Schwache Jungs in »Good Girls« 
von Maren Lickhardt
8.7.2019

Männliche Figuren im Hintergrund

Die Inszenierung der Delinquenz durchaus sympathischer Hauptakteur*innen als tragender Plot ist keine Besonderheit mehr in neueren Serien. Von den Sopranos zu 4 Blocks, von Breaking Bad zu Queen of the South – organisierte Kriminalität bildet oftmals die Kernhandlung in diesem populärkulturellen Bestand; und schon fast alt erscheint die Diskussion darüber, was daran fasziniert, warum wir uns mit den Verbrecher*innen identifizieren.

Wo die Mafia eine Rolle spielt, ist das Verbrechen in familiäre Strukturen eingeschrieben. Oder man könnte auch umgekehrt sagen: Wo Familie und Delinquenz zusammen kommen, haben wir es mit der Mafia zu tun. Hierbei lassen sich Normalfall und Störfall ebenso wenig voneinander trennen wie Hintergrund- und Vordergrundgeschichte – vor allem weil die Familie die tragende Säule des Verbrechens bildet, aber auch weil sie als segmentiertes Gebilde die legale funktionale gesellschaftliche Ordnung außer Kraft setzt.

Sieht man von Mafiageschichten i.e.S. ab, stellt die Familie oftmals lediglich die Hintergrundfolie dar. Sie ist zwar Anlass, Profiteurin und Leidtragende von Kriminalität, geht allerdings in ihrer Form und Funktion nicht in dieser Kriminalität auf. Dennoch ist sie wichtig, und es ist nicht nur interessant, sie zu fokussieren und sich zu fragen, wie sie unabhängig vom Verbrechen gestaltet ist, sondern manche Serien erzwingen geradezu diese Inversion, dass man die Hintergrundfolie der Familie als diskursiven Vordergrund betrachten soll, obwohl der Plot von der Drogengeschichte getragen wird – so z.B. Weeds.[1]

Traditionell bespielen weibliche Figuren den Hintergrundpart, und dem entspricht auch noch die Gestaltung von Skyler White. Man könnte annehmen, Walters breaking bad stelle ab einem gewissen Punkt den GAU in der und für die Familie dar, auch wenn Walter zunächst einmal zur Rettung der Familie auf die schiefe Bahn geraten war. Dem ist auch so. Dramaturgisch haut das dann aber doch nicht ganz hin. Während wir uns längst in die Welt des Verbrechens eingesehen haben, uns mit Walter identifizieren und hoffen, dass er das Geschehen in den Griff bekommt oder im Griff behält, um die Normalität des Drogenhandels aufrecht zu erhalten und dessen Erfolg sicherzustellen, ist es Skylers Verhalten, das zunehmend als Störfaktor empfunden wird.

Ständig funkt sie in seine Geschäfte hinein, schimpft und zetert, bis sie schließlich selbst als Abtrünnige agiert, in der Schwangerschaft raucht, Ehebruch begeht und Geld wäscht. Stets sieht man Walters Pläne als Mann und Verbrecher durchkreuzt, ihn in seinen Bedürfnissen beschnitten. Skyler nervt – sowohl als Ehefrau, die partout gegen den Willen ihres Mannes dessen Geburtstag feiern möchte, als auch als Mitverbrecherin, die ihren Liebhaber Ted Beneke kaum zu handhaben weiß. Sie ist da, damit man sie sich fort wünscht. Sie fungiert wie eine Sichtstörung, die sich im Weg befindet und an der man verzweifelt vorbei zu sehen versucht, um einen Blick auf das eigentliche Geschehen um Walter zu erhaschen – oder die man skippen möchte oder früher mal kurz weg gezappt hätte.

Dass Skyler in Breaking Bad eine unkontrollierbare Agency entfaltet, kann man nun in dreierlei Hinsicht auffassen: Auf der immanenten Ebene mag man sich zu dem einen oder anderen sexistisch-misogynen Gedanken hinreißen lassen. Man kann darüber hinaus die Konstruktion der Figur unter einem feministischen Gesichtspunkt problematisieren, weil sie diese unmittelbare Reaktion provoziert. Oder man kann eben feststellen, dass Skyler immerhin eine Agency hat und nicht nur als Sidekick und treusorgende Ehefrau dasteht, die ihrem Mann den Rücken frei hält, als good girl, das wir als Typus aus älteren Serien allzu gut kennen.

Auch keine guten Mädchen sind die delinquenten Protagonistinnen in der NBC-Serie Good Girls (2018ff.), die die Geschlechterpositionen üblicher Verbrecher- und Familienserien umkehrt.[2] Wohlgemerkt: Es soll nun weniger um geschlechtlich bedingte Rollen und Bilder als vielmehr um die räumlich-soziale Platzierung der Figuren gehen.

Beth, Annie und Ruby sind seit ihrer Kindheit beste Freundinnen.[3] Aus eher schwierigen Verhältnissen stammend, haben sie es in die untere Mittelklasse bis Mittelklasse geschafft und führen ein bürgerliches Familienleben. Aus je unterschiedlichen Gründen brauchen sie für ihre Familie bzw. Kinder Geld, überfallen daher gemeinsam einen Supermarkt, bestehlen dabei aus Versehen eine Geldwaschanlage und geraten so auf die schiefe Bahn des Drogen-, Falschgeld- und Geldwäschegeschäfts.

Dass man die Genreelemente von Serien als Hinter- oder Vordergrund bezeichnet und die Figuren geschlechtlich klassifiziert und platziert, bietet sich gerade in Bezug auf oder ausgehend von Good Girls an, weil die Serie diese Elemente – Familie und Verbrechen, Zentrum und Kulisse, Männer und Frauen – bewusst zerlegt und zu oder in neuen Relationen arrangiert. Fast programmatisch spricht eines der Kinder in einem Schulreferat gleich zu Beginn über starke Frauenfiguren in einer räumlich-körperlichen Relation. Im Geiste von Aretha Franklin und Eurythmics sagt sie: „‚Behind every great man, there’s a great woman.‘ Well, I say that’s some bull right there. […] So, we gotta get it done ourselves, ladies.“ (s01e01, 2:10) Das passt wegen des behind. Das Hauptthema der Serie betrifft folgende Fragen: Wer steht hinter wem? Welcher Plot ist Vorder- und welcher ist Hintergrund? Wer sind die Haupt- und wer die Nebenfiguren? Und wie wird dies geschlechtlich – Frau vs. Mann – und thematisch – Verbrechen vs. Familie – zugeordnet?

Während in Serien mit traditionellen Positionen nicht diskursiv reflektiert werden muss und zumeist nicht wird, dass es hier mit je unterschiedlichem Fokussierungs- oder Akzentuierungsgrad eine je getrennte Welt der Männer – Kriminalität – und eine Welt der Frauen – Familie – gibt, bewirkt die Umkehrung, dass die Geschlechterthematik nun nicht mehr unreflektiert mitgeführt werden kann. Zuschauer*innen kommen nicht umhin zu bemerken bzw. die Serie lässt es nicht unkommentiert, dass hier etwas in Fluss gekommen ist. Der Clou ist, dass sich dieser im Kreis dreht. Auf den ersten Blick geht es um die Frauen als Verbrechens-Protagonistinnen. Dann muss auffallen, dass deren Positionswechsel recht glatt aufgeht und daher nicht besonders stark markiert wird.[4] Bemerkenswerter sind die Männer gestaltet. Aber vielleicht geht es letztlich dann doch wieder um die Frauen. Usw. usf.

Wenn die weiblichen Figuren als weibliche Figuren – was auch immer das genau sein soll – eine ursprünglich männliche Position besetzen, müssen die männlichen Figuren in eine andere Position rücken. Wobei: Sie müssen das nicht. Positionen könnten auch doppelt besetzt werden. Aber gerade weil die Männerfiguren nicht zwingend verschoben werden müssen, die Serie diesen Zug – eine Art Rochade – aber vollzieht, ist er zu befragen. Kann die neue Position der Männerfiguren die traditionell weibliche Position sein? Wie sind die männlichen Figuren geschlechtlich markiert? Und am Ende bleibt fraglich, ob es nun progressiv ist, mehr oder weniger als solche markierte Männlichkeiten explizit neu zu verhandeln oder ob hier Männlichkeiten nach einem ganz traditionellen Schema ganz einfach wieder mehr Aufmerksamkeit erfahren, egal in welcher Position sie sich befinden.

Gregg ist Annies Ex-Freund. Er ist der Vater ihrer*s Transgender-Tochter*Sohn Sadie,[5] mittlerweile mit einer anderen Frau verheiratet, die verzweifelt versucht, von ihm schwanger zu werden – und die er mit Annie just in dem Moment betrügt, in dem sich die Schwangerschaft eingestellt hat, und die er schließlich sogar für Annie verlässt. Abgesehen davon, dass Annie ihn aber nicht zurücknimmt, ist insbesondere Sadie von dem neuerlichen Chaos zwischen ihren Eltern nicht begeistert, weil sie sich an die neuen Familienverhältnisse längst gewöhnt hatte.

Dadurch dass Gregg und Annie nicht zusammen leben, kollidieren Annies verbrecherische Aktivitäten nicht mit dem Familienszenario. Sie hat keine Mühe, sie zu verheimlichen, bzw. keine Gewissensnöte bezüglich der Frage, ob sie sich ihm anvertrauen soll. Gregg ist dadurch einerseits kein echter Player in der Serie und bleibt im Hintergrund. Andererseits sind die romantischen und erotischen Verwicklungen als Verwicklungen inszeniert. Annies Verhältnis zu ihrer*m Tochter*Sohn ist überdies unwahrscheinlich eng, und das Transgenderthema wird zwar nicht aufgebläht, impliziert aber eine auffälligere Gestaltung Sadies als die der Kinder der anderen Frauen. Annies Privatleben befindet sich insgesamt nicht im Normalzustand, weswegen es zumindest andeutungsweise interessant dargestellt werden kann, wenn das Verbrechensnarrativ pausiert. Gregg steht für den witzigen Typ in einem anderen Szenario als dem der Familie, nämlich einem melodramatischen, das hier nicht diskutiert werden soll, und ich verbleibe unentschieden, ob sein Geschlecht hierbei eine Rolle spielt und ob und wie es markiert ist. In jedem Fall stellt es keine besondere Herausforderung dar, einer solchen Figur einen gewissen Aufmerksamkeitswert zu verleihen, auch wenn sie sich nur in der Nebenrolle des Sidekicks für die ungewöhnliche Hauptfigur befindet.

Stan ist Rubys Ehemann und Vater ihrer Kinder. Stan ist ein guter Junge auf der ganzen Linie. Er arbeitet hart für die Familie, kann kochen, kümmert sich um die Kinder, hat überhaupt kein Problem damit, dass es Ruby ist, die plötzlich für Geldsegen sorgt und dadurch die gemeinsame Tochter rettet, und er kriegt sich recht schnell wieder ein, nachdem er erfahren hat, woher das Geld kommt, obwohl er Polizist ist. Als solcher hilft er sogar, ein Beweismittel verschwinden zu lassen. Außerdem gibt er seiner Frau gute Tipps für einen Banküberfall, ohne sich selbst auch nur annähernd als Bankräuber ins Spiel bringen zu wollen. Die Bank auszurauben, bleibt Sache seiner Frau. Vermutlich würde es bruchlos aufgehen, Stans Aussagen und Handlungen einer weiblichen Figur anzudichten. Er ist ostentativ die fast traditionelle Hausfrau, und die Rolle steht ihm gut, wobei natürlich nicht übersehen werden darf, dass Geschlechterklischees auch in der Inversion bestätigt werden.

Dass Stan als der perfekte Ehemann in der Nebenrolle überhaupt so stark zur Geltung kommt, ist allerdings auffällig, denn das wird den guten Ehefrauen in traditionellen Serien kaum zuteil. Sie sind einfach da und werden nicht beachtet oder gelobt, während Ruby ihren Mann so sehr zu schätzen weiß, dass auch wir Zuschauer*innen ihn sehen und schätzen müssen. Zwar stellt Ruby ihre Familie nicht wesentlich über ihre Freundinnen, und ihre Loyalität gilt nicht um jeden Preis ihrem Mann, aber sie verweist oft auf Stans konstruktive Funktion für ihr Leben, ihre Ehe, die Kinder und letztlich sogar das Verbrechen, dessen Konsequenzen er mit ausbadet. Besonders wichtig ist aber, dass er als begehrenswerter Mann konstruiert ist, und die Ehe auch in sexueller Hinsicht als erfüllend dargestellt wird. Man könnte nun monieren, dass der männlichen Figur hier etwas vergönnt ist, dass die braven Hausfrauen so nicht genießen durften; man könnte aber auch loben, dass Männern hier die Angst vor dem Abwasch in Schürze genommen wird, weil sie sehen können, dass ihre fiktiven geschlechtlichen Pendants auch in dieser Verfassung eine/ihre Frau verführen können.

Wirklich interessant sind aber Beth und Dean. Beth avanciert im Walter White-Stil zu einer halbwegs passablen Kriminellen, die sich in Blickduellen, Wortgefechten, Drohgebärden, dem ganzen Alphatier-Gerangel nicht nur ganz gut schlägt, sondern auch ihren Kick daran findet. Es erhebt sie jedes Mal, wenn sie eine gefährliche Situation meistert, wenn sie sich als die „boss bitch“ bewährt, als die sie ihr Geschäftspartner bezeichnet. Abgesehen davon, dass sie durch ihre Verbrechen aus einem Dornröschenschlaf geweckt wird und sich selbst und ihre eigene Stärke erfährt und entwickelt, begehrt sie diesen Partner sexuell. Dass er sie anlehrt und sie oft unentschlossen und inkonsequent agiert, unterscheidet sie von ihren männlichen Pendants aus vergleichbaren Serien. Das wäre aber an anderer Stelle zu problematisieren, mal ganz abgesehen davon, dass sich das in der dritten Staffel ändern könnte. Grundsätzlich wird in der Serie zunächst einmal das Narrativ durchgearbeitet, dass eine Person, die vier Kinder in Schach halten und auch unter Schlafentzug acht Dinge gleichzeitig tun kann, vielen Aspekte des organisierten Verbrechens gewachsen ist.

Für ihre neuen geschäftlichen Ausflüge verwendet Beth den Code, sie ginge in den Buchclub. Bei ihr bleibt präsent, dass sie nicht nur als delinquente Figur deviant ist, sondern dass sie möglicherweise aufgrund ihres Geschlechts auch dann die falsche Position besetzen würde, wenn sie die Bank nicht als Räuberin überfiele, sondern in selbiger als Managerin arbeitete. In Bezug auf Beth wird also durchaus verhandelt, dass sie als Frau doppelt aus dem Rahmen fällt: aus der bürgerlichen legalen Sphäre und aus der vertrauten ‚weiblichen‘ Erfahrungswelt. Der Buchclub als typisches Hausfrauenhobby verweist auf die eigentliche Erwartung an sie, also daran, dass es da ja noch etwas gibt oder gab, dass sie nicht macht oder erfüllt, wenn sie sich auf ihre kriminelle Karriere konzentriert.

In der zweiten Staffel trinkt Beth regelmäßig aus einer Tasse mit dem Aufdruck I’d rather be Crafting. Natürlich stellt dies eine ironische Manifestation ihrer Gedanken dar, wenn sie beim Drogenschmuggeln und Geldwaschen einfach zu viel Stress hat und sich fragt, was sie hier eigentlich macht. Aber die Tasse artikuliert auch den Imperativ seitens konventioneller Erwartungen, dass sie eigentlich eine andere Position besetzen müsste, die sie in die Rolle der Bastlerin versetzen würde.

Beth möchte für ihre Kinder da sein, und würde die Serie dies stärker ins Zentrum rücken, erschiene ihre kriminelle Karriere möglicherweise fragwürdiger, als sie es tut. Denn dann würde thematisiert werden, dass sie etwas für ihre Kinder tut – Geld eintreiben –, um hin und wieder (!) etwas anderes zu lassen – mit den Kindern zu spielen. Dass diese Differenz nicht betont wird, ist insofern fair, als sie bei einer männlichen Figuren in der Position des Geldverdieners auch nicht permanent präsent wäre. Die Serie zeigt vielmehr eine andere Differenz zwischen den Welten, indem prägnant im Sinne weiblicher Emanzipation auf andere Tätigkeiten verwiesen wird, die einer – weiblichen – Figur entgehen, wenn sie erwerbstätig ist:

Als Beth sich in der zweiten Staffel kurzzeitig zurückzieht, liest sie tatsächlich ein Buch und könnte gelangweilter nicht sein. Vor allem aber backt sie wie eine Wilde Kekse und Cupcakes für ein Schulfest (s02e10). Die Monotonie der Tätigkeit kommt in den fließbandartig gereihten Backwaren in der Küche zum Ausdruck. Wie sehr hier Einsatz und Ergebnis auseinanderklaffen, zeigt sich daran, dass es Minuten dauert, bis ein Cupcake ziseliert dekoriert ist, um dann… naja, eben ziseliert dekoriert dazustehen, und dann wiederum bestenfalls vertilgt zu werden. Im Fall von Beth aber nicht. Die anderen Mütter ziehen ihre Backwaren aus dem Verkehr, weil diese nicht garantiert gluten- und nussfrei sind. Nach dieser Erfahrung vertickt Beth lieber wieder Drogen.

Aus der unendlichen Variationsbreite dessen, was man unter Feminismus verstehen kann, hält sich die Serie wenig mit Identitätsfragen rund um das soziale Geschlecht auf, um feste Vorstellungen über Männlichkeit und Weiblichkeit zu dekonstruieren – wobei sie diese andererseits auch nicht bestätigt. Ausgangspunkt ist im Wesentlichen ein Differenzfeminismus, der fordert, dass die Karten für Männer und Frauen neu gemischt werden. Dabei wird nicht explizit in Abrede gestellt, dass man in der alleinigen Rolle als gute Mutter nicht glücklich sein kann. Aber es wird deutlich gesagt, dass Erfüllung, Lebenssinn, Selbsterfahrung in weitester Ferne sind, wenn man sich aufschwatzen lässt, wie eine gute Mutter zu sein hat.

Letztlich entfaltet die Serie schon eine Spitze gegen traditionelle Hausfrauen, indem sie angesichts der bunten Törtchen mit kleinen Gesichtern aus Lebensmittelfarbe die Frage aufwirft: Dafür wollt ihr gelobt werden? Das soll Eure Aufgabe sein? Dahin lasst ihr Euch abschieben? Am Ende noch freiwillig? Daran solltet ihr nicht festhalten, wenn ihr nicht wenigstens einmal erfahren habt, wie es ist, nach draußen zu gehen und die Positionen zu erproben, die traditionell Männer innehaben. Geht raus aus dem Haus, in die Öffentlichkeit, verdient Geld, gestaltet die Welt – und zwar unabhängig davon, wie weiblich oder männlich Ihr Euch fühlt, verhaltet etc., oder mit welchen Männern – oder Frauen – Ihr dabei matcht oder nicht matcht.

Das bildet das Gegennarrativ zur Darstellung moderner Öko-Frauen, die nach zahlreichen feministischen Wellen das Backen und Stricken wieder für sich entdeckt haben und dem nun einen freiwilligen Anstrich verleihen und damit das als Lifestyle ausweisen, was über Jahrhunderte langweiligste Sisyphos-Realität zahlloser Frauengenerationen war. Oder die sich im Zuge übertriebenster Ernährungslehren und exzessivem Stillen wieder gar jahrelang in den privaten Raum begeben, dem Ganzen aber nun mit wissenschaftlicher Unterfütterung eine neue Dignität zu verleihen versuchen. Die Serie führt vor, dass das Abseits droht, wenn man dabei nicht die ökonomische Oberhand hat, wofür man aber eben zumeist raus in die Welt muss.

Dass Beth eingangs den Supermarkt mit überfällt, stößt die Verbrechergeschichte an. Eigentlich versetzt sie sich damit aber in die Position, das Autohaus ihres Mannes zu übernehmen, um mit den Autos Drogen zu verschieben und Geld zu waschen. Der Störfall initiiert also einen Rollentausch auch in einem bürgerlichen Rahmen, der seinerseits dadurch nicht mehr als Störfall auffällt und fast en passant ausgeleuchtet werden kann. Indem der Banküberfall stärker als deviant markiert ist, kann Beths allgemeine ökonomische Emanzipation ein bisschen weniger ausgestellt werden. Was also über den Umweg der Verbrechergeschichte diskursiv ausgehandelt wird, ist die Tatsache, dass die Hausfrau nun berufstätig wird, wobei sich von Anfang an andeutet, dass sie sich auch als solche schon immer um alles gekümmert hatte, weil Dean eben Dean ist.

Man könnte eine Figur kaum erbärmlicher konstruieren als Dean. Die Rezeptionsmöglichkeiten bewegen sich zwischen Fremdschämen und Mitleid sowie Aggression und Verachtung. Zum Auftakt der Handlung erfährt Beth, dass ihr Ehemann wieder einmal pleite ist und er sie außerdem betrogen hat. Beth muss ermüdet und entmutigt erkennen, dass die Rollenverteilung versagt hat und ihr Ehemann nicht in der Lage ist, für die Familie zu sorgen, die sie zu Hause bespielt und chauffiert. Das Zusammentreffen von Pleite und Ehebruch überakzentuiert, dass Dean in jeder Hinsicht sofort wegbricht, wenn es darauf ankommt, bzw. es zeigt sich, dass er nie da war, denn es war sogar Beth, die – wie auch immer – schon zuvor Geld in das Arrangement eingebracht hatte, während sie Dean bekocht hat, der derweil auf Kreditkarte Höschen für seine Geliebte gekauft hat. „Beth: In my house that I paid the mortage for and am perfectly capable of handling all the aspects of, including the lawn and the remote control and […].“ (s01e02, 23:55)

Dean wird im Wesentlichen als Parasit inszeniert, bei dem sich nicht die Frage stellt, wofür er gut ist, sondern wie man ihn los werden kann. Er hat sich in der Tat in Beth festgebissen. So erfindet er zunächst einen Hirntumor, damit sie ihn nicht verlässt. Danach möchte er ihren Geschäftspartner/Liebhaber ermorden lassen mit der Begründung, dass er nicht ohne sie könne. Er kann es wirklich nicht.

Er lernt nur mühsam, den Haushalt zu schmeißen und die Kinder zu versorgen, nachdem Beth ihn in diese Position gezwungen hat. Er wird als schwacher Junge inszeniert, und das verweist zunächst einmal permanent darauf, dass die starke Beth alles kann und ihn nicht braucht. Es findet also nicht nur eine Umkehr der Geschlechterpositionen, sondern auch von geschlechtlichen Rollenstereotypen statt. Dabei muss man allerdings hellhörig werden, denn die Umkehrung impliziert die Umkehrung der Umkehrung, sodass man sich vorstellen muss, was es über Frauen aussagt, dass man sich Dean nun als ‚entmannt‘ oder auch ‚verweiblicht‘ denken kann. Ein wenig problematisch. Unterdessen artikuliert Beth überdurchschnittlich häufig Sätze, die üblicherweise Macho-Männern zugeschrieben werden, wie: Wenn ich nach Hause komme, möchte ich es aufgeräumt und gemütlich haben. Als Frau kann sie das. Man würde sich aber ärgern, wenn dies eine männliche Figur sagte.

Aber dann funktioniert der Dreh doch nicht, also die Umkehrung der Umkehrung, weil Dean es sich erdreistet, auch noch in der schwächsten Position einen auf dicke Hose zu machen, wie man es einer weiblichen Figur nie andichten könnte. Beth lädt Dean zum Abendessen ein, wobei er sich zunächst sichtlich unwohl fühlt. Dann folgt ein Dialog, der – ausnahmsweise in der Serie – eigentlich too much ist (s02e04, ab 24:10). Beth schlägt Dean ein neues Geschäftsmodell für das Autohaus vor: „But I think that we’re ignoring 51% of the population [women].“ Dean konzentriert sich derweil auf das Spezialgericht: „Special sounds good, right?“ Kate bleibt konzentriert: „If we start catering towards women, I think we could really increase our sales.“ Dean interessiert sich mehr fürs Fleisch: „Ha, look they have the barbecued short ribs.“ Und obwohl sie hinlänglich bewiesen hat, dass sie aus dem Stand ein Autohaus rocken kann, ist Dean derart verstrahlt vor Selbstüberschätzung, dass er sie jovial als Verkäuferin lobt, um sie dann abzuwürgen: „Look, I would never tell you how to raise the kids, right? Like you make those sandwiches, those cute little sandwiches with the face and the little olives, right, for eyes? And I think that you use a cookie cutter? And I would never, like in a million years, think about using a cookie cutter for sandwich. […] We both have our own, you know, superpower. Why would you want to wreck that?“ Man sieht, wie Beth innerlich zusammensinkt; aber nicht weil sie sich entmutigen lässt, sondern weil ihr vermeintlicher Partner sich einmal mehr lächerlich macht und sich als unhaltbar erweist.

Als wäre diese Szene nicht gemein genug – und zwar immanent gegenüber Beth, hinsichtlich der Gestaltung gegenüber Dean –, schafft es das selbsterklärte Familienoberhaupt in der darauf folgenden Szene in einer Bar noch nicht einmal, die Aufmerksamkeit der Kellnerin zu wecken und einen Drink zu bestellen (s02e04, 30:20). Ich hatte gar nicht gewusst, was für ein guter Schauspieler Matthew Lillard ist, ohne dessen brillant dümmliche Mimik all das nicht funktionieren würde. Beth, die sich ja nun selbst gemausert hat, sehnt sich nach einem Alphatier, und dann will es das Gesetz der Serie, dass sie auf der Damentoilette bekommt, was sie will, während sie ihren Mann in der Bar warten lässt. Ihr Geschäftspartner besucht sie nämlich auf der Toilette, und die beiden haben Sex. Beth lehnt sich vorwärts gegen das Waschbecken, zieht ihren Rock hoch und bietet Rio ihr Hinterteil an. Dieser lässt sich nicht lange bitten. Das nächste, was wir sehen, ist, wie er ihr Becken umfasst und sie sich seitlich am Waschbecken festkrallt. Mehr von der Szene ist in folgendem Video kurz zu sehen.

Die Serie ist ganz auf Beths Seite, während Deans Seitensprünge problematisiert werden. Beth und Rios Verhältnis ist derart spannungsgeladen inszeniert, dass man sich nichts anderes wünschen kann, als dass es endlich passieren möge. So @Antialleslisa auf Twitter: „da mein eigenes liebesleben ein schlechter scherz ist, shippe ich jetzt einfach charaktere aus serien miteinander. beth und rio, wann TUT ihr es denn endlich?!“

Dass Beth aber letztlich auch andere Erwartungen an den Mann stellt, den sie begehrt, sieht man in der variierenden Wiederholung der Szene (s02e06, 37:10). Wer im Haushalt zupackt, wird durchaus sexy. Als sie nach Hause kommt und feststellen darf, dass Dean aufgeräumt und der Tochter Zöpfchen geflochten hat, fordert sie ihn auf, seine Hose auszuziehen. Der männlichen Figur bleibt es nicht erspart, dass sie nachfragen und somit zwei oder drei Mal aufgefordert werden muss, um dann erst dümmlich zu kichern und anschließend der Aufforderung nachzukommen. Beth lehnt sich vorwärts gegen das Waschbecken, zieht ihren Rock hoch und bietet Dean ihr Hinterteil an. Er küsst ihren Hals. Sie ist wenig begeistert. Dialog: „Beth: No, no, don’t. Dean: What do you want. Just tell me what you want. Beth: Just… just do it. … Hurry up. … Come on. … Do it.“ Nun ist es Dean, der hinter ihr zusammen sinkt, und vermutlich nicht nur innerlich.

Es gäbe noch viel darüber zu sagen, was Beth eigentlich will: den Kick ihres neuen Geschäfts oder ein funktionales bürgerliches Leben. Und: Soll es der Alpha-Mann sein, der der starken Frau immer noch zeigen kann, wo der Hammer hängt, oder der Mann, der ihr zu Hause den Rücken frei hält, um sie die starke Frau sein zu lassen. Alles in allem entwickelt sich die Sache mit Rio am Ende ja doch anders, als man zunächst vermuten würde, und Dean ist vielleicht sogar genau der richtige Mann, wenn er nur endlich verstehen würde, dass er es mit seiner Frau nicht aufnehmen kann. Er muss mühsam in diese neue Position gepresst werden, könnte es aber schaffen, während sich die Pavian-Nummer am Ende der zweiten Staffel erst mal erledigt hat.

Ist Deans Konstruktion männerfeindlich? Ein bisschen schon, würde ich sagen, aber erstens kann nicht jeder ein Gregg, Stan oder Rio sein, und zweitens kann Dean ja noch lernen, wie er sich richtig hinter sein Frau stellt. Immerhin hat er gelernt, im Haushalt anzupacken, und die Serie lehrt in vielerlei Hinsicht und in prägnanten Szenen: Hinter jeder glücklichen Frau steht ein zupackender Mann.

 

Anmerkungen

[1] Lickhardt, Maren: Familieninszenierung in Serie. In: Pop. Kultur und Kritik 8 (2018), S. 97-107.

[2] Der vorliegende Text bezieht sich auf die ersten beiden Staffeln.

[3] https://www.goldderby.com/article/2019/christina-hendricks-good-girls-the-romanoffs-mad-men-video-interview-transcript/

[4] https://www.vanityfair.com/hollywood/2019/03/good-girls-is-the-best-crime-show-youre-not-watching [Link mittlerweile erloschen]

[5] Es gibt über die Serie nicht so viele Artikel im Netz. Daher ist es interessant, dass Sadies Transgender-Outing überproportional häufig diskutiert wird. Es spielt eine sehr geringe Rolle in der Serie und wird eigentlich normalisiert, und doch waren die Reaktionen vorhersehbar, kann man als Produzent/in also wissen, dass Rezensent/innen auf das Thema anspringen, und es spätestens in der Rezeption – völlig ungewollt und ohne jede schlechte Absicht – wieder denormalisiert wird. https://www.huffpost.com/entry/good-girls-transgender-coming-out-scene_n_5cbf0273e4b0f7a84a7506a0?guccounter=1&guce_referrer=aHR0cHM6Ly93d3cuZ29vZ2xlLmRlLw&guce_referrer_sig=AQAAAJ3prry9nZXKraUCPE5EQvK6Gh9u6edkAaGtLGG1wQK0PprmctV_prPJEU1iQzPBn6_6ip6XPuLkE748ouV_4uejB9vIwEMqryFcCql23AcfCYzRjLcp-gmIZsfVIrjMh6_UsnK_jrsLq9k0WZ53kyC03VOPGyZ22MD8-qd9Zsn4; https://www.advocate.com/television/2019/4/22/good-girls-trans-coming-out-story-groundbreaking-network-tv

 

Maren Lickhardt ist Assistenzprofessorin am Institut für Germanistik der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.