Bildende Kunst
Den beiden Herausgebern des Sammelbands »Ästhetik ohne Widerstand«, Annette Emde und Radek Krolczyk, stellt sich die Lage im Kunstbereich zweigeteilt dar: »Auf die Frage, was unter Kunst zu verstehen sei, erhält man aktuell meist zwei unterschiedliche Antworten: Die einen erheben den Anspruch, Kunst habe politisch korrekt zu sein und die Gegenwart kritisch zu kommentieren oder in sie einzugreifen, die anderen dagegen fordern von der Kunstproduktion und -rezeption einen besonderen, von der Lebenspraxis abgehobenen Status, nichts anderes also als die Autonomie der Kunst, die Loslösung der Kunst von sämtlichen gesamtgesellschaftlichen Prozessen. Die einen setzen auf Politik und Aktivismus, die anderen auf selbstreferenzielle Fragestellungen.« (S. 7)
Emde und Krolczyk plädieren in ihrem Vorwort stattdessen für Ambiguität zwischen beiden Polen: Indem die Kunst ihr eigenes Zustandekommen mitreflektiert und in der Gestaltung spiegelt, ermöglicht sie Erkenntnis über die Kontextualisierung von Welt. Eines wird im Vorwort allerdings wenig beleuchtet: Was setzt eine solche Wahrnehmung von Kunst voraus? Kann oder sollte man eine solche Haltung auch von Sonntagsbesuchern des örtlichen Kunstmuseums verlangen? Für die Haltung im ›Dazwischen‹ ist nicht nur die Kenntnis einer Formen- und Motivsprache notwendig, sondern auch des ›Verfahrens‹ der Kontextualisierung. Diesen ›Verfahren‹ widmen sich alle Beiträge des vorliegenden Sammelbandes.
Die Beiträge haben die Herausgeber in drei Abschnitte unterteilt: »Drei Zwischenüberschriften mögen eine Orientierung bieten: Unter ›Der Kitt der Kritik‹ versammeln sich Beiträge, in denen es um Kritik als neue Form von Affirmation geht. Unter ›Genredramen‹ zeigen die Autoren die Schwierigkeiten auf, die der Gattungsbegriff in der Kunst mit sich bringt. Und unter ›Verpasste Ausfahrt‹ werden die Irrfahrten von Künstlern und Gruppen zwischen Kritik und Affirmation thematisiert.« (S. 9)
Wolfgang Müller fragt in seinem Beitrag »Ich bin im Arsch. Zur Zeitlichkeit und Beweglichkeit von Symbolen im Raum«: »Was tun, wenn die Deutsche Bundesbahn 2009 mit einem ›Punkkoch‹ wirbt? Es geht ja keinesfalls um die aufgewärmte Suppe von 1980, die Suppe aus Regenwürmern, Glasscherben und Spinnenbein. Was tun, wenn der deutsche Nationalismus nun plötzlich ›fröhlich und unbeschwert‹ daherkommt? Wo sind wir gelandet, wenn ›BILD‹ und ›BZ‹ fröhlich Preise an ›Rebellen‹ und ›Anarchisten‹ verleihen? Bleibt da überhaupt noch etwas übrig?«
Weniger wird die Einverleibung von Renegatentum in Werbestrategien und konservativ-rechte Boulevardblätter angesprochen als die ›schiefe Adaption‹ von – ja: was eigentlich? Man ist verleitet zu antworten: kritischer Kunst. Doch was macht diese in einer nivellierenden Generaltendenz neoliberaler Gesamtzusammenhänge aus? Deutlicher wird die Problematik der Transferleistung, wenn man sich auf die von Müller vorgebrachten Beispiele konzentriert (worin auch ein klarer Vorzug dieses Aufsatzes im Band besteht): Die Installationskünstlerin Kathrin Sanders bat um Einsendungen von verschiedenen Künstlern für ein Sammelprojekt, das sie dann jedoch zu einer Einzelausstellung unter ihrem Namen umfunktioniert, dadurch Kuratorin und Nutznießerin der fremden Inputs wird, sich Vorwürfen, fremdes Werk als eigenes auszugeben, durch den Verweis auf eine ›realistische Dokumentation‹ neoliberalen Einverleibens entwindet. Sie stelle damit nur die gängige Praxis in der industrialisierten Welt dar.
Ein weiteres Beispiel von falscher Selbstverständlichkeit wäre die Fotografie als ›realistisches‹ Medium. Der Fotografie wird innerhalb der Künste manchmal eine Rolle der Authentizität zugesprochen – andererseits beginnt bereits im Alltag die Rolle der Fotografie als Repräsentationsmittel, man denke etwa an Bewerbungs- oder Hochzeitsfotos. Eine andere Repräsentation stellt Annette Emde in ihrem Beitrag zur »Fotografie made in Germany« heraus: »Von Porträt und Akt bis zu Landschaftsaufnahme und Panorama erstreckt sich die Parade wirklichkeitsgetreuer Darstellungen, die – und das ist das Entscheidende – das Besondere, das Ungewöhnliche, das Außergewöhnliche meidet und sich zum Teil damit begnügt, Alltäglichkeiten abzubilden: Die unmittelbare Umwelt des Fotografen, die Stadt oder die Landschaft, in der er lebt, die Menschen um ihn herum, seine Freunde und Bekannte.« (S. 194)
Emde arbeitet kritische Stimmen zu der Entwicklung dieser Art Fotografie, die international als »deutsche Fotografie« wahrgenommen werde, heraus: dass der eigentliche mediale Charakter des Fotos für die großformatige Fotografie als Tafelbild aufgegeben werde, dadurch die Fotografie zu Repräsentationszwecken einer superreichen Globalisierungsgewinnerklasse umfunktioniert werde. Statt eine Dokumentation kritischer Verhältnisse mit einem besonderen Medium zu leisten, würden Stillleben inszeniert. In einer detailreichen Studie geht die Autorin den Repräsentationsfiguren in den Werken der Fotografen Thomas Struth, Thomas Ruff und Andreas Gursky nach.
Nicht allein Repräsentation spielt eine wesentliche Rolle in der zeitgenössischen Kunst, auch die Aufmerksamkeitsökonomie regelt bereits im Kreativitätsprozess der Künstler die thematische Orientierung. Diese bis zu einem gewissen Grad egoistischen Strategien werden von realwirtschaftlichen Entwicklungen im globalen Maßstab konterkariert. So zeigen Alice Creischer und Andreas Siekmann in ihrem Beitrag die nur bedingte Kritikfähigkeit globalisierter Projekte auf, die blinden Flecken in den Ländern, in denen sie agieren, zur Sprache zu bringen. Dubai scheint das neue Megalopolis der Kunst- und Museumsprojekte zu sein. Die miserablen Arbeitskonditionen zur Errichtung der Kunstpyramiden, die ähnlich wie die Bauten für die Fußball-WM im Wüstenstaat Katar mit fernasiatischen ArbeiterInnen errichtet werden sollen, interessieren nur peripher oder gar nicht, wenn es um die visionäre Erschaffung einer Kunstwelt nicht nur im übertragenen Sinne geht. »Im Emirates Palace feiert sich die starke und unsichtbare Hand, die Rigidität des Ökonomismus und des Regimes, das von der demokratischen Konsensprozedur unbehindert solche Superlativprojekte durchsetzen kann.« (S. 97) Europäische und amerikanische Künstler scheinen vom großen Geld der Scheichs verlockt zu werden, auch deutsche Kulturinstitutionen wie die Kunstsammlung Dresden, die staatlichen Museen Berlin und die Bayrischen Staatsgemäldesammlungen kooperieren mit der Dubai Culture and Arts Authority. Die prekären sozial- und arbeitspolitischen Verhältnisse werden übersehen und totgeschwiegen.
Weitere Beiträge des Bandes verfolgen z.B. noch die Verbürgerlichung avantgardistischer Positionen wie dem Situationismus oder der Wiener Aktionsgruppe, zeigen auf, inwiefern sich der bürgerliche Kulturbetrieb dieser Störfaktoren annimmt. Nicht von ungefähr fällt in dem Artikel zur situationistischen Internationalen der häufig gebrauchte Begriff: Musealisierung – was im Museum landet, ist spätestens ab diesem Zeitpunkt von seinem kritischen Impetus bereinigt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Sammelband mit viel Liebe zum Detail kompiliert worden ist. Dass nicht die üblichen ›Verdächtigen‹ der Kunstkritik zu Wort kommen, kann als ein eindeutiger Vorteil der Publikation gewertet werden. Kritische Perspektiven werden ohne Rücksicht auf arrivierte Empfindlichkeiten entwickelt. Emde und Krolczyk als Herausgeber sensibilisieren für ein im Feuilleton nach Meinung der Herausgeber häufig übergangenes Problem der zeitgenössischen Kunst- und Kulturkritik: die vorhandene reaktionäre Tendenz in der Kunst. Ein ähnliches Bild zeichnet Enno Stahl mit der kritischen Analyse der Popliteratur in seiner neuesten, 2013 erschienenen Veröffentlichung »Diskurspogo«. Soziale Entwicklungen und Missstände in der spätkapitalistischen Wirtschaftsordnung werden laut Stahl in zeitgenössischer deutschsprachiger Literatur bewusst übergangen. Das Problem scheint also nicht ganz unbeachtet in der deutschen Kritik geblieben zu sein. Gerne mehr dieser Publikationen.
Bibliografischer Hinweis:
Annette Emde/Radek Krolczyk (Hg.)
Ästhetik ohne Widerstand. Texte zu reaktionären Tendenzen in der Kunst
Mainz 2013
Ventil Verlag
ISBN 978-3-931555-40-5
254 Seiten
Dominik Irtenkauf M.A. ist freischaffender Journalist und Autor (u.a. fürs Legacy-Magazin und Telepolis), zudem arbeitet er an einer Dissertation in den Sound Studies zur Soundscape der Schwärze