Der Wahlkampf auf Instagram (1)
von Wolfgang Ullrich
28.6.2017

Mit dem Regenbogenherz ins politische Sommermärchen
Der Bundestagswahlkampf 2017 ist der erste, in dem auch Bilder der Sozialen Medien, vor allem Bilder auf den Instagram-Accounts von Parteien und Abgeordneten eine Rolle spielen. Statt nur Reden zu halten oder Kundgebungen zu veranstalten, machen Politikerinnen und Politiker mittlerweile also auch zunehmend selbst Bilder, um für ihre Botschaften zu werben. Bis zur Bundestagswahl wird Wolfgang Ullrich einzelne dieser Bilder in loser Folge genauer betrachten und Instagram als Medium politischer Ikonografie in der Phase seiner Entstehung begleitend kommentieren.

Für die Serie kooperiert pop-zeitschrift.de mit dem Blog „Ideenfreiheit“ von Wolfgang Ullrich.

Teil 1 der Serie von Ideenfreiheit und pop-zeitschrift.de

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Instagram ist das beliebteste und smarteste Medium für Bekenntnisse aller Art geworden. Wer früher auf die Straße ging (und es nach wie vor manchmal tut), um für oder gegen etwas zu sein, macht heute ein Foto, versieht es mit ein paar Hashtags und lädt es bei Instagram hoch: eine spontane Demo, die nicht erst mühsam angemeldet und aufwendig geplant werden muss, sondern die tagesaktuell stattfinden kann. Und während es bei jeder herkömmlichen Demonstration darum geht, dass – hoffentlich – Bilder entstehen, die das jeweilige Anliegen in die Massenmedien tragen, besteht die Demo bei Instagram von vornherein in nichts anderem als einem veröffentlichten Bild. Das ist an Effizienz nicht mehr zu steigern!

Selfies betonen den Demonstrationscharakter, denn dann steht man erkennbar mit dem eigenen Gesicht für etwas ein. Gruppenselfies wirken entsprechend noch stärker, wird dann doch deutlich, dass die Person, die das Foto macht, nicht alleine mit ihrer Meinung ist.

Zu einem Gruppenselfie kamen am Vormittag des 27. Juni 2017 auch acht Abgeordnete der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zusammen. Sie versammelten sich, um auf die an diesem Tag infolge des BRIGITTE-Talks von Angela Merkel plötzlich entstandene Dynamik um die #ehefüralle sogleich zu reagieren und ihre eigene Haltung dazu zu bekräftigen. Auch auf anderen Instagram-Accounts von Parteien und Abgeordneten wurden am selben Tag Statements zu diesem Thema gepostet, doch kein anderes Foto agiert so professionell mit den Möglichkeiten der Sozialen Medien. Statt einfach nur einen Text in das Bild zu setzen, hat man sich hier für ein Dingsymbol entschieden. Die Abgeordneten – ganz ausgewogen vier Frauen, vier Männer – gruppieren sich um ein großes ausgeschnittenes Herz, das in den sechs Farben des Regenbogens bemalt ist. Dieser, schon lange ein Symbol für Gleichberechtigung und Toleranz, wurde spätestens im Sommer 2015 zum Zeichen aller Homosexuellen, die dafür kämpfen, endlich dieselben Rechte wie Heterosexuelle zu haben: Als in den USA die „Ehe für alle“ zum Gesetz wurde, hisste man allenthalben die Regenbogenfahne, und vor allem in den Sozialen Medien verbreitete sich das Motiv im Nu global. Es setzte wie kaum ein anderes Symbol die Kreativität von Millionen frei und ist seither fest mit diesem Thema verknüpft.

Das Regenbogen-Herz der grünen Abgeordneten ist eine weitere von zahllosen Varianten, die das Motiv erfahren hat. Vielleicht wurde es eigens für das Instagram-Foto gebastelt, vielleicht war es auch von einer anderen Demo noch übrig – auf jeden Fall ist es ideal dafür geeignet, um für das Anliegen der #ehefüralle zu motivieren. ‚Regenbogen’ und ‚Herz’ vermitteln beide Optimismus und Lebensfreude, und so fröhlich sich die Abgeordneten – vier hinter, vier vor dem Herz – zum Selfie getroffen haben, so sehr drücken sie damit ihren Wunsch aus, das politische Sommermärchen, das plötzlich in der Luft liegt, möge tatsächlich real werden. Noch schauen sie ein wenig verwundert, so als könnten sie ihren Erfolg kaum glauben.

Das Foto wurde auf dem Account von Konstantin von Notz (s.o.) publiziert, Özcan Mutlu machte es. Dieser veröffentlichte am Tag darauf noch ein weiteres Foto mit demselben Dingsymbol (s.u.). Hier sieht man ihn zusammen mit Volker Beck, der am längsten und engagiertesten von allen deutschen Politikern um die „Ehe für alle“ gerungen hat. Und auch andere Abgeordnete der Grünen (Kai GehringOmid Nouripour) liehen sich das Regenbogenherz aus, um in unterschiedlichen Konstellationen zu bekräftigen, wie wichtig ihnen die „Ehe für alle“ ist. Mittlerweile sind auch die letzten Zweifel aus den Gesichtern verschwunden: Das Herz wird zum Rahmen für Politiker, die einen Erfolg feiern können. Es wird zum Ruhmeszeichen, zur heiteren Version eines Triumphbogens in Zeiten von Instagram.

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