Rustikal abtanzen: Diskothekenkultur im Schwarzwald in den 1970er bis 1990er Jahren
von Michael Fischer
16.3.2018

Bundesdeutsche Diskotheken im ländlichen Raum

Die Forschung zur populären Musik besitzt eine bemerkenswerte und bisher wenig reflektierte Ähnlichkeit zur etablierten geisteswissenschaftlichen Forschung, die sich hochkulturellen Phänomenen zuwendet: Die Untersuchungsgegenstände orientieren sich nämlich nicht am kulturellen Mainstream,[1] sondern nehmen vornehmlich sozial differenzierte und ästhetisch elaborierte Artefakte, avantgardistische Strömungen sowie urbane Phänomene in den Blick. Das Einfache, Banale, Bodenständige von musikalischen Unterhaltungskulturen wird auch in der Popularmusikforschung viel seltener gewürdigt – das gilt für die medial und gesellschaftlich lange Zeit omnipräsente Schlagerkultur genauso wie für nichtprofessionelle Jugendbands oder eben für ländliche Diskotheken.[2]

Sich der Diskothekenkultur in einem bestimmten ländlichen Raum aus einer historischen Perspektive zuzuwenden, ist methodisch und forschungspraktisch anspruchsvoll: Auch im Schwarzwald (und den angrenzenden Räumen wie der Baar und der Rheinebene) war in den 1970er bis 1990er Jahren diese Form der Musik-, Unterhaltungs- und Jugendkultur zeitlich und regional stark ausdifferenziert, so dass sich Pauschalierungen verbieten; der Zugang zu Quellen ist schwierig, zum Teil weil Sperrfristen bei den Archivalien noch nicht abgelaufen sind oder in den Archivmaterialien relevante Informationen fehlten – beispielsweise weil sie bei den verwaltungstechnischen Abläufen keine Rolle spielten. Das betrifft etwa die Frage, welche Musik in den Diskotheken gespielt wurde, wer die BesucherInnen der jeweiligen Betriebe waren oder wie viele Discjockeys die Tanzlokale beschäftigt hatten. Auch waren nicht alle ermittelten Zeitzeugen zu einem Gespräch bereit oder ihre Erinnerungen verloren sich aufgrund der Zeitläufte im Ungefähren. Bildmaterial ist schwer aufzutreiben, authentisches Tonmaterial (Mitschnitte) ist nicht vorhanden.

Mein Beitrag für pop-zeitschrift.de will dennoch erste Ergebnisse eines länger angelegten Forschungsprojekts am Zentrum für Populäre Kultur und Musik (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) präsentieren. Der Aufsatz umfasst drei Teile: Zunächst wird versucht, die Diskothek als ein Unterhaltungs- und Freizeitangebot für vorwiegend jugendliche Menschen zu begreifen. Entsprechend wird der Begriff „Diskothek“ und seine Geschichte erläutert, um dann den Anfängen der bundesdeutschen Diskothekenkultur nachzugehen. In einem zweiten Teil stehen die Diskotheken im ländlichen Raum – von den Städtern mitunter als „Bauerndiscos“ verspottet und abqualifiziert – im Vordergrund. Diskotheken speziell im Schwarzwald und in den angrenzenden Gebieten bilden den Gegenstand des dritten Teils. Zum Schluss möchte ich die Erinnerungskultur kurz beleuchten, und zwar anhand von Facebook-Einträgen ehemaliger Fans.

Diskothek „Waldpeter“, Schönwald im Schwarzwald
Foto: Kai-Uwe Bitsch

Der Begriff „Diskothek“

Der Begriff „Diskothek“ meinte viele Jahrzehnte lang lediglich einen Aufbewahrungsort für Schallplatten bzw. Plattensammlungen.[3] Parallel zu den Begriffen „Phonothek“ bzw. „Bibliothek“ war er im gelehrten und bildungsbürgerlichen Umfeld verbreitet. In Deutschland setzte sich das Wort „Diskothek“ für eine neue Form der Musik- und Tanzunterhaltung erst spät durch. Für die entsprechenden Angebote standen zunächst lediglich die Begriffe „Tanzlokal“, „Tanzbar“ bzw. „Tanzdiele“ zur Verfügung, ganz unabhängig davon, ob die Musik live oder von Platten gespielt wurde. Auch eine der ersten in der Bundesrepublik Deutschland gegründeten Diskotheken, der „Scotch Club“, der 1959 aus einer Aachener Speisegaststätte hervorging, nannte sich noch nicht „Diskothek“.[4]

Einer breiteren Öffentlichkeit wurde die Bezeichnung „Diskothek“ durch das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ bekannt. Dieser veröffentliche im Jahr 1965 einen kulturkritischen Beitrag unter der Überschrift „Diskothek. Irre laut“.[5] Dabei stand die damals noch neuartige Erscheinung der US-amerikanischen Unterhaltungskultur im Vordergrund, die bereits nach Europa und in die Bundesrepublik herüber geschwappt sei.[6]

Im wissenschaftlichen Diskurs finden Begriff und Phänomen „Diskothek“ seit 1968 Aufmerksamkeit, also parallel zu den gesellschaftlichen Umbrüchen in der Bundesrepublik und parallel zur Durchsetzung der damals so genannten „Beatkultur“ – also der angloamerikanisch geprägten Rock- und Popmusik und eines entsprechenden jugendlichen Lebensstils.

In der pädagogischen und wissenschaftlichen Literatur der 1970er und 1980er Jahre herrschten kulturkritische Töne vor; die einen wollten die Jugend vor Lärm, Alkohol und Drogen schützen, die anderen sahen in den Diskotheken Einrichtungen einer kommerziellen Freizeitindustrie, welche die Menschen manipulierten. Der Volkskundler Werner Mezger argumentierte im Jahr 1980 schon differenzierter; er sah in der Diskothek eine „Begegnungsstätte“ bzw. ein „Kommunikationszentrum“, das für Jugendliche Musik und die Möglichkeit zum Tanz bietet: „Leute-Treff, Musikzentrum, Tanzhaus und Gastwirtschaft – das sind die vier unverzichtbaren Grundeigenschaften jeder Diskothek“, schrieb er damals.[7]

Diskothekenkultur in der Bundesrepublik Deutschland

Die Diskotheken in der Bundesrepublik waren zunächst keine aufregenden Orte der Subkultur, sondern gingen oft aus älteren Lokalen hervor. Frühe Diskotheken wandten sich auch nicht zwingend an Jugendliche, sondern boten Tanz und Unterhaltung für Erwachsene – und zwar für die Mittelschicht – an. Sie standen also in der Kontinuität der älteren Tanzlokale, in denen kleine Musikkapellen oder Combos auftraten. Ende der 1950er Jahre hatten die ersten Lokale begonnen, ihre Gäste mit Schallplatten zu unterhalten. Für die Gäste hatte dies den Vorteil, dass sie stets das Original hörten – schon beim Rock’n’Roll mit seinen Stars war dies ein wichtiges Argument für den Kauf einer Platte. Und für die Wirte waren Schallplatten und ein Discjockey, der diese auflegte und moderierte, einfach billiger.

Bis in die 1970er Jahre hinein gab es auch Lokale, die in einem Raum ganz unterschiedliche Alters- und Interessensgruppen bedienten: In einem „Diskothekenführer“ war rückblickend zu lesen: „Wo nachmittags Teens zu Waterloo von Abba hotteten, drehten sich abends die Eltern zu Chris Roberts Ich bin verliebt in die Liebe. Und regelmäßig frönten auch die Rentner ihre Vorliebe für Rudi Schuricke oder für andere volkstümliche Töne“.[8] Das Tanzlokal stand also für drei Generationen offen – eine Binnendifferenzierung, die später gerade in ländlichen Diskotheken durch eine entsprechende Programmgestaltung fortgesetzt wurde.

In den siebziger Jahren breitete sich die Diskowelle in der Bundesrepublik Deutschland schnell aus. Medial wurde dies durch Fernsehsendungen verstärkt, am prominentesten durch die zwischen 1971 und 1982 im Zweiten Deutschen Fernsehen ausgestrahlte Sendung „Disco“ mit dem legendären Ilja Richter. Den endgültigen Durchbruch erlebte die „Diskowelle“ mit dem Erfolg des Films „Saturday Night Fever“, der 1977 in die US-amerikanischen Kinos kam und dort 110 Millionen Dollar einspielte.[9] Mit dem grandiosen Filmerfolg verknüpfte sich der Erfolg des Soundtracks, der überwiegend von der Gruppe „Bee Gees“ gestaltet wurde. In Westdeutschland war der Film 1978 unter dem etwas biederen Titel „Nur Samstag Nacht“ zu sehen. Er entfaltete eine enorme Wirkung und lenkte die Aufmerksamkeit auf die „Disco“ – verstanden als Veranstaltungsort, Veranstaltungsform, Musik- und Tanzstil sowie als neue Form der Jugendkultur.

1979/1980 soll es in der Bundesrepublik bereits zwischen 8.000 und 9.000 Diskotheken gegeben haben; die Branche erwartete einen Jahresumsatz von zwei Milliarden Deutsche Mark; ebenfalls 1979 wurde eine in Münster stattfindende „Internationale Diskotheken-Fachausstellung“ begründet; ein Jahr später wurde gleichfalls in Münster der „Bundesverband Deutscher Diskotheken e.V.“ ins Leben gerufen.[10] Anders gesagt: In den 1980er Jahren – als sich das deutsche Bürgertum in Lebensstil und Wohnausstattung rustikalisierte und damit die von Helmut Kohl propagierte „geistig-moralische Wende“ in eine spezifische Ästhetik übersetzte – war die Discokultur im deutschen Mainstream angekommen.

Diskotheken im ländlichen Raum

Zu ländlichen Diskotheken wurde bisher selten geforscht, schon gar nicht zum südwestdeutschen Raum.[11] Allerdings haben Wissenschaftler durchaus die musikalische Praxis in Dörfern untersucht, etwa der Mainzer Historiker Gunter Mahlerwein.[12] Dieser zeichnet die Geschichte der dörflichen Musikpraxis nach, die einerseits – insbesondere im Vergleich zur Stadt – traditionell ausgerichtet war, andererseits durchaus offen war für neue Impulse, im 19. Jahrhundert etwa für die damaligen Modetänze und die Operette, später für die neuen Medien Kino und Radio und ab den 1960er Jahren zunehmend für das Fernsehen.

Die herkömmlichen Tanzveranstaltungen auf dem Dorf waren oft Teil von größeren Festen wie der Kirchweih. Dabei spielten zuweilen mehrere Tanzkapellen in unterschiedlichen Gasthäusern, das Repertoire umfasste Tango, Walzer, Märsche und Stimmungslieder.[13] Jugendaffine Angebote gab es erst seit den 1960er Jahren, als die „Beatmusik“ auch die Dörfer erreichte und sich die ländliche Musikkultur allmählich ausdifferenzierte. Neue Musikformationen (Bands) mit einem neuen Repertoire und Instrumentarium verdrängten allmählich die alten Tanzcombos.[14] Daraus entwickelten sich erste „kommerzielle Veranstaltungsorte“; in den alten Sälen der Gasthäuser spielten nun live diverse Jugendbands, aus denen schließlich erste Diskotheken hervorgingen, wie Mahlerwein feststellt.[15]

Wie fremdartig Diskotheken zu Beginn der Entwicklung selbst in einem städtischen Kontext[16] empfunden wurden, zeigt ein Bericht aus der Zeitung „Neckarquelle“. 1968 wurde nämlich berichtet, dass in Schwenningen (Schwarzwald-Baar-Kreis) ein neues „Tanz- und Unterhaltungslokal“ eröffnet habe: das „Bonanza“.[17] Der Name des Lokals griff auf die gleichnamige US-amerikanische Fernsehserie zurück, die seit 1967 im Zweiten Deutschen Fernsehen zu sehen war.[18] Dementsprechend war das Lokal als „Western-Saalon“ eingerichtet, wie es am 4. Oktober 1968 in der bereits genannten Zeitung hieß.[19] Die Betriebsform der „Tanzdiskothek“ musste 1968 dem Publikum allerdings noch erklärt werden: „Getanzt wird nach Schallplatten, die von einem Disc-Jockei [!] aufgelegt werden“, heißt es da.[20] Junge Menschen unter 18 Jahren hatten keinen Zutritt.

Jugend, Musik, Landleben

Diskotheken im ländlichen Raum, in Dörfern und kleineren Städten, antworteten in der gesamten Bundesrepublik auf einen neu entstandenen Bedarf nach Musik- und Tanzunterhaltung. Die neuen Angebote sollten Jugendliche in infrastrukturell eher unterversorgten und bis dato gesellschaftlich traditionell geprägten Gebieten ansprechen: Die Landdiskotheken besetzten „fast konkurrenzlos ein dünn besiedeltes Freizeitfeld“, wie Eckhart Frahm auf dem Höhepunkt des Diskotheken-Booms 1979 feststellte.[21]

Da Landdiskotheken zwar relativ breit gestreut, aber keineswegs an jedem Ort verfügbar waren, spielte auch die wachsende Massenmotorisierung eine Rolle: Jugendliche erreichten erst mit Mofas und Mopeds, später mit dem Auto die Diskothek ihrer Wahl. Dabei hatten Landdiskotheken manchmal ein sehr weites Einzugsgebiet, das nicht auf die Nachbarortschaften oder den Landkreis beschränkt sein musste. Selbstverständlich diente die Diskothek auch als Ausgangspunkt zum Kennenlernen, zum Flirten und zum Anbahnen von Freundschaften bzw. sexuellen Begegnungen. Was dies betrifft, brachte es die in Freiburg erscheinende „Badische Zeitung“ 1996 auf den Punkt: „Nur zum Tanzen in die Disco? Von wegen! Die Hauptsache ist das Flirten“.[22]

Diskothek „Waldpeter“, Schönwald im Schwarzwald
Foto: Kai-Uwe Bitsch

Diskotheken im Schwarzwald

Am 29. August 1985 erschien gleichfalls in der „Badischen Zeitung“ ein relativ ausführlicher Artikel, der die damalige Diskothekenszene im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald launig beschrieb.[23] Vier Lokale „zwischen Buggingen und Titisee-Neustadt“ habe man sich angesehen, schrieb die Zeitung damals: „von der ‚Neon-Disco‘ bis zum Standard-Tanz-Schuppen mit Damenwahl“.

Zunächst wird das „Café Suum“ in Buggingen (nahe Müllheim, Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald) beschrieben. Aus ihm dröhne „New wave-Musik“, innen „erleuchten gelbe und blaue Neonröhren die hellgraue Theke“, Strahler sorgten im gesamten Raum für Helligkeit.[24] Allerdings: Das Publikum sei längst nicht so „wavig“ wie die Inneneinrichtung, neben dem „coolen Szene-Typ steht da auch der Motorradfahrer mit Jeansweste unter der Lederjacke, und der Jugendliche mit langen Haaren und Stirnband“. Die meisten seien „Unauffällige, deren Unauffälligkeit in dieser Umgebung auffällt“. Auf der kleinen Tanzfläche seien diese jedoch nicht zu finden, sondern eher „Leute mit auffälliger Kleidung, im ‚Wet-Look‘ gestylten Frisuren, spitzen Schuhen und eckig-modischer Tanzweise“. Die meisten Besucher in Buggingen – genannt werden 80% – kämen aus den nahegelegenen Städten der Rheinebene, nämlich Lörrach, Basel und Freiburg, der Rest aus der Umgebung.

Ein ganz anderes Ambiente bot Mitte der 1980er Jahre das „Gutach Landhaus“ in Neustadt (heute Titisee-Neustadt, Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald). Der Autor des Artikels sieht sich an eine Landgaststätte erinnert, „in der man für die Tanzfläche einige Tische entfernt“ habe. Es gebe zwar eine Videoanlage, die sich aber „in der rustikalen Umgebung, zwischen Holzeinrichtung, Trockenblumen und braunen Vorhängen recht seltsam“ ausnehme. Die Besucher seien jünger als im modernen „Suum“, zwischen 14 und 25 Jahren. Aus den Lautsprechern ertöne „Disco-Sound“; teilweise sängen die Jugendlichen mit; extravagante Aufmachungen gebe es nicht. Das Publikum rekrutiere sich aus der Gegend, im Sommer kämen einige Touristen hinzu. Die Teenis, so der Zeitungsbericht, kämen zwar oft in diese Landdiskothek, seien aber nicht ganz glücklich. Ein 16-Jähriger wird mit „Die Alternative zum Nichts“ zitiert. Trotzdem war der Betreiber zufrieden; an den Wochenenden kämen 300 bis 400 Besucher, allerdings machten ihm die auferlegten Sperrzeiten zu schaffen, die aufgrund von Beschwerden über Lärmbelästigung verhängt worden seien.

Der „Fuchsbau“ in Kirchzarten bei Freiburg war in einem flachen Betonbau untergebracht; zum Zeitpunkt des Artikels offenbar ein sich im Niedergang befindlicher Betrieb. Es seien an einem Freitagabend kaum Gäste da gewesen, ein DJ fehle, stattdessen komme „die Musik von der Kassette“. Entsprechend war die finanzielle Lage für die Betreiber des „Fuchsbaus“ schlecht; früher, zwischen 1975 und 1983 sei die Lage besser gewesen. Inzwischen machten Vereinsfeste und Dorfhocks Konkurrenz.

Schließlich berichtet der Artikel aus der „Badischen Zeitung“ noch vom „Heuboden“ in Umkirch nahe Freiburg, ein Tanzlokal, das auch heute (2018) noch erfolgreich betrieben wird. Dieser Betrieb war laut Zeitung betont rustikal eingerichtet, es gebe hölzerne Deckenbalken, an alten Wagenräder seien die Lampen aufgehängt, landwirtschaftliche Utensilien wie Rechen und Spaten zierten die Wände dieser zweistöckigen Disko. Das Publikum sei hier deutlich reifer, die zwischen Ende 20 und Anfang 50 alten Besucherinnen und Besucher tanzten Standard, gepflegte Erscheinung werde vom Betreiber sowieso vorausgesetzt. Mittwochs gebe es noch beim Tanz „Damenwahl“.

Ausgehend von diesen Beobachtungen anhand der „Badischen Zeitung“ soll nun ein intensiverer Blick auf ländliche Diskotheken im Schwarzwald geworfen werden: zum einen auf die Räume, zum anderen auf die mit dem Diskothekenbetrieb verbundenen sozialen Konflikte.

Räume

Zunächst soll das Augenmerk auf die Ausstattung ländlicher Diskotheken gelegt werden: Es gab und gibt Betriebe, welche betont rustikal ausgestattet sind. Ein Zusammenhang zur Vorgeschichte des jeweiligen Lokals ist oft gegeben; umgebaute Gaststätten tendieren eher zu einem rustikalen Look, Neubauten eher zu einem modernen. Freilich wurden auch Gebäude neu errichtet, die auf ein bodenständiges Design mit viel Holz setzten und damit einen regionalen Bezug herstellten.

Beim 1978 errichteten „Heuboden“ in Umkirch oder beim 1979 eröffneten „Blockhaus“ in Haslach weisen ja bereits die Namen auf den rustikalen Charakter der Inneneinrichtung hin.[25] Beim Tanzlokal „Schwarzwaldspitze“ in Todtmoos (seit 1991 bestehend) wird die Ausstattung sogar explizit an die Landschaft rückgebunden: „Die aufwendige Holzkonstruktion spiegelt den Charakter des Schwarzwalds wieder“, heißt es auf der Homepage.[26] Diese Ausstattung entspricht dem Programm des Lokals wie der anvisierten Zielgruppe.

Diskothek „Waldpeter“, Schönwald im Schwarzwald
Foto: Kai-Uwe Bitsch

Von diesem speziellen Gebäude abgesehen waren neuerrichtete Diskotheken außen oft betont zweckmäßig und nüchtern ausgestaltet; die Illusion des Exklusiven und die Faszination an räumlicher Gestaltung (auch durch eine entsprechende Lichttechnik) wurde erst im Inneren entfaltet.

In der Aufteilung der Räume unterscheiden sich die ländlichen Diskotheken des Schwarzwaldes nicht von allen anderen Betrieben: Im Hauptraum gibt es eine zentral angeordnete Tanzfläche; die DJ-Kanzel, Bar/Theke und Sitzgelegenheiten gruppieren sich um sie herum. Ich gebe ein Einrichtungsbeispiel aus dem „Waldpeter“ in Schönwald (Schwarzwald-Baar-Kreis): Dort war die Tanzfläche durch Fachwerk und eine Holzbalustrade von den Sitzgelegenheiten abgetrennt, als Sitzmöbel standen Holztische mit Stühlen bzw. Bänken zur Verfügung, die auf die Tanzfläche hin ausgerichtet waren. An der Stirnseite der Tanzfläche befand sich eine durch zwei gemauerte Stufen erhöhte Bühne für die im „Waldpeter“ intensiv gepflegten Liveauftritte; die DJ-Kanzel war durch einen dreiseitigen Holzeinbau mit halbrunden Öffnungen von dieser Bühne abgetrennt.

Der Hauptraum dieser Diskothek erstreckte sich über zwei Geschosse; die Deckenöffnung mit einer hölzernen Brücke befand sich direkt oberhalb der Tanzfläche. Ebenfalls zweigeschossig angelegt waren und sind die heute noch bestehenden Diskotheken „Okay“ in Donaueschingen und die „Schwarzwaldspitze“ in Todtmoos.

Die beiden zuletzt genannten Betriebe in Donaueschingen und Todtmoos verfügen über zwei getrennte Tanzräume mit unterschiedlichem Design und unterschiedlichen musikalischen Programmen. Mit dieser räumlichen Ausdifferenzierung reagieren die Lokale auf die Geschmacksvorlieben diverser Zielgruppen; so wird beispielsweise in der „Schwarzwaldspitze“ zwischen dem „Tanzlokal Spitze“ und der „Clubdisco Alpentippi“ („für alle die es gerne etwas fetziger möchten“[27]) unterschieden.

Zur Größe der einzelnen Betriebe liegen bisher wenig verlässliche Zahlen vor, immerhin: Im 1978 errichteten Neubau „Blockhaus“ (Haslach) umfasste das Tanzlokal 364 qm Fläche und bot 198 Sitzplätze an.[28] Entgegen späteren Gepflogenheiten war mit Ausnahme der etwas erhöhten Tanzfläche nahezu der gesamte Raum einheitlich mit Tischen und Bänken versehen; Stehfläche gab es nur vor dem Thekenbereich. Die geschwungene Theke war ganze 14 Meter lang. Ein Billard-Raum mit zwei Tischen war seitlich vom Eingang angeschlossen. Aus einem Grundrissplan der Diskothek „Point“ in Schwenningen (1987) kann entnommen werden, dass der Gastraum insgesamt 350 qm umfasste.[29] Angegliedert waren ein Bistro mit nahezu 40 qm sowie ein Spielraum mit 25 qm.[30] Hinsichtlich der genannten Quadratmeterzahlen waren die beiden Diskotheken durchschnittlich groß; jedenfalls berichtete die „Süddeutsche Zeitung“  im Mai 1986, dass die übliche Betriebsgröße in Deutschland zwischen 350 und 500 qm umfasse.[31]

Diskothek „Blockhaus“, Haslach im Kinzigtal 1979
Foto: Alexander Kutsche

Lichttechnik und PA-Anlagen waren in vielen Lokalen zunächst bescheiden, wie zeitgenössische Fotografien zeigen. Nähere technische Angaben fehlen allerdings; unvermeidbar waren aber (farbige) Lichteffekte und eine oder mehrere Diskokugeln. Im „Discoführer Deutschland“ wurde jedoch darauf verwiesen, dass die Landdiskotheken mittlerweile (1999) professionell ausgestattet seien.[32] In diese Richtung weist auch ein Prüfbericht für die Diskothek „Point“ in Schwenningen: Dort wurde im Jahr 1987 eine „Laseranlage für Vorführzwecke“ („Disco-Laser“) eingebaut.[33]

Die gastronomische Angebotspalette in Diskotheken war sehr unterschiedlich: Das Bistro im „Waldpeter“ bot laut Karte im Jahr 1987 an: Speiseeis, Suppen, Toasts, Steaks, Pizzen, Salate und andere leicht zuzubereitende Gerichte wie „Frikadellen m. Kartoffelsalat“ oder „Gebackener Camembert“.[34] Das Getränkeangebot war nahezu unüberschaubar: Neben alkoholfreien und alkoholischen Getränken wurden jeweils verschiedene Schnäpse, Weinbrände, Liköre, Longdrinks und Cocktails ausgeschenkt. Zusätzlich zum Bistro im Hauptgeschoss verfügte das „Waldpeter“ laut Grundrissplan über zwei Bars und ein Billardcafé im Obergeschoss.

Ein ganz besonderes Raumarrangement ist bei mobilen Diskotheken gegeben, die bereits bestehende Räume (Säle von Gastwirtschaften, Sport- und Mehrzweckhallen) bespielten. 1980 wurde diese nicht ortsfeste Veranstaltungsbetriebe noch als neuartig wahrgenommen; Mezger stellt in seinem Buch zur „Discokultur“ fest, „daß es nun in Deutschland die ersten mobilen Discos“ gebe, „die überall eingesetzt werden können und jeden beliebigen Saal, wenn nötig sogar jedes Festzelt in eine heiße Diskothek zu verwandeln in der Lage sind“.[35]

In den 1990er Jahren waren mobile Hallen-Discos dann weit verbreitet, im Badischen bzw. Südbadischen waren mehrere Anbieter auf dem Markt, etwa die Firmen „Number One“ (Müllheim-Neuenburg, Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald) oder „Forty Five“ (Whyl, Landkreis Emmendingen).[36] Direkt im Schwarzwald, nämlich in Lenzkirch, war die Firma „Power Sound Machine“ von Michael Naake angesiedelt. Im Juni/Juli 1996 war diese Mobildisko beispielsweise in der hiesigen Festhalle aktiv, wirkte gleichfalls in Lenzkirch bei einer Kinderveranstaltung des Hotels Schwörer mit oder gestaltete in Titisee-Neustadt eine Open-Air-Veranstaltung.[37] Am Oberrhein war über die genannten Betriebe hinaus die rollende Diskothek „Cleopha 87“ tätig. Ihr Gründer Walter Holtfoth legte zunächst, wie die „Mittelbadische Presse“ im Juli 2017 berichtete, in Kneipen auf.[38] 1988 zog er in die Hallen um, weil die Nachfrage so groß war. Holfoth war zunächst in der südlichen Ortenau und dem nördlichen Breisgau unterwegs, später im Gebiet zwischen Teningen und Kappelrodeck, Kehl und Hornberg. „1990 hatte ich 186 Termine. Unter der Woche legte ich in Discos auf. Mittwochs im Milieu in Hausach, donnerstags im Barfly, dem späteren Nachtwerk, in Lahr. Freitags und samstags war ich in Festzelten und Hallen.“[39]

Erst allmählich wurden die mobilen Discos als eine Form der Jugendarbeit anerkannt. In der „Badischen Zeitung“ überwogen in den 1980er Jahren noch die skeptischen Stimmen, so wurde eine mobile Disco in Friesenheim (Ortenaukreis) mit Beischriften wie „Bauchweh eines Vorsitzenden“ und „Alkohol und Randale, oder Pop und Rock für die Massen?“ versehen.[40] Später verschwanden die negativen Zuschreibungen. 1996 hieß es bereits in der Überschrift: „Mobildiscos leisten Jugendarbeit auf dem Land“.[41] Vom Veranstalter wurden hierzu sogar Sammelbusse gechartert, welche die Jugendlichen von den Dörfern abholten und beispielsweise in der Feldberghalle in Altglashütten (Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald) absetzten.[42] 700 Leute waren bei dieser Veranstaltung dabei.[43]

Soziale und kulturelle Konflikte

Gaststätten im Allgemeinen, Diskotheken im Besonderen, sind als Orte der Geselligkeit und der Unterhaltungskultur mit spezifischen Konfliktsituationen verbunden. In den Gewerbeakten wie in der Presse werden die folgenden Problemfelder immer wieder benannt: Alkoholmissbrauch mit den Folgen Gewalt und Verkehrsunfälle, Drogendelikte sowie mit dem Diskothekenbetrieb verursachte Ruhestörungen, direkt durch die gespielte Musik und die feiernden Gäste, indirekt durch an- und abreisende Besucher (Lärm durch Kraftfahrzeuge, Türenschlagen, Unterhaltungen auf dem Parkplatz etc.). Wenn im Folgenden bestimmte Konfliktsituationen mit einzelnen Lokalen und Orten im Schwarzwald und Umgebung in Verbindung gebracht werden, ist der Zusammenhang der jeweiligen Quellenlage geschuldet. Keineswegs soll dadurch unterstellt werden, dass es die genannten Probleme nur in den beispielhaft angeführten Diskotheken gab.

In der 1968 in Freudenstadt (Landkreis Freudenstadt) eröffneten Diskothek „Barbarina“ – auch diese wurde noch lange Zeit als „Tanzbar“ bezeichnet – lassen sich gut die Auseinandersetzungen nachzeichnen, die um das Thema „nächtliche Ruhestörung“ kreisen. Anwohner beschwerten sich schon im Monat der Eröffnung, insbesondere über die an- und abfahrenden Autos bzw. die BesucherInnen des Lokals, die lautstark dort eintrafen oder die Diskothek wieder verließen.[44]

In den Beschwerdebriefen der Anwohner scheinen – abgesehen von der beklagten Ruhestörung – ebenso kulturelle Konflikte auf, etwa wenn es in einem Schreiben einer Bürgerin an das Bürgermeisteramt Freudenstadt heißt, man könne durchaus verstehen, „wenn die [Jugendlichen] aus dem saumäßigen Krach rauskommen, sich erst an die Nacht gewöhnen“ müssten, aber man könne kein Verständnis dafür aufbringen, dass man in Freudenstadt „nur die Geldleute unterstützt[,] ihren Geldsack zu füllen, wenn auch der anständige Bürger dadurch gesundheitlichen Schaden erleidet“.[45] Aus den vielen dokumentierten Schreiben kann geschlossen werden, dass die Anwohner subjektiv sehr an dem Zustand gelitten haben. 1979 beschreibt es ein Bürger mit drastischeren Worten:

Die Nachtbelästigung und Ruhestörung der Gäste des Schuppenlokals Barberina [recte: Barbarina] (so kann man es nur nennen) geht fast jeden Abend von 21.00 Uhr bis 1 Uhr ins Extreme und über das Maß der Anständigkeit und Rücksichtslosigkeit hinaus.[46]

Sechs Jahre später gab der geplagte Bürger nochmals seinem Unwillen Ausdruck – offenbar wurde noch keine für alle Seiten befriedigende Lösung des Problems gefunden. Sein Brief verdeutlicht zugleich, dass er die zeitgenössische Jugendkultur nicht verstehen konnte, etwa wenn er behauptete, die Jugend würde in dem „Schuppen“ „restlos verheizt“.[47] Ein junges Mädchen habe er gefragt, warum sie in diese Tanzbar gehe, „es gäbe doch schönere Lokale hier“. Die Jugendliche hat dies wohl als Provokation verstanden und so geantwortet: „Ach ich gehe mal dahin, da ist Musik, Tanz[,] ein paar dufte Jungens, vor allem aber, wenn ich mal so richtig aufgeilen will!!!!“

In gewisser Weise kann man sagen, dass damals nicht nur ein Konflikt um Lärmbelästigungen schwelte, sondern auch ein „Raumaneignungskonflikt“:[48] Sowohl die Bürgerinnen und Bürger wie die Jugendlichen beanspruchten den gleichen Raum für sich und wollten ihn jeweils nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten – eine schwierige Situation.

Ein interessanter Briefwechsel dokumentiert die staatliche „Bekämpfung von Rauschgiftkriminalität“ im „Tanzsaal der Gaststätte ‚Arche‘ in Waldkirch“ (Landkreis Emmendingen) aus dem Jahr 1977.[49] Selbstverständlich müssen diese Quellen in den Zusammenhang mit der damaligen Drogenproblematik und ihrer öffentlichen Wahrnehmung gestellt werden. Damals gab es viel echte und begründete Besorgnis, aber die Auseinandersetzung nahm zuweilen auch etwas hysterische Züge an. So stellten Pädagogen und Volkskundler etwas voreilig einen inneren Zusammenhang zwischen Diskokultur und Drogenkonsum her.[50]

Der Konflikt mit den Behörden begann mit einem Schreiben der Polizeidirektion Freiburg vom 27. Juni 1977 an das zuständige Landratsamt in Emmendingen. Darin wurde geschildert, dass im Tanzsaal der „Arche“ dreimal in der Woche „Disko-Partys“ stattfänden.[51] „Nach unterschiedlichen Zeugenaussagen“, so die Polizei, müsse man davon ausgehen, dass bei diesen Veranstaltungen in Waldkirch „Betäubungsmittel verkauft, erworben und konsumiert“ worden seien. Die im Tanzsaal „verkehrenden Personen“ könnten „überwiegend der Drogenszene zugerechnet werden“, hieß es vorwurfsvoll. Einige Besucher hätten sogar Haschisch geraucht. Das Landratsamt reagierte wie es reagieren musste und drohte mit dem Entzug der Gaststättenerlaubnis. Am 1. Dezember 1977 verfügte es schließlich ein Verbot von „Disko-Partys“ in den Räumen der „Arche“.[52] Die Betreiber widersprachen den Anschuldigungen. Das ist nicht weiter verwunderlich, aber gleichzeitig erklärte sich die „Arche“ bereit, aus eigenem Antrieb verschiedene Maßnahmen zu ergreifen. Angekündigt wurde beispielsweise: „Ausgesprochene ‚Hippie-Typen‘ oder solche, die nach ihrem Aussehen schon prima facie als in der Drogenszene stehend in Betracht kommen, werden nicht mehr eingelassen“.[53] Ein anderer Vorschlag des Betreibers lautete, die Beleuchtung heller zu gestalten und „den Trend der [an]gebotenen Musik zu verschieben“. Musikstücke, „die bekanntermaßen als stimulierend für Drogenkonsumenten gelten[,] werden nicht mehr gebraucht“,[54] heißt es in dem Brief. Leider erfahren wir nicht, welche Stücke, Stile oder Interpreten damit gemeint waren; vielleicht bezog sich die Aussage auf Stilrichtungen wie Psychedelic Rock oder auf Künstler, die angeblich oder tatsächlich selbst Drogen konsumierten. In Waldkirch wollte man sogar „durch Lautsprecher auf die Gefahren des Drogenkonsums für die Jugendlichen hinweisen“.[55] Die Gaststätte druckte zusätzlich einen Handzettel mit der Überschrift „Wichtige Arche-Mitteilung. Untersagung der Disco-Partys wegen Hasch?“, in dem die Jugendlichen gebeten wurden, sich nicht auf „BTM-Angebote“ (BTM = Betäubungsmittel) einzulassen und Verständnis für Kontrollen zu haben.[56]

Zuletzt soll noch ein sozialer Konflikt angesprochen werden, der an vielen Orten ausgetragen wurde und auch heute noch aktuell ist – so berichtete die „Badische Zeitung“ im Jahr 2016, dass Freiburger Clubs und Diskotheken Flüchtlingen keinen Zutritt mehr gewährten.[57] In unserem historischen Beispiel hat sich der Fall in Haslach (Ortenaukreis) zugetragen; es ging damals um die Zulässigkeit und Reichweite von Zugangskontrollen bzw. die Problematik der Diskriminierung von Ausländern. Am 22. Mai 1980 wurde nämlich in der Schwarzwaldausgabe des „Offenburger Tageblatts“ ein Leserbrief veröffentlicht, in dem sich ein in Hausach wohnender junger Mann darüber beschwerte, er sei als Spanier schroff von den Türstehern abgewiesen worden.[58] Die Zeitung ging mit den Vorwürfen souverän um und befragte nicht nur die Betreiber der Diskothek, sondern auch das Landratsamt, welches auf das durch das Grundgesetz gebotene Diskriminierungsverbot hinwies.[59] Die Diskothek agierte hingegen einigermaßen ungeschickt und versuchte, die Vorwürfe des jungen Mannes als „Verleumdungen und Unwahrheiten“ abzustempeln, es gebe kein „Ausländerverbot“ in ihrem Lokal.[60] Der Spanier wurde mit Störenfrieden in Verbindung gebracht, freilich ohne konkrete Vorfälle zu benennen. Entsprechend konterte der junge Mann mit einem weiteren Leserbrief, abgedruckt am 22. Mai 1980, und wies die Vorwürfe empört zurück.[61]

Ländliche Diskotheken in der Erinnerungskultur: Revivals und Medialisierungen

Die Wissenschaft kann Phänomene beschreiben, unterscheiden und erklären. Dass, was die Diskotheken jedoch für die Jugendlichen, die Besucherinnen und Besucher ausmachten, ihren Reiz kann sie jedoch nur unzureichend wiedergeben. Freilich kann sie solchen Hinweisen nachgehen. Daher möchte ich abschließend kurz zeigen, wie ländliche Diskotheken in der Erinnerungskultur ein Nachleben führen. Dazu zählen einerseits Revival-Parties, andererseits Medialisierungen, die in den Sozialen Medien ihren Platz gefunden haben.

Für mein Untersuchungsgebiet gibt es zwei Facebook-Seiten, die sich zwei ehemaligen Schwarzwälder Diskotheken widmen, einerseits dem „Waldpeter“ (Schönwald), andererseits der „Arche“ (Waldkirch). Auf beiden Seiten nostalgisieren ehemalige Gäste ihre Erlebnisse, seien sie musikalischer oder sozialer Art. Gleichzeitig verklären sie – und das ist natürlich vollkommen legitim – ihre Jugendzeit. Die Facebook-Seiten generieren viele Jahre nach Schließung der Diskotheken neue Communities, sie sind also gemeinschaftsbildend und sozialintegrativ. Hochgeladen werden vor allem Fotos, gleichsam als Erinnerungsstücke, und entsprechende Kommentare.

Die „Arche“-Gruppe hat 297 Mitglieder und verweist auf „Ex-Arche-Parties“, die in der heutigen Diskothek „Outback“ (Waldkirch) jeden ersten Freitag im Monat stattfinden. Auf der Facebookseite ist zu lesen:

„Die „Arche“ war DIE Disco im südbadischen Raum!!! Eröffnet wurde sie 1978 … sorgte für unvergessliche Wochenenden und wurde dann LEIDER 1999 geschlossen 🙁 Sie stand für gute Konzerte, heiße Musik und es zog die Leute aus allen Himmelsrichtungen an 🙂 … waren das noch Zeiten!! 😉 Diese Seite ist für all diejenigen, die die Arche genauso sehr vermissen und sich gerne an die alten Zeiten erinnern … und für all diejenigen, die sich an guter, alter und meist noch handgemachte[r] Musik erfreuen. Postet eure Lieblingssongs aus der Arche, eure Bilder und was ihr sonst noch habt aus der Zeit und lasst uns zusammen träumen :)“[62]

Verknüpft sind mit dieser Seite zwei Playlists „mit den Songs, die früher in der Arche liefen“.[63] Die Seite der ehemaligen Diskothek „Waldpeter“ hat weniger Mitglieder als diejenige der „Arche“, aber immerhin noch 67. Auch in Schonach gab es 2013 eine erfolgreiche Revival-Party,[64] bei der ehemalige Discjockeys vom „Waldpeter“ auflegten, so auch der von mir interviewte Dirk Pfersdorf.

Die Kommentare auf Facebook machen deutlich, was die Lokale für die Jugendlichen damals bedeuteten und welchen Stellenwert sie nun für die Erwachsenen einnehmen. Am Schluss soll deshalb das Wort einer Besucherin mit dem Namen Carola stehen: „Ohhh … die Arche … wat ne geile Zeit !!!“[65]

Speisekarte und Erinnerungsmaterial aus dem „Waldpeter“ vom ehemaligen DJ Dirk Pfersdorf
Foto: Michael Fischer

 

Michael Fischer ist Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Populäre Kultur und Musik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

 

Anmerkungen

[1] Vgl. hierzu den Forschungsbeitrag von Christofer Jost: Musikalischer Mainstream. Aufgaben, Konzepte und Methoden zu seiner Erforschung. In: Pop. Kultur und Kritik. Heft 8 Frühling 2016, 152–172.

[2] Vgl. jedoch für Diskotheken in Norddeutschland: Holger Schwetter: Progressiv übers Land. Landdiskotheken in den 1970er und 1980er Jahren. In: Musikforum 2/2015, 38f.; ders.: Veränderung und neue Beständigkeit. Progressive Landdiskotheken in Norddeutschland. In: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 4 (2016), Heft 1, 55–69.

[3] Georg Mühlenhöver: Phänomen Disco. Geschichte der Clubkultur und der Popularmusik. Köln-Rheinkassel 1999, 11.

[4] Klaus Quirini: Die Geschichte der Discotheken. Der Disc-Jockey. Aachen 2015, 6.

[5] Der Spiegel 16/1965, 150f.

[6] Ebd., 150.

[7] Werner Mezger: Diskokultur. Die jugendliche Superszene. Heidelberg 1980, 33.

[8] Klaus Janke; Stefan Niehues: Saturday Night Fever. Discoführer Deutschland. Mit 240 Top-Adressen. München 1999, 13.

[9] Mühlenhöver 1999, 59.

[10] Ebd., 54; zur wirtschaftlichen Situation Ende der 1970er Jahre vgl. Rolf Antrecht: Tanz mit der Modemasche – Aufstieg oder Schwachsinn? In: Handelsblatt, Donnerstag, 15. Februar 1979.

[11] Peter Schmerenbeck (Hg.): Break on through to the other side. Tanzschuppen, Musikclubs und Diskotheken im Weser-Ems-Gebiet in den 1960er, 70er und 80er Jahren. Oldenburg 2007; Siggi Seuß: Soviel Satisfaction muss sein. Zwischen Kirchweihtanz und Dorfdisco. Der Einfluss der Popkultur der 60er und 170er Jahre auf die Dorfjugend am Beispiel der Landdiskothek in Heustreu. In: Fechter, Sabine; Hacker, Heinrich (Hg.): Umbruchzeit. Die 1960er und 1970er Jahre auf dem Land. Der letzte Gaul – der erste Porsche. Fladungen 2011, 93–106; Schwetter 2015; Schwetter 2016.

[12] Gunter Mahlerwein: Zwischen ländlicher Tradition und städtischer Jugendkultur? Musikalische Praxis in Dörfern. In: Franz Werner Kersting; Clemens Zimmermann (Hrsg.): Stadt-Land-Beziehungen im 20. Jahrhundert. Paderborn 2015, 113–136.

[13] Ebd., 124.

[14] Ebd., 126f.

[15] Ebd., 127f. u. 129.

[16] Schwenningen hatte um 1970 etwa 35.000 Einwohner; vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Einwohnerentwicklung_von_Villingen-Schwenningen [30. August 2017].

[17] Freundliche Zusendung durch das Stadtarchiv Villingen-Schwenningen.

[18] https://de.wikipedia.org/wiki/Bonanza [17. August 2017].

[19] Stadtarchiv Villingen-Schwenningen.

[20] Ebd.

[21] Frahm, Eckart: Dorfdisco. Schwof bei 1000 Watt. In: Illustrierte Wochenzeitung 32/1979, 6.

[22] Flemming, Beate: Hektisches Hormonehüpfen. Nur zum Tanzen in die Disco? Von wegen! Die Hauptsache ist das Flirten. In: Badische Zeitung, Freitag, 14. Juni 1996, Nr. 135.

[23] Nikolaus Müller-Schöll: Diskotheken im Landkreis. Zwischen Tanzstunden-Atmosphäre und „Night fever“. Badische Zeitung, Donnerstag, 29. August 1985, Nr. 199.

[24] Ebd. (und die folgenden Zitate).

[25] Michael Maus wies in seinem Buch „Diskothekenmanagement“ ausdrücklich darauf hin, dass der Name des Lokals zur Ausstattung passen müsse (Michael Maus: Discothekenmanagement. Die Kunst Kontakte zu verkaufen. Mannheim 1988, 23).

[26] https://www.schwarzwaldspitze.de/index.php/locations/spitze [Link mittlerweile erloschen] [12.02.2018].

[27] https://www.schwarzwaldspitze.de/index.php/locations/tippi [Link mittlerweile erloschen] [12.02.2018].

[28] Stadtarchiv Haslach (Akte des Landratsamts Ortenaukreises).

[29] Staatsarchiv Freiburg G 1261/1/821, Anlage 1 zum Prüfbericht vom 10. September 1987.

[30] Ebd.

[31] Redaktionsarchiv der Badischen Zeitung, Ordner 22/630, 635: Schnellgaststätten, Discos.

[32] Janke/Niehues 1999, 12.

[33] Staatsarchiv Freiburg G 1261/1/821, Prüfbericht vom 10. September 1987.

[34] Endlich! Neue Speise- und Getränkekarte für das Waldpeter-Bistro. Donnerstag, 13. Herbst 1987 (Sammlung Kai-Uwe Bitsch).

[35] Mezger 1980, 40.

[36] Barbara Fries: Bebende Mehrzweckhallen. Mobildiscos leisten Jugendarbeit auf dem Land. In: Badische Zeitung, Freitag, 21. Juni 1996.

[37] Ebd.

[38] https://www.bo.de/lokales/ortenau/cleopha-87-ganz-oben-aufgelegt (Bericht vom 20. Juli 2017; abgerufen am 12.02.2018).

[39] Ebd.

[40] Kirsten Baumbusch: Alkohol und Randale, oder Pop und Rock für die Massen? Sind die Hallen-Discos besser als ihr Ruf? In: Badische Zeitung (Lahrer Anzeiger), Samstag/Sonntag, 13./14. August 1988, Nr. 186 1986.

[41] Barbara Ries: Bebende Mehrzweckhallen. Mobildiscos leisten Jugendarbeit auf dem Land. In. Badische Zeitung, Freitag, 21. Juni 1996.

[42] Ebd.

[43] Ebd.

[44] Stadtarchiv Freudenstadt, Gewerbeakte „Tanzbar Barbarina“.

[45] Ebd., Brief vom 22. Dezember 1979 an das Bürgermeisteramt Freudenstadt.

[46] Ebd., Schreiben vom 19. August 1979 an das Bürgermeisteramt.

[47] Ebd., Schreiben vom 25. Juli 1985 an das Bürgermeisteramt.

[48] Joachim Malchau: Discoflash im Ambiente von Drogen, Gewalt + Banane. Weinheim 1991, 40.

[49] Stadtarchiv Waldkirch, Gewerbeakte „Arche“.

[50] Vgl. etwa: Gotho von Irmer: Jugend, Popmusik und Rauschgift. Lilienthal/Bremen 1972.

[51] Stadtarchiv Waldkirch, Gewerbeakte „Arche“.

[52] Ebd.

[53] Ebd.

[54] Ebd.

[55] Ebd.

[56] Ebd.

[57] http://www.badische-zeitung.de/freiburg/kein-zutritt-mehr-fuer-fluechtlinge-in-freiburgs-clubs-und-diskotheken–116454714.html [Link mittlerweile erloschen] (Bericht vom 22.01.2016; Abruf 14.02.2018).

[58] Stadtarchiv Haslach, Gewerbeakte „Blockhaus“; Landratsamt Ortenaukreis.

[59] Ebd.

[60] Ebd.

[61] Ebd.

[62] https://www.facebook.com/pg/ArcheWaldkirch/about/?ref=page_internal (15.02.2018).

[63] Ebd.

[64] https://www.suedkurier.de/region/schwarzwald-baar-heuberg/schonach/Waldpeter-Fans-feiern-begeistert-das-Revival;art372530,6346605 (05.10.2017).

[65] https://www.facebook.com/ArcheWaldkirch/ (15.02.2018), Eintrag vom 28. Dezember 2016.