Mode Mai
von Marie Helbing
17.5.2016

Chanel-Schauen

Anfang Mai hat Chanel mit seiner Cruise Collection auf Kuba für Schlagzeilen gesorgt – als das erste Modehaus mit einer Präsentation auf der sich dem Kapitalismus öffnenden Insel. 600 Gäste und Journalisten wurden eingeflogen, Models liefen die 160 Meter lange Promenade Paseo del Prado im kommunistischen Havanna entlang, das Finale eine ausgelassene Straßenparty mit kubanischer Musik, auch Karl Lagerfeld tanzte.

Der enorme Gegensatz von Luxus und Eleganz des Hauses Chanels und dem ärmlichen Alltag der kubanischen Bevölkerung brachte dem französischen Modekonzern einige Kritik ein. Die durchaus in das Ambiente von zerfallenen Kolonialbauten passende Mode rückte deshalb in den Hintergrund. Dennoch kann Karl Lagerfeld, seit 1984 Chefdesigner bei Chanel, die Schau als Erfolg verbuchen – wie viele andere seiner aufwendigen Inszenierungen für die jeweils neue Saison erfuhr auch sie große Publizität und wird für längere Zeit im Gedächtnis bleiben.

Lagerfelds Ideen verwirklicht der Bühnenbildner Stefan Lubrina seit nunmehr 20 Jahren. Jährlich gestaltet er das Bühnenbild für sechs Modenschauen, darunter Haute Couture und Pret-á-Porter. Während die Cruise-Kollektionen (die Mode zwischen den beiden Hauptsaisons Sommer und Winter) an immer wechselnden Orten wie beispielsweise Salzburg, Seoul und Dubai stattfinden, zeigt Chanel seit 2006 seine Haute-Couture und Pret-á-Porter Mode im Grand Palais Paris. Mit aufwendigem Dekor wie Origamikunst-Kulissen, der Nachbildung des Gartens von Versailles inklusive Wasserfontänen, erblühenden Papierblumen oder Eislandschaften entführt Chanel seine Zuschauer regelmäßig in Traumwelten.

Mit den Couture-Schauen erzielt Chanel häufig das größte Medienecho. Haute Couture, die ‚hohe Schneiderkunst‘, ist in Frankreich ein geschützter Begriff; um den Titel führen zu dürfen, muss eine Reihe von Bedingungen jährlich neu erfüllt werden. Der Hauptsitz des Unternehmens mitsamt einem Maß-Atelier, in dem mindestens 15 Vollzeitangestellte arbeiten, muss sich in Paris befinden. Bei den saisonalen Präsentationen, die das Chambre Syndicale de la Haute Couture organisiert, müssen zudem mindestens 35 verschiedene von Hand gearbeitete Modelle für Tages- und Abendkleidung gezeigt werden.

Die letzte Haute-Couture-Schau Chanels fand in der Kulisse eines japanisch anmutenden Gartens statt. Das Zentrum des Geschehens bildete ein von Wasser umringter schlichter Holzbau inmitten einer Grünanlage, die vom Publikum gerahmt wurde. Mit Beginn der Schau öffnete sich ein Fenster des Gebäudes, nacheinander schritten die Models eine kleine Treppe hinunter in den Garten und folgten dem aus weißen Steinen gelegten Laufsteg. Den Höhepunkt der Schau bildete der Schluss, zu dem sich auf allen drei Ebenen des Holzhauses die Fenster öffneten. Anstelle eines Defilees, wo noch einmal alle Kleider der Schau durch die Models präsentiert werden, entstand durch die in den Fenstern stehenden Mannequins ein Standbild, das wie ein überdimensionales Puppenhaus anmutet.

 

Nachhaltigkeit, das Thema der Schau, sollte sich in den verwendeten Materialien der aufwendig gearbeiteten Kleider zeigen, die aus Leinen oder Bast bestehen, und in den Schuhen, deren Sohlen aus Kork gearbeitet sind. Weiterhin waren die Modelle mit Naturmotiven wie Bienen, Schmetterlingen und Blüten verziert.

 

Es bleibt jedoch zu fragen, wie konsequent die inhaltliche Umsetzung der Schau ausfällt, wenn zur Verzierung der Modelle tierische Materialien wie Federn eingesetzt werden. Dass auch ‚vegane‘ Mode funktionieren kann, zeigt regelmäßig Stella McCartney, die konsequent auf den Einsatz von Leder und Pelz verzichtet.

Im Sinne des Themas der Schau finden zumindest die Kulissen auch nach der einmaligen Vorführung eine weitere Verwendung. Die Schau ist somit Karl Lagerfelds idealisierte Vorstellung, wie zukünftig ein nachhaltiges Leben im Einklang mit der Natur aussehen kann, vorausgesetzt man verfügt über das nötige Geld.

Im Gegensatz zur Haute Couture, bei der sich die individuell maßgeschneiderten Modelle durch die Verwendung luxuriöser Materialien auszeichnen,  ist Pret-á-Porter die Mode von der Stange. Sie wird in Standardgrößen gefertigt, es gibt keine Unikate. Jedoch kann Pret-á-Porter-Mode, wie im Falle von Chanel, auch in streng limitierter Stückzahl und nur eine bestimmte Zeit lang produziert und somit kostspielig werden.

Auch die Modelle der Pret-á-Porter-Linie erfahren eine saisonale Inszenierung. Zu Beginn der Schau der Frühjahrs-/Sommerkollektion 2015 ertönten zunächst Töne eines Marsches, der dann unmittelbar in „I’m not scared“ von den Pet Shop Boys überging. Passend zur Musik liefen die Models einzeln oder in kleinen Gruppen dynamisch den nach französischem Vorbild nachgebauten ‚Boulevard Chanel‘ entlang. Bevor die Models jedoch die imitierten Barrikaden ‚stürmen‘ konnten, die als Absperrung für die zahlreichen Fotografen fungierten, entschwanden die Models links und rechts zwischen den Häuserfassaden, nur um kurz darauf mit dem Defilee, das als Protestzug mit Protestplakaten und Ausrufen der Models inszeniert wird, die Modenschau zu beschließen.

 

Die Schau zitiert einerseits die ausgeprägte Protestkultur Frankreichs, zum anderen greift sie die wieder erstarkte Debatte um die Gleichberechtigung der Frau auf, die hier von jungen, scheinbar demonstrierenden Models für ein selbstbestimmtes Leben geführt wird. Die Kleider in Violett, das sich aus dem ‚männlichen‘ Blau und dem ‚weiblichen‘ Rosa ergibt, sind bewusst gewählt. Violett wurde zur Symbolfarbe der ersten Frauenbewegung um die Jahrhundertwende sowie der Feministinnen in den 1970er Jahren, weil die Farbe für die Gleichheit von Frauen und Männern steht.

Die gezeigte gradlinige Mode ist gedacht für die moderne und unabhängige Frau, wie sie Coco Chanel selbst verkörperte. Die Hommage an die Gründerin des Labels Chanel, die sich zwar selbst nie als Feministin bezeichnete, jedoch stets auf ihre Unabhängigkeit bedacht war, ist unübersehbar. Auch wenn Karl Lagerfeld von der Gleichberechtigung der Frau spricht und die Benachteiligung selbiger in seinem Berufsfeld als unverständlich bezeichnet, kann er allerdings das Korsett der Mode nicht sprengen, diktiert er doch nach wie vor das Kleid der Frau.

Derzeit ist der Name Karl Lagerfeld untrennbar mit Chanel verbunden. Er führt das kreative Erbe von Coco Chanel fort. Im Vergleich zu ihm wählte sie jedoch eine unaufgeregte Präsentation ihrer Modelle – im Salon des Hauses vor der Kulisse einer verspiegelten Treppe. In typischer Chanel-Pose schritten die Mannequins durch den Raum, während die Modeschöpferin auf der obersten Treppenstufe saß und rauchend die reduziert gehaltene Modenschau beobachtete.

[youtube id=“4LC5VbEJm6I“ autoplay=“no“] [Video nicht verfügbar]

Heute hingegen prägt neben der Mode die saisonale Präsentation das Bild des Hauses. Die Modenschauen werden zu einem – wenn auch nur vorübergehenden – Gesamtkunstwerk, das durch das Zusammenspiel von Körpern, Kleidern, Bewegung, Ton, Licht, Bühne, Raum und zuletzt auch durch das Publikum besticht. Karl Lagerfeld setzt sich mit seinen Inszenierungskünsten selbst ein Denkmal.

 

Marie Helbing ist Doktorandin am Seminar für Kulturanthropologie des Textilen an der TU Dortmund und forscht zu den Themen Berliner Konfektion, Geschichte der Modenschau, Mannequins, Konsumkultur.