Meinungen, Zeitdiagnosen, Zielgruppen, Akademikeransprachen
[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 17, Herbst 2020, S. 114-125]
Popularisierung besaß ursprünglich eine deutlich hierarchische, ständische Dimension. Für die ›Ungebildeten‹ sollten wichtige Erkenntnisse und Stoffe der ›Gelehrsamkeit‹ so aufbereitet werden, dass sie leichter zugänglich sind, ohne stark an Substanz zu verlieren. Aufklärerisch war daran, dass auch die ›niederen‹ Schichten für wert befunden wurden, ›emporgezogen‹ zu werden, und ihnen zugetraut wurde, die popularisierte Version zu verstehen, um sich auf dieser Grundlage vielleicht sogar selbst in den ›gebildeten‹ Stand zu versetzen. Heutzutage fallen Begründungen für verwandte Bestrebungen zumeist anders aus: Man verweist in erster Linie auf den hohen Spezialisierungsgrad der Wissenschaften, um Popularisierung zu fordern oder zu betreiben – schon der Soziologe verstehe wegen des Unterschieds der Fachsprachen den Philologen nicht mehr (und umgekehrt), ganz zu schweigen von der Entfernung zwischen Natur- und Kulturwissenschaften.
Auch unsere Zeitschrift, für die fast ausschließlich Universitätsangehörige schreiben, bemüht sich insofern um Popularisierung, als sie viele Artikel veröffentlicht, die deutlich kürzer ausfallen als übliche wissenschaftliche Aufsätze. Der Schwerpunkt liegt in »Pop. Kultur und Kritik« auf der Beschreibung interessanter oder symptomatischer Einzelfälle und der Angabe von Analyseresultaten, nicht auf der ausführlichen systematischen Darstellung der ausgewerteten Quellen und jener Methoden, mit denen die Ergebnisse erzielt wurden. Nicht unbedingt übernommen, zumindest nicht verlangt wird hingegen die gängigste traditionelle Popularisierungspraxis: die Vermeidung starker Abstraktion und differenzierter, mitunter uneindeutiger, verästelter Argumentation und Sprache (nicht wenige Wissenschaftler greifen allerdings unaufgefordert auf journalistische Standardmethoden – witzige, anspielungsreiche Titel, szenischer Einstieg, aus überregionalen Zeitungen zitieren, bekannte Namen anführen – zurück).
Grundsätzlich scheint es kaum mehr nötig zu sein, innerhalb bestimmter Bereiche, die nicht durch disziplinäre Gräben voneinander getrennt sind, auf Popularisierung zu setzen. Eine Darstellung, die in anschaulicher Sprache und übersichtlichen Sätzen handelnde Akteure und einfache Ursache-Wirkung-Zusammenhänge herausstellt, hat darum an Bedeutung verloren; aber auch weniger konventionelle Formen der Popularisierung müssen sie heutzutage nicht unbedingt ersetzen – denn in der Gegenwart gibt es (gemessen an den Verhältnissen vor 200 Jahren) beinahe unvorstellbar viele ›Gebildete‹. Die Zahl derjenigen, die heute auf ein geistes-, kultur- oder gesellschaftswissenschaftliches Studium zurückblicken können, ist immens, ›leichte Sprache‹ oder ›packende Anschaulichkeit‹ muss darum keineswegs auf breiter Front zum Einsatz kommen. Wenn selbst wissenschaftliche Überblicksdarstellungen aus diesen Disziplinen gegenwärtig kaum Leser finden, liegt das nicht in erster Linie (und manchmal gar nicht) an ihrer Undurchdringlichkeit, sondern am Desinteresse der Absolventen gegenüber ihrem (ehemaligen) Studienfach.
Deshalb ist es naheliegend, Popularisierung mit anderen Mitteln zu betreiben. Am sichersten erlangt man bei der großen Zahl der Abiturienten und Akademiker ein wenig Aufmerksamkeit, indem man als Wissenschaftler deutlich eine Meinung vertritt: ästhetische Urteile über Kunstwerke oder politische und moralische Einschätzungen zu Menschen und ihren Handlungen. In kleinen universitären Kreisen oder bei Veröffentlichungen in spezialisierten Zeitschriften geschieht das zwar auch oft, es wäre aber nicht unbedingt nötig, so zu verfahren. Oft sind deren Autoren und Leser sich ohnehin bewusst, weitgehend auf einer Linie zu liegen, aus diesem Grund müsste man viele Ansichten nicht oft wiederholen. In unserer Zeitschrift z.B. wäre es darum überflüssig, fortgesetzt avancierte Popmusik zu loben oder Kulturkritik zurückzuweisen, Konservative oder Neoliberale zu attackieren, es sei denn, man wollte ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen, sich wechselseitig Bestätigung und Anerkennung verschaffen, hätte keine Angst vor Langeweile, verfügte über großen Bekenntnisdrang und über Geld für den Druck vieler weiterer Seiten. Ohne solche Antriebe und Voraussetzungen kann man auf die obligatorischen, erwartbar konsensuellen Einschätzungen weitgehend verzichten und den knappen Platz sowie die beschränkte Arbeitszeit der Darstellung, Thesenbildung und Analyse vorbehalten.
Zielt man auf ein anderes, erweitertes, nicht spezialisiertes Publikum, ist es hingegen häufig sinnvoll, das mit leichter Variation bei Argumentation oder Wortwahl zu wiederholen und zu bekräftigen, was diese bereits glauben und als Wertung kennen und schätzen; am besten, dies erfolgt von der Warte sehr großer Amts- oder Fachautorität aus (›der hoch anerkannte Wissenschaftler x von der berühmten Universität y findet, dass z gut oder schlecht ist‹). Über den Weg geteilter Meinungen kann dann vielleicht sogar auch eine erfolgreiche Popularisierung bislang außerhalb der Fachwelt wenig bekannter Forschungsergebnisse stattfinden.
Um Gehör bei einem größeren feuilletonistischen Leserkreis zu finden, schadet es hingegen überhaupt nicht, mit Verve eine Meinung zu vertreten, die unkonventionell, leicht anstößig, überraschend ausfällt. Ob solch eine Steigerung der Bekanntheit stets anzustreben ist, kann allerdings nicht rückhaltlos bejaht werden. Man gerät als origineller Denker leicht in die Rolle des amüsant-provokanten Exzentrikers, dessen Einwürfe in nicht wissenschaftlichen Organen publiziert werden, weil die Redaktionen ihre Folgenlosigkeit voraussetzen; um dies zu garantieren, werden zumeist Leute beauftragt, die nicht Sprachrohr oder Vertreter einer Gruppe oder Bewegung sind (oder als ›organische Intellektuelle‹ wichtigen Anteil an ihrer Formierung besitzen), sondern ›freischwebende Intellektuelle‹ und eigenwillige Professoren.
Was wird dadurch aber popularisiert? Sind es wissenschaftliche Erkenntnisse? Angesichts des oft behaupteten Unterschieds zwischen Sein und Sollen, zwischen Analyse und Bewertung steht das regelmäßig in Frage. Durch die Überzeugung von der Bedeutung neuer Perspektiven und Vokabulare, unabhängig von ihrer möglichen oder illusionären Wahrheit, kann diese Dichotomie versuchsweise überwunden werden – beim originellen Denker bzw. Publizisten fällt dann das zu Popularisierende und die Popularisierung in eins.
Einen konventionelleren Weg beschreitet man, wenn man komplexe Modelle und begründete Prognosen vorstellt, die angeben, dass etwas wahrscheinlich eintreten oder scheitern wird. Die Wertung, dass es gut oder schlecht ist, wenn etwas weiter funktionieren oder in Zukunft erreicht wird, kann nun von wissenschaftlicher Seite geteilt werden, ohne es ausdrücklich aussprechen zu müssen. Zur Popularisierung trägt in diesem Fall bei, dass man sich eines von anderen als wichtig und wertvoll erachteten Phänomens annimmt, um seinen Fortbestand oder seine Weiterentwicklung mit Analysen und Fachbegriffen zu bekräftigen. Das beste Beispiel dafür bietet jene ökonomische Disziplin, deren Rechnungen ganz auf den Kapitalismus und sein Wachstum ausgerichtet sind. Obwohl ihre Prognosen regelmäßig scheitern, ist ihr Popularisierungspotenzial nach wie vor hoch: Kaum ein Tag vergeht, ohne dass Wirtschaftswissenschaftler in Talkshows oder überregionalen Zeitungen ihre Ansichten verkünden. Sie scheuen sich dort auch nicht, genaue Handlungsempfehlungen zu geben. Nicht wenige von ihnen werden von der Bundesregierung ohnehin regelmäßig aufgefordert, genau dies zu tun, was ihnen insofern keine Probleme bereitet, als sie mit den Zielen und Wertsetzungen der Regierung übereinstimmen, auch wenn sie mitunter andere Mittel, um sie zu verwirklichen, bevorzugen.
Über solch eine Nähe zur Exekutive und ihren Handlungschancen verfügen die meisten Geistes-, Sprach- und Kulturwissenschaftler nicht einmal ansatzweise. Zudem gibt es unter ihnen keine weithin geteilten Überzeugungen, die Methoden und Ziele beträfen. Auch Feuilletonisten und Kulturinteressierte präsentieren darum ihre Empfehlungen und Vorlieben häufig auf eine recht eigenständige Weise, die vielen Wirtschaftsredakteuren oder Hobby-Ökonomen zweifelhaft erschiene. Ein geteilter wissenschaftlicher Ansatz liegt den Ausführungen der Kunst- und Kulturfreunde keineswegs zugrunde – und bei den vielen unterschiedlichen Rückgriffen auf Konzepte aus dem universitären Raum handelt es sich weit überwiegend um bestimmte Schlagworte oder um Trends, die von ihnen begünstigt werden (etwa um Trends, was überhaupt zum Thema gemacht und worauf geachtet werden soll), nicht um angewendete Methoden oder um die Überprüfung von Hypothesen. Darum dienen jene Popularisierungen, die von Journalisten vorgenommen werden und die Bereiche von Kultur und Gesellschaft betreffen, gegenwärtig nur selten tatsächlich der Wissenschaftspopularisierung, sondern zumeist der Wiederholung und Ausbreitung interessanter Hypothesen und schwer oder gar nicht beweisbarer Ursache-Wirkung-Angaben.
Geht in die Reden und Auffassungen der an Kunst und Kultur interessierten Bürger etwas Wissenschaftliches ein, sind es zumeist Begriffe und Thesen, die einen starken sozialpolitischen oder moralischen Zug besitzen oder ermöglichen. Das können theoretisch-abstrakte Überlegungen sein (etwa zu Gender- oder Gerechtigkeitsfragen), aber auch historische Betrachtungen. Hier kommen mitunter traditionelle Popularisierungsformen wieder zum Einsatz, etwa wenn der wissenschaftliche Autor die (sozial-)philosophische Abhandlung durch den Essayband oder das Interview ersetzt. Um Popularisierung im alten, ständischen Sinne handelt es sich dennoch nicht, weil hier Akademiker für andere Akademiker etwas ›popularisieren‹, z.B. Historiker, die über Staatenlenker oder Epochen keine Detailuntersuchungen vorlegen, sondern ›epochale‹ Monografien, die u.a. von Politikern und Lehrern gekauft werden, um Orientierung für richtiges Handeln in der Gegenwart zu erlangen.
Etwas anders verhält es sich bei professoralen Zeitdiagnosen. Sie wollen anzeigen, was die Gegenwart in großem Maße bestimmt, das interessiert manchmal auch Leser, die kein Urteil über diese Gegenwart fällen oder sie mit guten Gründen stark verändern wollen. Selbstverständlich kann zusätzlich immer noch zur Verdammung oder zur Feier dieser Gegenwart ausgeholt werden, Kritik an ihr geübt und zu ihrer Verbesserung oder Überwindung aufgerufen werden. Genügend Befriedigung ziehen manche aber bereits daraus, ›den Überblick zu haben‹ und die vielgestaltige Welt auf einige Begriffe zu bringen, auch wenn aus dieser Herrschaft der Ideen und Worte noch keine Handlungsmacht erwächst.
Nicht selten diagnostizieren die Gegenwartspanoramen bereits selbst eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten: Es herrsche Unübersichtlichkeit, Individualismus, Komplexität, Rückgang des Gemeinschaftssinns, Verlust fester Gewissheiten. Zu diesem Gegenwartsverständnis gelangen sie meistens, indem sie einen Vergleich mit früheren Zeiten anstellen. Oft ist das eine eigenartig sterile, idealisierte Vergangenheit oder ein seltener Moment, ein kleiner Ausschnitt aus ihr; große Fluchtbewegungen, sehr unsichere Arbeitsverhältnisse, Diktatur, Nationalsozialismus, Kriege kommen in dieser ›übersichtlichen‹, von ›festen Bindungen‹ geprägten Vergangenheit kaum oder gar nicht vor. Auf diese Art und Weise kann ein gar nicht so komplexer Überblick gelingen.
Recht erfolgreich bei vergleichbaren Popularisierungen sind Soziologen. Fachgemäß benennen sie den prägenden Zug der Zeit, indem sie ein Phänomen in den Mittelpunkt der ganzen Gesellschaft stellen: »nivellierte Gesellschaft«, »Wissensgesellschaft«, »Multioptionsgesellschaft«, »Gesellschaft der Singularitäten« usf. Dass es sich um Zeitdiagnosen handelt, kann man auf verkehrte Weise daran erkennen, wie rasch sie zumeist an Popularität verlieren. Selbst wenn sie keine kurzzeitigen oder lediglich imaginierte Phänomene beschreiben sollten, stellen sie selbst bloß eine modische Erscheinung dar. Wenn überhaupt, bleibt von ihrer Popularisierungsleistung lediglich das neu gebildete Kompositum übrig: »Risikogesellschaft«, »Erlebnisgesellschaft« etc.
Dies liegt aber nicht an den Büchern selbst. Im Gegensatz zu jenen Intellektuellen, Sachbuchautoren oder Feuilletonisten, die ihre groß ansetzenden Diagnosen pointiert oder provokant ohne arbeitsintensive oder methodische Anstrengung darbieten, geht in die Bücher der Soziologen eine große Menge an herangezogener Literatur sowie an fachwissenschaftlicher Diskussion und Begriffsarbeit ein. Erfolgreich über das eigene Fach hinaus können sie offenbar nur sein, wenn sie dem Leser den Eindruck vermitteln, sie agierten auf dem Stand der Forschung. Gelegentlich unverständliche oder langweilige Passagen stören darum gar nicht entscheidend, falls es in der Einleitung, im Schlusskapitel und mitunter zwischendurch prägnant und thesenstark zugeht. Eine ansehnliche Seitenzahl, die so erzielt wird, kann ohnehin nicht schaden, Länge und Gewicht signalisieren dem der Autorität bedürftigen Leser Gewichtigkeit. Ein beachtlicher Umfang und fachwissenschaftliche Partien oder Anzeichen sind auch für die breitere Leserschaft von Bedeutung, selbst wenn deren Erinnerung an das Gelesene – das Popularisierungsergebnis – am Ende in dem besteht, was bereits Buchtitel und Klappentext benennen.
Ein großer Umfang ist aber auch von der Sache her geboten. Einfach nur zu postulieren, etwas präge ›die Gesellschaft‹, kann nicht ausreichen, wenn man prinzipiell die soziologische Ansicht für richtig hält, dass in der Gegenwart unterschiedliche soziale Teilbereiche oder Subsysteme eigenen Regeln oder Codes unterlägen. Folglich muss zumindest ein Blick auf einige Institutionen, Gruppen, Klassen oder Funktionssysteme geworfen werden, um anzuzeigen, dass einem sehr viele Facetten der Gesellschaft vertraut sind, auch wenn von vornherein feststeht, dass sich dadurch nichts an der These von der »Konsumgesellschaft«, der »Wissensgesellschaft« etc. ändert (sonst hießen die Bände ja nicht so). Darum setzen sich solche Bücher unausweichlich der Kritik aus, sie übertrügen Befunde, die auf eine Schicht, ein Funktionssystem, ein Netzwerk etc. zuträfen, unzulässig auf alle anderen.
Schaut man sich nun die wissenschaftliche Beschäftigung mit der populären Kultur an, liegt ein übergreifendes Vorgehen auf den ersten Blick ebenfalls sehr nahe. Massen-, Populär- und Popkultur werden in vielen Varianten des Begriffsgebrauchs weder auf ein Genre noch eine soziale Gruppe beschränkt. Tatsächlich hat es ganze Reihe an Büchern – teils kurzfristige Bestseller, teils Longseller – von Wissenschaftlern gegeben, die erfolgreiche Popularisierungen sozialphilosophischer Studien und Theoreme darstellten, etwa José Ortega y Gassets »Aufstand der Massen«, Hendrik de Mans »Vermassung und Kulturzerfall« oder Max Horkheimers und Theodor W. Adornos »Dialektik der Aufklärung« mit dem »Kulturindustrie«-Kapitel. Deren Einlassungen besitzen allerdings einen weitgehend negativen Tenor, der unter heutigen Wissenschaftlern aus Gründen angenommener Objektivität oder aus Sympathie für ihren Gegenstand nur noch wenig Anklang findet.
Versuchte man Gründe anzugeben, weshalb es aktuell keine erfolgreichen Popularisierungen dieser Größenordnung mehr gibt, könnte man darum auf die These verfallen, dass nur äußerst kritische Zeitdiagnosen, die auf die Pop(ulär)kultur abzielen, ein großes Lesepublikum erreichen. Dass es grundsätzlich aber auch anders geht, zeigt etwa das Beispiel des internationalen Bestsellers »Everything Bad Is Good for You: How Popular Culture Is Making Us Smarter« aus dem Jahr 2005. Dessen Autor Steven Johnson arbeitet allerdings als Journalist, Sachbuchautor und Fernsehmoderator, nicht als Wissenschaftler. Bezeichnend ist auch, dass er kaum auf kultur-, sondern in erster Linie auf neurowissenschaftliche Befunde zurückgreift.
Ein anderer Grund, weshalb umfassend ansetzende Beiträge zu einer Apologie der Pop(ulär)kultur nicht zu verzeichnen sind, könnte in dem sehr hohen Spezialisierungsgrad der Disziplinen liegen. Er verhindert es, dass Germanisten, Soziologen, Ethnologen etc. groß angelegte Popularisierungen veröffentlichen, die Ergebnisse und Ansätze unterschiedlicher Fächer berücksichtigten, um in ein Lob der Pop-, Massen- oder Populärkultur zu münden. Selbst neutral gehaltene Darstellungen, die übergreifend ansetzten, sähen sich wahrscheinlich rasch dem Vorwurf ausgesetzt, unwissenschaftlich vorzugehen, darum verzichtet man als Universitätsangehöriger lieber darauf, sich in diese Gefahr zu begeben.
Auch bei mittelgroßen Popularisierungsansätzen von Wissenschaftlern dominieren aber weiterhin die Bemühungen, über eine alarmierende Diagnose und Prognose zusätzlich Aufmerksamkeit zu gewinnen. Immer wieder versuchen Verlage, mit beachtlichen Marketinganstrengungen zumindest zu einzelnen wichtigen Phänomenen – zu Markennamen, Facebook, Smartphones, Selfies, Computerspielen etc. – strikt negative Bilanzen von Wissenschaftlern zu publizieren, die eine größere Leserschaft erreichen sollen. Solche Titel stammen zumeist nicht mehr von Philologen und Philosophen, sondern von Psychologen, Erziehungswissenschaftlern, Sozialpsychologen, Historikern, Soziologen.
Weniger kulturkritisch gestimmte Wissenschaftler setzen oftmals eine Stufe darunter an – bei prominenten Künstlern, bei Genres oder Medien- und Kulturtechniken –, wenn sie die übliche kleinteilige Analyse zugunsten eines etwas publikumsträchtigeren Themas hintanstellen. Darum erstaunt es auf den ersten Blick, wenn eine neue Studie die Darstellung des Mega-Themas »Jugend Pop Kultur. Eine transnationale Geschichte« ankündigt. Es handelt sich jedoch vor allem um eine Marketingmaßnahme. Der Band ist aus einer geschichtswissenschaftlichen Dissertation hervorgegangen, deren Titel aussagekräftiger ist: »Delinquenz und Normalisierung. Von der Jugend- zur Popkultur: eine transnationale Geschichte (1953-1966)«. Selbst dies ist ein wenig hochgegriffen; in erster Linie rekonstruiert das Buch von Bodo Mrozek auf Grundlage behördlicher Akten und Zeitungsberichte (versuchte) Kriminalisierungen jugendlicher Stilentäußerungen und Handlungen von den Teddy Boys bis zu den sog. Gammlern. Angereichert wird das sehr gut zu lesende, sinnvoll argumentierende, viele Quellen erstmals erschließende Buch etwa mit Ausführungen zur Nouvelle Vague, zu TV-Shows, dem elektrifizierten Sound, Radiosendern, französischen Teenager-Magazinen, Fanclubs. Diese Ausführungen fallen teilweise lexikalisch aus, sie bieten aber auch viele interessante neue Details; zu einigen Bereichen gibt es freilich bereits umfangreichere Abhandlungen, bei anderen wäre dies wünschenswert. Da der Band zudem Ereignisse, Szenen, Medien, Institutionen der BRD und DDR, aus Frankreich, England und den USA untersucht, bekommt die Auswahl einen willkürlichen Zug: Wieso es nicht ebenfalls Kapitel zu Plattenfirmen, der Beatnik-Mode, der Bedeutung von Charts, dem Einzelhandel, der Schulerziehung etc. gibt, dürfte sich eher den Interessen des Autors oder zeitlichen Zwängen verdanken als systematischen Gründen. Dies spricht keineswegs gegen das ausgezeichnete Buch, zeigt aber den möglichen – und wenn man multidisziplinär ansetzt: notwendigen – Umfang der Untersuchung an.
Wo diese »transnationale Geschichte« endet, setzt das Buch von Richard van Ess ein: »Der Underground war amerikanisch. Vorbilder für die deutsche Undergroundpresse«. Im Gegensatz zu Mrozek bietet van Ess zu den US-amerikanischen Vorläufern freilich bloß knappe Hinweise überwiegend aus zweiter Hand. Verdienstvoll ist aber seine Aufstellung zu deutschsprachigen, kleinen Magazinen, angefangen bei »Song« und »Sounds« 1966 über »Peng«, »Charlie Kaputt«, »PoPoPo« u.v.a. bis zu »Päng« und »Zero« Mitte der 1970er Jahre, zu denen der Autor jeweils Informationen zusammenträgt und aus deren Ausgaben (die teilweise nur unvollständig archiviert sind) auf sehr nützliche Weise Artikel in bestimmten thematischen Konstellationen gruppiert und vorstellt. Problematisch ist hier die Form der Qualifikationsschrift: Zur Popularisierung würde sicher beitragen, wenn Doktoranden ihre Recherchen nutzen würden (und dafür auch ihren Doktorgrad verliehen bekämen), um kommentierte Ausgaben der Primärquellen zu veröffentlichen (am besten natürlich in leicht durchsuchbarer Form im Netz), anstatt viel Zeit zu verlieren, längst Bekanntes und gut Erforschtes (wie im vorliegenden Fall etwa zu William S. Burroughs, zur Black Panther Party, zum Krautrock) auf niedrigerem Niveau zu paraphrasieren (falls die wissenschaftlichen Aufsätze und Monographien in der Fülle der unterschiedlichen, multidisziplinären Sekundärliteratur überhaupt aufgespürt wurden, was längst nicht immer der Fall ist).
Einige Interessenten würden sich höchstwahrscheinlich finden lassen, schließlich gibt es neben den Leuten, die diese alternativen Blätter verfertigt oder gelesen haben und heute sicher einem nostalgischen Rückblick nicht abgeneigt wären, immer auch jüngere, die sich für Boheme-Szenen und ihre eigenartigen Ideen und Artefakte begeistern lassen. Anders stellt sich die Sache dar, wenn es um gegenwärtig erfolgreiche Pop-Phänomene geht. Hier ist das Publikum immens, sein Interesse an wissenschaftlichen Beschäftigungen mit den Lieblingsobjekten aber äußerst gering. Die Absicht, wissenschaftliche Konzepte und Methoden zu popularisieren, indem man sie an einem bei vielen beliebten Pop-Gegenstand ausführlich anwendet, ist fast immer zum Scheitern verurteilt. Eine akademische Pop-Betrachtung läuft auf ein Höchstmaß an Esoterik und Vereinzelung hinaus. Interesseloser kann eine Forschungspraxis kaum ausfallen. Viel sinnvoller bleibt es in dieser Hinsicht, ein Thema zu wählen, das bei Verbänden, Fördereinrichtungen, Fachgesellschaften und einem an Feuilletonempfehlungen orientierten Leserkreis hoch im Kurs steht. Zwar werden fachwissenschaftliche Abhandlungen im Regelfall bloß von sehr wenigen Personen gelesen (mitunter auch von niemandem), es besteht aber zumindest die Chance, dass diese vereinzelten Leser über gute Kontakte verfügen und einem Honorare, Stipendien, Fördermittel oder im Bestfall sogar Stellen beschaffen. Potenziell winkt sogar eine beachtliche Leserschaft, falls die ganze Fachöffentlichkeit einen Beitrag diskutiert (was allerdings äußerst selten vorkommt).
An ein Fachpublikum wendet sich z.B. der Sammelband »(Dis-)Orienting Sounds. Machtkritische Perspektiven auf populäre Musik«, in dem u.a. über Studiengänge informiert, eine »kulturübergreifende Didaktik« gefordert und neue Methoden für die »Popularmusikforschung« vorgeschlagen werden. Die Gemeinsamkeit besteht aber nicht nur im Anliegen, die eigene ›Macht‹ auszubauen, sondern auch im Zugriff auf groß ansetzende Theorien und Methoden, die zuerst außerhalb der Musikwissenschaft Bekanntheit erlangt haben. Vor der ausführlichen und überzeugend ausgeführten Einzelanalyse steht oftmals die Berufung auf Cassirer, Butler, Bourdieu etc., sodass nicht nur eine weitere Popularisierung ihrer Ansätze in den Musikwissenschaften stattfindet, sondern auch eine Möglichkeit entsteht, dass die Beiträge der Musikwissenschaft von anderen Disziplinen wahrgenommen werden.
Eigenständiger agiert hingegen der Sammelband »Pornographie in der deutschen Literatur«, der z.B. auf Freud- oder Foucault-Rekapitulationen weitgehend verzichtet. Wie der Titel schon erahnen lässt, geht es hier nicht nur um erotische und galante Literatur, darum werden neben einzelnen bereits zuvor von Philologie oder Feuilleton anerkannten Autoren und Schriften (von Alban Nikolai Herbst bis zu »Josefine Mutzenbacher«) auch einige mittlerweile vergessene, aber einstmals häufiger gelesene Werke vor allem aus dem 18., 19. und beginnenden 20. Jahrhundert untersucht – wodurch die heutigen Popularitäts- und Popularisierungsmöglichkeiten wahrscheinlich gegen Null sinken. Es wäre (auch unabhängig von solchen Chancen) sehr wünschenswert, der vorbildliche, viel Neues auf interessante und schlüssige Weise bietende Band bekäme einen Nachfolger, der sich auf die letzten fünfzig Jahre richtete.
Letzte Vorbehalte der Germanistik gegenüber nicht kanonisierten Genres und Medien erkennt man ebenfalls am Buch »Zeitgeist-Journalismus. Zur Vorgeschichte deutschsprachiger Popliteratur: Das Magazin ›Tempo‹«. Allzu viel Raum bekommt die Illustrierte nicht zugestanden, es dominieren wissenschaftliche und literaturkritische Ansätze, die um Pop, Generation, Konsum etc. kreisen. Im speziellen Fall ist das keineswegs ein Manko – die Dissertation von Kristin Steenbock ist inhaltlich wie stilistisch bemerkenswert gelungen –, Analysen von Illustrierten ohne literarischen Fluchtpunkt könnten aber einen Ertrag erbringen, der nicht allein die Literaturwissenschaft interessierte.
Auch die Hinwendung zu einem aktuellen, viele interessierenden Gegenstand garantiert aber wie gesagt keineswegs, dass jene zumindest minimale Popularität erreicht wird, die als Voraussetzung für eine erfolgreiche Popularisierung gelten darf. Einen besonders radikalen, disziplinär sicher legitimen Weg wählt etwa Karina Keller. In ihrem Buch »Fan-Sein als alltägliche und kulturelle Aneignungspraxis« untersucht sie nicht Fan-Fiction, Social-Media-Beiträge, Fan-Foren, Fan-Post, die Organisationsweise von Fan-Clubs, das Verhalten von Fans bei Konzerten oder Conventions, Fan-Devotionalien etc., sondern sie zitiert aus »narrativen Interviews«, die sie mit 19 Fans ganz unterschiedlicher Bands und Artefakte geführt hat, kleinteilige Passagen und paraphrasiert sodann einzelne Aussagen aus diesen thematisch sortierten Interviewschnipseln. Im nächsten Schritt erfolgt der Versuch einer Art Wissenschaftspopularisierung: Zum Zitat eines Interviewten – z.B.: »Der [Queen-Schlagzeuger Roger Taylor] ist so mein Held. […] Also bei dem ich dann am meisten mal gucke, was der so macht« – gesellt sich sofort oder später ein Hinweis auf eine generalisierende Aussage eines Wissenschaftlers; die wissenschaftliche Praxis des Buchs besteht darin, jede beliebige Laien-Phrase mit einem Fachterminus zu belegen; was hier was popularisieren soll, bleibt so unentschieden bzw. ein sich zunehmend verdunkelndes Rätsel: »Das Idol hingegen ist die Projektionsfläche für den Jugendlichen, der sich die eigenverantwortliche Umweltbewältigung nicht zutraut«.
Anders verfährt Moritz Fink in seiner Monographie »Understanding ›The Simpsons‹«. Zwar kündigt er im Vorwort an, die »fan culture« eingehend zu betrachten, insgesamt nehmen diese Kapitel aber nur einen kleineren Teil des Bands ein. Das Buch ist gut zu lesen, die Auswahl der Themen ermöglicht auch Nicht-Spezialisten die Lektüre, selbst die Seiten zur »fan culture« schließen niemanden aus, weil sie sich auf recht attraktive Beispiele, etwa YouTube-Mash-ups, konzentrieren. Dennoch ist der Band – glaubt man Suchmaschinen – kaum in Gebrauch, obwohl sich für das große studentische Publikum einige Kapitel sicherlich eigneten. Das kann natürlich auch an anderen Faktoren, vor allem dem Verlag und seinem Marketing, liegen, aber selbst wenn viele Leute aus der Zielgruppe auf das Buch aufmerksam würden, legten sie es wahrscheinlich schnell wieder weg, weil im Eröffnungskapitel die bei wissenschaftlichen Abhandlungen übliche Referenz auf bzw. Reverenz vor Methoden und Begriffe(n) erfolgt, die für die weitere Untersuchung (angeblich) wichtig sind. Solche Passagen wirken wahrscheinlich für einen Leserkreis, der sich nicht aus Fachleuten zusammensetzt, nur dann wenig abschreckend, wenn sie kurz ausfallen und vor allem nicht isoliert für sich stehen, sondern mit Äußerungen zum populären Sujet verwoben sind. Für Fachleute wiederum sind solche Eingangskapitel oftmals bloß ermüdend, weil sie Referate zu John Fiske, Stuart Hall, Henry Jenkins etc. bereits hundertfach haben lesen müssen. Wenn das stimmen sollte, lautete demnach der Befund, dass entsprechende Passagen nur als Popularisierung sinnvoll wären, dieser aber zumeist (in Form des Theoriereferats) direkt entgegenstehen.
Vielleicht verzichtet Jörg Scheller darum auf solch ein Eingangskapitel in seinem Überblicksband zum Heavy Metal, obwohl er als Professor für Kunstgeschichte sicherlich dazu in der Lage wäre, einige disziplinäre und interdisziplinäre Methoden und Paradigmen anzuführen. Als regelmäßiger, exzellenter Beiträger fürs Feuilleton (etwa der »Neuen Zürcher Zeitung«) weiß er auch, was zu tun ist, um Nicht-Metal-Hörern genügend an Beispielen, Exkursionen, Anekdoten, anregenden Reflexionen und origineller oder amüsanter Rhetorik zu bieten, damit sie sich auf den einigermaßen ausführlich vorgestellten Gegenstand der Metal-Geschichte einlassen. Das nicht gerade kleine Problem, eine Abfolge von Band-Geschichten varianten- und abwechslungsreich zu gestalten, ist ebenfalls vorzüglich gelöst. Bei »Metalmorphosen. Die unwahrscheinlichen Wandlungen des Heavy Metal« handelt es sich deshalb in erster Linie um eine Popularisierung des Metal für Leser überregionaler Zeitungen. Eine Popularisierung z.B. musikwissenschaftlicher, praxeologischer, intersektionaler, gendertheoretischer Ansätze findet hingegen nicht bzw. in homöopathischen Dosen statt. Stattdessen gibt es gelegentlich Hinweise oder überraschende Analogiebildungen, die sich auf Hypothesen, Spekulationen, Neologismen oder Zeitdiagnosen bekannter Kulturtheoretiker und Essayisten (Adorno, Kundera, Kolakowski, Baumann etc.) beziehen.
Folgt man diesen Befunden, müsste das Fazit wohl lauten: Kaum etwas scheint schwieriger, überflüssiger oder abwegiger zu sein als eine Popularisierung der Popkulturwissenschaften. So hingeschrieben, erscheint die Aussage allerdings irgendwie fragwürdig oder geradezu anstößig. Am besten wäre sicher, sie würde praktisch widerlegt.
Literatur
Moritz Fink: Understanding »The Simpsons«. A Media Phenomenon at the Edge of Convergence Culture. Marburg 2016.
Hans-Edwin Friedrich/Sven Hanuschek/Christoph Rauen (Hg.): Pornographie in der deutschen Literatur. Texte, Themen, Institutionen. München 2016.
Karina Kellner: Fan-Sein als alltägliche und kulturelle Aneignungspraxis. Faszination – Motivation – Rezeption. Münster/New York 2020.
Bodo Mrozek: Jugend Pop Kultur. Eine transnationale Geschichte. Berlin 2019.
Jörg Scheller: Metalmorphosen. Die unwahrscheinlichen Wandlungen des Heavy Metal. Stuttgart 2020.
Kristin Steenbock: Zeitgeist-Journalismus. Zur Vorgeschichte deutschsprachiger Popliteratur: Das Magazin »Tempo«. Bielefeld 2020.
Richard van Ess: Der Underground war amerikanisch. Vorbilder für die deutsche Undergroundpresse. Tübingen 2018.
Ralf von Appen/Mario Dunkel (Hg.): (Dis-)Orienting Sounds. Machtkritische Perspektiven auf populäre Musik. Bielefeld 2019.