Der Glanz des Kokains – Von »Miami Vice« zu »Narcos«
von Maren Lickhardt
29.1.2017

Anekdoten, Videos, Serien, Filme

Den Glamour der zauberhaften Kate Moss kann nichts trüben. Na gut, Burberry war etwas verschnupft, aber wer oder was ist schon Burberry. Ein Geschäft auf der Londoner Regent Street kann ja schließlich jeder haben.

Nun steht Kokain ohnehin für Glamour, und diese Codierung beruht darauf, dass bereits frühere Konsumenten der Droge für ein glamouröses Leben standen. „Schauspieler, Musiker, Politiker“, „Prostituierte, Manager, Zahnärzte“, so ein Lied von Extrabreit aus den frühen 80er Jahren, werden mit Kokain in Verbindung gebracht. Sieht man einmal von Zahnärzten ab, deren Nennung andere Gründe hat und deren Tätigkeit nicht gerade als mythenumwoben und wirklichkeitsenthoben bezeichnet werden kann, geht der Status der Konsumierenden im öffentlichen Diskurs mit der Droge eine wechselseitige – und bei der Nennung von Musikern reflexive – Verbindung ein.

Was die Wirkung betrifft – und das ist der eher langweilige Aspekt –, wissen wir ja, dass Rauschgiften aller Art ein Zusammenhang und auch eine Homologie zur künstlerischen Produktion nachgesagt wird, so Walter Benjamin, um nur ein Beispiel aus unzähligen zu nennen, Über Haschisch.

Vieles an Kokain birgt aber auch unabhängig davon das große Potential, als reflexive Metapher für künstlerische Prozesse zu fungieren. Von Destillationsprozessen über den Spiegel bis zu Erhabenheit oder Flow ist alles enthalten. Vielleicht ist Kokain auch daher so oft Gegenstand künstlerischer Verhandlungen, wenngleich ich kein Beispiel für eine bewusste Verwendung in dieser Hinsicht kenne.

Man muss sagen, dass Kokain allein auf der allegorischen Ebene zu den 80ern passt – Oberfläche Coolness… –, selbst wenn man den schlichten lebensweltlichen Nexus außer Acht lässt, dass der Konsum in dieser Zeit vor allem in den USA deshalb stark anstieg, weil der Preis durch höhere Verfügbarkeit drastisch gesunken war. Die kokainexportierenden Staaten waren zu dieser Zeit recht erfolgreich, wenn es um kreative Lösungen ging, wie man Einfuhrverbote umgehen konnte.[1]

Miami Vice

Darauf basiert die Kult-Serie Miami Vice. Der Plot ist ein düsterer und das Geschäft ein dreckiges. Film noir-Elemente untermauern den Pessimismus der Serie,[2] dass bei allem Engagement der Miami Vice Police Squad gegen die Drahtzieher nicht zu gewinnen ist. Schon der Auftakt ist mit Verlusten verbunden, finden Sonny Crockett und Rico Tubbs doch nur zusammen, weil ihr Partner bzw. Bruder ermordet worden war. Zudem ist ein glückliches Privatleben der Helden nicht in Sicht, weil sie sich in einem endlosen Sisyphos-Kampf – mit hin und wieder mal einem Pyrrhus-Sieg – der Drogenbekämpfung widmen.[3] Gut und Böse sind ganz klassisch relativ stabil verteilt. Das ist es aber nicht, was Zusehenden in Erinnerung geblieben ist. Stattdessen:

Ein rasanter Stil, dem zu Recht Ähnlichkeit mit Musikvideoclips nachgesagt wird,[4] schnelle Schnitte und grelle Farben sind das Markenzeichen von Miami Vice. Die Inszenierung des Visuellen um seiner selbst willen als Oberfläche prägt die Serie wie keine andere in den 80er Jahren. In der ersten Folge rücken, noch bevor Sonny Crockett das erste Mal auftritt, nicht umsonst Champagnergläser ins Bild…

Die Oberfläche des Sonny Crockett wird von dem stets gebräunten und hin und wieder dreitagebärtigen Don Johnson gestellt, den wir oft mit nacktem Oberkörper, aber noch häufiger mit der Wayfarer-Ray Ban – allerdings nicht bei seinem allerersten Auftritt im folgenden Video – , der Oyster Day Date-Rolex, dem Armani-Anzug, Leder-Slippern und einem pastellfarbenen Shirt sehen und mit seiner Yacht oder auch seinem (Pseudo-)Ferrari in Verbindung bringen.

Nun gehöre ich ja nicht zu der Generation, die Miami Vice bei der ersten Ausstrahlung in Deutschland ab 1986 gesehen hat. Da Sonnys Ausstattung nicht gerade billig ist, kommt man bei einer späteren Erstrezeption sofort auf den Gedanken, es handele sich um einen ‚korrupten Bullen‘, wenn man ihn so anschaut. Dem ist aber nicht so, und wäre die Oberfläche nicht so besonders glänzend, könnte man sagen, dass integren Ermittlern gegen organisierte Kriminalität mit Sonny Crockett ein Denkmal gesetzt worden wäre. Aber der Glanz der Oberfläche überstrahlt dies.

Will Smith alias Mike Lowrey, einer der vielen Neuauflagen Sonny Crocketts, zeigt ebenfalls viel nackten Oberkörper und muss sich in Bad Boys für sein Erscheinen, z.B. seinen Anzug, und seinen Besitzstand, z.B. seinen Porsche, rechtfertigen. Hier wird die Frage reflexiv eingeholt, wie sich die Sonnyboy-Existenz mit dem Alltag als seriöser Polizist vereinbaren lässt. Der Film ist für seine Zeit einigermaßen brutal. Nicht nur die wunderschöne Prostituierte Maxine Logan, für die Mike Gefühle hegt, wird kaltblütig erschossen. Hier gibt es zwar schon den Typus des korrupten Polizisten, aber insgesamt haben wir es mit heldenhaften Verbrechensbekämpfern und eiskalten Killern zu tun. Drogen machen unter diesem Gesichtspunkt keinen Spaß, aber das ist eigentlich egal, weil im Wesentlichen die Erscheinung der Oberkörperfläche hängen bleibt.

Würden Sonny Crockett und Mike Lowrey nicht – auf ihre Art – so unfassbar gut aussehen und gäbe es keine schönen Frauen, atemberaubende Autos, Art-Deco-Häuser- oder Palmen-Kulissen, gute Einstellungen und coole Musik, wären die Serie und der Film längst vergessen. An Polizisten, die brav gegen organisierte Drogenkriminalität kämpfen, würde sich niemand erinnern. Und es wäre auch wirklich schwierig, unter ästhetischen Gesichtspunkten eine Lanze für letztere zu brechen. Wenn aber Ästhetik ins Spiel kommt, wie bei den genannten Jungs, dann bleibt sie um ihrer selbst willen bestehen. Die Moral von der Geschichte ist einfach nicht so sexy.

 ‚Pablo Escobar‘

Wenig ästhetisch war allerdings auch Pablo Escobar, um nun die andere Seite der Handelsbeziehungen in den Blick zu nehmen. Man beachte bei folgendem Video der Dokumentation The Death of Pablo Escobar bei 01:19:06 den schwammigen nackten Bauch des Toten; von Oberkörper kann hier gar keine Rede sein.

Aber bevor auf diese Dokumentation zurück zu kommen ist, sei die enorme Mythisierung Escobars im Volksmund und den Medien betont. Neben dem Robin-Hood-Narrativ, dass Escobar schließlich Kirchen, Sportplätze und Wohnhäuser gebaut habe[5] – das Lob des Bauens trifft allerdings bisweilen noch weitaus schlimmere Verbrecher und Massenmörder –, sind es vor allem unfassbare Superlative, die sich um ihn ranken. Die Superlative allein sind allerdings zunächst einmal auch nicht ästhetisch, und zwar deshalb, weil Escobars Reichtum aisthetisch überhaupt nicht fassbar ist.

Von dem Mann mit dem schmuddeligen T-Shirt und dem ungepflegten Bart wird behauptet, er sei zu seiner Zeit der reichste Mann der Welt gewesen. Manche setzen ihn nur auf Rang sieben, aber so oder so hatte er mehr Geld als so manches Land. „Als das Forbes-Magazin 1989 die Liste der weltweit reichsten Menschen veröffentlichte, bekleidete Escobar den 7. Rang. Sein Vermögen wurde auf rund 30 Milliarden Dollar geschätzt. Angeblich verdiente Escobar zu Hochzeiten 1 Million Dollar — pro Stunde. Das World Financial Blog präsentierte ihn 2008 gar unter den 5 reichsten Kriminellen aller Zeiten auf Platz 1.“[6]

Bei einem derartigen Gewinn kann man sich den Umsatz nun wirklich gar nicht mehr vorstellen, ist Kokainhandel – das lernt man jedenfalls aus Kino und Fernsehen – doch auch mit einer teuren Infrastruktur und Logistik verbunden.

Wenn es um große Mengen Geld geht – das zeigen z.B. auch Inflationserzählungen der 20er Jahre –, ist das sinnliche Vorstellungsvermögen leicht überfordert. Zudem fällt einem wohl jederzeit ein, was man mit einem Betrag bis zu einer Million machen würde. Was man aber machen würde, wenn man ihn fast stündlich ausgeben könnte, bewegt sich klar im Bereich des Unvorstellbaren. Daher kursieren Verbildlichungen und Narrativierungen von Escobars Vermögen, die tatsächlich sehr einprägsam sind.

So soll er 2.500 Dollar im Monat für die Gummibänder ausgegeben haben, mit denen seine Geldrollen zusammen gehalten wurden. Oder er soll aus einem Haufen von Scheinen im Wert von zwei Millionen Dollar ein Feuer gemacht haben, um seine Tochter zu wärmen, weil nichts Anderes als Brennmaterial zur Verfügung stand.[7]

Es dürfte sich von selbst verstehen, dass es im vorliegenden Kontext um keinerlei Wertungen geht, und erst recht nicht um die Frage nach der Wahrheit. Wesentlich ist, welche Mythen, Narrative und Ikonen kursieren, welche ästhetischen Verhandlungen man beobachten kann bei einem Thema, das üblicherweise moralisch aufgeladen ist oder pädagogisch verhandelt wird.

Moralische Narrative und pädagogische Warnungen konkurrieren in Film, Fernsehen und Fotografie mit ästhetischen Inszenierungen, und sieht man einmal von der Verhandlung des Kokains selbst ab, stellt sich die Frage, was faszinierender ist: von Gummibändern im Wert von 2.500 Dollar zu berichten oder von ca. 150 angeordneten Auftragsmorden und natürlich sehr sehr vielen Massakern mehr.

Ein recht eindeutiges moralisches Urteil dürfte leicht fallen, aber unabhängig davon kommt man nicht umhin, 2.500 Gummibänder im genannten Kontext sinnlich stimulierend zu finden, ob man es nun glaubt oder nicht. Es sind die erzählerischen und bildlichen Stilisierungen, die Escobar am Leben erhalten. Wie dumm-grausam, narzisstisch-gefährlich Escobar war, wird allenfalls eindrücklich bildhaft in der Geschichte mit dem Pferd, die ich hier gar nicht widergeben mag.

Kommen wir zu einem anderen Geldhaufen und einer anderen Droge. – Wir betreten außerdem die Welt der Fiktion, aber gefühlt hatte man es mit dieser ohnehin auch schon einige Absätze zuvor zu tun. –  Gegen Ende seiner Karriere hat Walter White in Breaking Bad so viel Geld mit Crystal Meth verdient, dass seine Frau Skyler es nicht mehr waschen kann. Sie mietet eine Garage, wo sie es stapelt, und zeigt dies ihrem Mann mit der Frage, wie viel denn endlich genug sei, wann das illegale Geschäft endlich eingestellt werde.

Nun hat Skyler nicht bedacht, dass man nicht so einfach aufhören kann und dass sich die Dinge im Drogengeschäft ebenso kompliziert verwickeln wie in jedem anderen Unternehmen, nur dass auch noch jederzeit mit tödlicher Gewalt von allen Seiten gerechnet werden muss. Aber der Appell zielt auf das Sinnliche. Walter kann besser rechnen als jeder andere, in Sekunden überschlagen, wie viel Geld nötig ist, damit seine Kinder sorgenfrei leben können. Da Skyler das weiß, richtet sie ihre Hoffnung darauf, dass der Anblick eines Berges aus gebündelten Scheinen die Gier stillen kann. So viel zur Aisthetik des Drogen-Geldes.

In der Serie werden aber darüber hinaus mit der Kontrastierung von Walter White und Hank Schrader zwei ambivalente Figuren einander gegenüber gestellt, die sich im Verlauf der Staffeln vereindeutigen. So sehr man auch mit Walter mitfiebert und geneigt ist, sein Breaking Bad als notwendige männliche Selbstfindung zu billigen in einem Szenario, das auf der legalen Seite liberalistisch-kapitalistisches Ausbooten und ein schlechtes Krankenversicherungssystem zu bieten hatte, und so sehr man Jesse Pinkman als Kriminellen mit Mitgefühl und Moral betrachtet in einem Szenario, das auf der bürgerlichen Seite mit Leistungsdruck und mangelnder Anerkennung aufwartet, kam man gegen Ende doch nicht umhin, den grobschlächtigen Hank Schrader als glorreichen Helden zu sehen, der mit einem Bekenntnis zur DEA auf den Lippen stirbt. Im Wettbewerb um größtmögliche Männlichkeit ist Hank der Gewinner, auch ohne nackten Oberkörper.

Der Glam und die Ästhetik sind beim Showdown in der Wüste ganz auf Hanks Seite. Aber die Serie geht auch ohne Hank weiter. Selbiger hatte seinem Neffen zuvor ein Buch über die Agenten geschenkt, die Pablo Escobar verfolgt und getötet haben. Seinen Onkel zitierend hatte Walter Jr. bemerkt:  „Good guys never get ink like the bad guys do.“

Und darauf wollte ich ja die ganze Zeit hinaus. Die Namen der Agenten, die Escobar zur Strecke gebracht haben, dürften Interessierten bekannt sein, sind aber kaum wirklich geläufig, geschweige denn, dass man sonst noch irgendetwas über sie wüsste. Der reale, gleichwohl entrealisierte Escobar, Sonny Crockett und Mike Lowrey sind Pop. Die Agenten sind nicht nur nicht populär in dem Sinn, dass sie nicht so vielen bekannt sind, sondern sie sind nicht Teil pop-kultureller Formgebungspraktiken. Keine Gummibänder, kein schicker Style.

Um nun darauf zu sprechen zu kommen, wie Escobar ein Ende gefunden hat: Ein echter Volksheld wird nicht einfach niedergestreckt, sondern erschießt sich im richtigen Moment selbst. Im Zweifelsfall wirkt Suizid immer noch glanzvoller, als manch anderer Tod. Die Familie von Escobar hält jedenfalls an der Version fest, der Vater habe sich selbst eine Kugel in den Kopf gejagt.[8] Das viel zitierte Schlagwort lautet: ‚Lieber ein Grab in Kolumbien als eine Gefängniszelle in den Vereinigten Staaten.‘

Die besagte Dokumentation, und jetzt wird auch endlich mal die Demontage Escobars sexy, referiert zunächst die offizielle Version, Escobar sei auf der Flucht aus der Ferne von einem kolumbianischen Einsatzkommando erschossen worden, um dann aber sogleich andere Varianten anzubieten.

Abenteuerlich ist die, dass Scharfschützen der Delta Force Escobar zur Strecke gebracht haben. Jenseits der offiziellen Verlautbarung, die anders auch nicht lauten kann, will man die Rechtsstaatlichkeit der kolumbianischen Einheiten nicht in Frage stellen, kursiert außerdem das Gerücht, er sei von einem Mitglied des Einsatzkommandos mit einem Kopfschuss niedergestreckt worden, nachdem er verletzt und umzingelt von Agenten auf dem Flachdach eines Hauses – wie ein Wal – gestandet war. Die Dokumentation stellt all diese Möglichkeiten in Aussicht.

Verschwörungstheorien sind sexy. Wo es dunkel wird, kann man nicht von Glamour, und wo es unbestimmt bleibt, nicht von Ästhetik sprechen, aber mit der Restunklarheit bezüglich der Todesumstände erhält Escobar einen letzten Mythos, der allerdings nicht auf seiner Seite ist, sondern reizvolle Andeutungen anbietet, die die Jagd auf Escobar spannender erscheinen lässt als sein Leben. Mit Escobars Tod werden auch seine Jäger pop-tauglich.

Narcos

Die Netflix-Serie Narcos greift Escobars Geschichte noch einmal auf. Sucht man im Netz Bilder unter dem Titel der Serie finden sich unter den ersten Treffern ausschließlich Bilder des Schauspielers Wagner Moura als Pablo Escobar, und mitunter entsteht der Eindruck, dass an einer Mythisierung Escobars fortgeschrieben wird. Mit bemerkenswerter Schläue baut er ein Milliardenimperium auf, ist den Ermittler zunächst immer einen Schritt voraus, zeigt sich als liebevoller Familienvater und als Mann, der durchaus auch seine Prinzipien hat; und auch alle sonstigen bekannten Topoi werden untergebracht.

Es handelt sich bei der Serie um eine Mischung aus Faktualem und Fiktivem. Den Episoden wird folgender Hinweis vorangestellt: „This dramatization is inspired by true events. However, certain scenes, characters, names, businesses, incidents, locations and events have been fictionalized for dramatic purposes.“ Im vorliegenden Kontext spielt der ontische Status der Elemente keine Rolle, ist doch schließlich alles in der Serie im Fiktionalen aufgehoben und unterliegt einer künstlerischen Narrativierung und Ästhetisierung.

Aus dem Off wird das Geschehen von dem DEA-Agent Steve Murphy kommentiert. Damit kommt dem fiktionalisierten Pendant des gleichnamigen realen Agenten die Deutungshoheit zu. Eine ordnende Perspektive ist auch nötig, denn gleich in der ersten Szene wird deutlich, dass die Grenze zwischen Gut und Böse nicht scharf gezogen werden kann. Vor dem Hintergrund komplexer ökonomischer rund politischer Entwicklungen in Zuge eines Modernisierungsprozesses Kolumbiens,[9] bei der kommunistische und kapitalistische Positionen konkurrieren und internationale Interesse eine große Rolle spielen, müssen sich auch die Agents mal die Hände schmutzig machen, während über die Drogenbarone gesagt wird: „Hin und wieder tun die Bösen auch mal etwas Gutes.“ (s01e01/0:08:05)

Dennoch bleibt der Böse ein Böser. Er wird als solcher ausgewiesen, und gleichzeitig wird dem Bösen der Glam-Faktor entzogen, indem die spektakuläre Gewalt, für die Escobar verantwortlich war, mit dessen unspektakulärer Kleinbürgerlichkeit kontrastiert und parallelisiert wird. Von ruhigen bis heiteren musikalischen Klängen untermauert – Tango, Volkslieder – werden alltägliche Szenen eingespielt: Pablo duscht, seine Frau kocht für die Familie. In Parallel-Schnitten werden die von ihm angeordneten Morde eingearbeitet (z.B. s02e05/0:45:45). Es wird eindrücklich vorgeführt, was ein kleinbürgerliches Idyll mit Massenmord zu tun haben kann.

A propos Kleinbürgerlichkeit: Illegal erworbenes Geld macht eigentlich wenig Spaß, denn es muss mühsam gewaschen oder versteckt werden, darf – so lange man noch angreifbar ist – nicht durch Luxus sichtbar werden. So werden zu Beginn der Serie Geldscheine ins Sofa der Mutter eingenäht; später muss man dazu übergehen, Millionenbeträge zu vergraben, weshalb auch Schatzkarten angefertigt werden müssen (s01e02).

Zwar steigt Escobars Lebensstandard in der Serie merklich, aber vorwiegend wird dargestellt, wie wenig er eigentlich konkret von seinem Reichtum hat. Er lebt zumeist von seiner Familie getrennt, muss sich in verschiedenen Unterkünften verstecken, und nicht nur er, sondern auch seine Familie ist permanent bedroht (s01e08/0:27:00).

Escobars Leben wird bisweilen so schäbig und aufreibend dargestellt, dass man seiner Geliebten beipflichten möchte, die klarstellt, dass sie dieses Lebens niemals an seiner Seite teilen wollen würde (s02e05). Und man möchte im Grunde nicht nur nicht an seiner Seite leben, sondern fragt sich auch, wie erstrebenswert es ist, Escobar selbst zu sein – ganz unabhängig von den besagten und beiseite geschobenen moralischen Fragen. Der Serie zufolge, würde es darauf hinauslaufen, dass man neben viel Ärger – es ist kein leicht verdientes Geld – eine anstrengende Mutter und eine langweilige Ehefrau hätte.

Aber natürlich hat Escobars Existenz ihren Reiz. Es zeigen sich interessante Parallelen zu Breaking Bad hinsichtlich der Deutung, warum und wozu dieses Leben gewählt wird. In beiden Serien wird konstruiert, wie sich bestimmte Zuschreibungen zu Männlichkeit mit diesem Lebensentwurf realisieren. Es geht um Macht und Anerkennung, um Souveränität und Vollstreckungsgewalt. In einem Alpha-Tier-Gerangel, in dem in Breaking Bad z.B. die Hierarchie der testosterongeschwängerten Glatzen-Männer ausgehandelt wird, geht es darum, sich an die Spitze zu setzen. Das bildet den Selbstzweck aller Handlungen.

Nun geht es aber nicht nur um die erste Position im eigenen Rudel, sondern auch um die Frage, welches Rudel, also welche Ordnung sich in einem bestimmten Territorium durchsetzt. Am Ende ist die Frage in Narcos ja nicht, wer der König aller Drogenbarone, sondern wer der Souverän des Landes ist. Setzt sich die Ordnung des Staates oder die Ordnung des Kartells auf einem bestimmten Gebiet durch.

Nebenbei bemerkt, baut Walter White in Breaking Bad ein Drogenimperium auf, das strukturell und funktionell tatsächlich ein Wirtschaftsunternehmen abbildet. Infrastruktur, Fixkosten, Reinvestition, ‚Bruchschaden‘… alles ist dabei. Und auf der legalen Seite werden in einem knallharten Verdrängungswettbewerb Chemieprodukte verkauft, die vielleicht mehr Tote zur Folge haben als Crystal Meth. Dort hat sich mit Elliott Schwartz ein Monchichi an die Spitze gesetzt, während auf der anderen Seite ganz andere Affenäquivalente gegeneinander antreten – und noch ein Rhesusäffchen namens Saul.

Am Ende, so suggeriert Narcos in einer Szene, geht es um die Anerkennung des Vaters: „Escobar: ‚Weißt du, dass ich einer der reichsten Männer der Welt war. […] Weißt du, dass mich der Präsident der USA kennt? […] Dass ich in den Kongress dieses Landes gewählt wurde. Dank meiner Taten ist dein Nachname in aller Welt bekannt. […] Sag mit, was du von mir hältst.‘ Vater: ‚Ich schäme mich für dich. Ich halte dich für einen Mörder.‘“ (s02e09/33:19ff.)

Aber ebenso wenig wie es im vorliegenden Kontext um Moral geht, soll psychologisiert werden, wenngleich das Eltern-Narrativ in der Serie recht plakativ und auch unterhaltsam aufgebaut wird. Escobar wird letztlich weniger als Vater-, denn als Muttersöhnchen ausgewiesen, an dem deutlich wird, was passiert, wenn eine Mutter ihren Sohn allzu sehr bestätigt. Man könnte glauben, die Mutter habe ihre Nase zu tief in die Produkte ihres Sohnes gesteckt, wenn man gegen der letzten Folge die Einblendung eines realen Interviews sieht, in dem die leidende Mutter behauptet, ihr Sohn hätte nur Gutes, nie Schlechtes getan und sei überhaupt der beste Sohn der Welt gewesen (s02e10).

Aber zurück zum Glam: Wir sehen den schwammigen Escobar in der Serie nicht nur einmal in Feinrippunterhemd und Jogginghose. Vor allem im Männerwohnheim des selbstgebauten Gefängnisses gilt dies als der Dress Code, während die Zeit vorwiegend mit Spielen, Trinken und Kiffen zugebracht wird (s01e10). Jede Eckkneipe bietet ein ästhetischeres Szenario.

Und einen glanzvollen Tod erhält Escobar in der Serie auch nicht. In der Szene, in der er angeschossen auf dem Flachdach liegt, setzt gegen Ende ein Monolog Murphys aus dem Off ein: „Die ganzen Jahre hatten wir ihn gejagt und auf einmal liegt der beschissene Pablo Escobar vor meinen Füßen. Die ganze Zeit hatte ich ihn mir vorgestellt. Was er wohl für ein Monster wäre. Hm. Aber die Sache ist die. Wenn man ihn mit eigenen Augen sieht, ist der Teufel eine echte Enttäuschung. Nur ein Mann, dessen Bart wächst, weil er sich nicht mehr rasiert. Fett und barfuß.“ (s02e10)

Die Demontage Escobars wird nicht der bildhaften Inszenierung allein überlassen, sondern überdeutlich in diesem Kommentar gesteigert. Während Murphy so aus dem Off spricht, liegt Escobar vor ihm. Eine Nebennebennebenfigur tritt nach vorne und verpasst Escobar ohne viel Aufhebens einen Kopfschuss. Es ertönt: „Lang lebe Kolumbien!“ Die eine archaisch verankerte Person musste sterben, damit ein moderner Staat leben kann – so jedenfalls die Hoffnung, die sich in der Realität nicht so ganz erfüllt hat.

Es werden reale Bilder eingeblendet von Menschen, die angesichts von Escobars Tod jubeln, um dem Volkshelden-Narrativ dramaturgisch etwas entgegen zu setzen, und dann kommt, wie bereits erwähnt, die verstrahlte Mutter zu Wort. Eine wirklich gute Abfolge.

Der reale Agent Steve Murphy war wirklich anwesend beim Tod von Pablo Escobar. Es gibt Bilder, wie er sich über die Leiche beugt.

Insgesamt erhält Steve Murphy nicht nur einen der letzten Sätze in der zweiten Staffel, sondern seine eigene Geschichte – die gleichwohl nicht exakt der Biographie entspricht –, wenn z.B. darauf eingegangen wird, dass seine Katze von Kartell-Leuten ermordet wird (s01e03).

Triumphal und auch glamourös ist in der Serie der letzte Auftritt des Präsidenten César Gaviria. Er stützt sich verhalten souverän auf die vergoldete, strahlende Balustrade einer prachtvollen Treppe, blickt über die Kamera unter ihm hinweg…

So verlockend es auch sein mag, Helden aufzubauen. Die Serie enthält sich dem, was bedeutet, dass die Guten zwar gute letzte Worte und Einstellungen erhalten, aber vor allem die Komplexität der kollektiven Anstrengung und der Einsatz von Kolumbianern bei der Erfassung Escobars in Szenen gesetzt werden. Bei aller Demontage Escobars gibt es kein richtig glanzvolles Gegennarrativ.

Mit einer kleinen Ausnahme: Mit Miami Vice kann die Besetzung Javier Peñas mithalten. Pedro Pascal – vormals Oberyn Martell in Game of Thrones – verkörpert den zweiten DEA-Agenten, der Escobar jahrelang unermüdlich gejagt hat. Peña, der beim Todesschuss nicht dabei war, erweist sich nicht nur als hartnäckiger Kämpfer für das Gute.

Seine amourösen Abenteuern mit allen möglichen Informantinnen, die ihn der Serie zufolge mit Escobar verschwägern, bringen es mit sich, dass nun auch Narcos einen nackten Oberkörper hat, der die Erwähnung als solcher wert ist und mit Sonny Crocketts und Mike Lowreys mithalten kann. Der Bildbeweis kann als Mangel an entsprechenden YouTube-Videos nicht angetreten werden – dafür sieht man in folgendem Video Murphys und Peñas Sonnenbrillen –, aber hier erhält der unermüdliche und durchaus knallharte Ermittler für das Gute mit einigen Grauschattierungen eine Ästhetisierung, die an ihm haften bleibt und sich nicht sofort als Oberfläche verselbstständigt. Die Ästhetik ist ausnahmsweise ganz und gar auf der Seite des Polizisten.

In einer Kultur, die massenmedial stark auf Personalisierung setzt, kann eigentlich nur eine einzelne herausragende Person Glamour haben. Studio 54 – und das führt nicht weit vom Kokain weg – mag da eine Ausnahme bilden, ist dann aber ja doch wieder mit einer glanzvollen Persönlichkeit wie Andy Warhol verbunden. Pablo Escobar als Mann der Superlative aufzubauen, entspricht dem, was wir von guten Geschichten erwarten. Was wären sie ohne strahlende Helden.

Es muss aber nachdenklich stimmen, dass nach dem Tod Escobars angeblich mehr Kokain in die USA exportiert wurde als je zuvor.[10] Ob das stimmt, kann nicht verifiziert werden, aber andere Kartelle hatten ja schon immer in den Startlöchern gestanden und sogar bei der Jagd auf Escobar mitgeholfen, und wenn es zuvor nicht Escobar gewesen wäre, dann ein anderer, der Kokain zu Geld gemacht hätte.

Strukturen und überpersönliche Bedingungsgefüge sind offensichtlich konkret viel wirkmächtiger als ein einzelner Mann, aber nur Escobar als einzelner Mann konnte zum Mythos werden. Die Kartelle, die ihm folgen, sind verwickelter und dezentraler, lassen sich nicht so gut ästhetisch fassen und mythisieren. Mal gespannt, was die angekündigte dritte Staffel von Narcos ohne Escobar macht.

Mirrens Kokain

Helen Mirren war dem Kokain eigenen Angaben zufolge einst zugeneigt. Sie hörte jedoch prompt mit dem Konsum auf, nachdem sie erfahren hatte, wen sie damit finanziert.[11] Sie hatte Berichte über Verwicklungen des NS-Verbrechers Klaus Barbie mit südamerikanischen Kokainkartellen gelesen. Damit trifft Helen Mirren eine moralische Entscheidung. Und obwohl sie Escobar nicht im Blick hat, ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass sie auch mal eine Line von Escobars Koks gezogen hat; in den USA stammten jedenfalls angeblich vier von fünf Lines aus Escobars Produktion.[12]

Es geht ja weder um Wertungen noch um Wahrheit. Interessant ist aber, welche Mythen, Narrative und Bildlichkeiten sich um Kokain ranken, die diese Substanz als so glanzvoll erscheinen lassen. Letztlich verdichten sich alle Inszenierungen so, dass sie tatsächlich Kokain selbst zu einem Topos der Pop-Kultur machen. Und bemerkenswerterweise kann man dies auch dann verfolgen, wenn man – bis auf das kleine Extrabreit-Zitat – vom Musikgeschäft völlig absieht.

Wer aber nie fehlen darf, wenn es um Glanz geht, ist Kate Moss. Helen Mirren und Kate Moss sind beide Pop. Nun steht aber Helens Mirrens Kokain-Narrativ gegen ein Bild der glamourösen Kate. Die eine ist also mehr Pop als die andere.

 

Anmerkungen

[1] Natürlich ist dies in juristischer Hinsicht völlig unkorrekt. Streng genommen und offiziell waren es ja nicht die Staaten, die die Substanz exportierten. Und was die Einfuhrbestimmungen betrifft, bin ich schlicht nicht im Bilde. Eine oberflächliche Recherche hat ergeben, dass die Tatsache, dass eine Substanz landläufig als illegal gilt, nicht bedeutet, dass selbige nicht eingeführt werden darf. Immerhin kann Kokain auch legal in einem Produktionsland erworben und zu medizinischen Zwecken weiterverarbeitet werden. Kokain ist laut BtMG grundsätzlich verkehrs- und auch verschreibungsfähig. Man zahlt in Deutschland in diesem Zusammenhang auf Kokain auch ganz normal Einfuhrsteuern, und man zahlt sie auch dann, wenn es illegal eingeführt wurde, zusätzlich zu allen anderen Strafen. Juristen können mich aber an der Stelle gerne eines Besseren belehren.

[2] Sanders, Steven: Miami Vice. Detroit 2010, S. 68-84.

[3] King, Benjamin Scott: Sonny’s virtues. The gender negotiations of Miami Vice. The gender negotiations of Miami Vice. In: Screen 31 (1990), Nr. 3, S. 287-289.

[4] Ruchatz, Jens: Sisyphos sieht fern oder Was waren Episodenserien. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft 7 (2012), S. 87.

[5] http://www.fr-online.de/panorama/20–todestag-von-pablo-escobar-der-mythos-vom-guten-drogenbaron,1472782,25485600.html

[6] https://www.vermoegenmagazin.de/vermoegen-von-pablo-escobar/

[7] http://www.businessinsider.de/diese-7-beispiele-zeigen-wie-absurd-reich-pablo-escobar-tatsaechlich-war-2016-2 [Link mittlerweile erloschen]

[8] https://www.neues-deutschland.de/artikel/457022.familie-escobar-beging-selbstmord.html

[9] Im Grunde ist der vorherige Verweis auf Inflationserzählungen nicht so kontingent. Tatsächlich gibt es viele Parallelen zwischen diesem Kapitel der Geschichte Kolumbiens und der europäischen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die gesamte Gemengelage ist einmal rüber geschwappt, hat aber im kolumbianischen Kontext im Detail andere Konsequenzen oder konkrete andere Ausformungen als in Europa.

[10] http://www.businessinsider.de/diese-7-beispiele-zeigen-wie-absurd-reich-pablo-escobar-tatsaechlich-war-2016-2

[11] http://www.telegraph.co.uk/news/celebritynews/2656943/The-Queen-actress-Dame-Helen-Mirren-reveals-former-love-of-cocaine.html

[12] http://www.businessinsider.de/diese-7-beispiele-zeigen-wie-absurd-reich-pablo-escobar-tatsaechlich-war-2016-2

 

Maren Lickhardt ist Assistenzprofessorin am Institut für Germanistik an der Universität Innsbruck.