Friede, Freude, Eierkuchen
Der Bundestagswahlkampf 2017 ist der erste, in dem auch Bilder der Sozialen Medien, vor allem Bilder auf den Instagram-Accounts von Parteien und Abgeordneten eine Rolle spielen. Statt nur Reden zu halten oder Kundgebungen zu veranstalten, machen Politikerinnen und Politiker mittlerweile also auch zunehmend selbst Bilder, um für ihre Botschaften zu werben. Bis zur Bundestagswahl wird Wolfgang Ullrich einzelne dieser Bilder in loser Folge genauer betrachten und Instagram als Medium politischer Ikonografie in der Phase seiner Entstehung begleitend kommentieren.
Teil 8 der Kooperation von Ideenfreiheit und pop-zeitschrift.de
Betrachtet man die Instagram-Accounts der Politiker, die aktuell im Wahlkampf stehen, wird man eine Enttäuschung kaum verhehlen können. Denn markante, überraschende, programmatische Bilder gibt es so gut wie nie zu sehen. Je mehr der Wahlkampf in seine heiße Phase gerät, desto mehr nähern sich die meisten Accounts sogar einander an. Konnte man vor Wochen noch an Urlaubs- oder Essensfotos erkennen, wie sich Politiker verschiedener Parteien in ihrem Lebensstil und damit auch in ihren Werten unterscheiden, und posteten sie etwa auch noch Bilder der Cover der Bücher, die sie gerade lasen, so zeigen sie sich jetzt fast nur noch bei ihren zahlreichen Terminen im eigenen Wahlkreis. Man sieht sie wieder und wieder an Infoständen, im Gespräch mit unterschiedlichen Menschen, bei Vereinen und Verbänden, in sozialen Brennpunkten, bei Sommer- und Stadtteilfesten, in Schulen und Altenheimen, bei Hausbesuchen. Außerdem lädt immer sofort Fotos hoch, wer eine Veranstaltung zusammen mit einem Polit-Promi machen durfte. Geboten werden also viele Gruppenfotos und viel Aktionismus, viel Lächeln und Händeschütteln, aber sehr wenig, was zu einem zweiten Blick Anlass bietet oder den Wahlkampf zuspitzt. Bestenfalls wird mal ein Flyer vor die Kamera gehalten, so dass sich ein paar Inhalte aufschnappen lassen, aber Zeit für eine symbolische oder überraschende Inszenierung hat man nicht mehr, ein Spiel mit Codes und Konventionsbrüchen findet erst recht nicht statt.
Tatsächlich ist auch noch kein einziges Foto auf einem Instagram-Account eines Politikers zum Streitthema und Anlass öffentlicher Debatten geworden. Während Politiker immer wieder mit einzelnen Tweets oder mit Äußerungen in Interviews für Schlagzeilen sorgen, scheint bisher keiner auch nur versucht zu haben, mit einem provokanten Foto eine größere Diskussion auszulösen. Gerade Politiker, die verbal gerne polarisieren, posten oft sogar besonders harmlose Bilder, so etwa Beatrix von Storch von der AfD oder CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer:
Eine Reihe von Politikern schließlich, die als streitlustig gelten, haben gar keinen Instagram-Account oder nutzen ihn zumindest nicht: Sahra Wagenknecht, Ralf Stegner, Jens Spahn, Alexander Dobrindt, Frauke Petry, Alexander Gauland.
Das zeigt, dass eine Kommunikation durch Bilder keineswegs so weit gediehen ist, wie es angesichts der alltäglichen Präsenz der Sozialen Medien erwartbar schiene. Vor allem aber zeigt es, dass Instagram-Accounts für die meisten ausschließlich in der Tradition von Fotoalben stehen: Sie sollen besondere Momente und schöne Erinnerungen festhalten, auf jeden Fall aber Harmonie ausstrahlen. Zwar werden die Accounts nicht mehr nur von der eigenen Familie wahrgenommen, und man hat kapiert, wie wichtig sie für das Image sein mögen, aber es stellt gar keine Option dar, dass man sich mit einem Bild genauso profilieren könnte wie mit einem markigen Slogan oder einem provokanten Vergleich. Letztlich also handelt es sich beim größten Teil dessen, was bei Instagram passiert, um Friede, Freude, Eierkuchen. Das heißt: Man betreibt hier weniger aktiven Wahlkampf als Impressionen davon zu bieten, wie schön Wahlkampf angeblich ist. Immer wieder erwähnen die Politiker in den Kommentaren zu ihren Fotos die zahlreichen interessanten und spannenden Gespräche, die sie rundum führen, danken einzigartig motivierten Helfern oder bekunden, wie viel Spaß ihnen jeder einzelne Termin macht.
Dass es so ist, muss aber nicht bedauert werden. Vielmehr gibt es schon genügend Medien, die Raum für Polemik und Provokation bieten. Vielleicht stellt Instagram insofern sogar eine bemerkenswerte Ergänzung, ja ein Kontrastprogramm dar, kann sich hier doch jeder von einer netten und normalen Seite und ein bisschen bieder zeigen. Es ist ein Harmoniemedium inmitten von Streit- und Debattenmedien, und letztlich sind alle irgendwie Teil einer einzigen großen Familie.
Natürlich finden sich auch Ausnahmen, also Accounts, auf denen es nicht nur freundlich zugeht, sondern auf denen der politische Gegner angegriffen wird und eigene Themen zugespitzt platziert werden. So im Fall einiger Parteien wie etwa der FDP oder auch bei Björn Höcke von der AfD (der aktuell allerdings nicht im Wahlkampf steht). Doch sind das insofern keine überzeugenden Gegenbeispiele, als man hier nicht – oder nur untergeordnet – mit Bildern agiert und argumentiert. Vielmehr wiederholt man Slogans von Plakaten oder Flyern oder nutzt die Kommentarspalte für längere Texte, die parallel etwa auch auf Facebook publiziert werden. Man verwendet Instagram dann also als weiteren Kanal, zeigt aber nur Präsenz, ohne eine eigene Strategie oder gar eine genuine Bildpolitik zu entwickeln.
Ob die Bildpolitiken differenzierter und stärker werden, wenn sich Plattformen wie Instagram weiter etablieren und nicht mehr der erste, sondern der fünfte oder zehnte Wahlkampf auch dort stattfindet, ist schwer zu prognostizieren. Immerhin steht dann die grundsätzlichere Frage im Raum, ob es jemals eine weit verbreitete, gar selbstverständliche Praxis werden kann, Themen und Thesen schlagkräftig in Bilder zu übersetzen. Vielleicht wird sich zeigen, dass es dafür eine spezielle Begabung und Ausbildung braucht, die man von Politikern auch künftig, allen ‚Iconic Turns’ zum Trotz, nicht erwarten kann. Sie müssten ihre Accounts dann professionellen Bildjournalisten überlassen, was wiederum als Verlust an Nähe bedauert würde.
Für die Hypothese, dass ein Argumentieren mit Bildern für die meisten viel schwerer ist als ein Argumentieren mit Worten, spricht ein Beispiel aus der Kunst. Ausgerechnet ein bildender Künstler, Jonathan Meese, verlässt sich nämlich nicht darauf, seine Anliegen allein mit seinen Gemälden, Skulpturen und Performances präsent zu machen. Vielmehr arbeitet er seit 2005 mit dem Fotografen Jan Bauer zusammen, der davor für AP (Associated Press) tätig und auf Staatsbesuche und Gipfeltreffen spezialisiert war. Mit seiner Kenntnis politischer Ikonografie setzt Bauer Meese seither auf Fotografien und in Filmen in Szene. Auf YouTube betreiben beide den Kanal Propagandawerk.
Das Beispiel ist umso interessanter, weil Jonathan Meese die Verpflichtung Bauers damit begründet, dass er sich „ständig im Wahlkampf“ befinde. Er fühlt sich also offenbar in Zeiten, die gesteigerte Aktivitäten und ungewöhnliche Maßnahmen verlangen. Und so wenig es in seinem Wahlkampf um die Auseinandersetzung mit Gegenkandidaten geht, so vehement kämpft er in ihm für die Kunst. Er kämpft dafür, dass die Kunst nicht zwischen zwischen Markt, Kulturpolitik und Selbstverwirklichungsprojekten aufgerieben wird und weiterhin absolute Freiheit verkörpern kann.
Tatsächlich gelang es Bauer schnell, Meeses Anliegen in plakative Bilder zu übersetzen. Dabei demonstriert er die Unabhängigkeit des Künstlers – und weitergehend die Freiheit der Kunst – immer wieder dadurch, dass er einander sonst ausschließende Codes miteinander kombiniert. So sieht man Meese auf einem Foto aus dem Jahr 2006 vor einer Reihe wehender roter Fahnen, als sei er ein linker Avantgardist oder Revolutionär. Auch Bart und Haare passen dazu. Doch schon die Bekleidung, ein Adidas-Anzug, lässt Zweifel daran aufkommen, wie kritisch und oppositionell Meese wirklich ist. Erst recht aber konterkariert seine Körperhaltung den ersten Eindruck. So blickt er entspannt in die Richtung, aus der der Wind weht, und mit seinen verschränkten Armen erinnert er an einen zufriedenen Eigenheimbesitzer in seinem Vorgarten. Die Botschaft: Der Künstler ist auf kein bestimmtes Rollenbild – etwa als Revolutionär – festzulegen, er lässt sich von keiner Ideologie vereinnahmen.
Man wüsste nur zu gerne, ob eine solche Bildpolitik jemals Maßstab für Bilder auf Instagram-Accounts von Politikern sein kann.
Der Wahlkampf auf Instagram:
Teil 1: Mit dem Regenbogenherz ins politische Sommermärchen
Teil 2: Martin Schulz in der Schule
Teil 3: Wochenende eines protestantischen Läufers
Teil 4: Körpersprache statt Dingsymbole
Teil 5: Wer gewinnt den großen Fotowettbewerb?
Teil 6: Ein Mann sieht rot
Teil 7: Mit zwei Körpern kandidieren