Mode März
von Patricia und Sabina Muriale
29.3.2015

Health Goth – Just Don’t.

Eigentlich, so wird behauptet (etwa von oystermag), ist Health Goth als Subkultur schon seit Oktober letzten Jahres tot. Niedergestreckt u.a. durch die Erwähnung in der britischen Ausgabe der Frauenzeitschrift „Marie Claire“ als top-aktueller „Underground Fashion Trend“.

Denn wenn der Mainstream erst die Subkultur für sich annektiert, wenn der Prozess kultureller Appropriation in kommerzieller Vermarktung endet, ist der vornehmliche „Underground“ seinem Kontrahenten erlegen. Doch war Health Goth jemals Underground, wenn es sich der Massenmedien und ihrer Verbreitungsstrategien bewusst bediente? Oder kann man davon ausgehen, dass seine geistigen Schöpfer von Anfang an einen kommerziellen Hintergedanken hatten?

Eindeutig ist nur, dass die streng kuratierten Codes dieser Konzeptmode bereits durch die öffentliche Nutzung multiplen Mash-Up-Mechanismen ausgesetzt wurden. Besonders anschaulich wird diese Umsetzung in den Mainstream durch das aktuelle Massenphänomen des uniformen Schwarztragens, wie derzeit in der Berliner Clubkultur zu beobachten.

So wird bereits in gängigen Internetforen, Blogs oder Reisemagazinen schlicht auf die Farbe Schwarz verwiesen, wenn es um Tipps für die passende Kleiderwahl geht, um sich zum einen der Mehrheit anzupassen und zum anderen bei den berühmtesten Club der Stadt nicht am Einlass abgewiesen zu werden. Dass Schwarztragen und Health Goth nicht gleichbedeutend sind, sondern hinter Letzerem andere ästhetische Regeln stehen, dazu später mehr. Vorab zeigt die Gleichsetzung deutlich, dass der Mainstream nur die am einfachsten zu übersetzenden Codes eines Trends aufgreift.

Was übrig bleibt, ist eine Farbe plus Sportklamotten, vorrangig Sneakers, die wiederum vor allem mit starken Marken wie Nike oder Adidas verbunden werden. Diese (Fehl-)Interpretation einer Ästhetik ist wohl der eigentliche Tod dieser Subkultur in Sachen Mode.

Health Goth Facebook 1

Quelle: Facebook-Seite Health Goth

Man könnte allerdings auch direkt Stars und Sternchen wie Subkultur-Kannibalin Rihanna mitbeschuldigen, dass sie nicht nur den Health Goth auf dem Gewissen hat, sondern auch den Seapunk sowie Ghetto Goth.

rihanna

Quelle: asos.de

Die Gründer der stilprägenden Health-Goth-Facebook-Seite, Mike Grabarek, Jeremy Scott und Chris Cantino aus Portland, sehen das Copycatting weniger tragisch, da es Teil ihrer Internetkultur ist, die durch die grenzenlose Freiheit des WWWs Phänomene wie Health Goth und Co. überhaupt erst entstehen lässt. Fast könnte man meinen, dass sie bell hooks Mahnung „cultural appropriation falls short because it is always imitation, fake“ als künstlerische Herausforderung sehen.

Für den Musikjournalisten Adam Harper ist Health Goth wiederum weniger ein modischer Trend ephemeren Charakters, sondern mehr eine neue Form von Ästhetik, die aus den digitalen und multimedialen Möglichkeiten des Internets ihre Inspirationen zieht: „An aesthetic is not an object, it’s a way of looking, a way of finding beauty and sifting experiences, originating with process and behaviour rather than product, or, indeed, a journalist with a butterfly net.“ (the fader)

Health Goths sind sich ihrer unverschämten Aneignungs-Taktiken offenbar bewusst. Sie bedienen sich aus einem schier unendlichen Meer an Bildern und aus anderen (Sub-)Kulturen, die ihrem Verständnis von Ästhetik entsprechen. Health Goth ist ein Hybrid, der sich im unaufhaltsam aktualisierenden Daten- und Zeitfluss stetig wandelt und neue Formen annimmt – angetrieben von den grenzenlosen Möglichkeiten des Internets. Kein Wunder, dass Transhumanismus eins der Faszinosa ist, die das Denken der Health Goths umtreibt.

Health Goth Facebook 2

Quelle: Facebook-Seite Health Goth

„Health“ soll nicht etwa implizieren, dass es sich um eine dem Fitnessport und der Athletik verschriebene Gemeinschaft handelt, sondern benennt einen Fetisch, bei dem die Ästhetik des athletischen Körpers und der damit verbundenen Mode im Vordergrund steht.

Health Goth Facebook 3

Quelle: Facebook-Seite Health Goth

Ästhetik und Körperoptimierung sind zwei Faktoren, die der Definition der beschriebenen Subkultur und ihrem Ausdruck durch Mode eine neue Dimension verleihen. Denn Mode verkörpert eine Haltung und ist nicht, wie oft angenommen, allein das Ergebnis einer Zusammenstellung von Kleidungsstücken. Im Falle des Health Goth steht eine starke Idealisierung des perfekten Körpers sowie des Geistes im Vordergrund, die Erhabenheit und gleichzeitig eine Art Trotz gegenüber Imperfektionen und Normen darstellt.

Auch wenn die monochrome Grundstimmung etwas Uniformiertes hat, ist die Art und Weise, wie Sportswear-Ästhetik mit Goth- und Punk-Elementen verwoben wird, experimentell und in ihrer Form konzeptionell. Health Goth ist keine zufällig zusammengewürfelte Streetwear-Erscheinung, sondern ein durchdachtes Gesamtkonzept aus Körper- und Kleidermode.

Die Mode bzw. der „richtige“ Kleidungsstil ist wichtiger Bestandteil der Health-Goth-Bewegung, die sich von Labels wie Cottweiler, Whatever 21 und ADYN inspirieren lässt. Dass dabei Marken wie Adidas oder Nike verballhornt werden, ändert nichts an der Tatsache, dass sie durchaus davon profitieren und ihre Verkaufszahlen in die Höhe schnellen.

Aber auch Designer wie Alexander Wang (für H&M) oder Trittbrettfahrer wie der DJ Mr. Love aus Chicago bereichern sich an Subkulturen und schlagen daraus kommerziellen Profit. Das Interessante hierbei ist jedoch, dass das Health-Goth-Phänomen und somit auch das neue Mode-Genre aus der visuellen Kraft des Internets geboren zu sein scheint – und nicht, wie andere Subkulturen, auf dem Laufsteg der Straße.

In einem Interview erläutern die Gründer von Health Goth, dass es keinen die Community umspannenden Musikstil gibt, der das Phänomen definiert. Und dennoch bilden alle Komponenten wie digitale Ästhetik, Stil und Mode sowie Musik genau das Bild von Health Goths.

virginblak

Quelle: virginblak.com [Website nicht mehr verfügbar]

Auf der Facebookseite wird an einer Welt gebaut, die strengen ästhetischen Regeln unterworfen ist. Die Auswahl ihres Style-Fokus liest sich wie eine Sammlung von Tags auf  Instagram: „mesh, moisture-wicking fabrics, BioWare, body enhancement tech, prosthetics, shoe dipping, various fashion and performance wear brands, transparent clothing, chains and light weaponry, tactical gear, corporal mortification, and rendered environments.“

Alle diese Beschreibungen zeigen das Bild einer stark visuell geprägten Generation und den Wandel einer Subkultur von ihrem Entstehungsprozess bis hin zu ihrem Ableben oder Aufgehen im Mainstream. Ein Determinismus, der in der Internet-Kunst keine fatale Bedrohung, sondern eher einen natürlichen Vorgang darstellt, der zum kreativen Leben im digitalen Zeitalter dazugehört.

Den Zusammenhalt bietet die Internet-Community: ein Verbund von Gleichgesinnten, die sich keineswegs gedankenlos und unreflektiert dem Fluss des Datenstromes hingeben, sondern sich künstlerisch mit den Möglichkeiten des Netzes auseinandersetzen. So zumindest das Idealbild eines erfüllten Health-Goth-Daseins. Dass kulturelle Appropriation auch ein politisches Problem darstellt, über das man reden sollte, ist der Internet-Community entweder nicht bewusst, oder sie wird im Sinne der Netzfreiheit als selbstverständliches Tool wie Remix oder Mashup interpretiert.

Dennoch sollte man erwähnen, wo manche ästhetischen Bezüge ihren Ursprung haben. Harper nennt, neben dem Hinweis auf die African American Culture, vor allem Queer Erotics und veranschaulicht das mit dem Foto des schwulen Rappers Le1f.

Le1f

Quelle: Sam Bayliss Ibram

Es ist abschließend zu erwähnen, dass die Macher der Facebook-Seite Health Goth von ihrem Durchbruch in den Mainstream-Medien stark profitieren. Die Anzahl der Likes schnellte innerhalb kürzester Zeit von wenigen tausend auf mehr als zwanzigtausend Likes hoch. Die Ambivalenz der Mode, ihre Fähigkeit, zwischen Standpunkten und Auffassungen flexibel hin und her zu wechseln und genau aus den Gegensätzen ihre Energie,Inspiration und Innovation zu ziehen, zeigt sich auch in den jüngsten Subkulturen. Vor allem, wenn sie sich im digitalen Zeitalter aus Social Media und unendlicher Bilderflut erheben. Mode ist lebendig, wie Sprache, sie lebt davon, genutzt und modifiziert zu werden.

 

Patricia Muriale ist Modedesignerin und Trendscout. Nach Aufenthalten in London und Zürich lebt und arbeitet sie in Berlin. Sie ist Teil des Design-Teams des Schuhlabels Shanibar. Auf ihrem Blog veröffentlicht sie Texte zur Zukunftsforschung im Design.

Sabina Muriale ist Kulturanthropologin, Lehrende an der Akademie der Bildenden Künste Wien im Fachbereich Moden und Styles sowie Teil des kreativen Teams des Modelabels Edwina Hörl (Tokio).