Genforschung aus dem Pumpspender
Die DNA-Doppelhelix ist eine Ikone, eine »Mona Lisa of Modern Science« (Martin Kemp). Das Modell mit den verdrehten Erbgut-Strängen vertritt die Naturwissenschaften mit ähnlicher Prominenz wie die Mona Lisa die Kunst.
Jedes Kind kennt das charakteristische Erscheinungsbild der DNA-Molekularstruktur. Es reicht, ein Kunststoffmodell mit der Doppelhelix in die WG der Big-Bang-Theory-Nerds zu stellen, und das Serienpublikum weiß: Hier wird an der Substanz der Natur geforscht.
Seit ihrer Entdeckung 1953 fasziniert die Doppelhelix, weil sie einen Einblick in den Bauplan des Lebens verheißt – und weil sie ausgesprochen schön ist. Mit ihren anmutig geschwungenen, ineinander gedrehten und von Sprossen zusammengehaltenen Bändern folgt sie, wie Wolfgang Ullrich in seinem Band »Was war Kunst? Biographien eines Begriffs« anmerkt, einem ästhetischen Rezept, das William Hogarth bereits im 18. Jahrhundert auf die Formel der »Line of Beauty and Grace« brachte: Eine spannungsvoll dahinschlängelnde Linie, deren Kurven weder zu ausgeprägt noch zu zaghaft ausfallen, verkörperte für den Kunsttheoretiker das Ideal einer harmonischen Mitte.
Und so ist die Doppelhelix eine beliebte Blaupause für Künstler und Designer – von Skulptur im öffentlichen Raum, Brückenbau und Hochhausarchitektur, bis hin zu Hängelampen und Ohrringen.
Kaum verwunderlich also, dass man der Doppelhelix selbst im Drogeriemarkt begegnet. Freilich sind harmonisch gedrehte Linien nicht immer gleich ein Hinweis auf das DNA-Modell, gehören sie doch zum Standardrepertoire der Formensprache des Kosmetikmarketings.
Allgegenwärtig ist der effektvoll in Szene gesetzte Strahl, der sich in den Cremetiegel ergießt, sich dabei wellenförmig verjüngt und wieder verbreitert –oder sogar wie belebt um ein Produkt herumwirbelt.
Oft taucht die Schlängellinie aber auch als abstraktes Schmuckelement auf, wie auf der Verpackung der Anti-Falten-Tagescreme aus der Produktlinie Youth Code von L’Oréal: Hier werden die streng-geradlinigen Formen eines Cremetiegels von einem gedrehten halbtransparenten Band umspielt, dessen dunklere Ränder sich ostentativ überschneiden.
Mag man die Paarung dieses Bildelements mit dem Produktclaim »Neue Ära durch Inspiration aus der Genforschung« vielleicht noch eher für Zufall halten, als darin eine Anspielung auf die Doppelhelix zu sehen, doch wird das DNA-Modell in anderen Produktinszenierungen expliziter aufgegriffen. Vor allem Produkte, die flüssiges Make-up und Anti-Ageing-Pflege zu kombinieren versprechen, scheinen oft Anleihen an die Doppelhelix zu machen.
Nebenbei liefern die rezensierten Make-ups hervorragende Fallbeispiele für den oftmals penetranten Szientismus des Kosmetikmarketings, der sich auch in der Formensprache der Produktinszenierung bemerkbar macht. Für Kosmetikhersteller lohnt es sich nicht nur aus ästhetischen Gründen, die DNA-Doppelhelix zu zitieren, sondern auch weil sie jedem als Ikone der Naturwissenschaften vertraut ist, ja als Botschafterin einer Leitwissenschaft, der Genetik, gilt.
In Zeiten, in denen kaum eine Fußcreme auf den Markt gebracht wird, ohne dass sie dem Käufer als laborfrisches Produkt fortschrittlichster Grundlagenforschung präsentiert würde, verwundert es daher wenig, dass gleich mehrere Hersteller auf ähnliche Produktinszenierungen verfallen – zumal es um das Abwenden der von den Genen gesteuerten Hautalterung geht.
Zunächst das »straffende Cover Make-up« Instant-Anti-Age Effekt von Maybelline Jade.
Das Make-up verlässt den Spender flüssig, doch in seinem durchsichtigen Behältnis ist es noch ein skulpturales Gebilde in einer gallertartigen Masse: Ein kräftiger Make-up-Strang schraubt sich durch die Flasche empor, in rhythmischem Wechsel mit zwei feinen Strängen in den Zwischenräumen. Der zylindrische Behälter wird von einer hautfarbenen Spirale ausgefüllt.
Entgegen seiner Natur wird das Make-up also unter Spannung gesetzt, man wartet beim Druck auf den Pumpspender förmlich darauf, dass es elastisch zurückfedert.
Dies soll wohl die zu erwartende Wirkung des Produktes, das programmatisch als »Der Lifter« antritt, vor Augen führen. Denn neben seiner Eigenschaft als deckende Farbschicht geriert sich das Make-up auch als Anti-Ageing-Produkt.
Seine Anwendung gibt der vom Alter erschlafften Haut seine Elastizität und Spannkraft zurück, dieses Versprechen vermittelt die auffällige Formgebung gleich auf den ersten Blick ins Produktregal. Die technoide Make-up-Spirale ist freilich keine Doppelhelix in Reinform, eher eine gelungene Variation, die dennoch als Zitat zu erkennen bleibt.
Auffällig ähnlich sieht das Flaschendesign der perfect & correct foundation von stila aus.
Der Pumpflakon bewahrt die Make-up-Foundation in ihre einzelnen Bestandteile getrennt auf: Ein klares Gel gibt den Blick frei auf zwei dicke, sich monoton umeinanderwickelnde hautfarbene Stränge, die wiederum von einem filigranen weißen Strang in einem größeren Kreis umschrieben werden.
Während Maybelline seinem Make-up den Charakter einer federnden Spirale verleiht, lässt diese Inszenierung eher an eine Schraube oder eine Fusilli-Nudel denken – für ein Make-up-Produkt weder eine plausible noch ästhetisch reizvolle Formwahl.
So bleibt die Doppelhelix eine formale Spielerei, die jedoch nicht an die ausgewogene Eleganz der Spirale bei Maybelline heranreicht – geschweige denn an die des DNA-Modells, der prototypischen Doppelhelix. Immerhin macht das Design neugierig darauf, zu welcher Textur und welchem Farbton sich die einzelnen Stränge schließlich wohl verbinden mögen.
Ein weiteres Produkt derselben Linie treibt diese Form der Aktivierung der Fantasie weiter.
Das one step correct serum beinhaltet drei verschiedenfarbige, in sich gedrehte Stränge, die sich wiederum umeinander wickeln. Der rätselhafte Flascheninhalt wird als »innovative, triple-swirled helix serum« beworben. Der Werbetext klärt das Farbenspiel auf: Die grüne Flüssigkeit neutralisiere optisch Rötungen, der lavendelfarbene Bestandteil wirke Blässe entgegen und der pfirsichfarbene Strang belebe den Teint und überspiele Pigmentflecken.
Durch seine redundante Struktur soll das dreifache Helix-Design offenbar eine gegenseitige Potenzierung der verschiedenen Inhaltsstoffe nahe legen. Und so schreibt der Hersteller der Kombination aus den Akteuren des »Serums« eine Reihe von positiven Eigenschaften zu, unter anderem eine Anti-Ageing-Wirkung. Auch wenn sich stila dabei, wie auch Maybelline, nicht explizit auf die Genforschung bezieht, provoziert die Inszenierung der Flüssig-Make-ups gleichwohl derartige Assoziationen.
Die Produktbezeichnung »serum« lässt über die eigentliche Funktion des Produkts im Unklaren – sie muss erst wortreich durch den Text erläutert werden –, klingt aber geheimnisvoll und lässt den Flascheninhalt als potentes Medizinprodukt erscheinen. Das nüchtern-reduzierte Design der Flasche bekräftigt, dass es »Serum« enthält. Das typografische Understatement leistet dem Eindruck Vorschub, dass das Produkt gerade erst das Labor verlassen hat und keiner Inszenierung bedarf, um seine Wirksamkeit unter Beweis zu stellen.
Bei stila wie bei Maybelline wird das Make-up wie ein in Formaldehyd schwimmendes Exponat einer medizinischen Lehrsammlung dargeboten – so als hätte man es nicht bloß mit einem Modell, sondern mit dem Stoff der DNA höchstselbst zu tun.
Auch beim Age Defying Cream Make-up mit »DNA Advantage« von Revlon – ein Produkt also, das explizit mit der Genforschung hausieren geht – ist die Spirale zentrales Gestaltungsprinzip.
Eine Anleihe an die Doppelhelix ist jedoch kaum mehr zu erkennen, das Make-up windet sich gleichförmig und gemächlich wie gedrechseltes Elfenbein durch den Flakon. Die Dynamik der Spirale ist hier stillgelegt und weicht einem rundlich-trägen Gewinde. Die Spiralform schwimmt auch nicht in einem klaren Gel, sondern wird von einem massiven Acrylbehälter fest eingeschlossen wie ein Insekt im Bernstein.
Aus gutem Grund: Die so präsentierte Substanz beansprucht schließlich für sich, die DNA der Kundinnen-Haut zu schützen (»Helps protect skin’s DNA«). Die Verpackung mit dem Appeal eines edlen Kristallflakons hilft jedoch kaum darüber hinweg, dass das Versprechen auf Wirkung auf Molekularebene von der Formgebung geradezu konterkariert wird: Das Make-up wird in eine plumpe, brachialhaptische Form gepresst, die so grobstofflich wirkt, dass man ihr kaum zutraut, unfallfrei in die Haut einzudringen – und viel zu bräsig, als dass man ihr ernsthaft altersbekämpfende Aktivitäten zutraute.
Warum Revlon nicht wie seine Konkurrenten die Chance genutzt hat, das Flaschendesign der reizvollen DNA-Struktur nachzuempfinden – auf die das Produkt ja ausdrücklich abzielt –, ist schwer nachvollziehbar.
Allen hier rezensierten Make-ups ist gemein, dass sie ihre eigentliche Funktion als dekorative Kosmetik transzendieren. Sie begnügen sich nicht damit, die Haut mit einer schmeichelnden Pigmentschicht zu überziehen und sie allenfalls durch simulierte Glätte jünger aussehen zu lassen. Diese Flüssig-Make-ups dringen nicht nur in die Haut ein, sondern, so wird suggeriert, wirken sogar auf ihr Erbgut ein.
Diese erwünschte Wirkung veranschaulichen die Hersteller durch die Gestaltung der Verpackung: Mit dem Spiral-Design bedienen sie sich nicht bloß einer bewährten ästhetischen Formel, sondern erinnern darüber hinaus an die DNA-Doppelhelix – die Ikone der Genforschung, von der man sich das Rezept für ewige Jugend erhofft.
Ulrike Keuper ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Akademie der Bildenden Künste München.