Ungeschützte Bilder
Der Bundestagswahlkampf 2017 ist der erste, in dem auch Bilder der Sozialen Medien, vor allem Bilder auf den Instagram-Accounts von Parteien und Abgeordneten eine Rolle spielen. Statt nur Reden zu halten oder Kundgebungen zu veranstalten, machen Politikerinnen und Politiker mittlerweile also auch zunehmend selbst Bilder, um für ihre Botschaften zu werben. Bis zur Bundestagswahl wird Wolfgang Ullrich einzelne dieser Bilder in loser Folge genauer betrachten und Instagram als Medium politischer Ikonografie in der Phase seiner Entstehung begleitend kommentieren.
Teil 10 der Kooperation von Ideenfreiheit und pop-zeitschrift.de
Als ich die Serie über den Wahlkampf auf Instagram im Juni 2017 begann, wusste ich selbst nur ungenau, was ich vorhatte. Weder war eine bestimmte Anzahl an Folgen geplant noch deren Charakter näher bestimmt. Ich wollte möglichst frei auf das reagieren, was ich beobachtete, und da es der erste Bundestagswahlkampf in diesem Medium war, ließ sich nicht absehen, welche Formen und wie viel Dynamik er dort entwickeln würde. Tatsächlich legten sich viele Abgeordnete und Kandidaten erst in den letzten Monaten einen Account zu, manche sogar noch ganz kurzfristig zwei, drei Wochen vor der Wahl. Insgesamt verfolgte ich die Accounts von mehr als 150 Politikern. Viele davon kannte ich bis dahin nicht, eine beträchtliche Anzahl von ihnen wird es auch nicht in den nächsten Bundestag schaffen. Aber nicht nur bei ihnen bin ich gespannt, wie sie mit ihren Accounts nach der Wahl umgehen. Werden sie es wie Hannelore Kraft machen, die ihren Account nach der verlorenen Landtagswahl komplett löschte? Oder sind manche vielleicht auf den Geschmack gekommen und nutzen Instagram fortan ganz selbstverständlich? Werden sie sich in den nächsten Jahren eine breite Basis an Followern erarbeiten und als Politik-Influencer wirken?
Wer auf seiner Timeline viele Accounts von Politikern hat, die zudem alle im Wahlkampf stehen, muss manche Redundanz ertragen. Ich werde froh sein, nach dem 24. September keine Fotos von Kaffeefahrten, Vereinsfesten und Wahlkampfteams im Haustürwahlkampf mehr sehen zu müssen. Ich werde, ehrlich gesagt, auch froh sein, wenn mir einige Politiker-Gesichter nicht mehr täglich begegnen, denn bei manchen Kandidaten beunruhigt mich die Vorstellung, dass sie im Parlament – vielleicht sogar als Mitglieder von Regierungsfraktionen – über wichtige Themen abstimmen können. Sie wirken dafür einfach zu harmlos und zu unbedarft.
Nein, politikverdrossen bin ich deshalb nicht geworden, immerhin sind mir umgekehrt auch Politiker aufgefallen, deren Engagement und Verhalten ich mit Respekt, gar mit Bewunderung wahrnehmen kann. Ihnen gelingt es, ihre Haltung mit einem schlüssigen Zusammenspiel von Bildern, Kommentaren und Hashtags anschaulich werden zu lassen; bei aktuellen Ereignissen wirken sie geistesgegenwärtig, und sie verstehen es, lebensnah in Erscheinung zu treten, ohne sich mit allzu tiefen Einblicken in ihr Privatleben anbiedern zu müssen. Ihren Accounts folgt man gerne, und so werden sie geradezu zu Begleitern des eigenen Alltags, kaum anders als Serienfiguren oder – ehedem – Protagonisten von Fortsetzungsromanen.
Allerdings ertappe ich mich dann auch dabei, das, was auf den Accounts zu sehen ist, zu psychologisieren. Gerade wenn ich von einem Foto überrascht werde und es mir deshalb ein wenig länger anschaue, komme ich kaum umhin, darüber zu spekulieren, in welcher Situation und mit welcher Motivation es wohl gemacht und dann gepostet wurde. Das aber scheint mir eine weitgehend neue Art der Wahrnehmung von Politikern – und damit von Politik – zu sein. Die klassische Homestory bietet zwar bestenfalls auch ungeahnte Seiten eines Politikers, lebt jedoch vom simplen Gegensatz zwischen öffentlicher Funktion und privatem Leben. Und sie ist ein fertiges Produkt, im allgemeinen so lange bearbeitet, bis sie wasserdicht geworden ist. Entsprechend wenig reizt es, über die gebotenen Informationen noch eigens nachzudenken. Viele Bilder auf Instagram sind hingegen alles andere als fertige Produkte. In den meisten Fällen haben sie gar keinen Werkcharakter, sondern wurden aus einer momentanen Stimmung heraus gemacht, im Zweifelsfall von Leuten, die keine spezifische Kompetenz, nicht einmal einen speziellen Anspruch hinsichtlich Bildern haben. Damit aber sind die Bilder auch ungeschützt (wohlgemerkt: nicht schlecht oder missglückt!); sie verheißen Einblicke, die noch kein anderes Medium bieten konnte. Vielleicht sind solche Bilder nur in einer Phase des Übergangs und Experimentierens möglich: bevor sich Professionalitätsstandards etabliert haben, die jegliche Ungeschütztheit wieder verhindern.
Zum Abschluss der Serie will ich ein paar Bilder zeigen, die mich überrascht haben und die mir noch Wochen später im Gedächtnis geblieben sind. Es sind keine spektakulären Bilder, aber es sind Bilder, die für eine Timeline eine ähnliche Funktion haben wie ein leicht verschobener oder besonders klarer Wahrnehmungsmoment, der so erscheint, als könnte er der Auftakt zu einer Geschichte oder einem Film sein.
Kein anderer Politiker lacht so viel und gibt sich bei Instagram so extrovertiert und einhornvernarrt wie Dorothee Bär. Doch hier sieht sie ausnahmsweise ernst aus – ernsthaft verliebt. Mit geschlossenen Augen küsst sie ein pinkfarbenes Luftballonherz. Das Herz soll symbolisieren, wie viel Herz sie für ihre Heimat hat. Küsst Bär damit aber nicht ihr eigenes Herz? Und wie soll es zum poppig-vergnügten Ballon passen, dass sie dies zudem ganz ohne Augenzwinkern tut, sondern die Intensität des Moments innigst zu beschwören versucht?
Noch eine ungewöhnliche Mundberührung: Frank Schwabe isst eine Wahlkampfsüßigkeit, die sein Bild ziert. Aber warum verspeist er etwas, das für ihn werben soll? Ein Akt unpassender Selbstliebe? Eine seltene Form der Selbstdestruktion? Vermutlich beides nicht. Aber ein Gag scheint auch ausgeschlossen, denn Spaß hat Schwabe ersichtlich nicht.
Bei diesem Bild fragt man sich, was für Helge Lindh ‚sexy’ bedeutet. Das Bild (#kunst)? Die gelbe Wand (#yellow)? Sein blauer Anzug (#anzug #blau)? Aber es gibt sicher noch mehr. Man erführe es gerne.
Ziemlich viele Politiker posten Fotos, auf denen ihre Wahlplakate verfremdet, beschmiert oder zerstört zu sehen sind. Aber keiner macht dies so gerne wie Tim Renner. Er scheint in seinem Wahlkreis geradezu auf Suche nach solchen Plakaten zu gehen. Ist das Masochismus? Oder eine spezielle Form von Eitelkeit, da er stolz darauf ist, offenbar starke Emotionen zu wecken? Oder will er damit einfach cool rüberkommen – als jemand, der sich von ein bisschen Gewalt gegen Bilder nicht beeindrucken lässt, sondern lässig darübersteht?
Die Hashtags sind hier wie die Ausgangsworte für eine Reizwortgeschichte, in der es Katrin Göring-Eckhardt zwar auch um Politik, aber vor allem um einen Sonntagabend (Anfang Juli) geht – genauer: um den Moment, in dem eine Woche in die nächste übergeht. Auf ein rotes Kleid, in dem sie zuvor offenbar nass geworden war und das nun #wiedertrocken ist, fällt Sonnenlicht. Wovon sonst noch die Rede ist? Von der #G20Protestwelle und #ausnahmsweise von #nudeln.
Auch Alice Weidel kam nicht trocken in den Wahlkampf. Sie fotografiert (Ende Juli) „die letzten und wenigen entspannten Momente […], bevor der Wahlkampf so richtig losgeht“. Mit Lebensgefährtin und Kindern ist sie beim Wandern, zeigt ihre Familie jedoch nur klein und verschwommen, durch ihr Brillenglas, das von Regentropfen beschlagen ist. Das ist nicht nur Diskretion, sondern wirkt wie ein Abschied. Und sieht nicht gerade nach Vorfreude aus.
Der Wahlkampf auf Instagram:
Teil 1: Mit dem Regenbogenherz ins politische Sommermärchen
Teil 2: Martin Schulz in der Schule
Teil 3: Wochenende eines protestantischen Läufers
Teil 4: Körpersprache statt Dingsymbole
Teil 5: Wer gewinnt den großen Fotowettbewerb?
Teil 6: Ein Mann sieht rot
Teil 7: Mit zwei Körpern kandidieren
Teil 8: Friede, Freude, Eierkuchen
Teil 9: #kunstistpolitisch