Mode April
von Volker Orthmann
22.4.2016

Über den Sneaker-Kult

Als im Juni 2012 die Auslieferung des  Nike „Air Yeezy II“ unmittelbar bevorstand, campten bereits fünf Tage vor Verkaufsstart die ersten Sammler vor selektierten Stores rund um den Globus. Der auf 245 US Dollar kalkulierte Ladenpreis des Modells schoss wenig später im Wiederverkauf auf bis zu 4000 Dollar pro Paar hoch. Yeezy ist der Nickname von Kanye West, der bereits seit 2009 mit großen Sport- und Modemarken kooperiert und zusammen mit den Designteams der Häuser Sneakermodelle und Mode entwickelt. Zuletzt mit Adidas.

Neu ist die Verschmelzung von Hip-Hop-Credibility und Sport beileibe nicht. Mit „My Adidas“ besangen Run-D.M.C. bereits 1986 ihre favorisierte Marke, luden die Bosse des mächtigen Sportartiklers nach New York ein, bekamen einen Sponsorenvertrag über eine Million Dollar und waren die ersten Werbeträger einer Sportmarke, die selbst keine Sportler waren. Womit wir zum Anfang der Geschichte kommen.

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Run-D.M.C.

Auf den Konzerten von Run-D.M.C. wurde das Publikum aufgefordert, seine Adidas-Schuhe in die Höhe zu halten. Die tausendfache Resonanz während der Konzerte demonstrierte eindrucksvoll Einflussnahme und Marketingmacht der Hip-Hop-Stars auf die globale Street Culture. Der in Brooklyn aufgewachsene Afro-Amerikaner Jamel Shabazz dokumentierte über Jahrzehnte die Straßen- und Jugendkultur New Yorks und hielt die Entstehungsphase des Hip-Hop während der 80er Jahre in seinen Bildern fest.

Begonnen hatte der Sneaker-Hype im New York der 1970er Jahre. Basketball und Hip-Hop entwickelten sich damals zu Feldern, auf denen Jugendliche aus der Bronx ihren schwachen sozialen Status zu kompensieren begannen. Die ersten Breakdancer erklärten einen möglichst makellosen, korrekten Look zum vestimentären Code und hielten aus Mangel an Möglichkeiten zum regelmäßigen Neukauf ihre Sneaker mit hinter das Ohr geklemmten Zahnbürsten penibel in Schuss. Das Weglassen der Schuhbänder beim inzwischen wieder hochgradig verbreiteten „Adidas Superstar“ – ursprünglich eine Vorsichts- und Sicherheitsmaßnahme gegenüber Gefängnisinsassen – wurde seinerzeit ebenso zum Kult wie die Verwendung farbiger Schnürsenkel, um dem gleichen Schuh auf möglichst günstige Weise im Look zu verändern.

Firmen wie Adidas, Nike, Fila und Converse erkannten schnell, welches Potenzial in der Verbindung von Sport, Hip-Hop und Street Culture steckt und profitieren bis heute von der fast kultischen Verehrung, die Marken oder einzelnen Modellen zuteil wird. Schuhe wie der Nike „Air Jordan“ entwickelten sich in der Szene zu Statussymbolen, mit denen man, so die Legende, in den einschlägigen Vierteln Gefahr lief, Opfer eines gewalttätigen Raubdeliktes zu werden. Das Gangsta-Image wird paradoxerweise zum wichtigsten Firmenkapital, mit dem man für die weiße Middleclass erfolgreiches Kultmarketing betreibt.

Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre setzt eine massive Kommerzialisierung des Hip Hop ein.  Die immer höher getaktete Frequenz neuer Sneaker-Releases erschwert die Suche nach Originalität und Abgrenzung innerhalb der Hip-Hop-Szene; Kooperationen mit Rappern wie Jay Z, 50 Cent oder Pharrel Williams sind jetzt an der Tagesordnung.

Womit wir in der Gegenwart angekommen wären. Der Sneaker-Kult hat sich seitdem eher noch verstärkt, etablierte Marken nutzen nach wie vor Kollaborationen mit Stars und Designern oder die Möglichkeiten zu personalisierter Gestaltung, um Modegrad und Image frisch zu halten. Unabhängig davon lancieren die großen Modehäuser unter ihrer Flagge eigene, nicht selten an Klassiker erinnernde Sneaker und decken dabei das Luxussegment ab. Die überwiegende Zahl der Modelle wird ohnehin der Kategorie Mode- und Lifestyle zugeschlagen, denn sich mit dem Nimbus von Urbanität und Jugendlichkeit zu umgeben, ist gegenüber einem echten Sportaspekt die weitaus größere Triebfeder.

Im aktuellen Geschehen geht es – vereinfacht dargestellt – um zwei gegenläufige Grundrichtungen. Ähnlich wie im Bereich der Architektur stehen sich dabei eine schnörkellose, skandinavisch anmutender Ästhetik und technisch aufgerüstetes, zuweilen fast skulptural anmutendes Design gegenüber.

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Common Projects

Die Idee für das Label Common Projects entstand in einer Bar im New Yorker Stadtteil East Village. Ein ehemaliger Art Director und ein Brand Consultant entwickelten gemeinsam die Idee zu einem reduzierten, möglichst zeitlosen Sneaker, der inzwischen exemplarisch für schlichtes, schnörkelloses, von Klassikern wie Adidas „Stan Smith“ , Converse „Chucks“ oder Nike „Air Force I“ inspiriertes Design gilt. Einziger Hinweis auf das Original-Label ist der im Bereich der Ferse aufgedruckte Code, der normalerweise im Inneren des Schuhs Seriennummer und Größe angibt.

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AMI

Dieser Look stammt vom französischen Label AMI, Alexandre Matiussi. Die Mischung aus klassischen Elementen und entspannter Sportlichkeit ist typisch für eine ganze Generation junger Labels und Designer, die sich jenseits üblicher Kategorien wie Klassik, Sports- oder Casualwear bewegen. Sneaker sind in diesen Looks häufig ein Schlüsselelement, um den gezielten Stilbruch herzustellen. Die Gestaltung des abgebildeten Velcro-Trainers erinnert eindeutig an Nikes „Air Force I“, einem der erfolgreichsten Sneaker aller Zeiten. Das White/White Modell wird von Nike seit weit über 20 Jahre lang immer wieder neu aufgelegt.

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Chanel

Der Einzug der Sneaker in die High-Fashion-Sphäre liegt bereits Jahre zurück, ohne dass die Verbindung von Luxus und Sportlichkeit ihren Reiz verloren hätte. Ein Höhepunkt in dieser Entwicklung war Chanels Couture-Schau für die Sommersaison 2014. Das alteingesessene Atelier Massaro, in Paris die erste Adresse für maßgefertigte Schuhe, produzierte die mit Tweed, Spitze und Pailletten verarbeiteten Modelle. Der Preis für die zum Teil in mehr als 30 Stunden gefertigten Couture-Sneaker lag bei einer Summe ab 3000 Euro aufwärts.

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Lanvin

Für Lucas Ossendrijver, Creative Director für die Männermode im Haus Lanvin, sind verfeinerte Sneaker von Anfang an Teil der Designphilosophie. Sie beinhaltet eine große Liebe zu Materialien, Detailausarbeitungen und zum virtuosen Spiel mit den Grenzbereichen zwischen Tradition und Sportlichkeit. Das Hi-Top-Modell korreliert mit dem Konzept der Kollektion, bei dem die kreative Energie der Post-Punk-Kultur im New York der frühen 80er Jahre eine Hauptinspiration bildet.

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Y-3

Seit etwa 14 Jahren kooperiert Yohji Yamamoto mit Adidas. Die Intention der aktuellen Sommerkollektion bestand darin, den Sportaspekt wieder stärker herauszustellen. „Let’s go back to Sport!“ lautete Yamamotos Ansage an sein Team. Die vom chinesischen TAO Tanz Theater begleitete Show war, der Grundidee entsprechend, eine Referenz an Aktion und Bewegung. Die betont funktionalen Sneakermodelle von Y-3 stehen exemplarisch für die jüngste Entwicklung im Sneakerbereich. Sie ist durch ein zunehmend durch technische Innovationen geprägtes Design charakterisiert.

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Diese Modelle demonstrieren, was passiert, wenn sich die schroffe, oft düstere und ein wenig außerirdisch anmutende Handschrift von Rick Owens mit Sportswear paart. Die aus der Kollaboration mit Adidas entstandenen Modelle zeigen eine skulptural-futuristische Ästhetik, deren Relevanz aktuell im Sneaker-Bereich immer weiter zunimmt. Sie ist häufig durch markante, erhöhte Sohlenprofile und ultraleichte Materialinnovationen charakterisiert. „Buy less clothing and go to the gym instead“, sagte Rick Owens einmal über sein Verhältnis zu den Themen Mode und Sport

 

Volker Orthmann ist Consultant für die Mode- und Lifestylebranche und Dozent am Design Department Akademie für Mode und Kommunikation Düsseldorf.