Mode Herbst 2017
von Marlen Hobrack
30.11.2017

Fetischmaterial

Stiefel aus schwarzem Lackleder. Polyurethan, um genau zu sein. Der lange Schaft, der bis kurz unters Knie reicht und eigentlich nur von einer langbeinigen Gazelle getragen werden kann, schmiegt sich jedoch nicht eng ans Bein. Er ist weit und hat die Form eines weichen Lederstiefels, wie ihn die Musketiere des 17. Jahrhunderts trugen. Das feste Lackleder imitiert darin das Verhalten allerzartesten Leders. Nur muss es dazu gezwungen werden, durch Abnäher und künstlichen Faltenschlag. Spitzer als die Schuhspitze sind nur die Hacken, die auf einen sehr schmalen Pfennigabsatz zulaufen. Wenn eine Frau in diesen Stiefeln nicht gefährlich aussieht, in welchen dann? Verkauft aber wurden diese Stiefel in der letzten Saison nicht im Fetischbedarfswarenladen, sondern zwischen Sneakers und braven Pumps bei H&M.

H&M Lacklederstiefel

Lacklederstiefel von H&M

Diese Schuhe strahlen Dominanz aus und schreien „SEX“ in kapitalen Lettern. Zugleich nehmen sie im Faltenwurf durchaus ein Romantikmotiv auf. Wir sehen einen ganz ähnlichen Stiefel in Schwarz oder Cognac in der Winterkollektion von Saint Laurent, wo er zu asymmetrischen Lackjacken mit breiten Schultern getragen wird. Auf der Berlin-Fashion-Week ließ Marina Hoermanseder ihre Models in der Herbst/Winter-Kollektion nicht nur Lack-Overknee-Stiefel, sondern auch allerhand Riemen, Schnallen und kettenverzierte Outfits vorführen.

Aus der Kollektion von Saint Laurent Herbst/Winter 2017/18

Aus der Kollektion von Saint Laurent, Herbst/Winter 2017/18

Bei der Ready-to-Wear-Kollektion für das Frühjahr 2018 aus dem Hause Chanel dominierten Overknee-Stiefel, Handschuhe und Capes aus durchsichtigem PVC. Hier ist das Material scheinbar von jedem sexuellen Anklang gereinigt. Gerade das reine Weiß strahlt einen cleanen Krankenhaus-Schick aus.

Aus der Ready-to-Wear-Kollektion von Chanel, Frühjahr 2018

Aus der Ready-to-Wear-Kollektion von Chanel, Frühjahr 2018

In der Frühjahrskollektion von Balmain sieht man Lack-Overalls, durchsichtige PVC-Ankle-Boots sowie Lackröcke mit üppigen Volants am Saum. Besonders interessant die schwarz-weiß gestreiften Lackhosen. Auch hier scheint sich das Material seiner sexuellen Konnotation entledigen zu wollen.

Aus der Kollektion von Balmain, Frühjahr/Sommer 2018

Aus der Kollektion von Balmain, Frühjahr/Sommer 2018

Auch Lackröcke in Knallfarben wie rot und gelb begegnen uns allenthalben in den Kollektionen. Wer es dezenter mag, greift auf das schwarze Modell zurück. Was sie alle gemein haben, ob sie nun bei ASOS oder Mango vertrieben werden: Meist wird die klassische Tulpenform durch allerhand applizierte Reißverschlüsse aufgebrochen. Manche Exemplare ließen sich durch einen beherzten Zug am Reißverschluss kurzerhand von oben bis unten öffnen. Andere Zipper sind diagonal angebracht. Funktionen haben die Täschchen freilich keine. Wie auch? Das Material sitzt hauteng an der Trägerin, gefüllte Taschen würden den Rock ausbeulen.

Der Nachhall von Vivien Westwoods frühen Punklooks ist überall deutlich spürbar. Und zwar nicht nur in der dominanten Rolle der Zipper und der asymmetrischen, wie „falsch“ zusammengenähten Formen, sondern auch in der Bedeutung der Rolle von Sex. Man erinnere sich: Westwoods Shopfront im Londoner Stadtteil Chelsea trug drei große, rosafarbene Vinyllettern: SEX. Der Punklook wurde aus einer Mischung aus Fetisch-Wear und selbstgedruckten T-Shirts kreiert.

Nicht nur in England trug der Protopunk „Patentleather“. Auch die New York Dolls zeigten sich in dem Material. Auf einem legendären Foto aus dem Jahr 1975 sieht man sie in rotem Lackleder, grauen Socken und roten Zungenschuhen, die an die Schuhmode des Aristokraten im 17. Jahrhundert erinnern. Sprich: Um auch visuell die größtmögliche Differenz zu den schwingenden Kleidchen der Hippies und den Cordhosen der Folkrocker herzustellen, bediente man sich in der SM-Kleiderkiste, und damit an Kleidungsstücken, die einerseits eindeutig sexuell, andererseits als Modezitat (noch) unmarkiert waren. Dass dabei die Schockwirkung der Fetischkleidung, die für sexuelle Devianz und Perversion stand, einkalkuliert wurde, versteht sich von selbst.

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Kehrt man nun zum Fashion-Jetzt zurück, stellt sich unmittelbar die Frage: Will die Kundin, die roten Lack trägt, schockieren? Will sie gar ihre sexuelle Persona ins Bild setzen? Daran muss man zweifeln. Nicht zuletzt deshalb, weil Modebibeln angesichts des schwierigen Materials „Downdressing“ empfehlen: Die Schärfe der glänzenden Lackoberfläche, der Hauch von Devianz, der sie umweht, die eindeutige sexuelle Konnotation muss gebrochen werden. Empfohlen wird die Kombination mit fließendem Stoff oder grobem Strick.

Wie kommt es zur Parallelexistenz von Oversize-, Romantik- und Fetisch-inspirierten Looks? Neben Polyurethan haben auch „Choker“ in Lederform mit eingearbeiteten Metallherzen und Stoffkorsetts ihren Auftritt in der Mainstream-Mode, und zwar besonders gerne dort, wo „Teen-Mode“ verkauft wird. Auffällig ist auch, dass wir es mit den Stilelementen der Fetisch-Wear zumindest außerhalb von Haute Couture mit einem tatsächlich relativ neuen Trend zu tun haben, während romantische Volant- und Rüschenlooks den Frauenkörper seit Jahren immer wieder heimsuchen. Nur der Samt, in Form von Shorts oder bauchfreien Tops, fügt sich nicht ganz ins Bild des Fashion-Wiedergängers und feierte seinen letzten großen Auftritt in der Grunge-Mode.

Von Haute Couture und Prêt-à-porter inspirierte Looks hielten ihren Fashion-Siegeszug auch durch das Auftauchen in Musikvideos von Stars wie Lady Gaga über Beyoncé bis zu Nicki Minaj. In Taylor Swifts Video für ihren Song „Bad Blood“ (2015) tritt eine ganze Armada von Frauen aus dem Showbusiness in Lack-, Leder- und Latexoutfits auf. Die kämpferische Frau, feministisch noch dazu, kleidet sich in martialisch anmutende, hypersexualisierte Outfits, die visuell zwischen Futurismus und Amazonen-Revival schwanken. Das Video setzt den „Slut-Walk“ auf ganz neue Art in Szene. Dass die Frau in all den glänzenden Outfits mit mächtigen Schulterpolstern und Brustpads an einen Cyborg erinnert und mit der Maschine in Form des Motorrads verschmilzt, ist dabei wohl kein Zufall. Während anderswo Sexpuppenhersteller mit lebensecht anmutender Silikonhaut ihrer Sexautomaten werben, kleidet sich die echte Frau kurzerhand in glänzende Kunsthaut, die sich so eng an ihren Körper schmiegt, dass beide eins werden. Es kommt also buchstäblich zur Verschmelzung von Frau und Fetischobjekt.

Das ist ein großer Unterschied zu den Fetischlooks zum Beispiel von Madonna in ihrem Video zu „Justify my love“ (1990). Die Kleidungsstücke waren immer deutlich als solche erkennbar: Als etwas, das an- und ausgezogen, an- und abgelegt werden kann. Insofern trugen diese Kleidungsstücke die Funktion von Masken, die der Trägerin eine neue „Persona“ verliehen. Die Trägerin als Subjekt betrieb also Anverwandlung. Darin offenbart sich ein Lustspiel, das sich im Changieren zwischen Objekt- und Subjektebene entfaltete. Werden in „Justify my love“ vor allem die Blickbeziehung und die Rolle von Voyeur und Exhibitionist in Szene gesetzt (worin das Video an klassische Strategien der Filme von Rainer Werner Fassbinder erinnert), bei denen sich die Verhältnisse jederzeit umkehren können, symbolisiert das Video Swifts die Erstarrung der Frau zum Nur-Objekt.

Im Gegensatz zum Leder, an dem man die Poren der Tierhaut sehen und fühlen kann, ist Polyurethan so glatt wie das Image der Popkönigin Taylor Swift. Man kann ihr nicht einmal vorwerfen, dass sie in ihrem Video „zu viel Fleisch“ zeigt. Hier ist Mode mal keine Fleischbeschau. Stattdessen wird eine Schicht, die vielleicht nicht zufällig an die Vakuumverpackung von Fleisch erinnert, um den Körper gelegt. Fetischverpackung überdeckt die fleischliche Lust. Ausgerechnet im Hurenlook mit Lackstiefeln oder Röcken wird das fleischliche Begehren stummgestellt, indem es zu einem reinen Oberflächenlook sublimiert wird: Die Trägerin feiert ja nicht ihre Sexualität, sie trägt nur ein Fashionmaterial. Je sexualisierter der Look, desto weniger Erotik strahlt die Trägerin aus. Nicht zufällig ist die glänzende Lackoberfläche ein idealer Spiegel: In diesem spiegelt sich allerdings nicht die Trägerin als Subjekt oder vorübergehend als Objekt der Begierde, sondern unmittelbar der begehrende Blick des Betrachters.

Noch vor zwei oder drei Jahren war es das Latexkleidchen, das die Körper der wagemutigen Prominenten eroberte. Das bewundernde Auge fragte sich, ob man Kim Kardashian nicht in ihr hautenges Latexkleid gegossen hatte. Zugleich wirkte sie darin nackter als in ihrem legendären Magazin-Cover für das Magazin „Paper“, auf dem ihre Haut, kein Zufall, ölig glossy glänzt. Auch Miley Cyrus übte sich in eindeutigen Posen und Verrenkungen im knappen Latexzweiteiler. Doch so sehr die Chefredaktion mancher Frauenzeitschrift versuchte, die Latexkleidung an die Frau zu bringen – bis hin zum Selbstversuch auf der Straße, der beweisen sollte, dass das Pellwurstkleidchen an jedem Körper gut aussehen würde –, zum Verkaufsschlager wurden die Latexlooks nicht. Erfolgreicher ist da schon das in der Mode stets präsente (Fake)Leder, das wahlweise rockig als kurz geschnittene A-Linie, oder mit Schößchen und Volants versehen sogar einen romantischen Auftritt bekommen kann. Lackleder, so könnte man nun meinen, bildet einen Kompromiss zwischen den beiden Materialen: Vereint es doch den Glanz und das Gefühl des an den Körper-gegossen-Seins des Latex mit dem größeren Tragekomfort des Leders.

Lady Gage, Miley Cyrus und Kim Kardashian im Latex-Outfit

Lady Gage, Miley Cyrus und Kim Kardashian im Latex-Outfit

Im Fetischmaterial drückt sich zudem auf frivole Art die Rolle der Käuferin als Fashion Victim aus: Wie der Fetischist, der eben nicht anders kann, als auf das Fetischmaterial zu reagieren, erzeugt auch das Fashion-Produkt den Kaufreflex. Wie das gekaufte Kleidungsstück mit der Trägerin in Konversation tritt, ist dabei nebensächlich. Was zählt, ist der Fetischcharakter der Ware. Nur gewinnt die Ware ein Eigenleben angesichts der Kundin, die sich Mode anverwandelt, die ihren Körper zum Objekt macht.

„Während der Männerkörper in der Mode der Moderne seine Geschlechtlichkeit unmarkiert lässt, geht es in der weiblichen Mode ausschließlich um die Markierung der Geschlechtlichkeit.“ Das stellt Barbara Vinken in ihrem Buch „Angezogen“ fest. Ein vom Fetisch inspirierter, hypersexualisierter Look ist das glatte Gegenteil zur Unisex-Kleidung, oder genauer gesagt: Die Unisexkleidung befindet sich am anderen Ende des Spektrums. Lack- und Leder tragen in der BDSM-Szene schließlich auch Männer, hetero- wie homosexuell. Auch empfehlen sich die Materialien Subs- und Doms. Auf bizarre Art ist der Lackleder- wohl der demokratischste Fashion-Look, nur eben nicht sonderlich tragbar außerhalb der eigenen vier Wände.

 

Marlen Hobrack studiert Kultur- und Medienwissenschaften an der TU Dresden und schreibt als freie Autorinnen u.a. für den Freitag und Zeit Online.