Schrecken der Tiefe
von Vera Thomann
21.11.2023

Bathophobie und Computer Generated Imagery (CGI)

Die Szene, im Zeitraffer, ist die folgende: Einsatz bei einer Weitwinkelaufnahme. Mittig zentriert ein oder mehrere Figuren auf einer permeablen Oberfläche (Wasser, Sand, Eis oder Luft). Die Aufnahme wechselt in die Vogelperspektive. Unterhalb des antizipierten Grundes erscheint in Sekundenschnelle ein dunkler Schatten von immenser Größe. Manchmal verweilt der Schatten als Färbung des Untergrunds, manchmal durchbricht er den Grund der Aufnahme und schnappt als monströse CGI-Kreation nach den nun aus der Obersicht zentrierten Figuren.

Die beschriebene Szene findet sich in The Meg (2018), The Mandalorian (2020–), Dune (2021), Jurassic World (2021), House of the Dragon (2022) und Rings of Power (2022). Obwohl je unterschiedlich gestaltet, fungieren die CGI-Kreationen – darunter der Megalodon, der Ravinak, der Sandwurm, der Pyroraptor, der Drache Vhagar oder die Seeschlange – nach demselben Prinzip: Auftauchen einer computergenerierten Monstrosität, Zerstörung der behaupteten filmischen Oberfläche, intensives Schreckmoment von Figuren und Zuschauer:innen.

Abb.1: Bathophobischer CGI-Effekt in The Mandalorian (The Heiress, Season 2, Episode 3, Regie Bryce Dallas Howard, 2020), House of the Dragon (The Black Queen, Season 1, Episode 10, Regie Greg Yaitanes, 2022) und Jurassic World (Regie Colin Trevorrow, 2021).

Der momentane Liebling aller monströsen CGI-Effekte ist jedoch kein simpler Jumpscare, der anhand von Ton, Schnitt und Bewegung für einen kurzen, unerwarteten Schrecken sorgt. Vielmehr ist die abweichende Anlage des Horrors im Wechsel von der horizontalen Weitwinkelaufnahme in die Vogelperspektive bereits markiert: Während der durchlässige Grund die Figuren einer Gefahr aussetzt, geht die Zuschauerin durch den Overview-Effekt in Distanz zum Geschehen. Der Schrecken über die aus der Bildtiefe auftauchenden Monster gründet deshalb nicht eigentlich in einer Identifizierung mit dem Figurenpersonal, sondern in der großflächig angelegten Verunsicherung des filmischen Grundes: Wasser, Eis, Sand und Luft erweisen sich als punktierbare Behältnisse von nicht überblickbarer Raumtiefe.

Durchbricht die Kreatur den Bildgrund, wird in der Folge eine fälschlicherweise angenommene Flächigkeit der dargestellten Szenerie, d.h. eine Täuschung bezüglich der zur Diegese gehörigen Raumdimensionen, evident. Die CGI-Kreaturen weisen so auf eine räumliche Form des unzuverlässigen Erzählens hin, in der repräsentationale, narratologische und technologische Verfahren der Tiefenproduktion an die Oberfläche der Erzählung gewendet werden und eine Tiefenangst, eine sogenannte Bathophobie, induzieren. Die bathophobische CGI-Serie installiert damit eine spezifische Kunst des Auftauchens, welche dem Bathos in erzähltechnischer wie rhetorischer Hinsicht eine neue Wendung verleiht.

1. Angst vor der Tiefe

Als Bathophobie wird gemeinhin eine Angst vor dem Blick in die Tiefe bezeichnet, die sich in spezifischere Ängste, so etwa in eine Thalassophobie (die Angst vor der Tiefe des Meeres) oder in eine Akrophobie (eine Angst vor dem Aufenthalt in großen Höhen), ausgliedern kann. Das Phobia-Wiki weiß aufzuklären, dass Bathophobiker:innen Seen, Schwimmbäder, Meere, Flure, Brunnen, Bergtäler, Tunnel oder Höhlen meiden. Generell wird die Bathophobie durch jede räumliche Gegebenheit ausgelöst, in welcher der Boden respektive dessen räumliches Ende visuell nicht erfasst werden kann und so scheinbar in einer endlosen Tiefe aufgeht.

Bathophobische Effekte lassen sich allerdings auf unterschiedliche Weise erzeugen: Beispielhaftes Bildmaterial changiert zwischen einer eingenommenen Außenperspektive (beobachtet wird eine in einen dunklen Abgrund schwimmende Taucherin), einem pov-shot (der Blick in eine dunkle Röhre hinab), einem trompe-l’œil (im dunklen Abgrund erscheint mit der Akkommodation auf den Bildhintergrund eine zusätzliche Darstellungsebene) oder aber einer zweigeteilten Bildeinheit (mit Sicht oberhalb und unterhalb der Wasseroberfläche) (vgl. Abb. 2). Repräsentational kann die Bathophobie folglich sowohl durch eine Außenperspektive, eine subjektive Einstellung, eine Augentäuschung oder einen over-under- respektive split shot hervorgerufen werden. Die Tiefenangst ist damit perspektivisch wie ästhetisch unterschiedlich angelegt: in der totalen Übersicht, in einer möglichen Wahrnehmungstäuschung oder aber im Unwissen darüber, was im bodenlosen Grund alles lauern könnte.

Abb. 2: Möglichkeiten der bathophobischen Effektproduktion

Der bathophobische CGI-Effekt in zeitgenössischen Franchise-Produktionen vertraut nun auf eine Kombination jener verschiedener repräsentationalen Verfahren: Allererst signalisiert der Wechsel von der horizontalen Figuren- in die Vogelperspektive nicht eigentlich eine eingenommene Außenperspektive, vielmehr wird der pov-shot des Blicks in die Tiefe bereits vorweggenommen, bevor die Tiefenebene überhaupt filmisch realisiert wird. Wenn die CGI-Kreatur den Bilduntergrund aufbricht, ist damit einerseits auf eine Täuschung bezüglich der Raumtiefe aufmerksam gemacht und andererseits auf eine Verkennung des shots, der nicht eigentlich eine overview-, sondern eine pov-Einstellung in einen nicht einsehbaren Grund geschaffen hat. Der Horror des bathophobischen CGI-Effekts gründet demnach zugleich in einer suggerierten Übersicht, einer Wahrnehmungstäuschung und einem damit einhergehenden Unwissen über die Tiefenstruktur des filmischen Raumes. In ästhetischer Hinsicht wird so ein potenzierter bathophobischer Effekt hergestellt, der die repräsentationalen Möglichkeiten der Tiefenangst miteinander verschränkt.

Der bathophobische Effekt verleiht zweitens einen gestalterischen Freipass für die konkrete Art der CGI-Kreatur, deren Monstrosität sich in unterschiedlicher Form manifestieren darf. Mit Vorliebe wird hierfür auf urzeitliche, schlangen-, wurm-, oder drachenartige Wesen zurückgegriffen und insbesondere eine Mundöffnung inkludiert, welche die Sogwirkung des Blicks in die Tiefe zusätzlich verstärkt. Durch ihre übermäßige Größe, welche den Bildraum gesamthaft einzunehmen vermag, erwirkt die CGI-Kreatur damit eine Zentrierung auf die Bildmitte hin. Der pov-shot des Blicks in die Tiefe, so die Suggestion, ist eigentlich immer schon als Blick in den monströsen Mundraum angelegt (vgl. Abb. 3). Erneut wird hierfür auf eine perspektivische Übereinanderlegung der bathophobischen Effektproduktion vertraut, welche die Unheimlichkeit des traditionell in der Horizontale oder Vertikale gehaltenen over-under- respektive split shots in die Vogelperspektive verlagert.

Abb. 3: Bathophobische Eskalationslogik, horizontal gewendet

Die räumliche Tiefe ist wiederum nicht an eine elementare Form gebunden, sie vertraut einzig auf einen Wechsel der Oberflächenform in Bezug auf den Bildgrund (auf Wasser, Luft, Sand oder Eis). Technologisch wird hingegen eine doppelte Tiefenproduktion vollzogen: Denn wo im Bild die Raumtiefe aufbricht, ist und bleibt im medialen Sinn eigentlich Fläche, d.h. ein green screen. Bewegen sich die CGI-Kreation scheinbar aus dem Tiefenraum auf die Zuschauer:innen zu, ist so ein 3D-Effekt geleistet (eine sogenannte Stereographie), der parallel zum dargestellten Raumeinbruch eine Tiefenillusion des Filmbildes herstellt. Die inszenierte Durchbrechung des filmischen Grunds verdeckt folglich eine technologisch nie einzuholende Trennung der Ebenen; denn die CGI-Kreationen befinden sich nie in derselben Dimension wie das sonstige Figurenpersonal, auch wenn der monströse Dimensionseinbruch in der Diegese dies effektiv so inszeniert.

Die Funktion der CGI-Kreaturen bleibt dabei, so weisen es die einheitlichen Bildkompositionen aus, für den bathophobischen Effekt in The Mandalorian, Rings of Power oder Jurassic World etc. jeweils dieselbe, einzig die Monster variieren in ihrer Form und Gestaltung. Gehen wir von einer grundlegenden bathophobischen Logik der CGI-Sequenzen aus, dann ist im strukturalistischen Sinne folglich zwischen der konkreten Handlung (dem individuellen plot twist) bzw. dem konkreten Monster (dem Pyroraptor, Megalodon, dem Sandwurm oder Vaghar) und einer abstrakteren Struktur (dem bathophobischen Effekt) zu unterscheiden, die sich in den genannten Franchise-Produktionen wiederholt. Diese abstraktere Struktur ist an sich nicht mehr narrativ, sie ist nach Algirdas Julien Greimas vielmehr „designed to account for the initial articulations of meaning within a semantic micro-universe“ (aus dem Englischen nach Culler 1975, S. 92, vgl. Greimas 1970, S. 161: „rendre compte des premières articulations du sens à l’intérieur d’un micro-univers sémantique“). Das heißt für die CGI-Monster: Im narratologischen Sinne funktionieren sie paradigmatisch (als Tiefenstrukturen) und sind deshalb auch nicht von temporalen und kausalen, dann syntagmatischen Prinzipien des Erzählens geleitet.

2. Oberflächen- vs. Tiefenstruktur

In narratologischer Hinsicht unterwandert der bathophobische CGI-Effekt denn auch in mehrfacher Hinsicht die Stabilität erzählerischer Regeln; dies einerseits in der plötzlichen Herstellung eines plot twists und andererseits in einer Brechung mit den suggerierten Größenverhältnissen des filmischen Raumes. Der individuelle plot twist ist ein simpler: Das auftauchende CGI-Monster kann als Überraschungseffekt den Tod oder die Gefährdung einer Figur (Lucerys Velaryon, Baby Yoda), eine einende Bestehensprobe (Galadriel) oder eine Instruktionsszene für weitere Geschehnisse initiieren. Dies alles, ohne dass der plot twist groß eingeleitet oder erklärt werden müsste, vielmehr federt das auftauchende Monstrum die Kontingenz der Handlungsabfolge ab, unterstützt durch die in der Action-Szene partizipierenden Held:innen, die Kameraführung sowie Filmmusik und Effekte.

Die Brechung mit den präsupponierten Verhältnissen des filmischen Raumes ist hingegen komplizierter angelegt, denn sie weist auf ein unzuverlässiges Erzählverfahren zurück, das narratologisch ein Vertrauen in die erzählten Parameter unterläuft. Dieses unzuverlässige filmische Erzählverfahren ist nicht an eine konkrete Erzählinstanz, sondern an die Räumlichkeit des filmischen Mediums gebunden. Sowohl die Figuren als auch die Zuschauer:innen können sich über die Kohärenz der eigenen Perspektive deshalb nicht mehr sicher sein.

Was The Meg, Jurassic World, The Mandalorian oder House of the Dragon mit CGI und Bathophobie in Sekundenschnelle produzieren, ist als Effekt viel eher bekannt aus Erzählungen wie Ambrose Bierces An Occurrence at Owl Creek Bridge (1891), Leo Perutz’ Zwischen neun und neun (1918), Jorge Luis Borges’ El Sur (1944), oder Julio Cortàzars La noche boca arriba (1966): Ein intradiegetischer Erzähler berichtet von einer knappen Umgehung seines Todes, die zum Schluss der Erzählung als Halluzination, Erfindung oder Manipulation ausgewiesen wird. Sofort ist mit dem Wissen um die Unzuverlässigkeit der Erzählinstanzen – im übertragenen Sinne das bathophobische Horrormoment – eine Aktualisierung der Erzähllogik gefordert, um diese in eine zwar veränderte, allerdings kohärente erzählte Welt  einzupassen:

Der Grund, weshalb wir nach der Lektüre der Schlußpointe sofort das neue Textverständnis akzeptieren und damit rückwirkend die gesamte Handlung uminterpretieren, liegt […] darin, daß wir nur mit Hilfe dieser Lektüre aus dem Text eine konsistente erzählte Welt konstruieren können, die durch das Motiv des halluzinatorischen Abenteuers im Moment des Sterbens geprägt ist – andernfalls ergäbe sich nämlich ein unaufgelöster Widerspruch zwischen dem Hauptteil und dem Schluß des Romans. Umfassende Konsistenz ist eine konstitutive logische Norm des fiktionalen Erzählens. (Martinez/Scheffel 2009, S. 103)

Kommen Zweifel an der Stabilität der erzählten Welt auf, ist somit augenblicklich ihre retrospektive Rekonfiguration in Gang gesetzt. Im strukturalistischen Sinne ist bei Bierce, Perutz, Borges und Cortàzar so eine gemeinsame narratologische Tiefenstruktur auszumachen, die sich formal im Moment der Auflösung des unzuverlässigen Erzählens respektive der verlangten Retroaktivität manifestiert (vgl. Brütsch 2015, S. 221).

In den 1990er und 2000er Jahren (parallel zur Institutionalisierung des CGIs) bildete sich ein spezifisches Genre für filmische Erkundungen à la Bierce, Perutz, Borges und Cortàzar heraus, das Verwirrung und Verunsicherung in Form einer oder mehrerer unzuverlässiger Erzählinstanzen zum Thema machte. Diese sogenannten Mindfuck-Movies, darunter The Sixth Sense (Regie M. Night Shyamalan, 1999), Fight Club (Regie David Fincher, 1999), Shutter Island (Regie Martin Scorsese, 2010) oder Gone Girl (Regie David Fincher, 2014), teilen sich Erzählinstanzen, die wahnhafte Charakteristiken aufweisen. Diese bleiben den Zuschauer:innen allerdings bis zum Schluss vorenthalten. Der Mindfuck gründet in der Folge darin, dass der plot twist unerwartet eintritt, rückblickend allerdings durchaus nachvollziehbar erzählt wurde – der Effekt des unzuverlässigen Erzählens ist in diesem Sinne auch nicht wiederholbar.

Entsprechende Texte oder Filme, argumentiert Robert Vogt, fallen unter das Label von alteriert-unzuverlässigen Erzählungen:

[R]eaders construct a false image of the fictional world until an unexpected plot twist pulls the rug out from under their feet, forcing them to call into question and revise their assumptions about the facts and events in the story. Contrary to other (rather genre specific) narrative strategies found for instance in whodunits, the plot twist in these texts springs an absolute surprise on the reader who is not aware that he might get duped about the facts and events in the fictional world […]. Since this effect is achieved by a manipulative distribution of narrative information, I call this type alterated-unreliable narration (2015, S. 133).

Bei Bierce, Perutz, Borges und Cortàzar wie auch bei Shyamalan, Fincher oder Scorsese ist dieses Erzählverfahren allerdings an eine Fokalisierung gebunden, deren Teilnahme an der erzählten Welt für vertrauensvoll gehalten wird, d.h. an ein „mimetisch teilweise unzuverlässiges Erzählen“, das sich über eine gewisse Erzählzeit erstreckt (Martinez/Scheffel 2009, S. 102). Davon abzugrenzen ist nun ein Erzählen, welches die Verunsicherung von Leser:innen bzw. Zuschauer:innen bezüglich der Fokalisierung in die Parameter des erzählten und technologisch hergestellten Raumes verschiebt. Der bathophobische Effekt leistet so nicht etwa einen Vertrauensverlust in die Protagonist:innen, sondern vielmehr in die räumliche Anordnung der Erzählung, und damit ein spezifisches Verfahren des nicht vertrauenswürdigen räumlichen Erzählens.

Erachtet man die Raumgestaltung als eine „Sprache, die die anderen, nichträumlichen Relationen des Textes ausdrückt“ (Lotman 1973, S. 347), so überschreitet die bathophobische CGI-Serie nicht nur topographische oder topologische, sondern auch semantische Grenzen: Wenn der erzählte Raum selbst implodiert, währenddessen eine technologische Tiefenillusion erbracht wird, dann werden nach Lotman eigentlich klassifikatorische Grenzen aufgehoben. Bathophobie und CGI erzeugen so eine Instruktionsszene, die räumliches Erzählen als unzuverlässig ausstellt, indem diegetische, narratologische, technologische und repräsentationale (perspektivische) Ebenen ineinander brechen. Gleichzeitig wird auf die Raumerzählung selbst hingewiesen – auf deren Herstellung, Rahmung, Durchlässigkeit und Formbarkeit. Dies hat andauernde Konsequenzen für den weiteren Verlauf der Erzählung, weil der räumlichen Anordnung, dem gezeigten Bildausschnitt bzw. dem Verhältnis von Figur und Grund kein Vertrauen mehr entgegengebracht werden kann.

Die alle genannten Film- und Serienproduktionen auszeichnende Tiefenstruktur manifestiert sich deshalb nicht primär in der monströsen, sondern in der seriellen Form des unzuverlässigen räumlichen Erzählens (analog zur geteilten Fokalisierungs-Tiefenstruktur bei Bierce, Perutz, Borges und Cortàzar). Bathophobie und CGI heißt deshalb: Die Übernahme der Oberflächen- durch die Tiefenstruktur (diegetisch) bei einer gleichzeitigen Tiefenproduktion (technologisch), bei einer gleichzeitigen Kombination bathophobischer Darstellungsformen (ästhetisch), bei einer gleichzeitigen Durchbrechung des Vertrauens in die erzählten Parameter (narratologisch). Dies alles, ohne dass die temporalen oder kausalen Prinzipien der Diegese aufbrechen müssen. Die CGI-Kreaturen stehen folglich ironisierend dafür ein, wie es aussehen könnte, würde eine narrative Tiefenstruktur in komprimierter Form an die Oberfläche der Erzählung gezerrt.

Abb. 4: Bathophobischer CGI-Effekt in The Meg (Regie Jon Turteltaub, 2018), Dune (Regie Denis Villeneuve, 2021) und The Lord of the Rings: Rings of Power (Adrift, Season 1, Episode 2, Regie J. A. Bayona, 2022)

III. Peri Bathous

Hiermit ist hiermit schließlich auf eine Spannung zwischen dem Erhabenen und dem Lächerlichen aufmerksam gemacht, welche dem Bathos (griech. Βάθος) rhetorikgeschichtlich innewohnt. Denn in der ursprünglichen Verwendung bei Ps.-Longin in Perì Hýpsous bezeichnet das Bathos nicht nur „entweder Höhe oder Tiefe, je nach dem Standpunkt des Betrachters“ und „eine dichterische Form (βένθος, bénthos) zur Beschreibung der Tiefen des Ozeans oder himmlischer Höhen“, sondern bildet insbesondere ein Synonym für das Erhabene (Hughes 2013, Sp. 1366). Spätestens seit Alexander Popes Schrift Peri Bathous, or, Martinus Scriblerus, His Treatise of the Art of Sinking in Poetry (1728) wurde das Bathos allerdings in der gegenteiligen Bedeutung verwendet, nämlich für einen fehlgeschlagenen Versuch in der Herstellung von Erhabenheit und damit für den Effekt einer Antiklimax, die unfreiwillig komisch wirkt. So schreibt Pope in seiner Anti-Rhetorik:

We come now to prove, that there is an Art of Sinking in Poetry. Is there not an Architecture of Vaults and Cellars, as well as of lofty Domes and Pyramids? Is there not as much skill and labour in making of Dikes, as in raising of Mounts? Is there not an Art of Diving as well as of Flying? And will any sober practitioner affirm, that a diving Engine is not of singular use in making him long-winded, assisting his descent, and furnishing him with other ingenious means of keeping under water? (1986, S. 190)

Pope satirisiert damit nicht nur Ps.-Longins Regelsystem, sondern insbesondere all jene Schreibenden, die sich besonders tiefgründig geben möchten und gerade in dieser artifiziellen Tiefgründigkeit zum Lachen anregen. Das Bathos bezeichnet so einen „abrupten Bruch in der Stillage und die damit einhergehende plötzliche Perspektivverschiebung“ (Jäger 2015, S. 380).

Die Kunst der Anti-Klimax kann, obwohl unfreiwillig, sehr verschieden eingelöst werden, und so bestimmt Pope in The Art of Sinking in Poetry verschiedene Klassen von Bathos produzierenden Autor:innen. Diese gliedert er unter dem Vorzeichen der Veranschaulichung in neun Tierarten: Bathos produzieren u.a. fliegende Fische („writers who now and then rise upon their fins, and fly out of the Profund; but their wings are soon dry, and they drop down to the bottom”, 1986, S. 196), Schwalben („authors that are eternally skimming and fluttering up and down, but all their agility is employ’d to catch flies”, 1986, S. 197), Enten („authors that keep themselves long out of sight, under water, and come up now and then where you least expected them”, 1986, S. 197) oder etwa Schweinswale („they put all their Numbers into a great turmoil and tempest, but whenever they appear in plain light, (which is seldom) they are only shapeless and ugly Monsters”, 1986, S. 197). Pope fasst die diversen Produktionsweisen des Bathos demgemäß in eine animale Taxonomie, die selbst an einer topologischen Grenze zwischen Wasser und Luft, Höhe und Tiefe sowie zwischen einem Absinken und einem Auftauchen situiert ist. Die Art of Sinking ist so an eine Räumlichkeits- und Materialitätsvorstellung gebunden, an der nicht nur die Werthaftigkeit von Poesie festgemacht, sondern zugleich eine Bedeutungsveränderung des Bathos statuiert wird.

In rhetorikgeschichtlicher Betrachtung, so ließe sich primär folgern, rufen die seriell auftauchenden CGI-Monster ein dem bathophobischen Schrecken inhärentes Kippmoment zwischen Erhabenheit und Lächerlichkeit auf. Die Überraschungseffekte aus der Bildtiefe machen innerhalb der repräsentativen Anlage, des plot twists sowie der damit einhergehenden Topographie allerdings auch auf eine rhetorisch wie räumlich neuartige Funktionalisierung des Bathos aufmerksam: Treffen sich Batophobie und CGI in der Genese eines Schreckens, der die Auflösung einer räumlichen Logik von Oberfläche und Tiefenstruktur, von Figur und Grund initiiert, und wird das Bathos nun nicht als Fisch, Ente oder Wal, sondern in monströser Form verkörperlicht, verkehrt sich die Art of Sinking programmatisch in eine spezifische Art of Ascending – eine Kunst des Zur-Oberfläche-Aufsteigens. Diese invertiert nicht nur ihre eigenen Produktionsverfahren, sondern nutzt die Angst vor der Tiefe für eine Zerstörung der Hierarchisierung zwischen jenen klassifikatorischen Grenzen, die bei Pope zumindest in metaphorischer Weise für die Bestimmung von rhetorischer Wertigkeit sowie eine Umfunktionalisierung des Bathos zentral sind.

Anhand der CGI-Monster ist in Film und Serie der Gegenwart folglich ein unzuverlässiges Erzählen nachzuweisen, welches das ‚Niedere‘ in räumlicher, technologischer, repräsentationaler, narratologischer und rhetorischer Hinsicht überblendet und den Wegfall einer „Werthierarchie von mehreren gleichzeitig anwesenden, teils einander dienenden, teils miteinander in Spannung stehenden Strukturelementen und Funktionen“ zelebriert (Jakobson 1979, S. 212). Der bathophobische Effekt gründet deshalb nicht ausschließlich in der diegetischen, narratologischen oder perspektivischen Anlage der seriellen Szene, sondern in der darin vollzogenen Auflösung einer Hierarchisierung zwischen jenen Ebenen – der Diegese, der Narration, der komprimierten und in die Diegese verlagerten Substruktur sowie deren monströser Formgebung.

Derart wird auf die Serialität von narrativen Tiefenstrukturen aufmerksam gemacht (vgl. Bierce – Perutz – Borges – Cortàzar bzw. Shyamalan – Fincher – Scorsese), die in seriell angelegten Franchiseproduktionen wiederum nur dann eingesetzt werden können, wenn sie komprimiert und als Mikrosequenzen in eine Form gepasst werden, welche den Einbruch der erzähltechnischen Hierarchisierungen repräsentational kompensiert. Durch die an die Oberfläche tretenden Tiefenstrukturen wird so eine großflächige Verunsicherung des erzählten Raumes eingelöst, die nicht eigentlich ein distinktes Schreckmoment, sondern aufgrund ihrer Serialität einen strukturalistischen plot twist geltend macht – denn die narrativen Tiefenstrukturen drohen nun als monströse Formationen in die Handlungen, Abläufe und Geschehnisse der Diegese einzudringen und diese grundlegend zu stören.

 

Literatur

Brütsch, Matthias: Irony, Retroactivity, and Ambiguity: Three Kinds of “Unreliable Narration” in Literature and Film. In: Nünning, Vera (Hg.): Unreliable Narration and Trustworthiness. Intermedial and Interdisciplinary Perspectives. Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2015, S. 221–244.

Culler, Jonathan: Structuralist Poetics. Structuralism, Linguistics and the Study of Literature. London: Routledge 1975.

Greimas, Algirdas Julien: Du Sens. Essais sémiotiques. Paris: Éditions de Seuil 1970.

Hughes, Peter: Bathos. In: Ueding, Gert (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 1. Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1992, Sp. 1366–1372.

Jäger, Maren: Das komische Kurzgedicht. In: Jakobi, Carsten und Waldschmidt, Christine (Hg.): Witz und Wirklichkeit. Komik als Form ästhetischer Weltaneignung. Bielefeld: transcript verlag 2015, S. 359–386.

Jakobson, Roman: Die Dominante [1935]. In: Ebd.: Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921–1971, hg. v. Elmar Holenstein und Tarcisius Schelbert. S. 212–219.

Lotman, Juri: Die Struktur des künstlerischen Textes. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1973.

Martinez, Matias und Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. 8. Auflage. München: C. H. Beck 2009.

Pope, Alexander: Peri Bathous: or, Martinus Scriblerus, His Treatise of the Art of Sinking in Poetry. In: Ebd.: The Prose Works of Alexander Pope, hg. v. Rosemary Cowler. Volume II: The Major Works 1725–1744. Oxford: Archon Books 1986, S. 171–276.

Vogt, Robert: Combining Possible-Worlds Theory and Cognitive Theory: Towards an Explanatory Model for Ironic-Unreliable Narration, Ironic-Unreliable Focalization, Ambiguous-Unreliable and Alterated-Unreliable Narration in Literary Fiction. In: Nünning, Vera (Hg.): Unreliable Narration and Trustworthiness. Intermedial and Interdisciplinary Perspectives. Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2015, S. 131–153.

 

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