Drittmittelakademie
[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 16, Frühling 2020, S. 49-54]
Wie der ›economics imperialism‹ zeichnet sich das Marketing nicht gerade durch Bescheidenheit aus. Denkt man etwa an die programmatische Selbstpositionierung »Broadening the Concept of Marketing« von Philip Kotler und Sidney J. Levy aus dem Jahre 1969, sollte Marketing nicht bloß für Unternehmen, sondern für jegliche Form von Organisation obligatorisch sein. Ohne das professionelle Management von Außendarstellung und Kundenbeziehungen komme kein Organisationstyp mehr zurecht. »It is the authorsʼ contention that marketing is a pervasive societal activity that goes considerably beyond the selling of tooth-paste, soap, and steel. Political contests remind us that candidates are marketed as well as soap; student recruitment by colleges reminds us that higher education is marketed; and fund raising reminds us that ›causes‹ are marketed.«
Dabei taucht gerade der Verweis auf »higher education«, also die akademische Lehre, und mehr noch »universities« wiederholt im Text auf. Und in der Tat, schaut man sich den entsprechenden Forschungsstand an‚ von der Praxis der Selbstvermarktung der Hochschulen gar nicht erst angefangen, ist längst nicht mehr von der Hand zu weisen, dass Wissenschaftsmarketing zum Tagesgeschäft des akademischen Betriebs gehört, wie inkompetent und inkonsequent dies oft auch gehandhabt wird. Insofern hat sich die Programmatik, ja Prophezeiung von Kotler und Levy längst erfüllt.
Freilich, um hier an Freud anzuschließen, gibt es ein gewisses Unbehagen in dieser Kultur des Wissenschaftsmarketings, vornehmlich beim akademischen Personal. Hat man es bei Hochschulen doch mit einer Form von Organisation zu tun, die einer ganz eigenen Sinnsphäre angehört. Immerhin strebt Wissenschaft, so Robert K. Merton, Universalismus, organisierten Skeptizismus, Freigebigkeit der Forschungsergebnisse und Desinteressiertheit an der persönlichen Vorteilsnahme seitens der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an. Ein hehrer Normenkanon, der sich einer Vermarktung durch das Marketing, welches auf Partikularismus, organisierten Euphemismus, Exklusivität der Produkte und Selbstprofilierung der Akteure setzt, nicht ohne weiteres fügt. Nur lässt die fortschreitende »Ökonomisierung der Wissenschaft« (Uwe Schimank) ihr kaum eine Wahl.
Richard Münch hat diesen Trend »Akademischer Kapitalismus« genannt. Was für den Kapitalismus im Allgemeinen gilt, wird Zug um Zug auch auf die Wissenschaft im Besonderen übertragen. Wobei man denken könnte, dass das Wissenschaftsmarketing, sofern es sich nur nach außen wendet, das Innenleben des Wissenschaftsbetriebs doch weitgehend unberührt lässt. Irrtum!
Beispielsweise wird der »Informationsdienst Wissenschaft« (idw) von vielen Hochschulen intensiv genutzt. Selbst Kleinstereignisse, mitunter sogar Pseudoevents im Sinne Daniel J. Boorstins, werden täglich in hoher Taktung versandt. Public Relations könnte man meinen, Pseudonachrichten meinetwegen, die am ernsten Geschäft der akademischen Forschung und Lehre spurlos vorübergehen. Doch weit gefehlt, der Trend zur Selbstvermarktung bleibt bei der Außendarstellung der Hochschulen keinesfalls stehen. Vielmehr wirkt er bis ins Innerstes, in die Fabrikation von Forschung hinein. Dies zeigt sich besonders eindrücklich am Antragswesen.
So ist in den Massenmedien die fortlaufende Fabrikation von Forschungsanträgen gerade im Zusammenhang mit der Ausschreibung der Exzellenzinitiativen, Promotionskollegs und Sonderforschungsbereiche ein wiederkehrendes Thema geworden. Nicht selten wird sogar beklagt, dass die Forscher und Forscherinnen vor lauter Anträgeschreiben gar nicht mehr zur eigentlichen Forschung kämen. Der Druck, an diesen begehrten Leistungswettbewerben permanent teilnehmen zu müssen, durch die Universitätsleitungen geflissentlich unterstützt, gefördert & gefordert, ist erheblich, die Verheißung zusätzlicher Forschungsgelder verlockend. Von der eingeheimsten Reputation im Falle des Erfolgs gar nicht erst zu sprechen.
Allerdings hat dieser unaufhörliche Wettbewerb um Fördermittel auch seinen Preis. Anhand von drei Schlagworten sei dies kurz angedeutet: Antragsprosa, Beutegemeinschaft und Placeboeffekt.
Gemäß dem Marketingverständnis, das Kotler und Levy 1969 propagierten, repräsentiert Marketing »that function of the organization that can keep in constant touch with the organization’s consumers, read their needs, develop ›products‹ that meet these needs, and build a program of communications to express the organization’s purposes. Certainly selling and influencing will be large parts of organizational marketing; but, properly seen, selling follows rather than precedes the organization’s drive to create products to satisfy its consumers.«
Übertragen auf das Antragswesen, stellen die »consumers« in diesem Falle die Förderinstitutionen dar, ob Bundesministerien, DFG oder Volkswagenstiftung, die für die beantragte Forschung bezahlen sollen. Erfolgskritisch ist dafür, dass es gelingt ›to read their needs, to develop products that meet these needs, and to build a program of communication to satisfy these consumers‹, um diese Wettbewerbe für sich zu entscheiden.
Also werden die Anträge in der Regel so formuliert, dass sie den Vorgaben der Ausschreibungen möglichst exakt entsprechen, selbst wenn es sich um schon länger laufende Forschung handelt, die jeweils nur an die aktuell vorgegebenen Förderbedingungen geschmeidig angepasst wird. Alter Wein in neuen Schläuchen.
Die Erfüllungsbereitschaft erstreckt sich sogar bis auf die zu erwartenden Forschungsergebnisse, obgleich Forschung eigentlich ja eine Exkursion in unbekanntes Terrain bedeutet. Dennoch wird von den meisten Förderinstitutionen eingefordert, schon im Vorhinein anzugeben, was am Ende herausspringt. Und natürlich werden die anfänglich gemachten Versprechungen zum Abschluss eines geförderten Forschungsprojektes bei der Bewertung des Abschlussberichtes wiederum als Richtwerte zugrunde gelegt. Ein Narr, wer denkt, dass bei der Erstellung der Abschlussberichte nicht tunlichst darauf geachtet wird, auch dieser Erwartungshaltung möglichst exakt zu entsprechen, selbst wenn Forschungsverlauf und Forschungsergebnisse davon abweichen sollten.
Für diese Praktik, wenn es bei der Drittmitteleinwerbung also um die Erstellung möglichst vorgabenpassender, erfolgsträchtiger »programs of communications« geht (im Marketing gemeinhin als ›Storytelling‹ bezeichnet), hat sich inzwischen das Wort ›Antragsprosa‹ eingebürgert. Gemeint ist damit eine hochspezialisierte Textgattung, die genau ausgerichtet ist auf die »needs« der jeweiligen Förderinstitution. Hierfür stehen überdies zahlreiche Ratgeber zur Verfügung, durch die man lernen kann, wie solche Anträge formuliert werden müssen, um eine möglichst hohe Genehmigungswahrscheinlichkeit zu erreichen. Teilweise wird hierfür sogar professionelle Hilfe in Anspruch genommen.
Eine weitere Spezialität des Antragswesens korrespondiert mit der Präferenz der Förderinstitutionen für inter- bzw. multidisziplinäre Verbundprojekte. Solche disziplinenübergreifenden Projektanträge werden besonders gerne gefördert, etwa um der Neigung zum disziplinenspezifischen Autismus zu begegnen. Interdisziplinarität liegt im Trend. Allerdings haben Analysen gezeigt, und aus der Forschungspraxis wird dies vielmals kolportiert, dass solche Verbundprojekte, obgleich von den Förderinstitutionen gewünscht, nicht selten daran scheitern, die verschiedenen Fächerkulturen untereinander hinreichend abzustimmen und konsonant aufeinander einzustellen. Denn die Spezialsemantiken aller Wissenschaftsdisziplinen haben längst einen solchen Spezialisierungsgrad erreicht, dass eine wechselseitige Verständigung überaus schwerfällt, selbst wenn die Förderdauer mehrere Jahre beträgt. Gewöhnung hilft nur bedingt bei der fächerübergreifenden Verständigung. Dennoch werden fortlaufend Verbundprojekte beantragt. Indessen macht nach Bewilligung jede Disziplin unbeirrt das, was sie seit jeher gewohnt ist. Selten nur gelingt die interdisziplinäre Arbeitsteilung optimal. Intern stört das aber kaum, denn jeder bekommt einen Teil vom Kuchen ab. Gemeinsam ist man stärker. Die Umsetzung bewerkstelligt dann jeder für sich alleine. Erst am Ende muss man sich wieder zusammenraufen und den Eindruck erwecken: Interdisziplinarität funktioniert tadellos. Selektive Wahrheiten, die Kernkompetenz des Marketings.
Für diese Praktik, wenn Verbundprojekte in Aussicht gestellt werden, obgleich die Forschungspraxis später doch disziplinenspezifisch erfolgen sollte, zirkuliert inzwischen das Wort ›Beutegemeinschaft‹: Man kommt überein, sich als multidisziplinäres Team zu bewerben, um später separiert zu forschen. Eine Win-Win-Situation für (fast) alle Beteiligten. Auch dies ist eine Form von Forschungsmarketing.
Schließlich noch ein Wort zum Placeboeffekt. Baba Shiv, Ziv Carmon und Dan Ariely haben 2005 einen Beitrag veröffentlicht, der sich mit dem Phänomen befasst, dass Bewertungsunterschiede bezüglich der Produktqualität allein aufgrund von Preisunterschieden auftreten können, obgleich es sich um exakt dasselbe Produkt handelt. So schmeckt ein billiger Wein schlechter als ein teurer Wein, selbst wenn er derselben Flasche entstammt – der Coca-Cola-Test für vermeintliche Connaisseurs. Das richtige Framing macht hier den Unterschied, Kahneman und Tversky lassen grüßen.
Übertragen auf das Antragswesen, stellt das Preisäquivalent nicht etwa die Höhe der beantragten Fördersumme dar, dies mag durchaus auch mal den Ausschlag geben, sondern die Reputation der Antragssteller. Im Prinzip ist dieses Phänomen fürs Wissenschaftssystem von Robert K. Merton schon früher unter dem Namen »Matthews Effect« behandelt worden (auch Richard Münch hat sich damit eingehender befasst). Demnach wächst die Wahrscheinlichkeit von Wissenschaftlern, bei Förderanträgen eher zum Zuge zu kommen, je besser ihr Ruf im Wissenschaftssystem ist. Hohe Reputation löst Vertrauen aus, gibt Sicherheit, mindert das Risiko von Fehlschlägen, so die Hoffnung. Wir kennen diese Effekte aus der Markenpolitik.
Wenn also berühmte Namen im Spiel sind, und selbst bei der Anonymisierung der Antragssteller lässt sich der Klarname unschwer aufdecken, greift oftmals der Placeboeffekt. Ebenso wenn No Names am Start sind, nur mit umgekehrter Auswirkung. Freilich mischt hier auch die Erfahrung maßgeblich mit, etwa beim Stil der Antragsprosa oder der Auswahl der richtigen Verbundpartner. Es handelt sich sozusagen um kumulative Effekte, die noch vorteilhaft hinzutreten können. Wer spielt mit den großen Jungs? Und wer muss mit den kleinen vorliebnehmen? Ob dies dann immer reputationsadäquate Qualitätsunterschiede bei den Forschungsergebnissen zur Folge hat, ist beileibe nicht gesichert. Und von außen lässt sich dies ohnedies selten neutral prüfen, sind die Abschlussberichte doch entsprechend hergerichtet. Man bekommt zu sehen, was man sehen möchte. Gerade darin auch erweist sich das Marketing als meisterhaft.
Alles in allem – und hier ging es ja nur ums Antragswesen, andere Aufgabenstellungen im Wissenschaftssystem, etwa die Lehre oder Verwaltung, wurden gar nicht erörtert – kann nicht verhehlt werden, dass in der Praxis des Wissenschaftsbetriebs Marketing schon auf verschiedenen Ebenen zum Einsatz kommt, auch wenn es nicht immer so ausgeflaggt wird. Kotler und Levy haben vor gut 50 Jahren deutlich gemacht, dass daran auch kein Weg mehr vorbeiführt. »The choice facing those who manage nonbusiness organizations is not whether to market or not to market, for no organization can avoid marketing. The choice is whether to do it well or poorly, and on this necessity the case for organizational marketing is basically founded.«
Es bleibt jedoch die Frage, wo Wissenschaftsmarketing am wirkungsvollsten zum Einsatz kommen sollte und wo es am wenigsten Schaden anrichtet. Denn Wissenschaft gehorcht, dies wurde erwähnt, ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten und eignet sich womöglich nicht für alle Sektoren gleichermaßen dafür, dem Regime des Marketings vorbehaltlos unterworfen zu werden.
Wobei in der laufenden Forschung speziell zum Wissenschaftsmarketing der Hauptfokus auf den Bereich der Lehre (›higher education‹) gelegt wird und nicht auf die Forschung oder gar Verwaltung. Dafür mag es gute Gründe geben. Es bräuchte gleichviel mehr Forschung über diese Forschung, um herauszufinden, weshalb es sich so verhält und wie sich gerade die mehr oder weniger produktiven Binnenwirkungen von Wissenschaftsmarketing zuverlässiger evaluieren lassen.