Frankfurter Museum-Events
[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 13, Herbst 2018, S. 35-39]
Der Skyline-Blick ist ein wichtiger Parameter in der Frankfurter Afterwork-Szene. Eine ganze Reihe von gehobenen Hochhausbars und Event-Locations verkauft ihn zu stolzen Preisen. So verspricht das MainTower Restaurant & Lounge im 53. Stock des Helaba-Turms die »etwas höhere Art des Genießens« mitten im Herzen des Frankfurter Bankenviertels, die 22nd Lounge & Bar im 22. Stock des Eurotheums wirbt mit einer »exklusiven Clubatmosphäre bei Cool Jazz und Live-Entertainment mit Blick auf ›Mainhattan‹«, und auch beim beliebten »After Work Shipping« auf dem Main garantiert der Ausflugsfahrten-Veranstalter Primus nicht nur »tanzbare Partymusik, Fingerfood und Cocktails – natürlich alles frisch zubereitet«, sondern auch »Skyline-Blick inklusive!«
Nicht einmal nach Feierabend scheint der prototypische Arbeitnehmer dieser ›little Global City‹ genug zu bekommen von dem deutschlandweit einmaligen Ensemble aus repräsentativen Bürohochhäusern – liegen doch die Arbeitsplätze der Hochhausbarbesucher nur wenige Stockwerke von den erlesenen Afterwork-Einrichtungen entfernt. Zwar mischen sich auch immer wieder junge Paare und Touristen unter die Gäste, zum Großteil bestehen die zahlungskräftigen Besucher der Hochhausbars aber aus sog. Financial Professionals. Sie arbeiten als Trader, Analysten, Fonds- und Portfoliomanager in der Frankfurt dominierenden Finanzwirtschaft oder im Consulting und nehmen damit eine höchst einflussreiche Position im heutigen Wirtschaftsgefüge ein. Sich auch nach Feierabend in den hoch über der Stadt gelegenen Orten vom Getümmel der City zu separieren, erlaubt es den Financial Professionals, der Gewöhnlichkeit des Lokalen zu entfliehen und mit einem Hauch von Extravaganz, mit dem Odeur des Globalen zu umhüllen. Zwar erstreckt sich das Frankfurter Bankenviertel über eine relativ kleine Fläche von wenigen Quadratkilometern an der Grenze zur Innenstadt im Osten, dem Westend im Nordwesten und dem Bahnhofsviertel im Südwesten der Stadt, in seiner städtebaulichen Ästhetik jedoch ist es den globalen Finanzmetropolen wie New York oder Hong Kong nachempfunden.
Dabei heben sich die Bürotürme nicht nur durch ihre Bauhöhe vom Rest der Stadt ab. Auch ihre glänzende Materialität aus Glas und Stahl macht die Frankfurter Skyline bei Tageslicht und in spektakulärer Beleuchtung bei Dämmerung zur perfekten verbindenden Kulisse für all jene performativen Praktiken, die sich selbst gern im Licht der ›Globalität‹ sehen. Als Praktiken des »worlding« bezeichnen Aihwa Ong und Ananya Roy diese Verhaltensmuster und -routinen, die sich in Global Cities weltweit beobachten lassen. Seine exquisite Gin-Kreation mit Aussicht auf die nächtlich erleuchteten Bankentürme zu genießen und dabei von Kollegen gesehen zu werden, folgt der Wunschvorstellung eines Kollektivs, zur globalen Finanzklasse zu gehören – unabhängig davon, ob man bereits zum Bankenvorstandsmitglied aufgestiegen ist oder gerade ein Praktikum macht.
Doch nicht nur Skyline-Bars eignen sich zur Darstellung gesellschaftlicher Superiorität und Weltgewandtheit. Auch Kultur muss in die Afterwork-Performanz jedes Financial Professionals integriert werden – und zwar in möglichst großer Bandbreite. So sieht man die jungen Berater und Banker nicht nur als verkleidete Hipster – mit etwas zu teuren Hemden unter dem Pullover und in den etwas zu neuen Turnschuhen – vor den angesagten Bars im szenigen Bahnhofsviertel stehen. Auch in der Frankfurter Oper findet sich regelmäßig eine ganze Anzahl von Parkett-Reihen für Firmenkunden reserviert. Man grüßt sich jovial und geht dann – in diesem Kontext mit der teuren Garderobe weitaus angemessener gekleidet – einvernehmlich in eine Diskussion von Geschäftlichem anstatt einer Kurzkritik des dargebotenen Stückes über.
Vor allem für Berufsanfänger und -aufsteiger ist es wichtig, bei der Verlängerung des Beruflichen in die private Abendgestaltung hinein eine gewisse kulturelle Flexibilität zu demonstrieren. Mitte der 1990er Jahre diagnostizierte der amerikanische Soziologe Richard Peterson einen Wandel im Geschmack gesellschaftlicher Führungsschichten. Die oberen Ränge in der Sozialstruktur unterschieden sich nicht länger, wie Bourdieu es in »Die feinen Unterschiede« 1982 gezeigt hatte, mit einem hochkulturellen Gout von den Vorlieben der Masse. Kulturelle Distinktion verlagerte sich nach Peterson dahingehend, dass sowohl hochkulturelle als auch populäre Praktiken und Produkte im persönlichen Geschmacksrepertoire kuratiert werden. Diese Praxis wird in der zeitgenössischen Kultursoziologie mit dem Begriff der »cultural omnivorousness«, der kulturellen »Allesfresserei« bezeichnet. Zum zentralen Kriterium eines kulturell Überlegenen gehört es nun, sich gerade nicht auf einen bestimmten Geschmack festzulegen, sondern sich wie selbstverständlich auf den unterschiedlichsten kulturellen Events zu bewegen.
Während die Popkultur zu großen Teilen durch ›learning by doing‹ appropriiert wird, setzen besonders die Frankfurter Museen zur Nachhilfestunde an. Hochkultur will vermittelt werden und das am liebsten in ›ungezwungener‹ Atmosphäre und mit elektronischer Tanzmusik und Mate-Mix-Getränken. Viele Museen der Stadt bieten eine regelmäßige Afterwork-Partyreihe an; die Schirn etwa den »Ausstellungsbesuch mit Clubatmosphäre – jedes Mal neu und immer wieder anders inszeniert«: »Schirn at night«. Zur Magritte-Party werden schwarze Melonen verteilt, am Basquiat-»Crown Club«-Abend wird Boom-Boom-Bier ausgeschenkt. Auch die »Städelnächte« eventisieren aktuelle Ausstellungen mit DJs und Cocktails. »Sinnliche Körper und gesteigerte Dynamik« gibt es zur Rubens-Schau nicht nur im Œuvre des Künstlers, sondern auch live auf dem Dancefloor.
Ein wichtiges Element dieser musealen Veranstaltungsreihen ist dabei stets die partielle pädagogische Betreuung der Partybesucher. Trinken und tanzen wird ihnen eigenständig zugetraut, Bildbetrachtung allerdings braucht Anleitung. Durch die impulsgebende Ausstellung führen an diesen Abenden deshalb »junge Kunstvermittler«, wie das Städel sie bezeichnet. Die Schirn weist die Museumshelfer etwas unverblümter als Studierende der Kunstpädagogik bzw. Kunstgeschichte aus und markiert sie auf den entsprechenden Veranstaltungen mit plakativen »Frag-Mich«-Shirts. Selbstredend handelt es sich bei diesen Kunstvermittlern nahezu ausschließlich um Kunstvermittlerinnen und Kunstgeschichtsstudentinnen. Bei Musik und Drinks sollen die jungen Frauen den Besuchern die ausgestellten Werke erklären. Zwar ist die Besucherschaft nicht derart männerdominiert wie in den einschlägigen Hochhausbars im Bankenviertel. Charakteristische Gruppen aus Männern Mitte dreißig, mit gepflegtem Äußeren, gebügelten Hemden und hochpreisigen Sommerjacketts lassen sich jedoch immer wieder beobachten.
Bei der »Secret Garden Party« im Liebieghaus, einem besonders stimmungsvollen Afterwork-Event, treffen die beiden Milieus, die Financial Professionals und die jungen Kunstvermittlerinnen, aufeinander. Der Garten des Skulpturenhauses am Sachsenhäuser Museumsufer ist an diesem Sommerabend mit Lichterketten, Lampions und Diskokugeln geschmückt. Kleine Stände verkaufen Getränke, Crêpes und gebrannte Mandeln. Zwischen den Bäumen, Sträuchern (und Skulpturen) markiert ein leicht erhöhtes DJ-Pult die Tanzfläche. Zwischen zwei Live-Musik-Sets laden halbstündlich »Kurzführungen« ein, die William-Kentridge-Ausstellung in jener schlossartigen historistischen Villa zu besichtigen, die seit 1907 vom Altersruhesitz des böhmischen Textilfabrikanten Baron Heinrich von Liebieg zum Museum umfunktioniert wurde.
Meine Kunstvermittlerin stellt sich mit Vornamen vor. In einer Gruppe von acht Leuten bewegen wir uns durch ausgewählte Räume der Schau. »Hört einfach nur mal darauf, wie der monotone Rhythmus den Raum erfüllt«, weist sie uns an, als wir vor Kentridges imposanter Videoinstallation »The Refusal of Time« stehen. In der Mitte des Raums steht eine lärmend stampfende Maschine. Fünf Filme sind an die Wände zwischen und über den rund 2000 Jahre alten Skulpturen des Liebieghauses projiziert. Von der Decke hängende Megaphone beschallen uns. »In diesem Raum hört jeder etwas anderes. Stellt euch einfach irgendwo hin und lasst die Eindrücke auf euch wirken. Hört zu, wie die Zeit unweigerlich weiterrinnt!« Die Kunstvermittlerin lässt ihren Blick leicht nach oben, ins Leere gleiten, als wolle sie demonstrieren, wie man die Zeit verrinnen hört. Ein junger Mann mit zerknitterter Anzughose und weißem Hemd tritt vor eines der Megaphone und macht es ihr mit konzentrierter Miene nach.
Schnell wird deutlich: Hier werden nicht nur Informationen über das Werk präsentiert, sondern vor allem eine adäquate Art, sich Kunstobjekten zu nähern. Denn geradezu beiläufig vermittelt die Kunstexpertin ihren Schützlingen eben auch, welche Armhaltung und welchen Gesichtsausdruck man einnehmen kann, wenn man gerade zwischen skurrilen Filmen eines südamerikanischen Gegenwartskünstlers herumsteht, die entweder furchtbar erhaben oder urkomisch sein können. Genauso wie in der 22nd Lounge & Bar eine bestimmte Getränkewahl, Sitzhaltung und Wahl der Gesprächsthemen den Insider ausweist, demonstriert auch ein spezifischer Habitus den kulturell Gewandten. Praktiken des »worlding« haben äquivalente Praktiken des »culturing«. Ein ›Mann von Welt‹ hat beide zu beherrschen.
Am Ende der Führung verwickelt ein sportlicher junger Mann in hellblauem Hemd und braunen Lederschuhen unsere Führerin in ein Gespräch, stellt Fragen zum Museum und zu ihrer Arbeit. Während sie freundlich und zuvorkommend Auskunft gibt, schlendern beide in den dezent beleuchteten Garten und steuern auf einen Getränkestand zu. Die Musik ist bereits verstummt, Technik wird abgebaut. Denn pünktlich um zehn ist der Donnerstag-Afterwork-Abend im Liebieghaus vorbei. Ich meine zu beobachten, wie der interessierte Banker der Kunstvermittlerin zum Feierabend einen letzten Drink bezahlt. So gibt jeder, was er hat, denke ich. Sie ihr kulturelles, er sein ökonomisches Kapital – eine renditestarke Verbindung. Hätten Museen diese Veranstaltungsform nicht bereits etabliert, ließe sich daraus sicher ein lukratives Paarvermittlungsformat entwickeln. Denn gerade in Frankfurt besteht das amouröse Dilemma häufig darin, dass sich Financial Professionals in ihrem Modus der Weltgewandtheit auf der einen Seite des Flusses in ihren Skyline-Bars anöden, während am anderen Ufer kulturaffine, prekär Beschäftigte in ihrem Modus moderner Bildungsbürgerlichkeit an ihresgleichen ermüden. Wenn der Investmentbanker und die Kunstvermittlerin den von hohen Mauern umgebenen Garten des Liebieghauses am Ende der Party verlassen, erwartet beide der effektvolle Blick über den Main, hin zur hell erleuchteten Frankfurter Skyline.
Miriam Zeh ist Redakteurin beim Deutschlandfunk.