It-Girl Ruth Landshoff-Yorck und ihr Roman »Die Vielen und der Eine«
von Maren Lickhardt
18.12.2017

Ein medientheoretischer Roman

Wenn ich mich recht erinnere, habe ich den Begriff ‚It-Girl‘ zum ersten Mal im Zusammenhang mit Ariane Sommer gehört. Im gleichen Atemzug hieß es, Berlin sei nun im Kommen. Ansonsten hatte ich im Gedächtnis, dass sie einmal in Champagner badete, aber oberflächliche Recherchen haben ergeben, dass meine Erinnerung mich betrogen hatte: Es war Mousse au Chocolat. Mir ist mein Gedächtnis nun etwas suspekt geworden, weil es offensichtlich zu Euphemismen neigt. Abgesehen davon wundere ich mich nach diesen Recherchen, dass mir Ariane Sommer im ganzen Pop-Diskurs ansonsten nie wieder untergekommen ist, gibt es doch die eine oder andere Parallele zu den bekannten AkteurInnen.

Im neuen Jahrtausend häuften sich die ‚It-Girl‘-Zuschreibungen, aber trotz oder vielleicht wegen dieser Inflation konnte sich nur noch Paris Hilton in meinem Gedächtnis halten; dasselbe Gedächtnis, das auch hier wieder einen kleinen Fehler eingebaute, dachte ich doch, Paris Hilton habe mal für Champagner in Dosen geworben: Es war aber Prosecco. Dafür werde ich Tinkerbell nie vergessen, den armen kleinen Chihuahua, den sie über ein Jahrzehnt mit sich herumgeschleift hat.

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Die richtigen It-Girls hatten auch Hunde, waren aber dunkelhaarig, und an die kann ich mich nicht persönlich erinnern, was das Folgende an Seriosität gewinnen lässt.

Eine hat der Nationalsozialismus in die USA vertrieben: „Sie verkehrte mit Gerhart Hauptmann und Andy Warhol, Hugo von Hofmannsthal und Patricia Highsmith, Ernst Toller und Bette Midler. Sie spielte Krocket mit Thomas Mann, wurde von Oskar Kokoschka porträtiert, tanzte mit Josephine Baker, verhalf Marlene Dietrich zu ihrer Rolle im Blauen Engel und führte Charlie Chaplin durch Berlin. Das surrealistische Genie Salvador Dalí war ihr Premierengast und die Theateravantgardistin Ellen Stewart ihre engste Vertraute.“[1]

Dass ebendiese wunderbare Ruth Landshoff-Yorck von den Nationalsozialisten vertrieben wurde, sollte nicht zu schnell überlesen werden. Nicht nur die Eine wurde vertrieben, sondern so viele wurden gnadenlos verfolgt und ermordet. Walter Fähnders hat darauf hingewiesen, dass Landshoff-Yorck „markante Spuren“[2] in der Kulturlandschaft hinterlassen hat. Aber eigentlich wurden ihre Spuren in Deutschland zunächst verwischt, und es ist Fähnders zu verdanken, dass es heute wieder sehr schöne Leseausgaben von Landshoff-Yorcks Texten bei AvivA gibt.[3] Die Lektüre lohnt sich, will man sich ein Bild von den Protoformen von Pop in Deutschland machen, die vom NS im Keim erstickt worden sind.

Landshoff-Yorck war in der Weimarer Republik nicht vornehmlich als Romanautorin bekannt, sondern als Schreiberin von Essays, Glossen und Kurzgeschichten für Lifestyle-Magazine.[4] Alles, was sie zur Zeit der Weimarer Republik je geschrieben hat, so heißt es, wurde sofort gedruckt.[5] Landshoff-Yorck war nicht nur ‚Medienschaffende‘, sondern vor allem war sie selbst ein Text. Natürlich könnte man sie auch als Kunstwerk bezeichnen, was sie in eine ästhetizistische Ecke neben den Dandy stellen würde.[6] Aber das würde das Phänomen doch irgendwie verfehlen, es sei denn, man entschließt sich, sie als Pop-Dandy zu bezeichnen, was schon Erhard Schütz und Diana Mantel angedeutet haben.[7]

In der Zeitschrift Das Magazin beschreibt sie unter dem Namen Rut Landshoff indirekt eine solche Modernisierung anhand einer ihrer Protagonistinnen: „Als Dolores geboren wurde, versammelten sich (was in heutiger Zeit leider seltener und seltener wird) die berühmten Feen um ihre Wiege und teilten ihre Gaben aus: ‚Anmut, Schönheit, Geist.‘ […] Da das aber im 20. Jahrhundert vor sich ging, kam noch eine neue Fee hinzu, bisher unbekannt, in wunderbarem Gewand, das sie vom Kopf bis zu den Füßen einhüllte, aber durchsichtig war wie Wasser: Die Fee, die dem modernen Geschmack entspricht: Sex Appeal.“[8] Die grüne Fee des billigen Rausch hat allerdings ausgedient, denn Landshoff-Yorcks Selbstinszenierungen können bei aller transportierten und sicher vorhandenen Lebensfreude durchaus als kontrolliert bezeichnet werden.[9]

Landshoff-Yorck war eines der It-Girls der Zwanziger Jahre schlechthin. Ihr Biograph Thomas Blubacher stellt fest: „Berühmt fürs Berühmtsein und nicht etwa wegen ihrer mediokren Leistung als Schauspielerin, ist sie lange vor Paris Hilton, Kim Kardashians und Nina Kristin ein frühes It-Girl. Es kann und tut nichts – das aber öffentlich. Was zählt, ist das ‚gewisse Etwas‘ und der Schein seiner Inszenierung. In den 1920er Jahren wird sie zur Stilikone.“[10]

Georg Zivier schreibt in seinen Erinnerungen an das Romanische Café: „Ruth Landshoff wurde gemalt, umworben, geliebt und verhätschelt. Tauchte sie auf, so wurden die klügsten Männer dumm, die Redseligen schweigsam, und die Schwerzüngigen wurden beredt. Psychosen und Selbstmordversuche Abgewiesener säumten den Weg des schönen Mädchen; erfreulicherweise keine kompletten Suizide.“[11]

Das wirklich wilde, unkonventionelle und aufregende Leben der Nichte von Samuel Fischer in der Intellektuellen-, Künstler- und Bohèmeszene wurde nicht erst nachträglich biographisch erfasst, sondern fand zeitgenössisch einen Resonanzkörper in den Massenmedien. Und so kann man heute noch über ihre Bisexualität ebenso wie über ihren ersten Orgasmus informiert werden.[12] Außerdem wurde sie fotografisch in diversen Zeitschriften in Szene gesetzt – wie man heute noch auf der Homepage illustrierte.presse.de sehen kann. Mit Bubikopf und Zigarette, androgyn, erotisch, smart und manchmal ein klein wenig kühl. So wurde sie gezeigt und so zeigte sie sich selbst.[13]

Abbildung: Das Leben 7(1929/30), H.5, November

Abbildung: Das Leben 7 (1929/30), H. 5, November

Mit ihrem zeitweisen Ehemann David Graf Yorck von Wartenburg und dem Malerehepaar Reppert-Bismarck formiert sie ein pop-kulturelles Quintett, das in dem Magazin Das Leben in einer Art Homestory gezeigt wurde. Die Inszenierung der Person durchzieht ihr gesamtes Leben und zeigt sich schon an der Wahl des Namens, den sie häufig geändert hat: von Ruth Levy über Rut ohne h Landshoff über Ruth Yorck von Wartenburg bis zu Ruth Landshoff-Yorck und zahlreiche Zwischenschritte.[14] Zudem hatte sie sich – wie viele Zeitgenossinnen – als einige Jahre jünger ausgegeben.[15]

Man könnte viele Anekdoten aus ihrer Biographie erzählen, die auf ein außergewöhnliches Leben hindeuten. So ist auch ihr Name mit Miracle Max oder Dr. Feelgood verbunden, also dem Arzt Max Jacobson, der John F. Kennedy Speed gespritzt hat.[16] Landshoff-Yorck hatte das Vergnügen lange vor JFK. Das aber nur am Rande, denn biographische Fakten allein sind weniger interessant, wenn sie nicht mit einer bewussten Ästhetisierung einhergehen. Aber das war bei ihr ja der Fall. Sie führte eine „Existenz auf der Oberfläche“.[17]

Das alles ist für ihren Roman Die Vielen und der Eine (VE) von 1930[18] von großer Bedeutung. In dem Text kommt es auf sehr verschiedene Weise zu einer auto-fiktionalen und meta-theoretischen Reflexion des eigenen Status in der Medienrealität der Weimarer Republik. Außerdem werden Zeitschriften in collagierenden und simulierenden Verfahren aufgegriffen.

Die Protagonistin des Romans Louis Lou verkörpert ein It-Girl. Ihr Leben wird in der Fiktion von den Printmedien in Szene gesetzt werden, ohne dass sie über irgendeinen spezifischen Beruf verfügte, der dies nach traditioneller Auffassung rechtfertigen würde. Zu Beginn des Romans trifft sie in New York ein und wird sogleich von einem Reporter interviewt:

„Es ist aufregend, in New York anzukommen, zum erstenmal im Leben! Das sagte Louis Lou sofort, als der Reporter sie fragte. War er von den Harries-Blättern? Wie aufregend. Von den richtigen, die in amerikanischer Sprache erscheinen.“ (VE 6) „Einen Mädchenkopf mit viel Haaren und etwas Busen. Unterschrift: Louis Lou in New York. Was schreiben die Zeitungen? Louis Lou says: Oh, der Broadway. Louis Lou prefers Wolkenkratzer. Louis Lou trinkt nie und ist immer besoffen.“ (VE 7)

Sie liefert den Journalisten die richtigen Phrasen, weiß sich medientauglich zu profilieren, sodass jene dies nur noch aufgreifen müssen, was explizit als eigener Wert oder eigene Leistung anerkannt wird: „[…] dieses junge Mädchen ohne jede Notabilität – die kein Filmstar war und keine Schauspielerin, die keine Antiquitäten handelte, keinen Schmuck besaß und keinen Onkel, der Gouverneur war oder auch nur Fürst in ihrer Heimat. Er wußte, was er tat, als er Louis Lou einladen ließ […] Schöne Mädchen gab es zu der Zeit mehr, als Spatzen auf den Dächern von New York – aber es gab wenige, die so reizende Antworten wußten auf Fragen von Reportern.“ (VE 21)

Louis Lou lebt ihr eigenes Image. Schon ihr Name ist nicht ihr richtiger, was im Roman herausgestellt wird, ohne dass dieser einen Blick hinter die Kulisse der Kunstfigur lieferte und jenen nennen würde. Als Leserin erfährt man nicht mehr von ihr, als dass sie von Reportern umringt in New York eintrifft und im Rest der Geschichte frech und kapriziös durch die Welt reist, dabei viele Männer verschleißt, und es auch den Einen gibt. Aber selbst dieser Eine, Percy, hat am Ende des Romans noch kein eigenes Bild von Louis Lou, sondern in seinem Flugzeug „ein Bild von Louis Lou angebracht, dass er aus einer Zeitschrift geschnitten hatte.“ (VE 127)

Bevor auf den intermedialen Status der Figur zurückzukommen ist, sei der eigentliche Eine erwähnt: ihr Hündchen Cecil. „‚Hunde sind hier verboten.‘ ‚Ach, das stört ihn nicht.‘ Und als der Mann ernst wird, faucht sie ihn an: ‚Verboten, das weiß ich ja, aber Cecil hat im Ritz in Paris schon an eine Mamorsäule gepißt, er wird doch dann wohl im Ambassador stubenrein sein können. Und das Gesetz ist natürlich richtig und wunderschön, und Cecil ist am liebsten einziger Hund irgendwo, und gucken Sie sich doch die Leute an, den Sie etwas verbieten. Mir doch nicht! In ganz Europa traut sich das kein Mensch.‘“ (VE 8)

Cecil ist Accessoire ihrer Selbstinszenierung und Spiegelung ihrer Persönlichkeit, und er ist der einzige, der ihr in der gesamten Geschichte wirklich nah ist, der kein Bild von ihr hat, sondern Körperkontakt mit ihr. Dies ist im Kontext der Neuen Sachlichkeit bezeichnend. Als Cecil unter der Obhut Percys verletzt wird, verlässt sie den Mann. In einen Mann, der den Unfall ihres Hundes nicht verhindern konnte, hat sie kein Vertrauen, und auch am Ende hat es den Anschein, als ob es darauf ankommt, dass Cecil immer noch da ist, nicht so sehr, dass sie nun auch Percy verzeihen kann.

Landshoff-Yorck hatte auch einen Terrier, und im Distinktionsspiel der Zwanziger Jahre ist es wichtig zu wissen, dass es sich um einen Kerry Blue Terrier handelte.[19] Im Netz lassen sich entsprechende Abbildungen finden.[20]

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In der Homestory mit Yorck von Wartenburg ist sie allerdings mit einem Pudel zu sehen, der als der ihrige ausgewiesen wird.

Zurück zu Louis Lou: Diese stellt einen Fall von Interfiguralität dar.[21] Sie ist die Protagonistin einer kurzen Feuilletonerzählung, anhand der im Roman ihre Rolle in Zeitschriften reflexiv ausgehandelt wird. Durch diese Verlängerung und reflexive Thematisierung der Zeitschriftenkultur erhält die Figur selbst aber keine romanhafte Vertiefung, sondern verbleibt eine Feuilletonfigur.

Dem entsprechend bildet sie auch das Medium, mittels dessen sämtliche Topoi aus Lifestyle-Zeitschriften Eingang in den Roman finden (z.B. VE 62). Sätze, die der Beschreibung der Figur dienen, könnten gleichermaßen die Überschrift im Uhu oder in der Dame bilden: „Das Geheimnis der Europäerin: Nie beim Friseur und trotzdem immer entzückend unfrisiert.“ (VE 8) Paradoxa dieser Art stellen ein ganz typisches Stilmittel von diversen Textsorten in Lifestyle-Magazinen dar.

Es finden sich auch Passagen, die den Auftakt einer Feuilletonreportage bilden könnten: „Bitte Eingeborenen-Lunch. Ich bin hier wegen der Sitten und Gebräuche. Unsere in das wilde, unerforschte, dunkle Amerika entsandte Spezialkorrespondentin berichtet über die Urbevölkerung.“ (VE 9) In den 1920er Jahren gibt es einen ausgeprägten Exotismus-Primitivismus-Diskurs, der sich mehr oder weniger explizit um die Sitten und Gebräuche von aus europäischer Perspektive so wahrgenommen archaischen Völkern rankt. Dass Amerika hier Gegenstand einer solchen Formulierung wird, dreht diesen Diskurs um, denn Amerika steht für die moderne Zivilisation, und obwohl Landshoff-Yorck dieser sehr zugewandt ist, birgt diese Formulierung die kleine alteuropäische Spitze, dass Amerika barbarisch und unkultiviert ist.

Folgende Beschreibung einer Nebenfigur klingt nicht nur wie aus einem Magazin, sondern spielt auch mit dem Wissen aus der Populärkultur: „Sie hatte die Augenbrauen hoch wie Greta Garbo, aber ihren Mund malte sie breit und herzförmig wie den von Dolores del Rio. Ihr Näschen war klein und grade wie das von Joan Crawford, und als sie den Schleier abnahm, sah man, daß sie die Haare in festen Wellen eng an den Kopf gepreßt trug wie Norma Shearer.“ (VE 68) Die Passagen lesen sich wie Collage-Partikel aus Publikumszeitschriften. Und das Gesicht lässt sich nun auch collagieren, wenn man die folgenden Bilder zusammenfügt. Zeitgenossinnen muss die beschriebene Figur also sehr plastisch erschienen sein.

Von links nach rechts: Scherl’s Magazin 4 (1928), H.10, Oktober (Garbo); Der Querschnitt 11 (1931), H.1, Januar (del Rio); Uhu 9 (1932/33), H.7, April (Crawford); Revue des Monats 3 (1928/29), H.1, November (Shearer, oben links)

Von links nach rechts: Scherl’s Magazin 4 (1928), H.10, Oktober (Garbo); Der Querschnitt 11 (1931), H.1, Januar (del Rio); Uhu 9 (1932/33), H.7, April (Crawford); Revue des Monats 3 (1928/29), H.1, November (Shearer, oben links)

Diese Passagen sind auf der metafiktionalen Ebene wirksam, werden also von der Figur nicht als solche ausgezeichnet oder ironisiert. Das geschieht auf der Ebene der Erzählung, auf der diese Passagen collage-artig herausragen.

Aber auch Passagen, in denen die Handlung vorangetrieben wird oder die anhand der Figuren stärker fiktionalisiert werden, sind vom unpersönlichen Pronomen ‚man‘ (VE 49, 62) geprägt, mit dem die Stereotypie von Verhaltensweisen in der amerikanischen Gesellschaft der Zwanziger Jahre behauptet wird, beispielsweise, wenn „man heutzutage in Paris gewesen sein muß.“ (VE 18)

Wir haben es bei dem unpersönlichen Pronomen mit einer üblichen Sprechmaske und Projektionsfläche für Zeitschriftenessays zu tun, und auf der inhaltlichen Ebene mit popkulturellem Distinktionsgehabe. Man fühlt sich fast an American Psycho erinnert, wenn es heißt: „Alle gesunden Menschen sehen sich ähnlich. Wir alle sehen uns ähnlich. […] Wie ähnlich wir uns alle sehen. Wir haben den gleichen Gang, wir lachen oft, es geht uns gut und wenn es uns schlecht geht, lassen wir das noch nicht einmal uns selbst merken.“ (VE 16)

Eine Etablierung in einer bestimmten Gesellschaftsschicht gelingt, indem man sich in seinem Äußeren und Habitus spezifischen Codizes anpasst, die über In- und Exklusion entscheiden. Dies entspricht der popkulturellen Konstitution von Stilverbünden und deren Funktion,[22] denn die Figuren im Roman sind als moderne Individuen nach dem Ersten Weltkrieg ihrer apriorischen gesellschaftlichen Klassenzugehörigkeit enthoben. In den USA hatte es diese ohnehin so nie gegeben, sodass sich die Figuren durch ästhetische Selbststilisierung neue Zugehörigkeiten mit Blick auf Europa sichern.

Dass der Snob-Dandy dieses Kontextes ein Vorläufer der Pop-Dandys war, ist bereits aufgearbeitet worden.[23] Im vorliegenden Roman wird die Pflege von Stilattitüden als ‚snoben‘ bezeichnet:[24] „Alle Leute snobten sich gegenseitig. Mit Bedacht schlüpften die Frauen in ihre kostbaren Hüllen – mit Bedacht puderten sich einige die Nase und fuhren mit angefeuchteten Fingern über die schmalen Augenbrauen – und wieder mit Bedacht unterließen es andere.“ (VE 23) Geld und die Formen der Selbststilisierung zählen in diesem Szenario, nicht Klassen, Nationalität oder Bildung. Wie sehr dies als autobiographischer Ausdruck gelesen worden ist, sieht man an dem dringenden Rat in einem Feuilletontext der frühen 1930er Jahre, Landshoff-Yorck möge sich „entsnoben“.[25]

Wenngleich sich sämtliche Beschreibungen im Roman nicht um Jedermann ranken, sondern um das Leben der Schönen und Reichen, lernen auch die Leserinnen ihre jeweils eigenen Möglichkeiten des Self-Fashioning, der Inszenierung von Zugehörigkeit und Abgrenzung kennen.[26] Nicht zuletzt informiert sich Louis Lou bei ihrer Rückkehr nach Berlin in der B.Z. (VE 149), was gerade los ist – in dem Moment ist der Orientierungspunkt von Figur und Leserin der gleiche.[27]

Der Roman reproduziert also auf allen Ebenen die allwöchentliche Erfahrung einer Zeitschriftenlektüre und zeigt zugleich, wie diese Lektüre als Zeitschriftenleben aussehen könnte. Aber auch nicht alles ist völlig aus der Lebenswelt enthoben, denn wenn es bei der Leserin schon nicht das Kleid von Chanel sein kann – ‚Nuage de printemps‘ (VE 32) –, dann reicht es vielleicht wenigstens fürs Parfüm. Überhaupt werden im Roman sehr viele konkrete Marken und Firmen benannt. Ab den Zwanziger Jahren kristallisiert sich auf diese Weise ein neuer ontischer Bereich heraus, in dem sich Freizeitalltag und Medienrealität,[28] Fakt und Fiktion, Ästhetik und Gebrauchswert verzahnen.

Landshoff-Yorcks Romane können in diesem Kontext als medientheoretische Kommentare gelesen werden oder wenigsten als Indikatoren, die zeigen, dass die Entdifferenzierung von Kunst und Wirklichkeit nicht erst von Künstlern betrieben werden musste, sondern dass die Medienrealität der Weimarer Republik das auf vielfältige Weise schon ganz alleine getätigt hatte. Die Texte begrüßen diesen massenmedialen Entgrenzungsprozess. Sie sind nicht Kunst, obwohl sie sehr künstlich und künstlerisch sind, sondern Pop. Und so ist Landshoff-Yorck lässig durch geöffnete Türen gegangen, wo die Avantgarden versucht haben, Wände einzureißen.[29]

Das alles kann in einem Satz auf den Punkt gebracht werden: Ruth Landshoff-Yorck – „Bei ihr ist alles Sekt.“[30]

 

Anmerkungen

[1] Thomas Blubacher: Die vielen Leben der Ruth Landshoff-Yorck. Berlin 2015, S. 9.

[2] Fähnders 2002, S. 105.

[3] https://www.aviva-verlag.de/autor-innen-co/

[4] Fähnders, Walter: Nachwort. In: Ruth Landshoff-Yorck: Die Vielen und der Eine. Berlin 2001, S. 169.

[5] Fähnders, Walter: Nachwort. In: Ruth Landshoff-Yorck: Das Mädchen mit wenig PS. Berlin 2015, S. 184.

[6] Erbe, Günter: Der moderne Dandy. Zur Herkunft einer dekadenten Figur. In: Alexandra Tacke, Björn Weyand (Hrsg.): Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne. Köln u.a. 2009, 17-38; Werber, Niels: „Das graue Tuch der Langeweile“. Der Dandy als Motiv und Verfahren der Literatur 1900/200. In: Tacke, Weyand, S. 60-79.

[7] https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article148397015/Dieses-rauchende-Maedchen-aergerte-den-Kultur-Papst.html; vgl. auch Mantel, Diana: Ruth Landshoff-Yorck. Schreibende Persephone zwischen Berliner Boheme und New Yorker Underground. Analysen zum Gesamtwerk. Frankfurt / Main 2015.

[8] Das Magazin 5 (1928/29), April, S. 3450.

[9] Hecken, Thomas: Pop-Konzepte der Gegenwart. S. 96-99 auf: https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/pop/article/view/755

[10] Blubacher 2015, S. 73.

[11] Zivier, Georg: Das Romanische Café. Erscheinungen und Randerscheinungen rund um die Gedächtniskirche. Berlin 1965.

[12] Blubacher 2015, S. 91.

[13] Mantel 2015, S. 64.

[14] Fähnders, Walter: Zum literarischen Werk von Ruth Landshoff-Yorck in der Weimarer Republik. Mit einer Bibliographie von Walter Fähnders und Chrsitine Pendl. In: Zeitschrift für Germanistik 12 (2002), S. 627.

[15] Blubacher 2015, S. 14.

[16] Blubacher 2015, S. 71.

[17] Fähnders, Walter: Nachwort. In: Ruth Landshoff-Yorck: Roman einer Tänzerin. Berlin 2002, S. 141.

[18] Landshoff-Yorck, Ruth: Die Vielen und der Eine. Berlin 2001.

[19] Fähnders, Walter: In Venedig und anderswo. Ruth Landshoff-Yorck und Annemarie Schwarzenbach. In: Walter Fähnders, Petra Josting (Hrsg.): Laboratorium Viielseitigkeit. Zur Literatur der Weimarer Republik. Bielefeld 2005, S. 229.

[20] http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/ruth-landshoff-yorck/

[21] Müller, Wolfgang: Interfigurality. A Study on the Interdependance of Literary Figures. In: Heinrich Plett (Hrsg.): Intertextuality. Berlin 1991, S. 101-121.

[22] Venus, Jochen: Die Erfahrung des Populären. Perspektiven einer kritischen Phänomenologie. In: Marcus S. Kleiner, Thomas Wilke (Hrsg.): Performativität und Medialität Populärer Kulturen. Theorien, Ästhetiken, Praktiken. Wiesbaden 2013, S. 54-57; Hecken, Thomas: Pop-Konzepte der Gegenwart. in: https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/pop/article/view/755.

[23] Erbe 2009, S. 17-38.

[24] Voijta, Agnieszka: Die Leichtigkeit des Schreibens. Ruth Landshoff-Yorck als Journalistin in der Weimarer Republik. In: Ackermann u.a. 2003, S. 257.

[25] Kolb, Anette: In: Die Vielen und der Eine. In: Die literarische Welt 7 (1931), Nr. 4, S. 5.

[26] Fähnders, Walter: Nachwort. In: Ruth Landshoff-Yorck: Die Schatzsucher von Venedig. Berlin 2013, S. 146.

[27] Fähnders 2013, S. 145.

[28] Oels, David und Ute Schneider: Masse, Mobilität, Moderne. Zur Einleitung. In: David Oels und Ute Schneider (Hrsg.): „Der ganze Verlag ist einfach eine Bonbonniere“. Ullstein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Berlin 2015, S. 8.

[29] Natürlich kann man Landshoff-Yorck als Mischung aus Avantgarde und Unterhaltung bezeichnen (Grisko, Michael: Amerika, London, Paris, Berlin. Die Vielen und der Eine. Eine Karthographie der Moderne. In: Ackermann u.a. 2003, S. 255), aber der Prozess ist eigentlich komplizierter, weil Landshoff-Yorck ein völlig anderes Verhältnis zu den Massenmedien unterhält als die Avantgarden.

[30] Sieburg, Friedrich: Sekt. Noten zur mondänen Literatur. In: Frankfurter Zeitung. 01.07.31, Literaturblatt.

 

Maren Lickhardt ist Assistenz-Professorin am Institut für Germanistik der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.