Contouring
Die sozialen Medien leben wesentlich von der Zurschaustellung intimer Momente, die früher als exhibitionistisch gegolten hätte oder der man mit Scham begegnet wäre. Nun aber ist sie durch die Entstehung eigener Internet-Formate zu einer Selbstverständlichkeit geworden. So auch die Demonstration des Schminkens. Gepudert wird nicht mehr heimlich hinter verschlossener Badtür, sondern vor laufender Kamera.
„Had a little fun this morning and turned my face into a tribal mask lol! […] just wanted to share this creative side“, kommentiert die Instagram-Nutzerin @belladelune ein Video auf ihrem Account, das zunächst ihr Gesicht unter einer Bemalung zeigt, welche anschließend mit einem kleinen pinkfarbenen Schwamm so verwischt wird, dass ein makellos glattes Hautbild entsteht. @belladelune ist Make-up-Artist und zitiert mit ihrem Make-up-Auftrag eine Schminktechnik, die sich in den letzten Jahren und vor allem auf YouTube und Instagram immer größer werdender Beliebtheit erfreut: Contouring.
Beim Contouring wird sowohl konturiert, wie der Name schon sagt, als auch „gehighlighted“. Ziel dieser Technik ist eine optische Modellierung – oft eine Korrektur – des Gesichts durch Schatten- und Licht-Setzungen. In zahlreichen YouTube-Tutorials kann man lernen, wie das funktioniert. Und zwar so, „dass es nicht zu extrem aussieht.“ Schicht für Schicht wird das Make-up aufgetragen, erst die Creme-Produkte, dann die Puderprodukte. Der Zuschauer lernt, welche Stellen bei welcher Gesichtsform abgedunkelt und damit in den Hintergrund gerückt und welche aufgehellt und damit hervorgehoben werden sollen.
Bei fast allen Gesichtern wird ein Dreieck unter den Augen sowie Nasenrücken und wahlweise auch punktuell Stirn und Kinn hell gemalt. Dunkel werden hingegen Wangenknochen, die äußeren Stirnpartien und die abschließende Gesichtslinie entlang dem Kinn. Nachdem man Lichter gesetzt und Schatten in das Gesicht „hineingezeichnet“ hat, wird die aufgetragene Farbe mit dem sogenannten „Präzisionsei“ – einem pinkfarbenen Schwamm – „verblendet“. Manche beenden die Prozedur sogar mit einer Art Firnis, den sie sich auf das Gesicht sprühen. In den YouTube-Videos sieht man sie mit Farbpalette und Pinsel, während sie ganz im Stil von Bob Ross die Tipps und Tricks des Pinselauftrags beim Malen und Zeichnen verraten. Dabei geht es immer auch um Könnerschaft: „Es ist nicht so einfach, wie es hier aussieht!“
Lange Zeit handelte es sich dabei um eine Schminktechnik, die Make-up-Artists an Stars und Fotomodellen anwendeten oder die etwa Drag Queens benutzten, um ihre Gesichtsform gezielt zu verändern. Denn sie dient vor allem der Fotogenität, eignet sich wegen der Menge und Dichte der Farben und ihres Auftrags hingegen nur bedingt für eine alltägliche Anwendung. Zu auffällig und unnatürlich wirkt es auf der Straße und unter Tageslicht – besonders, wenn man die Technik nicht perfekt beherrscht.
Im Wunsch, trotz hoher Mengen an Schminke natürlich auszusehen, drücken sich Ressentiments gegen dekorative Kosmetik aus, die eine lange Geschichte haben. Christian Janecke rekonstruiert im Vorwort zu seinem Sammelband „Gesichter auftragen“ die Schminkdiskurse der Vergangenheit: Sie alle münden in der Vorstellung, das Gesicht sei das zentrale Körperteil, wenn es um die Frage nach der Identität geht – wohingegen etwa Haare oder Kleidung lediglich Beiwerk zur Identitätsstiftung seien. Zudem gilt das Gesicht, so Janecke, als „naturgegeben kommunikationsfähige Oberfläche“ [1], die gerade im Alltag immer anwesend ist. Anders als die Kleidung den Körper, kann das Make-up das Gesicht nie gänzlich verstecken. In diesem Sinne ist das Gesicht – von gröberen Masken zu besonderen Anlässen abgesehen – ein „unverkennbarer ‚Bildträger’“[2].
Der Blick in die Geschichte des Make-ups zeigt zudem, dass es dann toleriert und sogar lobgepriesen wird, wenn es dem Anzeigen einer gesellschaftlichen Rolle – nicht der privaten Person, sondern einer öffentlichen „persona“ – dient. Dies galt etwa für Angehörige der höfischen Gesellschaft vom mittleren 17. bis ins späte 18. Jahrhundert. Im Zuge der Empfindsamkeit erwuchs jedoch bereits Widerstand gegen das Künstliche und somit gegen das Schminken. Die Haut wurde nun zum Anzeiger dessen, wie es im Inneren aussieht, und im Schminken erkannte man die Motivation zur bewussten Täuschung bis hin zur „Selbstverleugnung“ [3]. Janecke macht auch die These stark, dass das aufkommende Bürgertum die Schminktechniken des Adels nachahmte, um selbst als höher gestellt in Erscheinung zu treten. Wohingegen sich wiederum der Adel mittels einer neuen Natürlichkeit – diesmal allerdings mit Make-up hergestellt – abgrenzen musste.
Diese Nutzbarmachung des Make-ups, um Natürlichkeit herzustellen, das Auftragen von dem „Bild des Gesichts auf da[s] Gesicht […], das sich als Bild tendenziell verleugnet“[4], ist bis heute verinnerlicht. Das drückt sich nirgends so einschlägig aus wie im Contouring – werden dort doch besonders umfangreiche Mengen verwendet, um eine möglichst natürlich und makellos wirkende Haut zu erzeugen.
Während der Schminkprozess lange Zeit im Verborgenen stattfand, ist er heute und in zahlreichen Tutorial-Videos auf YouTube oder in Making-of-Bildern auf Instagram sichtbar wie nie zuvor – vor allem aber ästhetisiert wie nie zuvor. Hierfür spielt Contouring deshalb eine wichtige Rolle, weil das Auftragen des Make-ups, bevor es „verblendet“ wird, sehr masken- und damit bildhaft ist. Die Idee, dieses Bild umzugestalten, liegt daher nahe. Zumal die Follower eines Instagram-Accounts wie dem von @belladelune unterhalten werden möchten.
Nachdem @belladelune das Video ihrer kreativen Contouring-Bemalung auf Instagram gestellt hat, über zwei Jahre ist das jetzt her, kam es zu gespaltenen, in jedem Fall aber heftigen Reaktionen. Von anerkennenden „fucking art my friend xD“-Bemerkungen über „WHAT THE HELLLLL!!!!!!“ und „omg this is so much make up“ bis hin zu „let me do this and I will look like a true clown!“
Besonders die letzte Bemerkung fand großen Anklang in der Community. Als Reaktion auf die zahlreichen negativen Kommentare veröffentlicht @belladelune im Juni 2015 auf ihrem YouTube-Channel das Video „Clown Color Correct Highlight & Contour“. Aber: „This wasn’t meant for a tutorial.“ Vielmehr möchte sie mit ihrem Video eine Message senden: Du brauchst weder dieses Make-Up, noch irgendein anderes Make-up, um Dich schön zu fühlen. „Make up is fun and a way to expressing yourself!“ Nicht zufällig nutzt sie für dieses Statement die Figur des Clowns, mit der sie so oft verglichen wurde.
Unter dem Hashtag #clowncontouring beginnt sich das Motiv zu verselbstständigen, wird zu einem Mem. Zugleich entsteht eine „Challenge“: immer aufwendigere und verrücktere Contouring-Bemalungen werden zu noch makelloser und natürlicher wirkender Haut umgewandelt. Nicht selten werden der maskenähnliche Make-up-Auftrag mit Themen oder Statements verbunden. Manche schminken sich als Katze, zu Halloween wird eine Art Skelett aufgetragen. @makeupby_alo, eine erfolgreiche Instagram-Visagistin, schreibt sich Spott-Begriffe auf ihr Gesicht, um sie anschließend verschwinden zu lassen: „blend away all those nasty words anyone has ever said about you!“
Als Zuschauer betrachtet man fasziniert den Moment, wenn die aufwendigen Bemalungen oder Statements „verblendet“ werden und plötzlich ein gesunder und vor allem makelloser Teint in Erscheinung tritt. Die Metamorphose wird von den Zuschauern im Kommentarbereich of als „magisch“ beschrieben. Um den Kontrast zu verdeutlichen, laden die Instagrammerinnen Vorher-Nachher-Bilder hoch. Doch im Video tritt der Akt der Metamorphose eines Bildes in das andere, des künstlichen in das dem eigenen Gesicht ähnliche, besser zutage. Ist das Gesicht zunächst eine Leinwand, auf der man sich möglichst künstlerisch austobt, wird dieses Bild zur Quelle eines neuen Bildes, dem Bild des eigenen Gesichts.
Während das Contouring für viele Frauen noch immer Mittel zum Zweck bleibt – eine Schminkmethode, um sich im Instagram-Alltag ins rechte Licht zu rücken, denn Hauptsache „it looks amazing on photos!“ –, ist der Contouring-Auftrag unter Make-up-Artists und professionellen Instagrammerinnen und YouTuberinnen zu einem eigenen Bildgenre geworden. Wo sich die Vorstellungen, im Gesicht drücke sich die „nackte“ Identität aus, die durch Make-up verleugnet wird, für sehr lange Zeit hartnäckig in die Geschichte des Schminkens eingeschrieben hat, wird es in den Contouring-Bemalungen wie der Körper durch die Mode verkleidet und mit starken Statements versehen. Dass diese sich letztlich wieder in das Bild des eigenen Gesichts verwandeln, kann insofern als Kommentar zur negativen Kodierung des geschminkten Gesichts verstanden werden.
Zugleich drückt sich in der Expressivität der Contouring-Bemalung wiederum der Anspruch auf Authentizität aus. Nicht zuletzt deshalb, weil sie so vergänglich ist und daher lediglich als Geste interpretiert werden kann. Das nach dem Verblenden entstandene, dem tatsächlichen Gesicht ähnliche Bild kann vor diesem Hintergrund als eines mit Anspruch auf Ewigkeit gedeutet werden. Nicht nur, weil es dazu dient, fotogen zu sein, sprich medial vermittelt zu werden, sondern vor allem weil damit die Annäherung an ein Idealbild einhergeht. Ein Ideal zeichnet sich dadurch aus, anhaltend wirksam zu sein.
Somit wird ein Spannungsfeld zwischen „künstlich“ und „natürlich“ aufgemacht. Je nachdem aus welcher Perspektive – der optischen oder der gestischen – man auf das Schminken und die beiden Bilder schaut, eröffnet sich eine andere Interpretation. Die Frage selbst wird so in gewisser Weise ad absurdum geführt. Damit ist man wieder beim Clown angelangt, der bunter Spaßmacher und tragische Figur – artifiziell und „authentisch“ – zugleich ist.
Anmerkungen
[1] Christian Janecke (Hrsg.): Gesichter auftragen. Argumente zum Schminken. Jonas Verlag: 2006. S. 8.
[2] Ebd. S. 9.
[3] Ebd. S. 18.
[4] Ebd. S. 19.