Social Media Februar
von Marlen Hobrack
11.2.2019

#bookstagram

Ausgerechnet auf Instagram, das als Medium oberflächlicher Selbstdarstellung gilt, werden Bücher mit besonders viel Sorgfalt und Einfallsreichtum inszeniert. Bei sogenannten Bookstagrammern übernimmt das Buchcover die Rolle des Gesichts im Selfie. Übrigens verfügt das Buch über ein eigenes Bildgenre, das Shelfie nämlich (“Shelfie” ist ein Kofferwort aus “Shelf” für Bücherregal und “Selfie”) Ist das Buch dabei lediglich Staffage, oder gelingt im Medium Instagram auch ernstzunehmende Buchkritik? Welchen Mehrwert bietet der Produser dem Follower, wenn er Bücher zeigt?

Um das Phänomen Bookstagram besser verstehen zu können, muss man zunächst seine unterschiedlichen Erscheinungsformen betrachten. Grob lassen sich drei Kategorien identifizieren. 

Die erste Kategorie bilden jene Bookstagrammer, die semiprofessionelle Buchblogs betreiben und als nahbare Buchkritiker auftreten. Dabei stecken sie sich ein eigenes Betätigungsfeld ab: Bei dem einen mag es Fantasy sein, bei der nächsten englische zeitgenössische Literatur. Weil der Buchinhalt im Vordergrund steht, werden die geposteten Bilder von längeren Texten begleitet, die vielleicht keine vollwertigen Kritiken sind, aber doch Details zum Text und eine Beurteilung desselben liefern. Die Textlänge selbst ist interessant, da sie für gewöhnlich die Masse an Text, die wir auf Instagram zu lesen bereit sind, deutlich überschreitet. Weil die meisten Menschen Instagram mit ihrem Smartphone nutzen, wird das Lesen längerer Texte erschwert. Aber nicht nur das: Auch das Tippen ist verhältnismäßig mühsam, was den Transfer vorbereiteter Texte vom PC auf das Smartphone nötig macht. Allerdings kommen technische Veränderungen des Mediums ins Spiel: Während Instagram seit längerem eine App für Desktop-PCs anbot, konnte man zunächst nur Inhalte sehen oder in Privatnachrichten teilen, jedoch nicht hochladen. Das ist inzwischen möglich. Durch die Desktopvariante ist die Produktion umfangreicher Textinhalte weniger mühsam.

Bookstagrammer der ersten Kategorie legen oft weniger Wert auf eine ausgefeilte Inszenierung, im Gegenteil: Das Buch soll ganz für sich stehen. Meist ragt es monolithisch ins Bild, auf einer Tischkante platziert, oder wird schlicht in der Hand gehalten. Diese Variante der Buchpräsentation spielt nicht selten mit der schlichten Schönheit von Buchcovern.

Spricht man neuerdings immer häufiger von Mikroinfluencern auf Instagram – die jedoch auch über tausende Follower verfügen –, handelt es sich bei vielen Bookstagrammern dieser Sorte sogar um Mikro-Mikroinfluencer. Was ist der Nutzen für ihre Follower, was erwarten sie?

Im Grunde passiert auf Instagram das, was wir auch in einer Buchhandlung erleben: Jemand, den wir für kompetent erachten, setzt ein Buch in Szene, gerne auch in Stapelform. Und wir greifen aus Interesse zu. Der Bookstagrammer hat vielleicht bereits in der Vergangenheit ähnliche literarische Interessen offenbart, der Rezipient vertraut dem Urteil. Wie auch „in der Buchhandlung des Vertrauens“, ergibt sich der Vertrauensvorsprung aus der Verbindung von bisherigem Angebot und persönlicher Note oder „Credibility“.

Darin besteht die Stärke von Social Media: Im Gegensatz zur klassischen Buchkritik bietet Bookstagram üblicherweise eine Kritik von Laien oder Semi-Professionellen für Leser und vermittelt diese über soziale Kontakte. Sympathie spielt – vermeintlich – eine größere Rolle als die Kompetenz des Beurteilenden. Allerdings könnte diese Vorstellung auch die verzerrte Perspektive des Feuilletons wiedergeben, das gerne die Professionalität der Blogger und Bookstagrammer in Frage stellt. Besonders dann, wenn sie gesponserte Leseexemplare von Verlagen erhalten. Das aber geschieht erst, wenn der Blogger einen gewissen Bekanntheitsgrad und damit einher- oder vorausgehenden Professionalisierungsgrad erreicht hat. Zudem erhalten auch klassische Journalisten Rezensionsexemplare, was jedoch keineswegs als Vorteilsnahme oder verdecktes Sponsoring begriffen wird.

Die Bookstagrammer versuchen dann auch alles, um den Eindruck von Sponsoring zu entkräften. So werden die Posts vorsorglich mit der Bemerkung „Werbung, nicht beauftragt“ oder ähnlichem versehen. Natürlich ist jede Präsentation eines Produktes letztlich auch Werbung. Diese erfolgt aber oft auch freiwillig und – eigentlich faszinierend! – ohne die Einwirkung des Profiteurs der Werbung. Bookstagrammer dieser Art übernehmen also aus eigenem Antrieb das Marketing für Unternehmen (nichts anderes sind Verlage), ohne unmittelbar im großen Stil davon zu profitieren. Antrieb mag die Liebe zum Buch sein, vielleicht aber auch die Möglichkeit, das Expertentum der Rezensenten des Feuilletons und deren Macht zu hinterfragen. Schließlich ist es die Expertenkritik, die Texte kanonisch werden lässt. Die Kritik am lesenden Laien, der womöglich minderwertige Literatur wertschätzt, wie sie eben auch in Feuilletons geäußert wird, ist übrigens auch keine Neuheit, begleitet sie die Buchdiskurse doch seit der Frühen Neuzeit.

Instagram bietet neue Möglichkeiten der Selektion, Partizipation (langfristig auch der Kanonbildung?) und Multiplikation, eben auch deshalb, weil die Reichweite der Buchblogs und Bookstagrammer zusammen genommen sehr groß ist. Wurde schon mit dem Beginn des Buchdrucks die Frage der Selektion der sinnvollen Bücher und Lektüren zum Problem (zu viele Bücher, zu wenig Zeit), steigert sich dieses auf dem zeitgenössischen Buchmarkt ins Unermessliche.[1] Selbst die kanonisierte Literatur lässt sich kaum bewältigen, sodass der Selektionsdruck weiter steigt:[2] Der Lesende muss immer stärker zwischen lohnender und weniger interessanter Lektüre unterscheiden. Die sozial vermittelte Buchkritik auf Basis der Empfehlung des Bookstagrammers hilft, weil sie über die Frage hinaus, was man wissen oder kennen muss, auch fragt, was gut unterhält.

Kommen wir zur zweiten Kategorie der Bookstagrammer. Sie stellt den Aspekt der Behaglichkeit der Lesesituation in den Vordergrund. Das aufgeschlagene Buch (wichtig!) wird inmitten von Flauschfell, Teetasse, Lichterketten und anderen, Gemütlichkeit markierenden Gegenständen präsentiert. Gerne sind weibliche Beine, in dicke Kuschelsocken gehüllt, im Bild präsent. Auf den ersten Blick handelt es sich um die oberflächlichste Variante des Bookstagrams, bei dem der Inhalt des Buches in den Hintergrund tritt. 

Man könnte sich darüber amüsieren, dass eine eher platte Form der Hyggeligkeit propagiert wird. Dabei verweist diese Art der Inszenierung gerade dadurch, dass sie das Buch zur vermeintlichen Staffage macht, auf den Kern des Buchlesens selbst. Denn wenn es doch gar nicht um den Inhalt des Buches geht, warum ist das Buch Teil der Inszenierung? Warum liegt an seiner Stelle kein Tablet, kein Handy oder eine Zeitung?

Erstens, weil das Buch im Bild eine Reihe haptischer wie auch emotionaler Erfahrungen aufruft. Damit wird die eigentliche Leseerfahrung, das, was jedes gute Buch zu geben im Stande ist, zum Kern des Bildthemas. Lesen ist ja nicht nur Wissensaneignung. Es unterhält, stiftet Gemeinschaft, regt die Fantasie an.

Das Buch verkörpert zweitens die Vita Contemplativa, ein von geistiger Arbeit und Versenkung in den Gegenstand gekennzeichnetes Leben, das den Menschen aus seiner Umwelt löst. Das so inszenierte Buch ist tatsächlich Gegenwelt, das obendrein für etwas steht, was viele Menschen immer schlechter können: Abschalten. Mit sich allein sein. Den eigenen Gedanken nachhängen. Fragt man Menschen, die nicht gerne lesen, warum dem so ist, dann spielt der Aspekt der Ruhelosigkeit und Ungeduld eine wichtige Rolle. Das Buch verspricht Zerstreuung oder Fokussierung, aber eben nur dann, wenn Körper und Geist bereit dafür sind.

Die dritte Form des Bookstagrams berührt die Sphäre der Medienkunst. Ein schönes Beispiel hierfür sind die Bilder von Stephan Porombka, der auch durch seine Arbeit für die Zeit als „Professor Praxis“ bekannt ist. Er selbst würde sich wohl gar nicht als Bookstagrammer bezeichnen. Bücher fungieren bei dieser Form von Bookstagram als Stichwortgeber: Titel oder bekannte Zitate werden wörtlich genommen oder ins Bild gesetzt. Die Bilder werden nur von einem kurzen Kommentar begleitet. Dieser fungiert, ähnlich wie im Falle der barocken Emblematik, als Motto, das der Kombination aus Bild und Buchtitel eine zweite oder dritte Ebene hinzufügt.

Ein Bild, das Porombka selbst mit einem Nietzsche-Buch vor dem Gesicht zeigt, wobei das legendäre Philosophenprofil Porombkas Profil ersetzt, wird mit der Caption „Jenseits von Gut und Böse“ versehen. Natürlich ist das neben dem Buchtitel auch eine selbstironische Aussage.

Im umgekehrten Fall wird das Porträt in einem aufgeschlagenen Buch durch Porombkas Profil, das auf seinem Smartphone sichtbar ist, ersetzt. Es ist ein Spiel, nicht nur mit witzigen und verblüffenden visuellen Effekten, sondern auch mit dem Übergang eines Mediums zum anderen. Dieses Medien-Bookstagram, wenn man es denn so nennen möchte, inszeniert also die Medialität des Buches, die ja nicht gleichbedeutend mit der des Textes ist.

Eigentlich müsste man noch eine vierte Form des Bookstagrams benennen: Diejenige, die Bücher in der Masse inszeniert. Offenkundig geht es hier nicht um den Text oder das individuelle Buch, auch nicht um Leseempfehlungen. Eigentlich handelt es sich um ein Bild für Tsundoku, dieses schöne japanische Wort für das Problem, stapelweise Bücher zu besitzen, die man gar nicht lesen kann. 

Ob die Bücher nun massenhaft und ordentlich in Regalen arrangiert sind, in Haufen und Stapeln, die zu kippen drohen oder echte Bücherhöhlen bilden: Immer auch wird die Aussichtslosigkeit des Lesenden, den Stoff zu bewältigen, inszeniert. Allerdings nie als tragische oder traurige Tatsache, sondern als staunenswerter Fakt. So besitzt das übermäßige Sammeln von Büchern nicht die gleiche negative Konnotation wie das Horten ungetragener oder untragbarer Kleidung. Das Buch, auch als ungelesenes, hat einen Wert an sich. Bücher wegzuschmeißen, bringt kaum jemand übers Herz.

Offenkundig wird eine Lust an der Überforderung inszeniert. Galt im 18. Jahrhundert das Viellesen, besonders bei Frauen, als potenziell schädliche Beschäftigung, gilt das Lesen gerade in der Zeit medialer Dauerberieselung als tugendhafter Akt. Wer sich mehr vornimmt, als er schaffen kann, scheitert an der Fülle, nicht am eigenen Vermögen.

Bei den Inszenierungsvarianten lässt sich eine gewisse Geschlechterdisparität ausmachen. Während in der ersten Kategorie des informierenden Bookstagrammers Frauen und Männer ungefähr paritätisch vertreten sind, erscheint die Inszenierung der Behaglichkeit der Lesesituation als Frauenphänomen. Jedenfalls sieht man keine haarigen Männerbeine in Kuschelsocken, vor denen ein aufgeschlagenes Buch liegt. Überraschend ist das nicht, folgt es doch einer Geschlechterlogik, die die Frau mit der Sphäre des Häuslichen verknüpft. Das künstlerische Bookstagram wiederum ist bei Frauen wie Männern gleichermaßen beliebt.

Was für alle Formen des Bookstagrams gilt, und das ist die eigentliche Pointe der Präsenz des Mediums Buch in den Sozialen Medien, ist die Bedeutung des analogen, gedruckten Buches im digitalen Medium. Nur das analoge Buch mit spürbaren, visuell wahrnehmbaren, physikalischen Eigenschaften, mit ansprechend gestaltetem Cover und sichtbaren Lesespuren lässt sich im Bild festhalten. Zwar kann uns das E-Book den Text, also den Inhalt des Buches präsentieren; es scheitert aber an der Repräsentation der Leseerfahrung. Weder evoziert es Gefühle und Erinnerungen, noch erzeugt sein Abbild das Gefühl von Behaglichkeit oder Kontemplation. Ins Bild gesetzt wird also die mediale Differenz zwischen Text und Buch. Dass das digitale Soziale Medium Abermillionen von Bücherbildern speichert, selektiert und distribuiert, ist wiederum der Triumph der vernetzten digitalen Welt über die Gutenberg-Galaxis.

 

Anmerkungen

[1] Vgl.: Leander Scholz: Die Industria des Buchdrucks. In: Kümmel, Albert [Hrsg.] u.a.: Einführung in die Geschichte der Medien. Paderborn 2004. 282 S. Hier: S. 11 – 35.

[2] Ebd.

 

Marlen Hobrack schreibt als freie Autorin u.a. für den Freitag und Zeit Online.