Nach der Skinny Jeans?
Nachdem die Skinny Jeans in den vergangenen Jahren immer enger wurde und sich durch Stretch-Varianten wie Super Skinny, Jeggings und Leggings in der Stoffmenge stetig reduzierte, werden in jüngerer Zeit die Diagnosen ihres völligen Verschwindens lauter.
An der Kritik, die der Hose in dieser Zeit entgegengebracht wurde – dass sie pubertär, ausschließlich auf schlanke Menschen oder „Hipster“ zugeschnitten, an Männern unmännlich und generell gesundheitsschädlich sei – kann das kaum liegen, die Klagen scheinen durch die allgemeine Tragepraxis ohne Rücksicht auf Körperformen, Alter oder Geschlecht schlicht verhallt zu sein. Denn die Karriere der Skinny Jeans seit Beginn der Jahrtausendwende lässt sich nicht nur an ihrem Engerwerden festmachen, sondern auch am Weiterwerden ihrer Trägerkreise bis zur nahezu konkurrenzlosen Durchdringung des Straßenbildes.
Kate Moss und Pete Doherty konnten in den Neunziger Jahren noch von den Resten rebellischen Geistes zehren, der der Skinny Jeans durch ihre historische Verknüpfung mit Punk, Jugend und Dissidenz vage anhaftet; ihre Neuinterpretation war der Heroin Chic, eine Ausstellung von Dünn- und Kaputtheit, für die die enge Hüftjeans eines der wichtigsten Symbole wurde. Diese Konnotation wird spätestens dann hinfällig, wenn sich heute konservative Politiker mit ihr erfolgreich einen Casual Look verpassen.
Aber nicht nur im Hinblick auf subkulturelle oder Identitätsfragen ist die Skinny Jeans enthaltsam geworden; die verhältnismäßig geringe Stoff- und Ressourcenmenge, die sie braucht, macht sie insgesamt zu einer sparsamen Hose – wie in Kriegszeiten, meint die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken. Kriegerisch wirkten die „neuen Beine der Frauen“ deshalb, weil die Ausstellung des Beins ein Zitat männlicher Militärkleidung der Renaissance – und damit „Crossdressing“ – sei. Das Tragen seidener Strumpfhosen habe hier der Ostentation des Phallischen gedient, von Stärke und Gewaltbereitschaft sollte die vorrevolutionäre Männermode zeugen. Dass diese Assoziation den Skinny-Trägerinnen eine kühne, kriegerische, ja verruchte Anmutung verleihe, ist eine starke These, die angesichts der Schwierigkeiten, in den sehr engen Modellen richtig zu laufen, überrascht.
Kurze Zeit, nachdem Vinkens Buch „Angezogen“ 2013 erschien, begannen Designer wie Stella McCartney – einst Vorreiterin der Skinny Jeans –, Dries van Noten oder Mulberry, die schmalen gegen weite Hosen-Silhouetten einzutauschen. Auch in der Männermode werden verstärkt cleane, lockere Formen propagiert, die der Dominanz der schmal geschnittenen Anzüge nach dem Vorbild von Hedi Slimanes Dior-Homme-Linie eine voluminöse Silhouette entgegensetzen.
Die Hose der Gegenwart scheint alles zu sein, nur nicht skinny: slimmy, slouchy und cropped, sie kommt als Bootcut oder Culotte; selbst die klassische Bundfalte kehrt zurück und steht neben der Tracksuit-Hose, einer Art Jogginghose mit geradem Bund.
Die Modelle werden nicht nur weiter, sondern auch länger, wie die mitunter über den Boden schleifenden Marlene-Hosen oder die Flared-Varianten mit extrem weitem Schlag zeigen. Der Schlaghose sagt man eine dem Punk-Bezug der Skinny Jeans gegensätzlich referenzierte Rebellion aus dem Erbe der 1970er Jahre nach: Die Suche der Hippies nach Weite und Freiheit, die im romantischen Boho-Look des verträumten Hippiemädchens Gestalt erhält.
Und schließlich lässt sich die Rebellion der 1920er und 30er Jahre hinzufügen: Die Namensgeberin der Marlene, Marlene Dietrich, eröffnete Frauen mit ihrem Auftritt im Film „Marokko“ 1930 erstmals den Zugang zur Hosenwelt, indem sie die männliche Anzughose in leichter Abwandlung – sehr hoch sitzend und tailliert – populär machte.
Auch die derzeit besonders angepriesene Culotte, eine Art Hosenrock, wurde von Coco Chanel aufgrund ihrer Bewegungsfreiheit zum Lieblingsstück erklärt, weil sie darin, anders als im Rock, reiten konnte. Gegenüber Vinkens Interpretation des betonten Beins ist es in der für die Frauenmode historisch wichtigeren Referenz der 1920er Jahre das weite Hosenbein, das den schneidigen, (für erschrockene Männer) gewaltsamen Auftritt erlaubt.
Mehr noch: Es ist eine Referenz, die auch als solche gelesen wird. Frauenzeitschriften schwärmen derzeit vom „erwachsenen Look“ der „starken Frau“, der mit den Hosen verbunden sei. Verändert nun die Wiederkehr dieser buchstäblich befreienden Hosenmoden die Silhouetten der Gegenwart?
Mit Blick auf die Ausgangsthese von der Demokratisierung der Hosenmoden scheint die Haute Couture der falsche Ort, um dies zu überprüfen. Aufschlussreicher ist die aktuelle Kollektion des Textilunternehmens Zara, dessen Mode so viel getragen wird, dass es H&M in seinen Umsätzen überholt hat.
Zara ist bekannt für sein Konzept, mithilfe von Trendscouts, High-Fashion- und Street-Fashion-Analysen besonders schnell auf internationale Modeentwicklungen zu reagieren und diese prompt in die Kollektionen einzuarbeiten. Ein Besuch auf der offiziellen Website lässt eine schnelle Auswertung der Kategorie „Hosen“ zu: Die gemischte Kategorie „Jeans“ vorerst ausgespart, stehen 46 Röhren- und Legginsmodellen fast doppelt so viele (89) weite Schnitte gegenüber, einschließlich Bundfalte, Culotte und den extrem weiten Varianten.
Beim Betrachten der zahlreichen Modelle fällt rasch auf, dass sich nicht nur die Hosenformen, sondern die Gesamtsilhouetten weiten. Während das betonte Bein eines Ausgleichs durch weite Oberteile bedurfte, fällt die Oberbekleidung zu den weiten Hosen häufig ebenfalls oversized aus. Fließende Stoffbahnen, die in großen Falten über die Taille fallen, bestimmen die Silhouette; der Körper scheint darin ganz und gar zu verschwinden. Eignet sich diese luftige Mode also, um voranzuschreiten im Dienst emanzipativer Bewegungsfreiheit?
Tatsächlich sind vor allem die voluminösen Culottes in Midi-Länge auf große, sehr schlanke Frauen zugeschnitten, allein der Kontrast zwischen schmaler Taille und der Weite des unteren Hosenbundes verleiht der Silhouette Form. Richtig formgebend ist er allerdings auch dann nicht, aber das ist auch nicht beabsichtigt. Im Gegensatz zu den kantigen Modellen der 1920er und 30er Jahre zeichnet diese Mode einen Körper, dessen Verhüllung seine Zerbrechlichkeit umso deutlicher ausstellt. Gedeckte Nude-Töne und Blumenmuster unterstreichen die natürliche, sehr mädchenhafte Anmutung. Die Euphorie über die neue Erwachsenheit wird also vorerst enttäuscht.
Aber ist die Mode überhaupt der richtige Ort, um solche Sehnsüchte auszutragen? An der Hosendebatte zeigt sich eher, dass die Aufschlüsselung der Mode über historische Referenzen, Zitate und angebliche Hommagen schnell zu einer Bedeutungsüberfrachtung führt. Sowohl die Skinny Jeans wie die weiten Hosen zeigen sich unbeeindruckt von der Politik ihrer Vorläufer.
Die Referenzierungsbemühungen zahlen sich dennoch aus, man kann sich darauf verlassen, zu allem die passende Referenz (und Gegenreferenz) zu finden; doch drückt sich darin eher der Wille akademischer Nobilitierung bestimmter Moden aus, z.B. indem man sie zum „Crossdressing“ erklärt, als dass man etwas darüber sagen würde, was eine Mode tut. In dieser Weise wird die Mode ihrer historisch aufgeladenen „Bedeutung“ untergeordnet und bleibt in einer postmodernen Vervielfältigung von Referenzen gefangen.
Was es bedeutet, eine bestimmte Hose zu tragen, lässt sich nur durch einen Besuch bei Zara herausfinden. Dieser ergibt vor allem eines: Die weiten Hosen kleiden bislang nur die Schaufensterpuppen, ansonsten ist die Vorherrschaft der Skinny Jeans ungebrochen. An mangelnder Sichtbarkeit kann es kaum liegen, gleich am Eingang der Filiale am Hamburger Jungfernstieg wird die Kundin von einer Culotte-tragenden Puppe begrüßt. Vielleicht muss man auch nur den Sommer abwarten.
Elena Beregow ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Allgemeine Soziologie und Soziologische Theorie, Universität der Bundeswehr München.