Welche Qualität?
Seinen Artikel zu »TV-Serien-Analysen« begann Heinz Drügh auf diesen Seiten mit den Worten: »Alle, aber auch alle schauen sie an, jene derzeit so populären Serien des sogenannten ›Qualitäts-TVs‹. Angesichts des Konsenskartells wäre es durchaus reizvoll, wider den Stachel zu löcken und nicht ein weiteres Mal mit rotwangiger Begeisterung zu verkünden, wie unfassbar komplex doch die ›Sopranos‹, wie nie dagewesen realistisch ›The Wire‹ ist.« (pop-zeitschrift.de, September 2013)
Nun, das kann er haben, zumindest indirekt. Michael Z. Newman und Elana Levine kritisieren zwar nicht die genannten Sendungen, wohl aber die Begründungen, mit denen sie zum Qualitäts-TV geadelt werden. Um dies zu tun, zeigen sie zuerst an reichem empirischen Material auf, welche Argumente und Strategien gebraucht wurden, um in den Zeiten von Pay-TV, DVD, Streaming bestimmte Serien als Beispiele des neuen Qualitätsfernsehens auszugeben.
Als besonders bedeutungsvoll erachten sie für die erfolgreiche Hochwertung besagter Serien im US-amerikanischen Feuilleton, in wissenschaftlichen Studien, in der Selbstreflexion von TV-Machern, in der Werbung bestimmter Kabelsender, in den Auswahlgremien von TV-Preisen:
1. Die Herausstellung des »showrunners« (des Produzenten/Ideengebers) als Werkschöpfer – analog zur bereits mehrere Jahrzehnte früher durchgesetzten Privilegierung des Regisseurs im ähnlich hochgradig arbeitsteiligen Film zum Autor. 2. Die Favorisierung des kinematografischen »single-camera-style« gegenüber der gleichzeitigen Aufnahme einer Szene durch mehrere Kameras. 3. Die Absetzung von einem als ›massenhaft‹ und ›feminin‹ typologisierten Fernsehprogramm und seinen Zuschauern.
Als entscheidende Distinktion dafür sehen sie die Abgrenzung von der soap opera an: »through an emphasis on the crucial place of a narrative conclusion, through persistent efforts to ›cheat‹ the degree of serialization in favor of more episodic storytelling, or through a resistance to soap-like subject matter« (S. 99).
Diese Großbefunde lassen sich natürlich auch für die Nachzeichnung von Grenzziehungen nutzen, die konkrete Wertsetzungen zwischen verschiedenen Serien betreffen, ebenso für die Charakterisierung einzelner Serien. Zu den »Sopranos« führen Newman und Levine etwa aus: »Tony’s tale offers a metaphor for the ways cinema itself has been felled by television, as well as the ways that the masculinized world has been hobbled by the increasing presence and power of the feminine. Tony is at once an object of ridicule and a site of identification for the masculinized viewing subject, to be mocked but also pitied for his failure to live up to the masculine ideal of the cinematic gangster« (S. 95).
Das gut lesbare und nachvollziehbar analysierende Buch bietet nicht nur eine wissenschaftliche Untersuchung, sondern verhält sich auch kritisch zu den festgestellten Befunden. Angeleitet vom Soziologen Pierre Bourdieu und einigen Ansätzen der Cultural Studies verstehen sich die Autoren offenkundig nicht nur als Wissenschaftler, sondern als kritische Wissenschaftler. Den von den Verfechtern des Quality TV favorisierten Sendungen können sie zwar selbst oftmals einiges abgewinnen, dennoch findet der aus ihrer Sicht ›elitäre‹ und antifeminine Zug dieser »discourses of cultural uplift« keineswegs ihre Zustimmung.
Ihr Fazit lautet klar und deutlich: »We love television. But legitimizing that love at such a cost? Paying for the legitimation of the medium through a perpetuation of hierarchies and cultural value and inequalities of class and gender? No.« (S. 171)
Abgesehen davon, dass man Präferenzen gar nicht anders als durch Hierarchisierungen artikulieren kann, leisten aber die Autoren vor allem eines nicht: Sie begründen und zeigen nicht, wie man die ›Liebe zum Fernsehen‹, zu der sie sich bekennen, auf eine Weise manifestieren kann, die nicht zu einer Aufrechterhaltung von Chauvinismus und sozialer Ungleichheit beiträgt.
Wenn man schon meint, Wissenschaft solle nicht nur richtige von falschen Aussagen scheiden und überprüfbare Ergebnisse historischer Untersuchungen liefern, sondern sich auch im Namen einer besseren Gegenwart und Zukunft kritisch zu solchen historischen Tatsachen verhalten, dann wäre es wohl nicht verkehrt, diesen Ansatz näher auszubuchstabieren.
Sicher, dass die aus der Bevorzugung männlicher Kraft und Tiefe erfolgende Ablehnung als ›feminin‹ gelabelter Genderattribute schlecht und die Überwindung der Klassenspaltung gut ist, steht für die Autoren von selbst fest, da sehen sie wahrscheinlich gar keine weitere Äußerungsnotwendigkeit – und es gibt ja auch mehr als genug an Schriften dazu. Zumindest aus letzterem Grund mag man den Autoren ihr Schweigen nachsehen.
Anders jedoch beim Punkt der Begründung ästhetischer Wertsetzungen. »We love television«, das meint bei ihnen ja: Wir lieben auch (oder gerade?) soap operas! Aber weshalb? Weil sie vermehrt von Frauen und ›effeminierten‹ Männern gesehen werden und weil die Quality-Highbrows entsprechenden Sendungen abfällig nachsagen, von den ›Massen‹, dem ›Mainstream‹, den ›Unterschichten‹ gesehen zu werden? Ändert sich durch die Kritik an solchen kultur-elitären und chauvinistischen Aussagen etwas an der Lage von Frauen und Unterschichtsangehörigen? Reicht es nicht schon (im Guten wie im Schlechten mehr als) aus, dass solche soaps in großer Zahl produziert und ausgestrahlt werden? Und wenn das nicht so wäre, wie sähen dann die ästhetischen Bekundungen aus, die soap operas auf kulturell wie sozial zuträgliche Weise lobten?
Nichts an solchen Überlegungen im Buch. Von den Autoren wird nicht ein einziges Urteil vorgebracht oder zitiert, das z.B. zum Lob von »Gossip Girl« oder dem Chic und dem Design (nicht der bemühten Psychologie) von »Mad Men« ansetzt, als gäbe es solche Formen der Pop-Affirmation innerhalb der journalistischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Welt überhaupt nicht. Wie das vorliegende Buch aber zumindest selbst ex negativo – durch seine verständliche Kritik der Quality-TV-Begründungen und durch seine damit verbundene Kritik der Soap-Denunzierungen – belegt, ist dies nicht der Fall.
Bibliografischer Nachweis:
Michael Z. Newman/Elana Levine
Legitimating Television. Media Convergence and Cultural Status
New York und London 2012
Routledge
ISBN: 978-0-415-88025-1
217 Seiten