Choice as Chance – Der neue Hund im Spiegel seines Futters
Mit zu großer Auswahl nimmt das Glück ab. Das stellt zumindest Barry Schwartz fest. In »The Paradox of Choice: Why More is Less« (deutsch »Anleitung zur Unzufriedenheit – Warum weniger glücklicher macht«, 2011) beschreibt er das Paradoxon, dass mit der Zunahme an Konsumgütern zunächst das persönliche Glücksempfinden steigt. Übersteigt das Angebot aber eine bestimmte Größe, dann geht es in puncto Glück wieder abwärts. Erst einmal macht der Grad der Freiheit, den die Auswahl bietet, Vergnügen. Dann aber verlangt die Größe des Angebots immer mehr Entscheidungsarbeit. Das Glück nimmt ab. Das betrifft die Zeit vor dem Kauf – die Arbeit an der Entscheidung (Imagination, Identitätssuche) – wie die nach dem Kauf – die Arbeit an der Evaluierung, man sieht vielleicht etwas Besseres oder stellt sich vor, wie gut eine der Alternativen (gewesen) wäre. Seine Empfehlung als Psychologe lautet folglich: »Überlege nicht zu lange, entscheide dich! Such nicht das Beste, sondern nimm, was gut genug ist! Und hast du dich entschieden, dann betrachte das, wofür du dich dann entschieden hast, als für dich gut genug.«
Wer ein Spezialgeschäft, die Zooabteilung eines Gartencenters oder deren Internetshop aufsucht, um für Hund oder Katze Futter zu kaufen, begibt sich in ein Gebiet potentiellen Unglücks. Im Dehner-Online-Shop hat er im April 2016 bei Hunden die Wahl unter 460 und bei Katzen unter 396 verschiedenen Produkten.
Hundefutter trocken 165 | Katzenfutter nass 207 |
Hundefutter nass 100 | Katzenfutter trocken 108 |
Hundesnacks 195 | Katzensnacks 81 |
gesamt 460 | gesamt 396 |
Die Angebote für Hunde unterscheiden sich von denen für Katzen vor allem bei den Snacks, hier 195 dort lediglich 81. Früher haben Besitzer ihre Hunde für ihren jeweiligen Gebrauch abgerichtet. Jäger machen das noch immer. Als Familienhunde werden heute viele nicht mehr abgerichtet, sondern trainiert bzw. unterrichtet. Wie die Kindererziehung ist dieser Unterricht weitgehend gewaltfrei. Peitsche oder Teletac werden von Belohnungen, den Snacks, abgelöst. Im Gegensatz zu den Hunden gelten die Katzen als eigenbrötlerisch und als ziemlich unerziehbar; für sie braucht es nicht so viele kleine Belohnungen. Familienhunden und -katzen ist es leicht mal langweilig, als Abhilfe gibt es zum Zeitvertreib Spielzeug. Für Hunde gibt es darüber hinaus didaktisch wertvolles Spielzeug und zudem noch – quasi zur Selbstbildung – Intelligenzspielzeug.
Aber hier soll es nicht um das gesamte Angebot für Hunde – Spielzeug, Kleidung, Geschirr – gehen, sondern ums Fressen. Als Quelle dient das Angebot im Online-Shop von Dehner.
Früher hat man das Hundefutter beim Metzger geholt. Es bestand mehr oder weniger aus Schlachtabfällen: Euter, Mägen, Lungen und anderen Innereien. Zusätzlich wurde im Lagerhaus Trockenfutter in Säcken gekauft. Ansonsten haben Hunde gefressen, was ihre Halter vom eigenen Essen übrig gelassen haben. Das ist lange her. Längst gibt es spezialisierte Anbieter von Hundefutter, die es industriell produzieren und als Markenartikel über den Einzelhandel vertreiben. Seit Kurzem bieten Metzger (wieder) Hundefutter an, allerdings nicht mehr einfach Schlachtabfälle wie früher, sondern handwerkliche und regionale Varianten, die sich im Geschmack und den Zutaten an der Industrienahrung orientieren (Brigitta Schörghofer, »Der Fleischer bedient auch den Hund«, Salzburger Nachrichten 25. 4. 2016, S. 15).
Das große Angebot der unterschiedlichen Hundefuttervarianten verdankt sich ähnlicher Ausdifferenzierung, wie sie auch bei Nahrungsmitteln für Menschen beobachtet werden.
Der Hersteller Royal Canin bietet z. B. Produkte für verschiedene Hunderassen an. Die meisten anderen Hersteller schlüsseln ihre Produktportfolios nach dem Lebensalter auf. So gibt es jeweils spezielle Angebote für Welpen, Jugendliche (Junior), Erwachsene (Adult) und Alte (Senior), oft werden dabei englische Bezeichnungen gewählt: »Happy Dog Medium Junior ist speziell für Hunde im Alter von 6 – 15 Monaten.«
Das Alter ist nur ein Aspekt, den der Käufer bei der Auswahl des Futters für seinen Hund zu berücksichtigen hat. Oft geht es – wie bei vielen Menschen – auch um Gewichtsprobleme. Hier kann sich der Käufer für light-Produkte mit einem begrenzten Protein- und Fettgehalt entscheiden: Belcando Adult Light ist »für zu Übergewicht neigende … wenig aktive Hunde« gedacht. Hier unterstützt »L-Carnitin … die Fettverbrennung«, medium bietet umgekehrt einen mittleren Kaloriengehalt. Belcando Finest Croc ist » … für ausgewachsene Hunde kleiner und mittlerer Rassen, … fördert die Verdauung, reduziert die Kotmenge«. Happy Dog Mini Adult Fit & Well ist »… abgestimmt zum Erhalt des Idealgewichtes«. Wer sich mehr bewegt, braucht mehr Kalorien, um fit und gesund zu bleiben. Für den agilen Hund gibt es Belcando Adult GF Ocean, es »enthält ausschließlich tierisches Eiweiß von Meerestieren« und ist »ideal für Hunde mit normaler bis gesteigerter Aktivität«.
Neben Gewichtsproblemen berücksichtigen die verschiedenen Futtermischungen auch Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Belcando Finest GF Lamm ist ein »(g)etreidefreies Hundefutter … ideal bei Futterunverträglichkeiten gegen Getreide bzw. Gluten, mit schmackhaftem Lamm, Amaranth & Chiasaat unterstützt (es) die Verdauung«. Bei Unverträglichkeiten gegenüber Landtierproteinen empfiehlt sich Belcando Finest GF Lachs. Hier wird »ausschließlich Fisch als tierische Proteinquelle« eingesetzt. Royal Canin Maxi Sterilised ist »speziell für kastrierte oder sterilisierte Tiere«. Es unterstützt (sic!) den »Vierbeiner nach einer Sterilisation bzw. Kastration dabei, sein Idealgewicht zu halten … «, mit einem »erhöhten Protein- und einen geringeren Fettgehalt als herkömmliches Hundefutter. Eine spezielle Sättigungs-Formel sorgt dafür, dass (der) Hunde (!) lange satt bleibt.«
Es gibt verschiedene Provenienzen. Diese bieten entsprechende regionaltypische Geschmackserlebnisse. Happy Dog Supreme Sensible Africa wird angepriesen als »Exotik aus Afrika, die Ihrem Hund gut tut: Das Trockenfutter von Happy Dog kombiniert die positiven Eigenschaften von Straußenfleisch und Kartoffeln, so dass dieses Futter speziell für Hunde mit Nahrungsmittelintoleranzen geeignet ist.« Mit Happy Dog Supreme Karibik schickt man den »Hund auf eine kulinarische Weltreise … und bringt so eine besonders schmackhafte Abwechslung in den Futternapf«. Oder man schenkt seinem Hund »einen kulinarischen Urlaub in Neuseeland« mit einem Trockenfutter »aus feinstem Lamm und wertvoller Neuseeland-Muschel sowie nahrhaftem Reis«. Für den bodenständigen Hund kann aber auch »Hausmannskost … überwiegend aus heimischen Rohstoffen« kaufen.
Der Anthropologe Daniel Miller hat im Zuge seiner Forschungen Konsumenten im Norden Londons beim Einkaufen begleitet und sie dabei interviewt. In seinen beiden Buchpublikationen »A Theory of Shopping« (1998) und »Consumption and its Consequences« (2012) stellt er fest, dass Einkaufen bei vielen Leuten weniger vom Egoismus als von der Sorge um Familie und Freunde bestimmt ist. Er nennt das erste Kapitel von »A Theory of Shopping« ( 1998) »Making Love in Supermarkets«. Einkaufen ist nach seinen Erkenntnissen nicht, wie viele Kultur- und Konsumkritiker annehmen, von Selbstsucht, sondern von Altruismus und Rücksichtnahme geprägt. Wenn wir einkaufen, dann denken wir an unsere Lieben, wir stellen uns vor, was sie mögen und was nicht, was gut für sie ist und was nicht.
Die Hausfrauen, mit denen Miller unterwegs ist, beklagen sich darüber, dass ihre Männer zu viel Fleisch und ihre Kinder zu wenig Obst und Gemüse essen. Das Dilemma besteht für sie darin, dass die Wünsche und Vorlieben, die sie gerne erfüllen möchten, oft keine gesunden Nahrungsmittel sind. Nach dem Einkauf beobachten sie deshalb genau, wie die einzelnen Familienmitglieder auf die mitgebrachten Sachen reagieren: Essen sie das Obst? Bemerken sie, dass ich ihnen ihre Lieblingseissorte mitgebracht habe? So geht es vielen von uns, wir wollen für das nächste Mal etwas lernen, um noch genauer auszuwählen. Je größer die Auswahl ist, desto differenzierter können wir auf die echten oder auch von uns imaginierten Wünsche und Bedürfnisse eingehen. Dieser Aspekt des Einkaufens ist offensichtlich weit verbreitet. Im Gegenzug stellt Miller fest, dass Leute, die keine Angehörigen haben, nicht besonders gerne zum Einkaufen gehen. Sie sehen Shoppen eher als notwendiges Übel.
Das große Angebot, von dem Schwartz schreibt, erweist sich wegen seiner Möglichkeiten aber auch wegen der Mühe, die es verlangt, als hervorragende Gelegenheit, Sorge, Umsicht und Zuneigung zu zeigen – Liebe zu generieren. Das gilt noch mehr bei Hunden und Katzen, die ihre Vorlieben und Abneigungen nicht einfach äußern. Ihre Besitzer achten deshalb genau darauf, wie ihre Vierbeiner auf das servierte Futter reagieren. Sie achten auf eventuelle Unverträglichkeiten gegenüber bestimmten Diäten und versuchen, den Charakter der Tiere einzuschätzen. Die Produktauswahl wird so zu einer Brille, mit der sich die tierischen Hausgenossen beobachten und ihr Verhalten interpretieren lässt. Mit der Größe der Auswahl entwickeln Hund und Katz in den Augen ihrer Halter eine differenzierte Individualität. Die Ausdifferenzierung der Tiernahrung ermöglicht Tierhaltern, die nur eine kleine oder gar keine Familie haben, ein Einkaufsverhalten wie Leuten mit größeren Familien. Hunde als Familienerweiterungen.
Hunde (und Katzen) erweisen sich damit als echte Familienmitglieder. Die Vorstellung, dass sie als Eigentum dem Halter oder Besitzer ausgeliefert und untergeordnet sind, ist nicht mehr angemessen. In den Produktbeschreibungen fehlen die früher gängigen Ausdrucke »Herrchen« oder »Frauchen«. Belcando Junior mit Geflügel und Ei fordert die Halter im Gegenteil auf: »Geben Sie Ihrem neuen Familienmitglied nur das Beste.« Der Hund wird »mit einem ganz besonderen Futter« verwöhnt. Man bietet den »sensiblen und wählerischen Hunden eine vorzügliche Delikatesse« und hofft, dass sie dazu nicht nein sagen.
Dass die meisten Hunde heute Freunde oder Familienmitglieder sind, zeigt auch die Werbung. Auf den Trockenfuttersäcken von Belcando sind Hund und Mensch gemeinsam abgebildet. Dabei dominieren die Frauen (7), Männer kommen sechsmal vor, wobei in zwei Fällen das Gesicht nicht gezeigt wird. Wir sehen nur die Waden oder den Hinterkopf. Dreimal ist jeweils ein junger Hund mit einem Kind abgebildet. Dabei begegnen sich Hund und Mensch wortwörtlich auf Augenhöhe. Vor allem Frauen und Kinder werden in inniger Nähe zum jeweiligen Hund gezeigt, sie berühren sich. Bei den Männern macht das nur der Rentner, ansonsten sind Hund und Mann distanzierter. Sie verhalten sich wie Männerfreunde. In allen Beispielen werden die Hunde als gleichberechtigte Partner gezeigt. Die Bilder zeigen den neuen Hund, wie er sich auch im Hundefutterangebot spiegelt. Er erweist sich als interessant und vielschichtig nicht einfach als billiger Ersatz für einen menschlichen Partner, wie eine oberflächliche und moralisierende Konsumbetrachtung zu beobachten meint.
Und: Für den Hundehalter mindert die große Auswahl nicht, wie Schwartz in seinem eingangs erwähnten Buch meint, das Glück. Seine Diagnose passt für den egoistischen Konsumenten, nicht für den Konsumenten oder besser Käufer, der nach den Beobachtungen Millers durch Sorge für Familie und Freunde motiviert ist. Dem Tierhalter bietet die große Auswahl vielmehr die Möglichkeit, sein Glück zu steigern.
Franz Billmayer (*1954) ist Professor für Bildnerische Erziehung an der Universität Mozarteum in Salzburg und betreibt die Internetseite bilderlernen.at. Er hat Kunstpädagogik und Bildhauerei an der Kunstakademie München studiert, war einige Jahre Kunsterzieher an Gymnasien in Bayern, dann Professor für Kunst und ihre Didaktik mit Schwerpunkt Bildhauerei an der Universität Paderborn.