CO2-Kompensation – wie eine Summenformel zum Marketinginstrument wurde.
Es besteht kein Zweifel: Betrachtet man die vom Menschen verursachte, globale Klimaveränderung aus molekularer Perspektive, fällt der Blick sofort auf das Treibhausgas Kohlendioxid. »CO2« ist zum Wortfetisch geworden, zum Synonym für die gefährliche Erderwärmung. Wer die Summenformel CO2 hört, denkt an kilometerhohe Rauchsäulen, die aus riesigen Kraftwerksschloten aufsteigen, an schmelzende Gletscher, blassgraue Korallenriffe in sauren Ozeanen und an sintflutartige Überschwemmungen.
Die Gefahren des Klimawandels, die bei vielen Menschen Besorgnis und Ängste freisetzen, scheinen Voraussetzung zu sein für die Herausbildung eines neuen kulturellen oder moralischen Verständnisses ökonomischen Handelns«, wie Nico Stehr in seinem Buch »Moralisierung der Märkte« schreibt.
Nahezu jede persönliche Konsumentscheidung muss sich seit ein paar Jahrzehnten einer ganzen Phalanx moralischer Bewertungsmaßstäbe stellen. Lange vor dem Bio-Boom und dem Vegan-Hype wurde Konsumieren bereits zu einer Gewissensfrage.
Seit 1978 vergibt die vom Bundesumweltministerium eingesetzte »Jury Umweltzeichen« das Siegel »Blauer Engel«, damit der Konsument sicher sein kann, mit dem Einkauf »etwas Gutes für sich, die Umwelt und die Zukunft zu tun«. Als erste Produkte bekamen 1978 Spraydosen mit Pumpsystem den Blauen Engel verliehen – diese setzten im Unterschied zu den herkömmlichen Dosen keine klimaschädlichen Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) in die Atmosphäre frei.
Bild: Umweltbundesamt, 1978
Das Label »FCKW-frei« wurde in den folgenden Jahren zum Verkaufsargument für Sprühdosen und Kühlschränke. Auf Basis des Montreal-Protokolls vom 16. September 1987 folgten – allerdings in eher gemächlichem Tempo – weltweite Verbote für das einst synthetisch hergestellte Gas FCKW. 2014, ein viertel Jahrhundert später, vermeldete die FAZ mit Blick auf die Atmosphäre triumphal: »Die Regierungen der Welt haben die irdische Ozonschicht gerettet.«
Ob eine ähnliche Schlagzeile jemals in Zusammenhang mit einem anderen Treibhausgas, dem Kohlendioxid, formuliert wird, darf mit guten Gründen bezweifelt werden. Zwar ist CO2 im Vergleich zum FCKW in noch viel stärkerem Maße Gegenstand öffentlicher Besorgnis, der CO2-Gehalt der Luft ist jedoch bedeutend schwieriger zu steuern.
Mit dem Kyoto-Protokoll, das 2005 in Kraft trat, haben sich die Vertragsstaaten zu einer schrittweisen Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen (u.a. Kohlendioxid) verpflichtet. Um die Reduktionsziele zu erreichen, erklärten die europäischen Staaten, wie es sich für marktorientierte Gesellschaften gehört, CO2 am 1. Januar 2005 zu einer international handelbaren Größe; die Preisfindung wurde den Marktmechanismen aus Angebot und Nachfrage überlassen.
Ob der Emissionshandel tatsächlich ein geeignetes Instrument für den Klimaschutz ist, ist jedoch höchst umstritten. Unter staatlicher Aufsicht wurden auf dem sogenannten »Verpflichtungsmarkt« im letzten Jahr 45% der in der EU entstandenen Treibhausgas-Emissionen gehandelt. Die Verpflichtungen zum Handel dieser »Verschmutzungsrechte« gelten nur für die Energiewirtschaft und für besonders energieintensive Industriezweige. Diese müssen für ihre Emissionen CO2-Zertifikate erwerben, die Gelder fließen in Programme zur Reduktion von Treibhausgasen innerhalb und außerhalb der EU.
Claudia Kempfert, Ökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), kritisiert [http://www.claudiakemfert.de/fileadmin/user_upload/pdf/pdf_publikationen/Oekologie-Politik.pdf], dass allein aufgrund eines Überschusses an Zertifikaten und großzügig bemessener CO2 -Obergrenzen, keine Anreize für Investitionen in emissionsarme Technologien geliefert würden.
Während die Preise für CO2-Zertifikate auf dem »Verpflichtungsmarkt« verschwindend gering sind, herrscht auf einem anderen Markt für CO2-Zertifikate, dem »freiwilligen Markt«, weiterhin Goldgräberstimmung. Auf diesem Markt kann jeder Hersteller und Dienstleister, sogar jede einzelne Person, jedes Produkt und jede Veranstaltung »neutralstellen« und damit den eigenen »CO2-Fußabdruck« ausgleichen. Unterschiedlichste Anbieter verkaufen Zertifikate für meist von ihnen selbst initiierte Kompensationsprogramme, die Kunden können sich so ihres Verantwortungsbewusstseins rühmen.
Während Anbieter wie Atmosfair, Klima-Kollekte oder myclimate neben Flugreisenden auch Hausbesitzer und Stromkunden dazu bringen möchten, ihren unvermeidbaren CO2-Ausstoß mit einigen Euros freiwillig zu kompensieren, bietet uwiano ein für den Endverbraucher völlig kostenfreies Kompensationsmodell an.
Bild: Uwiano, 2015
Was bislang mit Mehrkosten verbunden war oder sogar auf einer Veränderung des Konsum-verhaltens beruhte, kann jetzt kostenlos und äußerst bequem erworben werden: die Erleichterung des eigenen Gewissens. Auf uwiano.de findet jeder Kaufinteressierte einen Link zu seinem favorisierten Onlineshop, wo man wie gewohnt seinen Einkauf tätigen kann. Egal ob Amazon, Saturn oder Galeria Kaufhof, die Onlineversender überweisen »Klima ohne Grenzen«, einer gemeinnützigen Organisation und Betreiber von uwiano, einen Cent-Betrag pro getätigtem Einkauf. »Klima ohne Grenzen« garantiert, dass 80% ihrer Einnahmen in CO2-Kompensationsprojekte fließen. Wie groß diese Summe allerdings ist, wird auch auf Nachfrage nicht verraten. Selbst die Summe, die für den eigenen Einkauf gespendet wird, erfährt der Käufer nicht.
Stattdessen werden in aller Ausführlichkeit fünf Klimaschutzprojekte vorgestellt, die »Klima ohne Grenzen« mit den Einnahmen fördert. Obwohl alle Projekte nach dem sogenannten »Gold Standard« zertifiziert sind (einem Standard, der u.a. vom World Wide Fund for Nature (WWF) entwickelt wurde und laut Selbstvermarktung eine projektbezogene Reduktion von Treibhausgasen gewährleistet und nachhaltige Entwicklung vor Ort fördert), bleibt ein Problem: Die bereits entstandenen Emissionen von Treibhausgasen werden über die gesamte Produktionskette betrachtet und tendenziell zu niedrig eingeschätzt. Die zukünftig eingesparten Emissionen in den Projekten werden dagegen oft zu hoch angesetzt.
Das Werbecredo der »CO2-Dienstleister« lautet: Wer seinem Produkt das Label »CO2-neutral« anhängt, verschafft sich gegenüber der Konkurrenz mit dem »Differenzierungsmerkmal Klimaneutralität« den entscheidenden Verkaufsvorteil. Während die Hersteller von »FCKW-freien« Kühlschränken eine Beeinflussung des Klimas ganz einfach durch einen Verzicht ausschließen konnten, erfordert die Werbung mit dem Label »CO2-neutral« deutlich mehr Erläuterung.
Es gab eine Zeit, da schien allein Biergenuss schon praktizierter Klimaschutz zu sein. Nun allerdings, wo die Erkenntnis um sich greift, dass durch etwas Bierkonsum aufgeforstete Regenwälder noch kein intaktes Klima bedeuten – weil Bäume einfach sehr lange brauchen, um groß zu wachsen und viel CO2 kompensieren zu können–, da sollte die Kommunikation offener und transparenter erfolgen und durch Beispielrechnungen belegt sein. Warum also nicht veröffentlichen, was der Geschäftsführer von uwiano, Christian Bachmann, auf Nachfrage bereitwillig erläutert: »Kauft ein uwiano.de-Nutzer ein T-Shirt (VK Preis 30,00€) in einem unserer Partnershops investieren wir 0,20€ in den Ausgleich von 10 kg CO2.«.
Die Entscheidung, ob einem Käufer schon dieser niedrige Kompensations-Betrag reicht, oder ob er diese 20 Cent nicht lieber der Näherin seines T-Shirts für ihren Lebensunterhalt überlassen möchte, wird von der Kompensationsidee nicht zugelassen. Ein Käufer aus Deutschland kann es sich leisten, dass sein Gewissen bereits dadurch beruhigt wird, wenn in Mali, sobald genügend T-Shirts verkauft wurden – uwiano also genug Geld gesammelt hat –, eine Familie irgendwann mit einem energiesparenderen Ofen kochen kann.
Die »Moralisierung der Märkte« spiegelt sich für Nico Stehr unter anderem in einem »tief greifenden Widerspruch […] zwischen ökonomischer Entwicklung, insbesondere in Form exzessiver Konsumption, und umweltschonender Nachhaltigkeit«. Es liegt am Konsumenten zu entscheiden, ob es ihm ausreicht, wenn dieser Widerspruch durch ein Label aufgelöst erscheint, das die Versicherung trägt, etwas sei »CO2-neutral« produziert worden.
In einer Welt voller innovativer Produkte und Dienstleistungen wurde der Begriff »CO2-Neutralität«, nicht zuletzt unterstützt durch ein häufig wiederkehrendes Bildrepertoire zu einem Schlagwort für »Innovation und Verantwortung«. All die grünen und luftig-leichten Plakate, Webseiten und Fernsehspots suggerieren dem Verbraucher, dass er sein Konsumverhalten nicht ändern braucht, sondern bereits kleine Cent-Beträge, die er nicht einmal selbst aufbringen muss, bereits Gutes bewirken. Der Subtext dieser fröhlich-heiteren Klimakommunikation lautet: »Mach dir keine Sorgen! Deine Sorgen sind unsere Sorgen und bei uns in sorgsamen Händen!«
Diese Wohlfühlatmosphäre mag für das »Konsum-Klima« förderlich sein und die Einkaufslust stimulieren. Wenn Unternehmer und Dienstleister Klimaschutz allerdings auf so naive Weise in ein Produkt verwandeln, dann wird vielleicht manches eher leicht belastete Gewissen beruhigt, letztlich aber nicht mehr als nur ein grüner Lifestyle bedient.
Henning Arnecke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe.