Konsumrezension April
von Julia Kleinbeck
25.4.2016

Kühlschränke

Vorbei die Zeiten, in denen Kühlschränke schlicht BOSCH hießen und sich mit ihnen unbemerkt nächtliche Küchengespräche führen ließen. Während sich ihre Volumina stetig vergrößerten, wurden ihre brummenden Monologe auf ein Minimum reduziert, um die neuen Mitbewohner gesellschaftstauglich für Wohnküchenzusammenhänge zu halten und zu gestalten.

Auch für das Kühlgerät gilt, was Axel Eckert, Geschäftsführer der Firma bulthaup, allgemeiner für die Küchenplanung zu bedenken gilt. Wegen des Trends zu offen gestalteten Wohnküchen müsse man sich stets den Esstisch als Perspektivpunkt vor Augen halten: Welches Bild bietet sich dem Betrachter von Küche und Ausstattung aus sitzender Perspektive?

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Abb. 1: KitchenAid French Door Kühlschrank (Internetquelle hier)

Einst vollzog der Kühl- und Eisschrank seinen ersten Siegeszug vom Keller in die Küche, heute steht er gerne als Solitär in Nachbarschaft zur Kochinsel. Für solche Zusammenhänge ist, so scheint es, eine besondere Produktsparte konzipiert worden. Die Rede ist vom sogenannten French-Door-Kühlschrank, der das Luxussegment des in seiner Geschichte in hohem Maße typisierten Produktes besetzt. Über zwei Flügeltüren wird der Blick auf das Innere des Kühlschrankes frei. Ein solcher Kühlschrank, so der Hersteller KitchenAid, sei ein reines Raumwunder, das »viel Platz für große Fingerfoodarrangements und mehrstöckige Torten liefern soll« (KitchenAid, Pressemitteilung).

Beeindruckt ist man jedoch vor allem von der visuellen Inszenierung des Produktes, durch die sich eine formale Analogiebildung zur Malereigattung des Triptychons aufdrängt: In Erscheinung treten gekühlte Flügeltüren, deren Haupt- und Seitenteile durch sorgfältig arrangierte Produkte bespielt werden. Ein gekühltes Kühlschrank-Triptychon.

Selbstverständlich bleibt diese Ansicht während des Kühlen selbst verwehrt. Der Blick auf das Kühltriptychon erschließt sich erst, wenn der Kühlschrank geöffnet wird. Raumgreifend entsteht so ein dreiteiliges Tableau, das unweigerlich als Bild in der Zusammenschau interpretiert werden will. Anders als in der abendländischen Kunst, in der das Triptychon mittels der Dreiheit Elemente der Erzählung zu hierarchisieren vermag und damit dem Rezipienten die intendierte Leserichtung vorgibt, setzen die Kühlschranktriptychen in erster Linie auf ein Mehr an Inszenierungsmöglichkeiten.

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Abb. 2: Ausschnitt Printanzeige, Amana, 1956

Man hat es mit einer Form der Produktinszenierung zu tun, die weniger das Kühlen als vielmehr die Ausstellungsqualität des Schranks inszeniert. Ein Streifzug durch historische Werbeanzeigen lässt eine wahre Ikonografie des Öffnens entdecken, in der sich mitunter prall gefüllte Kühlschreine im Bild zu erkennen geben. Ihnen zur Seite gestellt sind die stolzen Kühlschrankbesitzerinnen, die mittels deiktischem Gestus auf den gut gekühlten Wohlstandswarenbesitz verweisen.

Die Überlegungen beginnen also mit einer formal-ästhetischen Analogie. Methodenkritisch wäre einer solchen Konsumkritik in erster Linie vorzuwerfen, dass sie sich all zu stark auf die bildliche Inszenierung des Produktes verlässt und sich von der Bildlichkeit faszinieren lässt, die mit zur Überhöhung tendierenden Kategorien argumentiert. Doch die Analogiebildung geht über deren formale Vergleichbarkeit hinaus und kommt damit zu einer historisch vergleichenden Kategorie, die produktiv erscheint – vergleicht man hierbei schließlich vor allem zwei Bildmedien und die ihnen innewohnenden Rezeptionsvorgaben. Aus der Formalanalogie erwächst also ein Vergleichsinstrumentarium, welches das Produkt aus seinem funktionellen Zusammenhang herauslöst und es grundsätzlicher als ein Medium der Inszenierung begreift.

Auf das Konsumprodukt übertragen könnten durch einen solchen Vergleich deutlicher die intendierten Gebrauchsgesten und deren Interaktion mit dem räumlichen Kontext herausgekehrt und in historische Linien gesetzt werden. Auf diese Weise ergibt sich nicht nur eine Schnittstelle zwischen Produkt und Konsument, sondern überkreuzen sich Fragestellungen der Technikgeschichte, Designgeschichte und Konsumgeschichte. Diese machen sich in der Zusammenschau auf die Suche nach Ursachen und Motiven von Konsumgesten im Sinne von Gebrauchsgesten und schaffen somit wieder die notwendige Rückbindung an das Produkt selbst.

Als das Produkt »Kühlschrank« auf dem Markt eingeführt wurde, mussten die zu gewinnenden Käufer mittels griffiger Werbeslogans und Bildsprache zunächst hinsichtlich einer offensichtlichen ökonomischen Schieflage überzeugt werden. Die Energiekosten für die neuen elektrischen Eisschränke erschienen Anfang der 1930er Jahre noch unvernünftig hoch. Lebensmittel nicht nur im Sommer, sondern ganzjährig, unabhängig von der Außentemperatur zu kühlen, erschien den Konsumenten geradezu widersinnig. Kühlen war wahrer Luxus und das zugehörige Produkt längst nicht in jedem Haushalt zu finden.

Die Kühlschrankwerbungen der Zeit waren entsprechend passgenau auf einen exklusiven Kundenkreis zugeschnitten. Behaubte Dienstmädchen und die modisch gekleidete Dame des Hauses wurden als Kühlschrank-Türöffnerinnen imaginiert. Um flächendeckender zu höheren Absatzzahlen zu gelangen, musste verstärkt mit praktischen Gebrauchsvorzügen geworben werden, die Kerneigenschaft, das Kühlen also wieder in den Vordergrund gestellt werden. Mitte der 1930er Jahre wird entsprechend mit dem Argument geworben, dass die Energiekosten in keinem Verhältnis zu den durch die effiziente Kühlung vom Verderb geretteten Lebensmittel stehen würden.

»Frische Nahrung, ›neues Blut‹, erquickende Erholung, glückliche Stunden. Bosch-Kühlung regt die Lebensgeister an, weckt Schaffensfreude und zusätzliche Arbeitskraft«, so tönt ein auf den kleinbürgerlichen Haushalt zielender BOSCH-Werbeslogan aus dem Jahr 1938, wie ihn Detlef Sender in einem Ausstellungskatalog des Hamburger Museum für Arbeit von 1993 zitiert. Die von Wirtschaftshistorikern als »Kampf-dem-Verderb« bezeichnete Phase führte nicht, wie man glauben könnte, auf direktem Wege zum Volkskühlschrank. Erst mit den 1950er Jahren begann die neue Üppigkeit der Nachkriegsjahre sich auch in den Verkaufszahlen der Kühlschranke bemerkbar zu machen. »Köstlichkeiten – Boschgekühlt« konnten nun jederzeit an Nierentische und Co. getragen werden.

Besondere Faszination kommt dabei der Vorratshaltung von Eiswürfeln zu, die jederzeit problemlos die Getränke der unangekündigten Gäste zum Klirren bringen. Herausgekehrt wurde damit wieder die mit dem Produkt verbundene Grundeigenschaft des »Kühlens«, die zum Zeichen für den neu einziehenden Luxus geworden war. »Der Zauber der zarten Schneeflocken und das Wunder der Eisblumen am Fenster: Das ist die Stimmung, die uns und unsere Gäste umfangen soll, wenn wir aus dem Kühlschrank kleine, eisgekühlte Leckerbissen bieten können«, so ist in einer Anleitung eines Siemenskühlschrankes aus dem Jahr 1957 zu lesen, die ebenfalls von Sender erwähnt wird.

Bemerkenswerterweise tritt jedoch in genau dieser Phase im Kühlschrankdesign die sichtbare Funktion des Kühlens immer stärker in den Hintergrund und das Äußere der Schränke passt sich den streamlined kitchen an. Längst war der Kühlschrank mehr als der bloße technische Diener und zum unverzichtbaren Teil der Küchenausstattung geworden. Und dies, obwohl die Anschaffungskosten gemessen am Durchschnittseinkommen noch verhältnismäßig hoch waren. Es musste also ein anderes verborgenes Verlangen als Kaufmotiv auszumachen sein.

Entsprechend argumentierte einst der US-amerikanische Konsumkritiker Vance Packard, das Haushaltsgerät befriedige in erster Linie »über die Hintertreppe der Psychologie« das Grundbedürfnis nach Sicherheit. Die Möglichkeit des »Kühlens« steht mit einem Mal für seinen Temperaturgegenpol, das »Wärmen«. Ein Kühlschrank, so schreibt Packard in »The Hidden Persuaders«, verführe über die Möglichkeit der Vorratshaltung dazu, mehr als notwendig einzulagern. Der Kühlschrank, und im Speziellen die Gefriertruhe, wird so zu einer nie versiegenden Quelle der Nahrung und damit versetzte dieses profane Haushaltsgerät sie »unterbewußt in ihre Kindheit zurück[versetzte], wo es die Mutter gab, die sie niemals enttäuschte, und wo Liebe eng mit Nahrung spenden verknüpft war«.

Mit welchen Motiven kann heute zum Kühlschrankkauf verführt werden? Die Außenfläche des Kühlschranks, so nicht ohnehin als Einbaugerät gekauft, das hinter dem vorgegebenen Frontdesign verschwindet, wartet im Produktvergleich mit wenig Varianz auf. Ein persönliches Gesicht bekommt der unterkühlte Mitbewohner durch Postkartengrüße und magnetische Aphorismen, die sich an den Kühlschrank heften. Entsprechend naheliegend scheint es, die mit dem Produkt verbundene Bediengeste zu inszenieren, die auf den Kontext der Aufstellung verweist. Das geöffnete Kühlschranktriptychon ist somit im zweifachen Sinne eine Geste der Demonstration, da auf diese Weise sowohl eine konsumästhetische als auch eine rezeptionsästhetische Ebene zur Aufführung gerät.

Eine solche Form der Totalöffnung benötigt Umraum. Schmale, funktional geplante Küchenzeilen vertragen keine dreigliedrige Kühlschrankerzählung. Für den Kühlschrankrezipienten wird bereits in der Werbeanzeige mit dieser intendierten Form der Bedienung – zunächst unabhängig von dessen gekühlten Inhalten – ein Statussymbol inszeniert. Im Hausgebrauch wird mit den Flügeltüren des French-Door-Kühlschrankes das Innerste nach außen gekehrt. Die Ware wird also nicht nur optimal konserviert, sondern vor allem den umliegenden Betrachteraugen präsentiert. In großer Geste geraten die eingelagerten Produkte zur Ausstellung. Daraus ergeben sich Konsequenzen für die Vorratshaltung. Jede Ausstellung verlangt einen Kurator, um Aspekte des Zufälligen zu vermeiden, die Interpretationen und Rückschlüsse von Produkt und deren Konsumenten fehlleiten könnten. Schließlich ist mit dem Kühlschrank ein Medium gefunden, um ein Lebensmittelportfolio zur Schau zu stellen und damit die eigene Diätetik zu inszenieren, exklusive Produkte als Solitäre im gekühlten Schrein zu platzieren oder Vorratshaltung im Plural zu demonstrieren.

Getreu dem Motto »Sag mir, was Du frisst und ich sag Dir, wer Du bist« setzte sich der texanische Fotograf Mark Menjivar in vielfacher Weise mit dem Thema des Lebensmittelkonsums auseinander. Nicht nur führte er penibel Buch über seine Alltagsernährung, sondern erstellte buchstäbliche Kühlschrankporträts. Ähnlich wie in der filmischen Inszenierung nächtliche Gelüste, überhaupt das Öffnen des Kühlschranks, oftmals als voyeuristischer Moment inszeniert wird – der Griff zum Gurkenglas, die in einem Zug geleerte Milchpackung oder der genüsslich gelöffelte Schokopudding als Abbild des emotionalen Ist-Zustandes –, wird die Innenraumdarstellung des Kühlschrankes zur Allegorie der Selbsthygiene.

Für den Moment ist festzuhalten: Mit dem gekühlten Triptychon ändert sich die Kühlschrank-Ikonografie. Es ist nicht mehr der Konsument, der die Produkte performativ in Szene setzt, sondern der Kühlschrank selbst ist das Medium der performativen Geste.

 

Julia Kleinbeck ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im ERC-Projekt »LexArt – The Rise of a Terminology« an der Université Paul Valéry in Montpellier und arbeitet als Lehrbeauftragte an der HS Pforzheim im Fachbereich Gestaltung.