Das Nachleben faschistoider Ästhetik in Bildern der Gegenwart – am Beispiel von Lady Gagas „Alejandro“
von Jelena Jazo
1.6.2017

Nazismus und Popkultur

[Auszug aus: Jelena Jazo, „Postnazismus und Populärkultur. Das Nachleben faschistoider Ästhetik in Bildern der Gegenwart“, Transcript Verlag, Bielefeld 2017]

Die Bedeutung nazistischen Bildprogramms für die Bildproduktion der Gegenwart ist in Anbetracht des Widerhalls faschistoider Ästhetik in der populären Kultur kaum zu überschätzen, denke man beispielsweise an die zahlreichen Reminiszenzen an Riefenstahl’sche Körperästhetik, die ihren Kulminationspunkt in dem Musikvideo Stripped von Rammstein erreicht, an das omnipräsente ikonische Hitlerbild, das wiederkehrend als Internet-Meme oder Comicfigur (Hipster Hitler), auf Buchcovern (Er ist wieder da) oder in Musikvideos (K.I.Z – Ich bin Adolf Hitler) auftaucht, oder an die unzähligen Filme, Computerspiele oder Serien (wie zuletzt The Man in the High Castle), die Bildern des Nazismus fortwährend neue Vitalität verleihen. Durch seine vielfachen medialen Wiederbelebungen ist der Nationalsozialismus visuell ungebrochen präsent und hat sich zu einem persistenten Motiv der Gegenwartskultur entwickelt.

Der Nationalsozialismus durchdringt heutige Bildwelten in einem Maße, dass von einem Nachleben faschistoider Ästhetik in der visuellen Kultur der Gegenwart gesprochen werden kann. Faschistoide Ästhetik hat sich von ihrem originären Artikulationszusammenhang emanzipiert, ist migriert und hat ein nahezu spukhaftes Eigenleben in den Bilduniversen der Popkultur entwickelt.

Im Pop hat faschistoides Bildprogramm nicht die Funktion, auf eine historische Realität zu verweisen, vielmehr steht es, enthistorisiert und inhaltlich ausgehöhlt, als reine Oberfläche und konsumierbare Formel für neue Bedeutungsproduktionen und Sinnzusammenhänge zur Verfügung. Der visuelle Nationalsozialismus hat sich damit selbst überlebt und ist so radikal zum Bild geworden, dass er, wie ein Perpetuum mobile, ewig in Bewegung bleibt und beständig weitere Bilder nach sich zieht. Pop-Bilder des Nazismus sind folglich durch ihre Praxis zu begreifen.

Ein Grund für ihre unablässige Reproduktion ist die Reproduktion selbst. Durch ihre Ubiquität und Zirkulation haben sie sich ikonisch verselbstständigt. Das Wissen um die Geschichte, um die Realgestalt des Nationalsozialismus, nimmt ab, die Bildproduktion jedoch nicht. So ist der Nazismus heute nicht mehr nur eine historische Tatsache, sondern gleichzeitig auch eine Bilder-Erzählung.

Insofern hat sich der mediale Nationalsozialismus neben den faktischen gestellt, mehr noch scheint das Bild seine Bedeutung überholt zu haben. Popkulturelle Bild-Imaginationen und Fiktionalisierungen des Faschistoiden werden damit zu Wissens-und Gedächtnisspeichern und wirken auch auf das gesellschaftliche Geschichtsbewusstsein und auf kollektive Vorstellungen einer historischen Realität ein.

Die Kontinuität des Nazismus als visuelles Motiv der Gegenwart beziehungsweise das Überleben faschistoider ästhetischer Ideen in der Popkultur resultiert aus der unleugbaren negativen Faszination, die von der bildgewaltigen visuellen Inszenierung und expressiven Außenseite des Nationalsozialismus ausgeht.

Einige Forschungslinien weisen darauf hin, dass eine originär faschistische Ästhetik als eigenständige ästhetische Kategorie oder qualitatives Merkmal nicht existiert, da der Nationalsozialismus kein genuin eigenes Repertoire ästhetischer Ausdrucksmittel entwickelt hat, sondern bestehende respektive vergangene ästhetische Traditionen usurpierte und folglich über die Zeit und den Kontext des Nationalsozialismus hinausweisend vergleichbare visuelle Darstellungen gefunden werden können. Dem muss entgegengehalten werden, dass bestimmte Bilder ihre faschistoide Konnotation allein durch die Konvergenz mit Ausdrucksmustern anderer, nicht faschistischer Zeichensysteme keinesfalls verlieren. Vielmehr ist das Bildererbe des Nationalsozialismus derart prägend, dass es, tief im kollektiven Bildgedächtnis verankert, die Wahrnehmung nachhaltig infiziert hat und andere visuelle Codes und Deutungs- respektive Zuordnungsmechanismen dominiert.

Ein Bild, eine visuelle Darstellung oder Inszenierung evoziert die Assoziation des Faschistoiden, wenn bestimmte Faktoren und Elemente, die symptomatisch für den visuellen Ausdrucksapparat und den Bilderkanon des Nationalsozialismus sind, in einer als charakteristisch wahrgenommenen Konstellation auftauchen. Uniformierte Massenrituale und ornamentale Massenchoreografien stellen in diesem Sinne ein beispielhaftes Szenario faschistoider Ästhetik dar.

Massenaufmärsche, Militärparaden oder orchestrierte Körperformationen bei Sportwettkämpfen zielten im Nationalsozialismus auf individuelle sowie kollektive Transformation. Sie sind als symbolische Praktiken zu verstehen, die Sinnbilder nationalen Zusammenhalts schaffen und in die Körper sowie den öffentlichen Raum einschreiben. Im uniformierten Massenritual lösen sich unter der Prämisse der Homogenität die Ich-Identitäten des Einzelnen auf; über Uniformen und synchronisierte Bewegungsabläufe vollzieht sich die Gestaltung eines monumentalen, megalomanischen Meta-Körpers, der die Subjekte in sich aufnimmt und in ein Gesamtes transzendiert.

Lady Gaga: Alejandro

Uniformität und Masse spielen auch in der visuellen Inszenierung des im Jahr 2010 erschienenen Musikvideos Alejandro, einem Bildamalgam aus christlicher Ikonografie, Revue- Ästhetik, sexuellen Fetisch-Phantasien und soldatischer Drill-Faszination, eine entscheidende Rolle. Der Geist totalitärer Ästhetik wird hier visuell absorbiert und in die Nähe popkultureller Bildentwürfe gerückt.

In Alejandro zeigt sich Lady Gaga umringt von einer Tänzerarmee, gewandet in schwarzer, ledern-glänzender Uniform. Das Kostüm der Performer ist unübersehbar angelehnt an den Dienstanzug der SS: Die schwarzen Militärjacken mit Schulterklappen, silbernen Knöpfen, Taillengürteln und roten Armbinden erinnern deutlich an SS-Uniformen. Hochgeschlossene Hemden mit stilisierten Kragen-Abzeichen, schwarze Hosen und schwere Schaftstiefel wecken überdies als markante Insignien unweigerlich Assoziationen zu faschistischen vestimentären Codes. So wirken die Tänzer wie das popkulturelle Produkt nahezu perfekter SS-Maskerade.

Paula Diehl beschreibt in ihrer Arbeit über die Körperbilder der SS-Männer die politisch-soziale Funktion der SS-Uniformen wesentlich als Medium der Homogenisierung. Die Homogenität der Körper visualisiere politische Kohäsion, Ordnung und inszeniere damit Macht.[1] Die Uniform ermögliche „eine emblematische Konzentration der SS-Körperbilder und ihre Fixierung im sozialen Imaginären“[2]. Dies bedeute, dass die Uniformen die Aufmerksamkeit von den individuellen Körpermerkmalen und Gesichtszügen der SS-Männer ablenken, und sie stattdessen in ein Stilbild des SS-Mannes mit symbolischer Wirkung fügen. Fixiert wird also auf das Einheitliche und die Ähnlichkeit der SS-Erscheinungen.[3]

Individuelle Charakteristika treten zugunsten der Formation eines Sinnbildes zurück. Dieser Aspekt der Entindividualisierung findet sich auch in der Bildrhetorik des Musikvideos Alejandro beispielhaft wieder. Nicht nur die gleichförmige faschistoide Kostümierung evoziert diese Wirkung; der Uniformitäts- und Homogenisierungs-Gedanke kulminiert bei den Tänzern zusätzlich in identischen Frisuren: Sie tragen alle tiefschwarze, zu einer Art Tonsur gelegte Haare. Damit gleichen die Performer Tanzklonen, die sich um Lady Gaga als zentrale Figur winden. Alles Heterogene scheint hier nivelliert, das äußere Erscheinungsbild vollends vereinheitlicht diszipliniert und kosmetisiert, sodass die einzelnen Körper wie ein ornamentales Ganzes funktionieren.

Ebenjene Körperchoreografien, die Sigfried Kracauer bereits 1927 als „das Ornament der Masse“[4] beschreibt, sind auf ästhetischer Ebene anschlussfähig an den visuellen Ausdrucksapparat des Nationalsozialismus. Die Ästhetisierung einer „nationalen Physis“[5] als integrales Moment faschistischer Ästhetik artikulierte sich in streng ritualisierten Körperpraktiken und fand ihren Ausdruck z.B. in den Körperlandschaften von Massenaufmärschen oder den Inszenierungen synchron bewegter Massenkörper von Athleten und Gymnastinnen in Reifenstahls Olympia-Film.

Das Formen eines multiplen Kollektivkörpers, der singuläre Individuen physisch in sich aufhebt und transzendiert [6] bildete ein grundlegendes Deutungsschema und Prinzip faschistischer symbolischer Politik. Folglich bedient sich das Musikvideo Alejandro auch auf dieser Ebene faschistoiden Bildprogramms. Die Ästhetik einer kollektiven Physiognomie findet seine popkulturelle Entsprechung in der streng synchronisierten Bewegungssprache der Tänzer. Die gleichgeformten Körper verhalten sich als Einheit; ihre individuellen Bewegungen sind an die kollektive Bewegung der Gruppe gebunden. Somit werden die singulären Tritte, Gebärden und Posen jedes Einzelnen im Takt von der Totalität des Gesamtgebildes absorbiert. Die Simultanität der Choreografie lässt den Rekurs auf Canettis Beschreibung der Masse zu, in der alle Glieder zur Deckung gebracht werden: „Schließlich tanzt vor einem ein einziges Geschöpf, mit fünfzig Köpfen, hundert Beinen und hundert Armen ausgestattet, die alle auf genau dieselbe Weise oder in einer Absicht agieren.“[7] Für Canetti ist die rhythmische Masse also an die gemeinsame Bewegung gebunden: „Alles hängt hier an Bewegung. Alle Körperreize, die zu erfolgen haben, sind vorausbestimmt und werden im Tanze weitergegeben.“[8]

Susan Sontag folgend entfaltet sich faschistische Ästhetik in einem charakteristischen Gepränge:

„Vereinigung von Menschengruppen zu Menschenansammlungen; Umformung von Menschen zu Objekten; Multiplikation oder Reproduktion von Objekten; und das Zusammenscharen von Menschen/Objekten um eine allmächtige, hypnotische Führerfigur […]. Im Mittelpunkt faschistischer Dramaturgie steht das orgiastische Wechselspiel zwischen machtvollen Kräften und ihren einheitlich gekleideten, zu immer größeren Massen anschwellenden Marionetten.“[9]

Diese Beschreibung liest sich geradezu wie eine Paraphrase der visuellen Inszenierung in Alejandro. Wechselnde Szenen zeigen Lady Gaga gleichsam als leuchtende Heiligengestalt, um die sich die gleichgeschaltete Menschenmasse rankt. Das tänzerisch inszenierte Buhlen der Masse um die Sängerin illustriert nahezu modellhaft Sontags Beschreibung eines machtvollen orgiastischen Kampfes. Die Choreografie der Tanzsoldaten oszilliert dabei zwischen harten, akkuraten Marschschritten und effeminierten, fließend-weichen Bewegungen; der militärische Auftritt mischt sich mit der Ästhetik einer Revue. Das verbindende Element zwischen soldatischem Aufmarsch und der Revueästhetik besteht in der Fokussierung auf einen einheitlichen, orchestrierten Kollektivrhythmus.

Die Masse ist stets in Bereitschaft sich zu einem gleichförmigen Ganzheitsleib zu formieren: „Was beide, Revuetheater und Militärparade, gemeinsam haben, ist die Aufforderung zu einem Blick auf die Einheit. Es geht um eine Ästhetik der Ordnung, die Disziplin und Homogenität als Hauptmotiv darstellt.“[10] Lady Gaga, mit weißblondem Kurzhaarschnitt und zunächst im schwarzen schlichten Overall, anschließend mit einem Büstenhalter bekleidet, an dem zwei Maschinengewehr-Vorderteile als Brustfortsätze appliziert sind, steht als Protagonistin im Mittelpunkt der Szenerie. Sie wird flankiert von den einmarschierenden Tänzern in SS-Montur. Die Simultanität des Tritts und der orchestrierte Laufstil der Performer erinnert an militärischen Gleichschritt ebenso wie an eine pastichehaft-überzeichnete Imitation der Gangart von Laufsteg-Mannequins. Die starre Uniform scheint die Körper und ihre Beweglichkeit dabei physisch zu reglementieren. Die Steifheit des Anzugmaterials zwingt zur geraden Haltung, die schweren Stiefel sorgen für einen festen Stand und starken Tritt. Der enge Uniformschnitt schränkt den Körper sichtbar ein und scheint den Bewegungschor an allzu effeminierten Posen regelrecht zu hindern. Die SS-Uniform ist somit nicht nur symbolisch codiert, als ästhetische Körperprothese nimmt sie auch auf die gesamte Physis und den Habitus der Männer immensen Einfluss.[11] Eine intendierte aufrechte und soldatisch-stramme Körperpositur wird von der Uniform hervorgebracht, indem sie den Körper an manchen Stellen, wie etwa der Taille, begrenzt und an anderen Stellen, etwa der Brust und der Schulterpartie, optisch größer und damit kraftvoll und mächtig erscheinen lässt. „The emphasis was on creating desirable silhouettes: tight jackets with high collars, peak caps, jodhpurs and black leather boots contributed to a mystique that symbolized the power and authority of the regime.“[12]

Ebenso wie die Kleidung sind auch die Stiefel als wichtiges Reglementierungselement der Körpersprache zu betrachten, denn eine Beeinflussung des Gangs wirkt auf sämtliche Körperbewegungen ein und definiert dadurch das gesamte Erscheinungsbild, sowohl des Einzelnen als auch der Masse, was für die Ästhetik des Nationalsozialismus wesentlich erscheint:

„Die schwarzen Stiefel sind deshalb konstitutive Elemente der NS-Machtinszenierung in zweierlei Hinsicht: auf Grund ihrer symbolischen Bedeutung und auf Grund ihres Einflusses auf die Körpersprache der SS-Männer. Diese lernten beim Marschexerzieren, zackige und kräftige Schritte zu üben. […] Die gleichzeitigen Tritte der Marschierenden verdeutlichen die summierten Kräfte der Gruppe. Dies ist einer der Gründe, warum sich die Stiefeltritte in Marschparaden als wirksames Element zur Machtdarstellung eignen.“[13]

Blickt man auf das im Musikvideo präsentierte Körperbild, so ist zu konstatieren, dass der Leib hier eine Aufwertung von Merkmalen wie Stärke, Kraft, Härte und Erhabenheit erfährt. Der Tanzkorps rekrutiert sich durchgängig aus athletischen, muskulösen Männern, die in ihrer Statur ausnahmslos wie fleischgewordene Abziehbilder der Aktplastiken von Arno Breker wirken. Die Tänzer erscheinen wie vollkommene Stahlgestalten; ihr Muskelkostüm gleicht einem „Körperpanzer“ [14]. Die heroisch-virilen, gleichsam hypermaskulinen Körper sind damit anschlussfähig an das im Nationalsozialismus imaginierte Ideal des gesunden, kräftigen und überlegenen Menschentyps. Adrian Schmidtke spricht im Bezug auf die rassistische und nationalistische Körperkonstruktion im Nationalsozialismus von einem „unbedingten Glauben an die Überlegenheit der arischen Rasse und der Hochschätzung ihrer vermeintlichen Eigenschaften wie […] körperliche Robustheit, Stolz oder Schönheit“, der „die Zucht ‚kerngesunder Körper‘, die Stählung des Leibes, das Ausmärzen von Schwäche“[15] bedingte.

In visuell- ästhetischer Hinsicht ist im Musikvideo Alejandro folglich eine Verquickung von soldatischen Körpermerkmalen und ‚reinen‘, vollendeten Figuren zu beobachten. Es wird damit bewusst mit einem Konzept von Körperlichkeit operiert, das formal unweigerlich eine Nähe zu faschistoidem Bildinventar und dem Ideal körperlicher Makellosigkeit, wie es in nazistischen Bildprodukten hergestellt wird, aufweist. Susan Sontag stellt in dieser Hinsicht fest: „Faschistische Kunst (…) stellt eine utopische Ästhetik zur Schau – jene der physischen Vollkommenheit.“[16] Wenngleich sich an der Bewegungssprache durchaus irritierende, weil nichtheteronormative Inszenierungscharakteristika ablesen lassen und die Gesten und Posen der Männlichkeit gebrochen werden, bleibt das propagierte Körperbild doch dominant auf dem Sinnbild des Hypermaskulinen verhaftet. Der faschistoide Körperfetisch wird affirmiert und erfährt hier seine popkulturelle Übersetzung.

In Interviews auf das Musikvideo angesprochen, bekundet die Sängerin häufig, dass der Clip ihrer großen homosexuellen Fan-Community gewidmet sei.[17] Tatsächlich wird das uniformierte Körperbild hier teilweise homoerotisch aufgeladen, denn das durch die Choreografie inszenierte Begehren richtet sich – neben Lady Gaga als zentraler Adorationsfigur – auch deutlich homoerotisch auf die Tänzer untereinander. Überdies ist zu erwähnen, dass der hypermaskulinen Ästhetik der SS-Uniform generell ein Moment homosozialen und auch homoerotischen Begehrens innewohnt. So verweist auch Marjorie Garber auf eine Reihe von Faktoren, die zu einer entsprechenden sexuellen Aufladung der Uniform geführt haben:

„Whatever the specific semiotic relationship between military uniforms and erotic fantasies of sartorial gender, the history of cross-dressing within the armed services attests to a complicated interplay of forces, including male bonding, acknowledged and unacknowledged homosexual identity, carnivalised power relations, the erotics of same-sex communities, and the apparent safety afforded by theatrical representation.“[18]

Dass das Bildrepertoire in Alejandro eine nicht-heteronormative Ästhetik bedient, ist also offenkundig. Trotzdem hier ein Moment der Desavouierung vorliegen mag, lässt sich daraus keine substanzielle Demontage der Symbolik ableiten. Die faschistoide Ästhetik löst sich keineswegs in homosexueller Ästhetik auf und schafft dadurch auch keine neuen Sinnzusammenhänge. Vielmehr bleibt die Faszination schwerer Stiefel und schwarzer Uniformen – wenngleich in einen anderen narrativen Kontext eingebettet – ungebrochen und die von Susan Sontag formulierte Frage damit offen: „Wieso ist Nazi-Deutschland, eine Gesellschaft, in der alles Sexuelle unterdrückt wurde, erotisch geworden? Wie konnte ein Regime, das Homosexuelle verfolgte, zum Stimulans für Schwule werden?“[19]

Die Todessemantik der SS-Uniformen – verkörpert durch die dominante Farbe Schwarz und den omnipräsenten SS-Totenkopf – wird in dem Musikvideo durch den Gebrauch zahlreicher weiterer Todessymbole fortgeführt und sogar noch übersteigert. Särge, Grabträger und Kruzifixe, ebenso wie ein in der Schlusssequenz zu sehendes Gesichts-Close-Up der Sängerin, das ausgehend von den Augen- und Mundöffnungen verbrennt und damit eine ikonografische Nähe zu Totenkopf-Abbildungen aufweist, sprechen ebenfalls für die beharrliche Faszination, der dieses Video erliegt. Saul Friedländer sieht in der Juxtaposition von Kitsch-Harmonie auf der einen und der Beschwörung von Themen wie Tod und Zerstörung auf der anderen Seite eine eigentümliche Dissonanz, die den ästhetischen Reiz des Nazismus ausmacht.[20] Ebenjenes Nebeneinander von Kitsch und Tod durchzieht das Video Alejandro fast paradigmatisch.

Die gebrauchten Zitate faschistischen Bildrepertoires lassen sich einordnen in eine triviale Pulp-Ästhetik, wie sie die Kunstfigur Lady Gaga in zahlreichen ihrer Videoclips und sonstigen Bilderzeugnissen produziert. Innerhalb der Mash-Up-Ästhetik der Sängerin bildet die faschistoide Folklore lediglich eine weitere Spielart eklektizistischer Bilderverwertung.

So bleibt in Anschluss an Susan Sontag zu konstatieren: „Kunst, die an die Themen faschistischer Ästhetik erinnert, ist heute populär, und für die meisten Menschen bedeutet es nicht mehr als eine Variante von camp.“[21]

Anmerkungen

[1] Paula Diehl: Macht – Mythos – Utopie. Die Körperbilder der SS-Männer. Berlin 2005, S. 167.

[2] Ebd., S. 166.

[3] Ebd.

[4] Siegfried Kracauer: Das Ornament der Masse. In: Ders.: Das Ornament der Masse.
Essays. Frankfurt am Main 1977, S. 50-63.

[5] Inge Baxmann: Ästhetisierung des Raumes und nationale Physis. Zur Kontinuität politischer Ästhetik. Vom frühen 20. Jahrhundert zum Nationalsozialismus. In: Karlheinz Barck, Richard Faber (Hrsg.): Ästhetik des Politischen – Politik des Ästhetischen. Würzburg 1999, S. 79-95, hier S. 79.

[6] Vgl. Elena Pavlova: KörperBilder – BildKörper. Annäherungen an Elfride Jelineks Theater unter besonderer Berücksichtigung seiner kritischen Dekonstruktion des faschistischen Körper-Diskurses. Saarbrücken 2007, S. 163.

[7] Elias Canetti: Masse und Macht. Frankfurt am Main 1996, S. 34.

[8] Ebd., S. 31.

[9] Susan Sontag, Faszinierender Faschismus. In: Dies.: Im Zeichen des Saturn. Essays. Frankfurt am Main 2003, S. 97-126, hier S. 113.

[10] Diehl, S. 93.

[11] Zur Anpassung des Körpers durch SS-Uniformen: Siehe Ebd., S. 173ff.

[12] Jennifer Craik: Uniformes Exposed. The Proliferation of Uniforms in Popular Culture as Markers of Change and Identity. In: Gabriele Mentges, Dagmar Neuland-Kitzerow, Birgit Richard (Hrsg.): Uniformierungen in Bewegung. Vestimentäre Praktiken zwischen Vereinheitlichung, Kostümierung und Maskerade. Münster 2007, S. 37-55, hier S. 46.

[13] Diehl, S. 196-197.

[14] Vgl. Kaus Theweleit: Klaus Theweleit: Männerphantasien, Band 2. Männerkörper. Zur Psychoanalyse des weißen Terrors. München 1995, S. 206ff.

[15] Adrian Schmidtke: Körper-Formationen. Fotoanalysen zur Formierung und Disziplinierung des Körpers in der Erziehung des Nationalsozialismus. Münster 2007, S. 18.

[16] Vgl. Sontag, S. 114.

[17] Siehe Harald Peters: Wie Lady Gaga bei Leni Riefenstahl kopiert. In: Welt.de,11.06.2010, http://www.welt.de/kultur/article7993238/Wie-Lady-Gaga-bei-Leni-Riefenstahl-kopiert.html (zuletzt aufgerufen am 14.05.2017).

[18] Marjorie Garber: Vested Interests. Cross-Dressing and Cultural Anxiety. New York 1992, S. 55-56.

[19] Sontag, S. 123.

[20] Vgl. Saul Friedländer: Kitsch und Tod. Der Widerschein des Nazismus. Frankfurt am Main 2007, S. 26 und 32/33.

[20] Sontag, S. 119.

 

Veröffentlichung des Auszugs aus dem Buch von Jelena Jazo, Postnazismus und Populärkultur, mit freundlicher Genehmigung des  Transcript Verlags.