verwendete Literatur und angegebene Internetquellen basieren auf diesem Entstehungszeitraum.
[4] Besonders deutlich wird die Verbindung von EBM und Techno an der Frankfurter Szene mit Protagonisten wie etwa Talla 2 XLC, Uwe Schmidt und Sven Väth (Monroe 2017: 174 ff.).
[5] Interessanterweise war dies bei Jimi Hendrix, einem wesentlichen Initiator der Rockgitarre in ihrer musikalisch noch immer relevanten Form, noch wesentlich offener gewesen, weil er die Gitarre im Rahmen seiner Live-Auftritte auch als ,weiblichen Körper‘ inszenierte, den er unter anderem mit seiner Zunge scheinbar sexuell stimulierte. Doch auch diese Performance ist wohl kaum frei von sexistischen Implikationen gewesen.
[6] Auch hier gäbe es etwa mit Maureen („Moe“) Tucker, der Schlagzeugerin der Band The Velvet Underground oder der Bassistin Carol Kaye sehr prominente Ausnahmen hinsichtlich von Instrumentalistinnen, und mit Janis Joplin, Grace Slick oder Stevie Nicks sind gerade im Rock der Westküste der USA bekannte Sängerinnen zu verzeichnen. Allerdings dürfte die Mehrzahl weiblicher Vokalistinnen auch in diesem Bereich vermutlich als lediglich zeitweilig engagierte Backgroundsängerinnen fungiert haben.
[7] Militaria mit Nazi-Insignien oder entsprechenden Konnotationen tauchten nach 1945 zunächst in der Subkultur der Biker auf (dort zunächst als Trophäen von Kriegsheimkehrern, aber auch bereits Zeichen der Distinktion) und wanderten via Hard- und Glamrock in den Bereich der Populären Musik (Stiglegger 2011: 71 ff.).
[8] Musikalisch und soziologisch sind DAF, trotz ihrer Vermarktung unter dem seinerzeit erfolgreich etablierten Markenzeichen Neue Deutsche Welle, weitaus eher dem Electro-Punk in der Nachfolge von „Warm Leatherette“ (The Normal, 1978) zuzuordnen. Diese damit begründete Traditionslinie wurde dann zunächst von der EBM aufgegriffen und fortgesetzt, später im Bereich des subkulturell und antikommerziell orientierten Techno (vgl. Monroe 1999).
[9] Das kurzlebige Duo-Projekt Liasons Dangereuses bestand aus der Sängerin Beate Bartel (vormalig bei Mania D) und Chrislo Haas, der zuvor zur Band DAF gehört hatte. Ihr Hit „Los ninos del parque“ (Liasons Dangereuses 1981) findet sich heute noch gelegentlich in den Playlists von DJs aus den Bereichen EBM oder auch Techno. Auf den Einfluss der Band Die Krupps, die in den 1980er Jahren mehrere stilistische Wechsel vollzogen hatte, aber sich stets auf das Thema Industrie bezog, wird nachfolgend eingegangen.
[10] Neben diversen Uniformierungen der Bandmitglieder von Throbbing Gristle ist die Verwendung eines Blitzes als Bandlogo zu erwähnen. Dieses war in den 1930er Jahren Symbol der British Union of Fascists and National Socialists gewesen, die es wohl wiederum von der NS-Organisation Deutsches Jungvolk adaptiert hatte. Im popkulturellen Kontext war der Blitz bereits zuvor von David Bowie während seiner Tour zu dem Album „Spiders From Mars“ des Jahres 1973 verwendet worden.
[11] Als Attribut des ,Arbeiters‘ fungiert oftmals ein Vorschlaghammer. Dies knüpft an die antiken Vorbilder des Hephaistos, bzw. Vulkan an, entsprach aber schon im 19.Jahrhundert nicht mehr der industriellen Produktionsweise, deren „Wesen ja gerade in der Ersetzung des Handwerkszeugs durch die Maschine besteht“ (Schirmbeck 1984: 109).
[12] „Der Sozialismus erweckt das Proletariat aus seinem politischen Schlaf“, Bild von Walter Crane. Abgedruckt in: Schulze (1984: 25). Die deutsche Arbeiterbewegung. Vom Vormärz bis zum Kaiserreich. Stuttgart 1984: Tempora. Im Internet kursiert auch der alternative Titel „Der kapitalistische Vampir“, unter: https://www.akg-images.de/archive/-2UMDHUXGDWMH.html. Der Holzschnitt von 1885 verweist zum einen auf den religiösen Nexus des Frühsozialismus und zugleich auf die Säkularisierung traditioneller Elemente der christlichen Ikonographie. Die Figur des „Blutsaugers“ erscheint zugleich als potentielle Brücke zu linken Varianten des Antisemitismus. Im Rahmen der EBM lässt sich bei Texten und dazu gehörigen Artworks des Albums „And Man Created God“ (Borghesia 2014), im Rahmen der Kritik von Kapitalismus und Ideologien, zumindest eine antiamerikanische und antisemitische Grundierung erkennen. So etwa das hinlänglich bekannte Stereotype des gierigen und kriegstreibenden Bankers („Too Much is not Enough“), der angeblich auch den israelisch-palästinensischen Konflikt befeuert was den ,Handelsartikel‘ Demokratie als „cooperate rule“ beinhaltet („Too Much is not Enough“). Hinzu tritt eine Parallelisierung von Kapitalismus und Faschismus, damit einher geht eine Banalisierung des Holocaust („Kaufen mach frei!“). Diese antisemitische Rahmung gipfelt in einem Davidstern mit dem der Text zu „Profit, Power and Lies“ unterlegt ist. Der Text wendet sich wohl zunächst gegen die ehemalige Plattenfirma der Band, das belgische Label Play It Again Sam und deren Gewinnstreben. Anschließend könnte aber auch ,Uncle Sam’ adressiert sein, bzw. die von ihm (oder eben ;den Juden‘, wie ja das Artwork offensichtlich nahelegt) kontrollierte Kulturindustrie, welcher die ständige Gier nach ein paar Dollars mehr und daraus resultierendes „rating“ im Interesse von Chartsplatzierungen vorgeworfen wird (Die Band erscheint somit selbst als „Opfer“ der „Blutsauger“). Auf der linken Seite der Booklets sind vier Ausschnitte einer Klaviertastatur dargestellt, auf denen die Aufschrift „This Machine Kills Fascists“ prangt. Der damit einhergehende popkulturelle Verweis bezieht sich auf den linken US-amerikanischen Folksänger Woodie Guthrie, der seine Gitarre dementsprechend beschriftet hatte. Allerdings erfolgte dies im Jahre 1943, d.h. im Kontext des auch von den USA geführten Krieges gegen tatsächlich faschistisch regierte und agierende Mächte. Dies verübten in eben dieser Zeit unter deutscher Führung und Verantwortung den Holocaust an den Juden, denen man unter anderem die Herrschaft an der Wall Street nachsagte. Texte und Artworks besagten Albums der slowenischen EBM-Band können auf inhaltlicher Ebene somit durchaus als Bestätigung von antiliberalen und antiamerikanischen und eben auch antisemitischen Kernelementen der NS-Ideologie gelesen werden Vgl. https://www.discogs.com/master/728334-Borghesia-And-Man-Created-God/image/SW1hZ2U6MTMzNzE5NjA=
[13] Plakat „Mit Waffen haben wir den Feind zerschlagen, durch Arbeit werden wir das Brot beschaffen – Alle an die Arbeit, Genossen!“, Nikolai Kogout, 1920, unter: http://www.artnet.de/k%C3%BCnstler/nikolai-kogout/.
[14] Otto Geiger (Hg.), „Wir bleiben Kameraden“, Plakat der DAF, 1933 (abgedruckt in: Beck/ John-Stucke, Moors, Piron 2016: 13). Hannes Lewalter (2010: 148) nennt Pengen als Zeichner dieses Plakates. Bei Beck/John-Stucke lassen sich die vorher erwähnten Beispiele der NS-Propaganda finden, sowie anderes, höchst illustratives Anschauungsmaterial zu den NS-Körperästhetiken und dementsprechenden Ausgrenzungen. Zu Darstellungen des Arbeiters in der NS-Propaganda siehe auch Lewalter 2010: 79 ff., zum Reichsarbeitsdienst das Plakat „Wir rüsten Leib und Seele, Anonym zwischen 1935 und 1939 entstanden (a.a.O.: 216). Eine umfassende Analyse der Figur des ,Arbeiters‘ im Rahmen der NS-Kunst stammt von Peter Schirmbeck (Schirmbeck 1984).
[15] Ein frühes Beispiel der Parallelisierung von ,Arbeiter‘ und ,Soldat‘ findet sich auf dem Titelblatt der von der DAF-Unterorganisation Nationalsozialistische Betriebszellen Organisation herausgegebenen Zeitschrift „Arbeitertum“ vom September 1935. Ein vom Zeichner Rutinger überlebensgroß dargestellter Soldat marschiert gemeinsam mit einer Gruppe von Arbeitern, im Hintergrund sind ein Stahlwerk und rauchende Schornsteine zu sehen. (Schirmbeck 1984: 176). Der Soldat erscheint sicherlich auch als Beschützer (ebd.), zugleich wird aber die Verbindung von Aufrüstung und Militarisierung im Zuge der Kriegsvorbereitungen der 1930er Jahre erkennbar, die sich etwa auch in dem NS-Propagandabegriff der „Erzeugungsschlacht“ widerspiegelt.
[16] Diesbezüglich ist an das rassistisch motivierte Körperideal der NS-Ideologie zu erinnern, aus der auch das erklärte vorrangige Erziehungsziel des „Heranzüchten[s] kerngesunder Körper“ (Hitler, Adolf, Mein Kampf, München 1937 [1925], 452 f.) resultierte. Die Kehrseite dieses rassistisch fundierten Ideals bestand in der Vernichtung vorgeblich ,lebensunwerten‘ Lebens im Rahmen der Aktion T4 (Klee 1993), das propagandistisch durch entsprechende Ikonographien ,kranker‘ Körper begleitet worden ist.
[17] Dieses Aufgehen verschiedener Männertypen im ,Kämpfer‘ als ,SS-Mann‘ wird etwa an einem Titelbild der SS-Zeitschrift „Das Schwarze Korps“ deutlich. Im Vordergrund ist ein Waffen-SS-Mann zu sehen, der gerade den Kinnriemen seines Stahlhelms festzurrt. Im Hintergrund ist ein unbekleideter antiker ,Kämpfer‘ mit erhobenem Schwert in einer Vorwärtsbewegung zu sehen. In die Zeichnung ist folgendes, inhaltlich mehr als fragwürdiges Zitat von Hermann Göring integriert: „Der Soldat Adolf Hitlers hat das deutsche Schwert scharf geschmiedet. Adolf Hitler führte es in siegreichen Schlägen“ (Erich Palmowski, Zeichnung, 1941, aus: Das Schwarze Korps, 8, Folge 1, 1942. Abgedruckt in: Beck/ John-Stucke, Moors, Piron 2016: 29). Auch das Plakat „La Legion c’est L’Armée du Peuple!“, das zur Anwerbung wallonischer Freiwilliger für die Waffen-SS diente, weist durch seine Ikonographie auf die zunehmende Koinzidenz von ,Arbeiter‘ und ,SS-Mann‘ hin (abgedruckt in Littell 2009: 38). Weitere Beispiele von Plakaten dieser und anderen Art lassen sich bei Lewalter finden, darüber hinaus auch inhaltliche Details zum „Soldaten als Kriegsarbeiter“ (Lewalter 2010: 151 ff, bzw. 231 ff.).
[18] Ein sehr frühes Beispiel ist das Plakat „Frau im Luftschutz“ von Ludwig Holwein aus dem Jahre 1940 (Lewalter 2010: 134), siehe auch das Plakat „Hilf auch du mit“, Matejko, 1943/44 (ebd.: 204).
[19] Auf dem Plakat zur „Occupied Europe Tour“ des Jahres 1983 tauchte der antike ,Krieger‘ oder auch überzeitliche ,Kämpfer‘ bei der slowenischen Band Laibach auf, wobei ein von Georg Kolbe entworfenes und 1935 eingeweihtes Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges in Stralsund als Motiv diente. Die Live-Platte „Through the Occupied Netherlands“ (Laibach 1983) zierte ein ,Sportler‘, dessen Hemd mit dem Laibach Emblem (Zahnrad mit Balkenkreuz) versehen war. Dabei ergibt sich eine sicherlich intendierte Nähe zur Sportbekleidung der DAF-Unterorganisation Kraft durch Freude (KdF), was dann später von Bands wie Nitzer Ebb und Die Krupps aufgegriffen worden ist. Auf dem Tourplakat der ersten Deutschlandtour von Laibach posierte die Band mit faschistisch konnotiertem Outfit, während US-amerikanische B17 Bomber über sie hinwegziehen. Die Aufschrift des Plakates lautet: „Die erste Bombardierung über dem Deutschland! Laibach über dem Deutschland“ (erwähnte Plakate abgedruckt in Monroe 2014: 85, 185 und 151).
[20] Die Cover und Beihefte aller hier erwähnten Veröffentlichungen lassen sich über die Internetbörse Discogs aufrufen.
[22] Die beiden Monumentalfiguren sind „Idealfiguren“, nach dem klassischen antiken Vorbild der Nike von Samothrake gestaltet (Schlögel 2018: 599), welche Arbeiter und Bauernschaft symbolisieren, die dynamisch der Zukunft entgegenstreben. In den erhobenen Händen kreuzen sich Hammer und Sichel analog zum entsprechenden Symbol der kommunistischen Bewegung und der Sowjetunion, wobei die Skulptur selbst zum vielfach reproduzierten „Emblem“ der Außenrepräsentation des ,Vaterlands der Werktätigen wurde (Schlögel 2008: 267). Auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1937 stand diese Skulptur im Stile des sozialistischen Realismus vor dem sowjetischen Pavillon. Gegenüber befand sich der von Albert Speer gestaltete deutsche Ausstellungsraum, vor dem eine hohe Stele stand, die von einem Naziadler mit Hakenkreuz gekrönt gewesen war (ebd.: 274 f.). Diese symbolische Konfrontation entsprach zu jener Zeit der ersten tatsächlichen, mehr oder weniger direkten Konfrontation der Totalitarismen im Kontext des Spanischen Bürgerkriegs. Bei all dem sollte nicht vergessen werden, dass es trotz bestehender ideologischer Antagonismen zu einem rund zwei Jahre währenden Pakt der Diktatoren Hitler und Stalin kam, welche das gesamte Osteuropa in ,Einflusssphären‘ einteilten. Den jeweiligen Annexionen folgten in beiden Fällen brutale Besatzungsregime.
[23] Die künstlerische Avantgarde-Bewegung des Konstruktivismus ist insbesondere durch das Engagement vieler Protagonisten für die kommunistische Revolution in Russland bekannt geworden ist, wobei die Kunst der jungen Sowjetunion allerdings durchaus eine breite Palette von individuellen Stilen, Schulen oder auch Künstlerkollektiven aufwies (vgl. O.N. 1988). Der Konstruktivismus zeichnet sich durch reduzierte, gelegentlich abstrahierende aber oft dynamische geometrische Formen sowie eine Reduktion der Farben aus (vgl. ebd.: 58 ff.). Im Gegensatz zum vorangegangenen Suprematismus lehnten die Konstruktivisten eine innerliche Haltung ab und sahen, ähnlich wie die Futuristen, den traditionellen Kunstbegriff angesichts der technischen Entwicklung als obsolet an: „Technik und Industrie stellen die Kunst vor die Aufgabe, das Problem der Konstruktion als einen Prozeß und nicht als kontemplative Anschauung aufzufassen. Die Heiligkeit des Kunstwerkes als ein einmaliges Unikat wurde zerstört. Das Museum als Schatzkammer dieser Unikate wird in ein Archiv verwandelt.“ (Warwara E. Stepanowa 1921 im Katalog der Ausstellung >5×5=25<, zitiert nach Weiss 1986: 10). Popkulturell höchst bedeutsam war die Adaption von Stilmitteln des russischen Konstruktivisten El Lissitzky auf dem Cover des Albums „Die Mensch-Maschine“ (Kraftwerk 1978). Darüber hinaus ist im Zusammenhang der hier vorliegenden Untersuchung die nicht eindeutig belegbare Referenz der bereits mehrfach erwähnten Band Laibach auf das schwarze Kreuz des Suprematisten Kasimir Malewitsch von besonderer Bedeutung: „Das Laibach-Kreuz spielte auf nichts an, weckte aber viele verschiedenen Assoziationen“ (Monroe 2014: 10). Zu letzteren gehört das Balkenkreuz der deutschen Wehrmacht, womit zugleich auf die deutsch-italienische Okkupation Jugoslawiens während des Zweiten Weltkriegs und die damit teilweise einhergehende Kollaboration lokaler Akteure hingewiesen wird. Darüber hinaus wird aber auch auf die enge Verbindung von Faschismus und christlicher Religion verwiesen, die gerade in Österreich vor dem ,Anschluss‘ an Nazi-Deutschland im Jahre 1938 und in südosteuropäischen Staaten (Slowakei, Kroatien, Rumänien) eine große Rolle gespielt hatte. Die bei Laibach häufig anzutreffende Verbindung religiöser und faschistoider Symbole ist daher einerseits als mehr oder weniger konkreter historischer Hinweis wie auch allgemeine Ideologiekritik zu verstehen (vgl. Monroe 2014).
[24] Dabei ist es durchaus von Interesse, dass auch die Band Laibach in diesem Zeitraum damit begonnen hatte, bei Mute zu veröffentlichen. Das Cover ihres Debuts bei der britischen Plattenfirma, „Opus Dei“ (Laibach 1987), wird allerdings von einer Zeichnung einer diabolischen soldatischen Gestalt mit Kopftuch und nacktem Oberkörper geziert, die an Milan Fras, Frontmann der Band, angelehnt ist. Auf dem Label der CD ist ein Motiv des antifaschistischen Künstlers John Heartfield aus dem Jahr 1934 zu sehen: ein Hakenkreuz, das aus vier Beilen gebildet wird. Das Artwork der Laibach-Veröffentlichung verweist in seiner Ambivalenz zweifelsohne auf die NS-Zeit und ist durchaus auch Teil von Laibachs popkultureller Inszenierung von ,Germanness‘. Darüber hinaus indiziert John Heartfields zugrunde liegende Arbeit durch das abgewandelte Bismarckzitat „Der alte Wahlspruch im ,neuen‘ Reich: Blut und Eisen“ explizit Kontinuitäten von deutschem Kaiserreich und Nazideutschland (https://heartfield.adk.de/node/4954). Das Plakat spielt zudem unterschwellig auch auf die römischen Fascis, Rutenbündel mit Äxten, an. Dies gilt noch mehr für das Label des Laibach-Albums, weil bei diesem der Untertitel Heartfields fehlt und damit der spezifisch deutsche Kontext, Die Fascis gaben, zumindest der Legende nach, den italienischen Faschisten zu Beginn der 1920er Jahre ihren Namen. Die Faschisten Italiens erhoben seinerzeit wiederum territoriale Ansprüche auf Teile Sloweniens und die Adriaküste des ehemaligen Jugoslawiens, also unter anderem auch auf jene Region, aus welcher die Musiker der Band Laibach stammen. Inwieweit diese komplexen historischen und ikonologischen Hintergründe bei der Veröffentlichungspraxis von Mute Records eine Rolle spielten, wäre durchaus von Interesse, bleibt aber letztlich zweitrangig. Popmusikgeschichtlich ungleich bedeutsamer erscheint vielmehr das offensichtlich vorhandene Interesse, die Faszination für die gesamte Thematik des Totalitarismus und dessen ästhetische Dimensionen, welches Labelbetreiber und musikalische Akteure von Mute Records einte und auch weit darüber hinaus seinerzeit im Bereich der Popkultur zu verzeichnen gewesen ist.
[25] Zunächst tauchte der Begriff „Electronic Body Music” in einem Interview der Band Kraftwerk im Jahre 1978 auf. Das Duo Deutsch Amerikanische Freundschaft charakterisierte 1980 ihre Songs als „Körpermusik“ und sprach 1981 von „absoluter Körperkontrolle“. Letzteres wurde in englischsprachiger Übersetzung relativ zeitgleich zum Namen der belgischen Band Absolute Body Control. Die ebenfalls belgische Band Front 242 brachte 1981 den Titel „Body to Body“ heraus. Ein Remix davon wurde zum Opener des Samplers „Electric Body Music“, den das Label Play it Again Sam 1988 veröffentlichte und der die Genrebezeichnung endgültig etablierte (vgl. Reed 2013: 164).
[26] Dies korrespondiert insbesondere mit den erwähnten Plakaten der NS-Propaganda, die für Reichsarbeitsfront (RAD) warben. Den deutlichsten Bezug stellt allerdings ein kurzärmeliges weißes Hemd dar, das auf Bandfotos zu sehen ist, die gegen Mitte der 1980er Jahre entstanden sind. Auf der Vorderseite befindet sich neben dem Bandnamen ein schwarzes nach unten zeigendes Dreieck und ein in Schwarz und Weiß gehaltenes Zahnrad (https://www.last.fm/music/Nitzer+Ebb/+images?page=1 ,04.01.19) Das Hemd der Band verweist auf die NS-Organisation Kraft durch Freude (KdF), aber im Kontext des zunehmend selbstreferentiellen Kosmos der Popkultur auch auf das Cover des Laibach-Albums „Through The Occupied Netherlands“ (Laibach 1983).
[27] Barthes analysierte seinerzeit, wie mittels der Produkte und Requisiten eines Werbeplakates des Nudel-Herstellers Panzani die Botschaft „‚Italianicity‘“ erzeugt worden ist, wobei diese an entsprechende Stereotype und Klischees anknüpfte (Barthes 1977: 33 ff.).
[28] „Olympia, Fest der Völker“ und „Olympia, Fest der Schönheit“, beide Deutschland, 1938.
[29] Das Rhön-Rad wurde von Otto Feick 1925 als Patent angemeldet. Es fand zunächst vor allem im Ausland größere Verbreitung und erst ab den 1930er Jahren in Deutschland. Insbesondere durch den Auftritt von 120 Turnerinnen und Turnern mit Rhönrädern im Rahmenprogramm der Olympischen Spiele entstanden dann die NS-Konnotationen dieses Sportgeräts (vgl.: https://www.deutschlandfunkkultur.de/eine-runde-geschichte-des-rhoenrads-alles-dreht-sich-alles.966.de.html?dram:article_id=355020).
[30] Interessant ist auch, dass die Band Die Krupps in der Folgezeit das Logo des gleichnamigen Stahlkonzerns in ihre Ikonographie integrierte. Dieses besteht aus drei Stahlringen; es wurde 1992 gemeinsam mit einem Zeppelin auf dem Album I verwendet.
[31] Demgegenüber stehen direkte popkulturelle Adaptionen von Filmszenen, die entweder von Riefenstahl stammen oder sich durch eine analoge Ästhetik auszeichnen. Im Falle des Videos der Band Rammstein zu ihrer Coverversion von „Stripped“ (Rammstein 1998, Depeche Mode 1986) monierte der Musikautor Martin Büsser nicht etwa grundsätzlich, dass dieser Musikclip Szenen aus den Olympiafilmen von Leni Riefenstahl verwendet, sondern vielmehr, dass deren historischer Kontext nicht erkennbar wird. Dadurch gewinne die „Nazi-Ästhetik einen zeitunabhängigen Reiz“ (Büsser 2005: 23). Auch ohne Hakenkreuz, so Büsser weiter, bleibe NS-Ästhetik jedoch NS-Ästhetik (ebd.) mit den gegebenen ideologischen Hintergründen und Botschaften.
[32] Die „Pest der Homosexualität“ (Hitler, zit. nach: Grau 1993: 213) wurde zum einen als latente ,Gefährdung‘ der zumeist als Männerbünde verfassten NS-Organisationen gesehen, lief vor allem aber auch dem Ziel der Steigerung der Geburtenrate entgegen (ebd.: 31 ff.).
[33] Abgedruckt in Monroe 2014: 77. Die dabei nicht verwendete Bildunterschrift des Originals, eines um 1934 entstandenen Werbeplakates für bevölkerungspolitische Schriften, lautete: „Gesunde Eltern – gesunde Kinder“. Aus medizinischer Sicht ist die hier genannte Schussfolgerung bekanntlich schlichtweg falsch.
[34] Damit verweist die Band auf die bereits erwähnte europäische Dimension des Nationalsozialismus, der sich gerade auch in der Waffen-SS manifestierte und eine belgische (flämische und wallonische) Kollaboration implizierte.
[35] Im Gegensatz zur tendenziellen Verherrlichung und Romantisierung des Krieges in diversen Subgenres des Heavy Metal (Brill 2009), erscheint dieser in der EBM vor allem als drohendes Szenario.
[36] Bereits Walter Benjamin hat auf den Umstand der Koinzidenz der faschistischen Ästhetisierung des Politischen und der Gewalt hingewiesen, welchen er durch ein ausgiebiges Zitat aus einem Manifest des Futuristen Marinetti zum seinerzeitigen Krieg Italiens gegen Äthiopien illustrierte. Dort heißt es unter anderem: „Der Krieg ist schön, weil das Gewehrfeuer, die Kanonaden, die Feuerpausen, die Parfums und Verwesungsgerüche zu einer Symphonie vereinigt“ werden (Marinetti, zitiert nach Benjamin [1936] 2010: 75).
[37] Ein anderes Beispiel hierfür wäre das Kreuz. In den 1990er Jahren wurde es von Stars wie etwa Madonna getragen und fungierte offensichtlich viel eher als Modeartikel denn als christliches Bekenntnis. Auch die inflationäre Verwendung des Konterfeis von Che Guevara hat dieses vielfach von seinem ursprünglich gegebenen kommunistischen Kontext entkoppelt.
[38] Interessanterweise wird damit im subkulturellen Kontext eine Distinktionsstrategie wiederholt, auf die der Kulturwissenschaftler Andreas Huyssen hinsichtlich der Abgrenzung von ,wertvoller‘ Hochkultur und ,weiblicher‘ Massenkultur des 19. Jahrhunderts hingewiesen hatte (Huyssen 1986: 44ff.). Sarah Thornton hatte, mit Bezug auf Huyssen, analoge Phänomene im Rahmen ihrer Untersuchung der britischen Rave-Szene der 1990er Jahre nachgewiesen (Thornton 1995: 87 ff.), wobei ,,weiblich‘ mit jenem angenommenen ,Mainstream‘ korreliert, von dem sich subkulturell orientierte Akteure abzugrenzen suchen (ebd.: 103 ff.).
[39] Eine der wichtigsten Protagonist*innen einer schon länger feststellbaren EBM-Renaissance auf deutschen Techno-Dancefloors ist derzeit die Hamburgerin Helena Hauff. Auch dies stellt zweifelsohne eine Form der Aneignung dieses ursprünglich strikt ,männlich‘ konnotierten Genres dar. Allerdings ergeben sich aus dem Interviewmaterial meines noch laufenden Promotionsprojektes „Lebenswelt House/Techno: DJs und ihre Musik“ Hinweise darauf, dass die Wahrnehmung weiblicher Techno-DJs oft in der Binarität der Geschlechterzuschreibungen bleibt: Gerade die männliche Bewunderung gilt dann der ,schönen‘ oder auch ,zarten‘ Frau, die ,harten‘ Techno auflegt. Die insgesamt marginale Position von weiblichen Akteurinnen in diversen elektronischen Musikszenen ist am Beispiel Wiens näher analysiert worden (Reitsamer 2013).
[40] Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass das Faible für den Nazi-Chic der Uniformen und Insignien sowie die damit teilweise einhergehenden Obsessionen für Inszenierungen von Macht und Unterwerfung keineswegs auf die schwule Subkultur beschränkt gewesen ist. Dies beweisen etwa zahllose Sadiconazista-Filme (vgl. Stiglegger 2011: 7ff.), aber auch einer Welle von Spielfilmen der 1970er Jahre (Ravetto 2001). In diesen Werken wird unter anderem, so der Historiker Saul Friedländer kritisch, das Verlangen geweckt durch „Erotisierung der Macht, der Gewalt und der Herrschaft […], aber gleichzeitig auch des Nazismus als des Zentrums aller Entfesselungen der unterdrückten Affekte“ (Friedländer 1984: 16). Gerade an letztgenanntem Aspekt hob Susan Sontag den sexuell potentiell intensitätssteigernden Moment hervor, den sie allerdings kritisch im Kontext einer auch in dieser Hinsicht übersättigten Überflussgesellschaft sah (Sontag [1974] 1983: 122 ff.).
[41] Reed weist hierbei zurecht auf die Bedeutung des Chikagoer Labels Wax Trax hin. Besonders deutlich wurde die auch bereits zuvor stets gegebene homosexuelle Dimension der EBM in der Kollaboration der beiden Front-242-Musiker Richard 23 und Luc van Acker mit der Band Revolting Cocks. Zur Geschichte des Labels Wax Trax siehe Reed 2013: 233 ff.
[42] Dementsprechend steht im Œuvre der Band dem Debut der „Stahlwerksinfonie“ (Die Krupps 1981) das „Stahlwerkrequiem“ (Die Krupps 2016) gegenüber.
[43] Es ist daher kein Zufall, dass die an die EBM anknüpfende Technoszene zum einen gerne stillgelegte Industrieareale – die einstige Welt des ,Arbeiters‘– für ihre Partys nutzte. Zum anderen erfolgte der im Techno ebenfalls gegebene Bezug auf den Körper parallel zu einer größeren Fitnesswelle. Dies gipfelte schließlich darin, dass Rainer Schaller, Haupteigentümer der Bodybuildingstudio-Kette McFit, 2006 zum Mitorganisator und wichtigen Sponsor der schon lange zuvor umfassend kommerzialisierten Love Parade wurde.
[44] Hier ließen sich Verbindungen zu den von Jonathan Littell mit Bezug auf Klaus Theweleits Männerphantasien (2019 [1977/ 78]: 473 ff.) formulierten Gegensatzpaaren ziehen, die seiner Meinung nach den Faschisten vor allem auch über Körper und deren Wahrnehmung konstituieren, so etwa das Harte gegen das Weiche oder das Trockene gegen das Feuchte (Littell 2009). Ganz abgesehen davon, ob man diesen psychoanalytisch inspirierten – vor allem aber diesbezüglich eben auch verabsolutierten – Sichtweisen des politischen Phänomens Faschismus voll und ganz zustimmen mag, ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei den Körperästhetiken der EBM um popkulturelle Reinszenierungen handelt, die keinesfalls notwendigerweise mit faschistischem Gedankengut einhergehen. Gleichwohl ist trotzdem immer wieder auch Kritik an der EBM geboten, welche dann allerdings jeweils auf konkrete künstlerische Artikulationen oder sonstige Statements Bezug nehmen sollte.
[45] Im Bereich des Genres Industrial kommen direkte konzeptionelle Bezüge zur futuristischen Vergötterung der Maschinen gelegentlich vor, und eine diesbezügliche Traditionslinie wird gerne gezogen (Reed 2013: 21 ff.). Auch wenn mir persönlich keine derartigen Verweise im Bereich der EBM bekannt sind, kann durchaus der Eindruck entstehen, als ob gerade auch die an den Industrial anknüpfende Electronic Body Music die Programmatik des Futurismus in popmusikalische Praxis umgesetzt habe. So heißt es etwa im futuristischen Manifest „Die mechanische Kunst“ von 1922: „WIR FÜHLEN WIE MASCHINEN, WIR FÜHLEN UNS AUS STAHL ERBAUT, AUCH WIR MASCINEN, AUCH WIR MECHANISIERT“ – und etwas später „Die schönen Maschinen haben uns umgeben […] In sie verliebt, haben wir männlich voll Wollust von ihnen Besitz ergriffen“ (zitiert nach: Schmidt Bergmann [1993] 2009: 110 ff., Hervorhebungen im Original). Das Manifest gipfelt in der Forderung, „Kräfte“ und „Rhythmus“ als „Wesen der Maschine“ zu verstehen, und dass diese fortan zur künstlerischen Inspirationsquelle werden soll (ebd.: 112). Der Futurismus zeichnete sich in seiner italienischen Variante durch eine Nähe zur entstehenden faschistischen Bewegung aus, in Russland hingegen zu den Bolschewiki, dies dann vor allem als eine wichtige Inspiration für den nachfolgenden und hier bereits erwähnten Konstruktivismus. Während die Anbetung der Maschine oder auch das Aufgehen in ihr zur Zeit des Futurismus noch utopischen Charakter hatte, erfolgte der Bezug der Electronic Body Music jedoch bereits vor dem Hintergrund dystopischer Szenarien, zu denen der ökonomische und ökologische Kollaps gehört.
[46] Ralf Hütter äußerte sich dazu folgendermaßen „Wir sind weder Künstler noch Musiker. In erster Linie sind wir Arbeiter” (zitiert nach Kaul 2016a: 213). Allerdings erscheint dies im Kontext anderer Äußerungen und der künstlerischen Praxis von Kraftwerk vor allem als „rhetorisch zugespitzte Absage an das romantisch-bürgerliche Künstlerbild, welches auch Bereich des Rock vorherrscht“ (ebd.). Diese Absage wiederum erscheint als ein wichtiges Vorbild für die entsprechenden Distinktionspraktiken der EBM.
[47] Allerdings ist mit „Iron Man“ (Die Krupps 1993) auch auf eine ironische Brechung des popkulturellen Diskurses vom ,harten‘ Körper hinzuweisen. Ähnliches erfolgte dann mit „Germaniac“ (Die Krupps, 1990) im Hinblick auf die popkulturelle ,Germanness‘. Hier wird jeweils der in der Popkultur prinzipiell gegebene Modus der künstlerischen Inszenierung deutlich, der gelegentlich auch als solcher kenntlich gemacht wird. Darüber hinaus ist auf kritische Auseinandersetzungen innerhalb von Szenen zu verweisen, die unter anderem auch ästhetische und ideologische Aspekte betreffen.
[48] Bei Vertov heißt es: „Unser Weg- vom sich herumwälzenden Bürger über die Poesie der Maschinen zum vollendeten elektrischen Menschen. Die Seele der Maschine enthüllen, den Arbeiter in die Werkbank verlieben, den Bauern in den Traktor, den Maschinisten in die Lokomotive! Wir tragen die schöpferische Freude in jede mechanische Arbeit. Wir verbinden den Menschen mit der Maschine, Wir erziehen neue Menschen“ (Vertov 1922: 32f.). Zum neuen Menschen im Sowjetfilm siehe auch Schwarz 2018: 56 f.
[49] Auch die EBM-Band Front 242 wurde zu ihrer eigenen Überraschung in US-amerikanischen Klubs goutiert (vgl. Codenys zit.n. Doeschuk 1989, 75). Hierbei ist, wie bereits im Falle von Kraftwerk ist die Mischung von ausgestellter aber auch zugeschriebener ,Whiteness‘ und die ,Funkyness‘ ihrer Musik als Ursache dafür anzunehmen (Kaul, 2017: 105). Wenn Patrick Codenys von Front 242 allerdings in diesem Zusammenhang behauptet, die Musik Front 242 basiere auf „primitive white rhythms“ (Codenys zit.n. Doeschuk 1989: 75) ist dies als Teil distinktiver und sicherlich auch provokativer Selbstverortung zu sehen, welche sich mittels musikwissenschaftlicher Analyse leicht widerlegen ließe.
[50] Musikalisch knüpfte Rammstein an den Industrial Rock von Gruppen wie Die Krupps oder Ministry an. Für die damit einhergehenden expliziten Inszenierungen von ,Germanness‘, welche den internationalen Erfolg von Rammstein wesentlich mit erklärt, scheint vor allem die Band Laibach Pate gestanden zu haben.
[51] Hiermit wird auf den bereits erwähnten Einsatz von Frauen während des Zweiten Weltkrieges verwiesen, der auch die Frau tendenziell zum ,deutschen Arbeiter‘ und ,Kämpfer‘ machte. Während der Arbeitseinsatz oder auch Kriegseinsatz deutscher Frauen in Spannung zur NS-Ideologie stand, war die Versklavung osteuropäischer Zwangsarbeiterinnen Teil des NS-Rassismus.
[52] Deutlich wird dies etwa beim Remix des Blind-Observatory-Tracks „And The Flying Saucer“ von 88 UW (Blind Observatory 2013) und dessen treibender Basslinie. Das Video (29nov films 2013) wiederum enthält mit Zahnrad sowie dystopischen Bilderwelten mit einem Atomschlag-Szenario Hinweise auf weitere ästhetische Bezüge zur EBM. Auch bei anderen Techno-Produktionen oder deren Videos lassen sich Hinweise auf Themen der EBM oder der von ihr mitbeförderten popkulturellen ,Germanness‘ finden.
[53] Hierbei handelt es sich um eine Analogie zu Ausführungen des britischen Kulturwissenschaftlers Dick Hebdige. Dieser schrieb hinsichtlich des Verhältnisses von (weißem) Punk und (schwarzem) Reggae: „Where punk launched fronatal assaults om the established meaning systems, reggae communicated through ellipsis and allusion „ (…) To use a term from semiotics, we could say that punk includes reggae as a ,present absence‘ “ (Hebdige 1979: 68). Dabei hatte Hebdige allerdings nicht die Musik und Performance im Sinn, sondern vielmehr unterschiedliche Artikulationen von Dissidenz der beiden genannten Genres. Auch letzteres ließe sich aber durchaus auf EBM und Italo Disco übertragen: Während in der EBM in der Nachfolge von Punk Provokation und Kritik zentral waren, blieb Italo-Disco vor allem durch die oben genannten, seinerzeit noch devianten sozialen Praxen gekennzeichnet.
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Nitzer Ebb (1986). Murderous. Power Of Voice Communications NEB 4.
Nitzer Ebb (1987). That Total Age. Mute STUMM 45.
The Normal (1978). Warm Leatherette. Mute MUTE 001.
Rammstein (1998). Stripped. Motor Music 044 141-2.
Rammstein (2001). Sonne. Motor Music 587940-2.
Signal Aout 42 (1989). Pro Patria. LD Records LD 8929.
South Wales Strikers Mining Choir/ Test Department (1985). Shoulder To Shoulder. Ministry Of Power MOP 1.
Spartak (1995). Golem. 150 BPM Records CD 39312.
Summer, Donna (1977). I Feel Love. Groovy GR 1226.
S.Y.P.H. (1980). S.Y.P.H.. Pure Freude PF CK 02.
Test Department (1983). Strength Of Metal In Motion. TEST 1.
Test Department (1984). Ecstasy Under Duress. Pleasantly Surprised PS005.1.
Test Department (1986). European Network 1-9-8-5. VS Uitgave VS 207.
Nachbemerkung
Als dieser Artikel in den Jahren 2020/21 verfasst worden war, erschien seine aktuelle Relevanz, wie weiter oben bereits angemerkt, vor allem an die Rückkehr der Nationalismen in Europa zu bestehen, zumal diese mit dem Aufkommen des Rechtspopulismus und einer Renaissance faschistischer Positionen einherging. Der äußerst brutal geführte russische Krieg gegen die Ukraine auf der Basis einer völkisch-nationalistischen großrussischen Ideologie (welche die Existenz einer ukrainischen Nation leugnet) scheint die Dystopien der Electronic Body Music in erneuter Dramatik und Tragik zu bestätigen.
Dies trifft auch im Falle der aktuellen Eskalation des israelisch-palästinensisch Konfliktes nach dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel zu. Zu dessen ersten Opfern zählten friedliche Besucher*innen eines Techno-Festivals. Die Hamas wird vom Iran unterstützt, einem Akteur, der unter andrem auch erfolgreich dazu beigetragen hat, den ursprünglich nationalistisch motivierten Konflikt mit einer radikal islamistischen und dezidiert antisemitischen Agenda zu unterfüttern. Trotz dieser Reaktualisierung der Ideologien und damit einhergehendem Vernichtungswillen ist nicht erkennbar, dass dies dem Genre EBM neue ästhetische Energien und Relevanz zu verleihen vermag.