Konsumrezension Dezember
von Larissa Kikol
6.12.2015

Kindliche Konzepte in der Werbung: Opel Adam Rocks und Babybel

Erwachsene lieben Spielzeug. Käufer lieben Spielzeug. Und je weniger dieses Spielzeug für Kinder bestimmt ist, umso mehr Geld wird dafür ausgegeben. Auf die Differenz kommt es an; die Erhöhung vom banalen Kinder-Spielzeug zum Luxus-Spiel-Objekt für Erwachsene kostet eben seinen Preis. Besser als ein Rollenspiel-Kartenset oder die neue Playstation sind natürlich Motoren: Echte, männliche Pferdestärke zur Erfüllung kindlicher oder kindischer Fantasien!

Opel hat diesen keineswegs neuen Marketingansatz aktualisiert und dafür den jungen YouTube- und Vine-Star Zach King zu sich eingeladen. Zusammen produzierten sie sechs Mini-Werbespots, jeder davon dauert nur sieben Sekunden. Im Mittelpunkt steht der »Sprössling« der ADAM-Familie, das Auto Opel ADAM ROCKS, sein Slogan: »Alles außer niedlich«. Auf dem hauseigenen Blog wird nicht nur Zach King oder der potentielle Käufer charakterisiert, sondern auch das Fahrgerät personifiziert. Er/Es sei maskulin und abenteuerlustig, ein neuer Wilder, charmant und kreativ, frech und unkonventionell, »eben alles außer niedlich.«

Um diese Heldeneigenschaften und Emotionen zu vermitteln, scheint King und sein Image geradezu perfekt. Es handelt sich um einen gut aussehenden, aber nicht zu erwachsen wirkenden, jungenhaften Lausbuben, der mit seinem charmanten, schelmenhaften und gleichzeitig unschuldigen Lächeln die sozialen Medien eroberte. Sein Kanal hat über 1,9 Millionen Follower, bekannt wurde er durch selbst gebastelte, technisch versierte Mini-Clips. In diesem Beispiel sitzt der Junge zu Hause am Familientisch und malt ein Wasserfarbenbild, das plötzlich zu leben beginnt:

Für Opel-Adam entwickelte der süß-coole Kind-Erwachsene von nebenan mit dem verkehrt herum aufgesetzten Cappy sechs »freche«, kindliche Spielideen. In einem Clip springt er von einem Kindertrampolin aus in das fahrende Auto und bejubelt danach mit infantilem Stolz sein Kunststück. In einem anderen Video kann er durch das Werfen eines kleinen Spielzeugautos einen echten Opel ADAM zaubern.

Weitere Sequenzen zeigen ihn mit einem Gamecontroller in der Hand beim Steuern des Autos oder mit einer Kaugummiblase, die fast so groß wird wie das echte Auto. Es handelt sich um magische Handlungen, die man zunächst nur Cartoon- oder Kinohelden zusprechen würde. Doch sie existieren auch in kindlichen Allmachtsfantasien und nehmen sogar dort ihren Ursprung. Material und Größe von Spielobjekten zu verändern, ihnen Leben ein- und auch wieder auszuhauchen und wagemutige Stunteinheiten (sogar gegen die Gesetze der Natur) zu vollziehen, zählen dazu. Welches Kind hat sich nicht einmal gewünscht, aus seinem Lieblingsspielzeug einen lebensgroßen Gefährten für die Abenteuerreise zu zaubern? Oder eine trotzige Genugtuung verspürt, wenn es das Spielzeug zweckentfremdet und es »gegen die Norm« zum rebellischen Spiel eingesetzt hat?

Doch für die Kinder bleibt es leider bei reinen Wunschträumen. Für den Erwachsenen hingegen muss es das nicht. Oder genauer gesagt: Für den Konsumenten muss es das nicht. Opel und Zach King zeigen, wie es geht, wenn ein Automodell zum unbegrenzt manipulierbaren Spaßerfüller wird.

Mit dem angepriesenem Produkt können zwar nicht alle Kindheitsträume erfüllt werden, aber etwas anderes (besseres?) ist der Fall: Der Käufer kann sich wieder als Kind fühlen. Der Opel ADAM ROCKS scheint ihm seine Kindheit, seine positiven kindlichen Gefühle und das damit verbundene, grenzenlose Selbstbewusstsein zurückgeben zu können. Der spielende Käufer ist zwar ein junger Erwachsener mit Fahrerlaubnis und den entsprechenden finanziellen Mitteln, er ist also bereits gut situiert, aber zugleich ein Kind-Erwachsener, der sich Spaß und Spiel auf neuestem technischem Niveau mit cooler Motorleistung erlauben kann. Ebenfalls kann er es sich leisten, in der Gesellschaft nicht nur angepasst erwachsen, sondern auch unangepasst kindlich aufzutreten.

Zusätzlich wird durch die Figur Zach King und seine Videoclips mit der Do-it-yourself-Aura nicht nur das Alleine-Spielen, sondern auch das Mitspielen inszeniert. Die Handlungen in den Clips thematisieren nämlich keinesfalls außergewöhnliche, sondern vielmehr gewöhnliche und naheliegende Ideen. Vom notwendigen, technischen Know-How abgesehen, könnte die reine Story auch bei einem lustigen Bierabend unter Freunden entwickelt worden sein. Außerdem ist nahezu jeder in der Lage, ähnliche Clips, auch ohne Spezialeffekte, in den sozialen Medien zur Kommunikation einzusetzen und sich somit der Vine- und YouTube-Community spielerisch anzuschließen. Auch das veröffentlichte Making-Of-Video unterstreicht diese Spieleinladung an den Konsumenten.

Opel zeigt sich mit der Werbewirkung sehr zufrieden, die »männliche Positionierung« des Automodells sei gelungen, die sozialen Medien gut bespielt worden. Doch nicht nur der männliche Konsument wird mit dieser Werbestrategie angelockt. Die Clips liefen auch regelmäßig vor den Episoden von Germany’s Next Topmodel 2015. Diese beständige Kopplung mit Klums TV-Show ist von hoher Bedeutung: Versuchen sich die oft noch minderjährigen Teilnehmerinnen bei den meisten Foto-Challenges durch erwachsene Eigenschaften zu profilieren, zum Beispiel sexy, attraktiv, weiblich oder elegant zu wirken, werden die Wünsche des (weiblichen) kindlichen Ichs auf das Männliche projiziert. Dort wird diese Seite noch am ehesten akzeptiert. Frauen, die kindlich wirken, müssen Angst haben, nicht ernst genommen zu werden oder nicht sexy zu sein. Zach King schafft hingegen beides: Er kann Kind sein und verkörpert trotzdem oder gerade deswegen Attraktivität. So können weibliche Konsumenten angesprochen werden, indem sie sich entweder diesen Prototypen als potenziellen Partner wünschen oder selbst so (frei) sein wollen wie er.

Opel ist jedoch nicht der einzige Hersteller, der auf solche Werbestrategien zurückgreift. Wer sich kein Auto leisten kann, darf seine kindliche Seite zum Beispiel durch Schnittkäse entdecken. Die runden Käsehäppchen Babybel werden in Werbespots als sprechende Figuren animiert, die sich auch mal gerne in Käse-Superhelden verwandeln, und dies nicht nur in der heimischen Küche, sondern auch am Arbeitsplatz, zum Beispiel im Büro.

Der dort arbeitende, erwachsene Mann greift sich nach ihrer Aufführung den Käse zum Verzehr. Es scheint, als hätte er während des langweiligen Büroalltags seine Fantasie schweifen lassen und dank des Käseprodukts in kindliche Welten abtauchen können. Der Konsument soll den Schnittkäse kaufen, weil er nicht nur lecker schmecke und handlich sei, sondern auch, weil er als eine ideale Projektionsvorlage für kindliche Ideen dienen und der erwachsene Spieltrieb durch den Käse zur Erholung im Alltags- und Berufsleben beitragen kann.

Beide, Opel und Babybel greifen auf Konzepte von Kindlichkeit zurück, setzen dabei jedoch auf verschiedene Aspekte. Babybel inszeniert das kindliche Kopf-Kino und dessen fiktive, harmlose und gemütliche Aspekte. Opel hingegen verlebendigt diese Fantasien, Motoren treiben den Spieltrieb auf die Straße und scheinen alle Grenzen im realen Raum durchbrechen zu können. Ob Käse oder Autos – erkauft werden kann eine Utopie von kindlicher Freiheit. Konsum bietet dem spielenden Käufer eine Optimierung seiner Kindheitswünsche im Erwachsenenalter. Und dabei wird er auch noch attraktiv – zumindest wenn er sich für das Auto anstatt für zu viel Käse entscheidet.

 

Larissa Kikol ist Doktorandin der Kunstwissenschaft und Medientheorie. Sie forscht über Konzepte des Kindlichen in der zeitgenössischen Kunst.