Grillz, Winkels, Bleaching etc.
In einer Dialogsequenz in F. Scott Fitzgeralds Roman »Die Schönen und Verdammten« von 1922 wundert sich ein junger Mann über die merkwürdigen Zähne eines Pfarrers, und ein anderer pflichtet ihm bei: »Ich glaube, die sind echt. Komische Sache, daß die Leute Goldzähne haben« (2006, S. 202). Ein weiterer gibt sich über diese Beobachtung weniger verwundert, sondern scheint darin einen gewissen Trend der Zeit auszumachen: »Es heißt, daß sie ganz versessen drauf sind. Mein Zahnarzt hat mir mal erzählt, wie eine Frau zu ihm in die Sprechstunde gekommen ist und darauf bestanden hat, sich zwei Zähne mit Gold überziehen zu lassen. Ohne jeden Grund. Die waren völlig in Ordnung.« (ebd.)
Vielfalt in der Zahngestaltung
Heutzutage müsste dazu gar nicht mehr zwingend der Zahnarzt aufgesucht werden. Es würde eine kurze Suche beim Onlinehändler Amazon genügen, wo sich zahlreiche goldfarbene Zahnaufsätze finden lassen – entweder als Single-Aufsatz oder auch als ganzes Set.
Goldzahn – Jesus
Ob sie dieselbe Qualität, den Sitz und die Aufsehen erregende Wirkung aufweisen wie vom Zahnarzt angefertigte, echt vergoldete oder mit Diamanten besetzte Grillz, sei dahingestellt. Alltagstauglicher waren und sind dagegen Zahnsteinchen, sogenannte Twinkles oder Tooth Gems, die in den 1990er Jahren gerne auf einem Eckzahn angebracht wurden und mittlerweile als überbordendes Dekorationsmittel eingesetzt werden können.
Zahnsteinchen
Doch neben dem einen oder anderen vergoldetem Backenzahn, der beim herzhaften Lachen aufblitzt, jenen Grillz oder wild verteilten Tooth Gems, ist der eigentliche Status der Zahn selbst – insbesondere das weiße, sehr weiße und geradegebogene Gebiss. Das gilt auch für Beyoncé, obwohl sie ihre Kooperation mit Adidas mit einem maßgefertigten Zahnaufsatz krönt. Eine Kooperation bis auf die Knochen.
Trotz dieser Vielfalt, die Oliver Lunn (2019) in einem Artikel für das Magazin »Dazed« ebenso herausstellt, scheinen weiße Zähne unangefochten begehrt zu sein, auch wenn Lunn fragt: »who wants to live in a world where everyone has the same straight white teeth?«
Bleaching
Mit Blick auf einen kleinen Ausschnitt der digitalen Welt könnte die Frage allerdings bejaht werden, denn in den Sozialen Medien werden von Influencer*innen kontinuierlich unterschiedliche Bleachingmethoden für den häuslichen Einsatz angepriesen. Diese Innovation besteht nicht in der Zahnaufhellung selbst, weil diese bereits mittels verschiedener Produkte wie Whitening Strips und diversen Zahncremes zu Hause durchgeführt werden kann. Interessant ist, dass der Eingriff nicht mehr versteckt gemacht wird, denn auf Instagram avancierte das Bleaching zu einem öffentlichen, kommerzialisierten Akt, wenn es sich um einen Werbe-Posting handelt. Dabei ist seit 2020 die Bleaching-Methode von Smile Secret mit dem Smartphone besonders auffällig. Es wird ein Mundstück an das Smartphone angeschlossen, wodurch blau leuchtende LEDs aktiviert werden. Es sind skurrile Fotos von Personen mit Blau leuchtendem Mundstück im Mund entstanden. Seit 2021 bietet ein Set von Onlysmile sogar eine Produktkombination mit Lampe und Zahnschiene, mit der das Aufhellen der Zähne ebenso kurios in Szene gesetzt werden kann.
OnlySmile
Smile Secret
Zahnschienen
Da zu einem sogenannten ›perfekten‹ Lächeln auch gerade Zähne gehören, werden auch seit einigen Jahren zunehmend transparente Aligner-Schienen als erschwingliches Lifestyle-Produkt inszeniert und beworben. Die Aligner-Schiene wird dabei mit freundlichen Pastellfarben in Szene gesetzt und wie ein Schmuckstück fotografiert.
Aligner-Schiene
Dem gegenüber steht die Zahnspange, die eine Mundregion über Jahre sichtbar prägen kann, pflegebedürftig ist und zudem pop-kulturell negativ, wenn auch unterhaltsam, aufgeladen daherkommt. Beispiele dafür können die Darstellung der Zahnspange in der Serie »Die Simpsons« sein oder auch das verstörend fröhlich lächelnde Mädchen in dem Musikvideo zu »Black Hole Sun« von Soundgarden.
Erfolgslächeln & Körperpflege
Das Schiefe, Kantige, Lückenhafte, Überstehende oder Verfärbte und Alte weicht immer einfacher und günstiger dem, was Richard Barnett als Erfolgslächeln beschreibt und »[d]ie potenteste Erfindung der Zahnmedizin im 20. Jahrhundert« nennt [2018, S. 228]. »[D]as Lächeln des Erfolgs – perfektioniert, teuer, vorgeblich natürlich und in Wahrheit zutiefst unnatürlich« [ebd.] Es war eine – in diesem Fall eine US-amerikanische – Smile-Revolution, die »nicht nur die Folge staatlicher Gesundheitsfürsorge und neuer Technologien [war], sondern [sie] spiegelte auch den wachsenden Einfluss der visuellen Medien und den Kampf um politische Dominanz im Kalten Krieg« (ebd.). Ästhetisch ansprechende Zähne seien also die Grundvoraussetzung für Erfolg. Barnett verweist neben dem Einfluss neuer Medien und politischen Umständen auch auf den Erfolg von Millionen-Bestsellern wie »Wie man Freunde gewinnt« von Dale Carnegie von 1936, wo jene Idee des Erfolgslächeln nachhaltig vermittelt wurde, die bis zur Bewerbung von Methoden zur Zahnaufhellung Bestand hat.
Website Onlysmile
Weiße Zähnen stehen neben Erfolg auch für Gesundheit, denn wer die wertvollen, stets von Karies und Plaque bedrohten Zähne erhält, ernährt sich vielleicht auch gesund, pflegt sich, bleibt auch bei Genussmitteln standhaft. Elisabeth Wagner verknüpft das mit den Ansprüchen der Leistungsgesellschaft: »Zähne zu zeigen ist in einer Leistungsgesellschaft keine gewagte Attitüde, nichts Frivoles, sondern schlicht alltägliche Pflicht. Das Bleaching entspricht dabei dem Wunsch nach Anpassung. Fast könnte man von einem Zwang sprechen« (2014).
Körperinszenierung & Technik
Wird dieser Zwang durch technische Entwicklungen forciert, die bereits die erste Smile-Revolution vorantrieben? Jia Tolentino schrieb in dem Magazin »The New Yorker« 2019 über das »Instagram Face« (2019). Mit diesem Begriff kennzeichnet sie einen gesellschaftlichen Trend, der darin besteht, dass vornehmlich Frauen ihr Gesicht mittels Fotofiltern oder Schönheitschirurgie einem bestimmten Raster anpassen. Diese Beobachtung kann übertragen werden auf zahlreiche Apps zur Zahnaufhellung auf einem Foto oder eben durch Eingriffe mit den erwähnten Produkten.
Eine Anpassung der Körperinszenierung an die Technik erfolgte bereits im Zuge der Verbreitungen von Fernsehprogrammen und Kinofilmen in High Definition. Durch die hochauflösenden, sehr scharfen Bilder wurden sogar kleinste Makel auf der Haut sichtbar, wie Catherine Elsworth (2005) zuspitzt: »Distressed celebrities are rushing to plastic surgeons and dermatologists for Botox or laser treatments. Technical and make-up experts are, meanwhile, devising increasingly ingenious techniques for masking flaws such as acne scars and bulging veins«.
Mit der Weiterentwicklung der Kameratechnik in Smartphones und dem Siegeszug von Foto und Video in den Sozialen Medien wird dieses mittlerweile flächendeckend eingesetzt – wie auch das Einspritzen von Botox und Hyaluron. So erscheint die Arbeit am Körper immer beliebter und erschwinglicher, die sich auch nach Innen richtet – wie bei einem smarten Produkt, bei dem neben der Formgebung auch das technische Innenleben zählt. Entscheidend bleibt die Art und Weise der Umsetzung. Die Überzeichnung und sichtbare Unnatürlichkeit gilt noch als missglückt.
Lob des Makels
Dem gegenüber steht das Lob des vermeintlich natürlichen Makels, der zum Markenzeichen geworden ist oder einer war – sei es die Zahnlücke von Madonna oder Vanessa Paradis, der Überbiss von Freddie Mercury, das einst fehlende Stückchen Schneidezahn bei Isabella Rossellini.
Wehmütig wird auf das Natürliche geblickt wie zum Beispiel im Falle des Gebisses von David Bowie, der sich in den 1990er Jahren seiner Zähne entledigte und an ihre Stelle eine Hollywood-Garnitur setzen ließ.
David Bowie Denture Sculpture von Jessine Hein
Von der Kunstpresse bis hin zum Dental-Magazin wurden die schiefen Zähne des 2016 verstorbenen Sängers besprochen. Die Künstlerin Jessine Hein rekonstruierte 2015 sogar dieses Gebiss Bowies. Neben der medizinischen Notwendigkeit einer Zahnbehandlung spekuliert Hein über die gewählte Zahnästhetik, denn der austauschbare Look seiner Zähne hätte durchaus vermieden werden können: »Allerdings kam sein Zahnwechsel auch mit einem Umschwang in seiner Musik. Ein neues Kapitel Bowie war aufgeschlagen«, so die Künstlerin (Völzke 2015). Im Gespräch mit dem »Monopol«-Magazin bedauert Hein diesen Schritt, wobei sie annimmt, dass Authentizität und Abkehr von standardisierter Perfektion keine modernen Normen darstellten: »Bowies Zähne waren genau wie alles andere an ihm: anders! Nicht die Norm, nicht perfekt, aber auf seine authentische Art wunderschön. Sein Lächeln enthüllte eine Imperfektion, die ihn real und vielleicht auch nahbarer machte. Jemand, der selbstbewusst zu seinen ›Makeln‹ steht, erweckt Sympathie« (ebd.).
Literatur
Barnett, Richard (2018). Mut zur Lücke. Kunst und Geschichte der Zahnheilkunde. Köln: DuMont.
Elsworth, Catherine (2005). Are they ready for a high-definition close-up? Web Archive: https://web.archive.org/web/20060129111310/http://www.telegraph.co.uk/news/main.jhtml?xml=/news/2005/12/03/wtv03.xml&sSheet=/news/2005/12/03/ixworld.html. Zugegriffen: 05.03.2023.
Fitzgerald, F. Scott (2006). Die Schönen und Verdammten [1922]. Aus dem Amerikanischen von Hans-Christian Oeser. Mit einem Nachwort von Manfred Papst.
Lunn, Oliver (2019). A brief history of how teeth have been represented in pop culture. Dazed Digital: https://www.dazeddigital.com/beauty/article/44738/1/brief-history-teeth-pop-culture. Zugegriffen: 05.03.2023.
Tolentino, Jia (2019). The Age of Instagram Face. The New Yorker: https://www.newyorker.com/culture/decade-in-review/the-age-of-instagram-face. Zugegriffen: 05.03.2023.
Völzke, Daniel (2015). Bowies Beißer. Monopol Magazin: https://www.monopol-magazin.de/bowies-bei%C3%9Fer. Zugegriffen: 05.03.2023.
Wagner, Elisabeth (2014). Bleaching: Weiße Zähne als Statussymbol. Tagesspiegel.de: https://www.tagesspiegel.de/kultur/das-neue-blendwerk-3583975.html. Zugegriffen: 05.03.2023.