Zwei Schokoladenprodukte
Plant for the Planet: Die Gute Bio-Schokolade
Original Beans: Esmeraldas Milk
Es mag ungewöhnlich erscheinen, wenn in einer Rezension über zwei Schokoladen keine Bewertung des Geschmacks erfolgt. Während eine Produktrezension die Qualität des Gegenstandes bewerten muss – bei Lebens- und Genussmitteln ist die sensorische Beurteilung dabei ein zentrales Kriterium –, sollte die Konsumrezension aus einer übergeordneten Perspektive heraus Informationen und Urteile zur produktimmanenten Ideengeschichte bieten und die Kaufentscheidung beleuchten.
Sowohl Marketing als auch Verpackung liefern als äußerliche Kaufstimulanzen genügend Informationen, um ein Produkt gesellschaftlich und kulturell zu kontextualisieren. Die Schokoladen von „Original Beans“ und „Plant for the Planet“ können als Beispiel dafür gelten, wie versucht wird, durch die Schaffung eines Mehrwertes („Baumpflanzaktion“) den Genuss der Schokoladen mit einer Geschichte und Vision zu versehen. Die Kaufentscheidung eines Genussmittels bekommt auf diese Weise eine ethische und moralische Dimension.
Der erste und für die Kaufentscheidung sehr wichtige Teil der Vermarktung stellt die Verpackung dar. Bei beiden Schokoladen ist sie ein Hinweis auf die verschiedenen Marktsegmente, für die sie konzipiert wurden.
Die Papierverpackung der „Guten Bio-Schokolade“ wirkt anspruchslos gestaltet, trotzdem heben sich die Weiß- und Brauntöne im Süßwarenregal stark ab. Die in Tutzing beheimatete Organisation verfügt nach eigenen Angaben über kein Werbebudget und setzt darauf, dass die Kinder und Jugendlichen, die diese Organisation unterstützen, über soziale Netzwerke Werbung für die Schokolade betreiben.
Das Design der in Karton verpackten „Original-Beans-Schokoladen“ (in diesem Beispiel die Sorte „Esmeraldas Milk“) lässt das Produkt als „Premium-Schokolade“ erscheinen – angeboten wird sie vornehmlich in großen Kaufhäusern und gut sortierten Naturkostmärkten. Kimberly Varella, Designerin aus Los Angeles, hat die symmetrisch komponierte Baum- und Pflanzenornamentik entworfen, die in matt-goldener Farbe die angedeutete Bauchbinde mit Produktnamen und Sortenbezeichnung, nach oben und unten rahmt. Eine Gemeinsamkeit beider Verpackungen findet sich in der Verwendung von Logos, die die Vorzüge des Produktes ausweisen. Einmal wird der großartige Geschmack („great taste“) durch eine Plakette bezeugt, im anderen Beispiel finden sich Nachweise zu fairem Handel und CO2 -neutraler Produktion auf der Schokolade.
(Bild: Verfasser)
Bis hierher scheinen sich beide Produkte kaum von anderen Fair-Trade-Schokoladen im Supermarktregal zu unterscheiden. Trotzdem wird die These von Simon Bieling, dass die Differenz zum Konkurrenzprodukt zentraler Ausgangspunkt der Produktgestaltung sei, bei beiden Schokoladen bestätigt.
Im vorliegenden Fall wird jedoch nicht nur die grafische Gestaltung, sondern darüber hinaus auch die übergeordnete Produktidee als Differenzierungsmittel verstanden. „Jede Tafel ein Baum“ oder: „3 Tafeln kaufen, 1 Baum pflanzen“ lautet das Versprechen, mit dem zum „Erhalt des authentischen Arriba Kakaos“ beigetragen werden soll und gleich der Slogan verbunden ist: „Stück für Stück die Welt retten“. Beide Schokoladen erbringen so den Nachweis, dass Konsum vielfach eine kommunizierbare soziale Handlung darstellt und zum Ausweis der eigenen Weltsicht gereicht.
Damit der Konsum von Schokolade möglichst glaubhaft die eigene ethisch geprägte Weltsicht vertritt, sie am besten sogar unterstützt, bedarf das Produkt einer entsprechenden Kontextualisierung. Dabei wird sowohl eine historische Verortung vorgenommen, als auch eine Vision formuliert.
Die historische Bezugnahme zielt sowohl bei „Plant for the Planet“ als auch bei „Original Beans“ (in beiden Fällen auf der Website und nicht auf der Verpackung) auf die lange Tradition des Begriffs ‚Nachhaltigkeit‘. Dem eigenen Versprechen folgend, Bäume zu pflanzen, wird der Begriff der Nachhaltigkeit auf seinen tatsächlichen Ursprung, die forstwirtschaftlichen Reformbemühungen im frühen 18. Jahrhundert, zurückgeführt und zu einer Vision verarbeitet.
Zugegeben, der mittlerweile 16jährige Felix Finkbeiner ist noch ein sehr junger Visionär. Ausgehend von einem Schulreferat zum Thema Klimawandel 2007 hat Felix Finkbeiner die Idee entwickelt, bis zum Jahr 2020 weltweit eine Milliarde (!) Bäume zu pflanzen. Seitdem reist er, unterstützt von seiner Familie, von Kontinent zu Kontinent, gewinnt stetig neue „Botschafter“ für seine Idee, pflanzt Bäume, gründet „Akademien“ und sammelt Geld, viel Geld. Einiges von diesem Geld wurde ihm im Januar 2012 von einigen Süßwarenherstellern versprochen.
Einer dieser Hersteller, der Schweizer Schokoladenproduzent „Chocolats Halba“, produziert seitdem unter Lizenz „Die Gute Schokolade“ und „Die Gute Bio-Schokolade“. Beide Sorten wurden mittlerweile von großen Handelsketten in ihr Sortiment aufgenommen, wodurch pro verkaufter Tafel 20 Cent beziehungsweise 33 Cent an „Plant for the Planet“ fließen (der Verkaufspreis für „Die Gute Schokolade“ beträgt 1 Euro, als Bio-Produkt kostet sie 1,25 Euro).
Um der Vision der Weltrettung ein Stück näher zu kommen, müssen die Einnahmen allerdings weiter fleißig verpflanzt werden. Die neuen Bäume sollen schließlich das CO2 in der Atmosphäre aufnehmen und so den Klimawandel stoppen. Auf der Suche nach ausreichendem Platz für neue Pflanzungen ist die Organisation aktuell in Malaysia fündig geworden. Auf der eigenen Website heißt es dazu: „Wir werden einen ‚Schokoladenwald’ machen, wo man nachvollziehen kann, wie viele Bäume durch den Verkauf der Guten Schokolade schon gepflanzt wurden.“
Bei so viel globaler Aktivität kann einem als Schokoladenkonsument schon einmal der Überblick verloren gehen. Wer es daher etwas übersichtlicher mag und den Luxus ursprünglicher, also „originaler Kakaobohnen“ schätzt, für den bietet „Original Beans“ bereits seit 2008 quasi eine Luxusversion der guten Schokolade an. Für etwa vier Euro pro 70-Gramm-Tafel bekommt der Kunde, zusätzlich zu einer Schokolade „aus den originellsten und aromatischsten Bohnen“, die Pflanzung eines Baumes versprochen. Eine Trackingnummer auf der Verpackungsrückseite führt im Internet zu Informationen aus dem Kakaoanbaugebiet, in dem der Baum gepflanzt wird.
„The Planet – Replant it“ – hinter dieser Aufforderung verbirgt sich der Leitgedanke von „Original Beans“. Philipp Kauffmann heißt ihr Gründer und Geschäftsführer, zuvor baute er bereits eine belgische Telekommunikationsfirma auf und arbeitete für die UN und den WWF in Naturschutzprojekten. Das Werbevideo zu seinen Schokoladen erreicht den Höhepunkt, als eine Sprecherstimme eine durch Entfremdungs- und Verlustgefühle angeregte Frage stellt: „Können wir mit dem Genuss der Schokolade die Verbindung wieder herstellen zu den Tieren des Regenwaldes und den Bauern, die den Kakao produzieren?“
Kauffmann gibt die Antwort, indem er den Zusammenhang bekräftigt „zwischen der Natur, uns als Konsumenten und den Produzenten“. Mit einem unschuldig wirkenden Lächeln und leichtem Schulterzucken fügt er hinzu: „Wir versuchen nicht nur zu konsumieren, sondern auch wieder zurückzugeben.“
(Bild: Verfasser)
„Original Beans“ ist bemüht, diesem Kreislauf aus Konsum und nachhaltiger Produktion eine Geschichte zu geben. Ein eigens designter Umkarton bietet genug Platz, um der Käuferin auf Vorder- und Rückseite schlaglichtartig die Geschichte von fast 500 Jahren Kakaoanbau zu präsentieren. Und wie könnte dies besser funktionieren als in einem „Buch“?
„Die Geschichte des Kakaos in vier Tafeln“ ist als Bundle konzipiert, das alle vier Schokoladensorten umfasst und an einen Buchschuber erinnert. Auf der Vorderseite des Kartons blickt der Kaufinteressent auf eine Abwandlung der Naturornamentik, wie sie von den einzelnen Schokoladentafeln bereits bekannt ist. Dieses Gebilde, ausgeführt als goldfarbener Prägedruck, umfasst Stängel, Blätter und Samen und kann mit ein wenig Phantasie als Visualisierung der Gaia-Hypothese aufgefasst werden.
Diese von Lynn Margulis und James Lovelock entwickelte These nimmt Bezug auf die griechische Erdgöttin Gaia und beschreibt die Erde und ihre Biosphäre als Lebewesen. Wagt man sich an die Deutung des Logos von „Original Beans“, so entspringt aus diesem Lebewesen zuerst die Kakaofrucht (kleines Detail am unteren Rand der Ornamentik), aus dem dann der Kakaobaum erwächst.
„Schreiben Sie mit uns das nächste Kapitel“. Diese direkte Ansprache des Kunden steht als letzter Satz unter der „Geschichte des Kakaos“. Er signalisiert das besondere Verständnis, das sich hinter beiden Schokoladen verbirgt und von Konsumentinnen und Konsumenten zumindest gedanklich mehr verlangt als bloßen Genuss.
Leicht lässt sich diese Form der Einbeziehung als kluge Strategie der Kundenbindung beschreiben. Doch sie scheint mehr darzustellen: Offensichtlich lässt sich das Bedürfnis nach Identifikation mit einem Produkt auch im Bereich des Konsums von Genussmitteln als soziale und partizipative Handlung verkaufen.
Henning Arnecke promoviert zu visuellen Inszenierungsformen des Klimawandels und widmet sich im Zuge dessen auch den ideengeschichtlichen Vorläufern der heutigen Umweltbewegung.