Konsum-Legenden
von Lavinia Neff
7.12.2013

Gerade ist der Film »Jung & Schön« im Kino angelaufen. Die Hauptdarstellerin Marine Vacth spielt in dem Film des französischen Regisseurs François Ozon eine siebzehnjährige Tochter aus gutbürgerlichem Hause, die als Callgirl arbeitet. Sie lässt sich aus Langeweile und Übermut von älteren Männern für sexuelle Handlungen bezahlen.

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In der Presse ist vor einigen Wochen ein Fall aus Italien bekannt geworden (s. etwa Tagesspiegel), der zeigt, dass der Film nicht weit von der Realität entfernt ist. Zwei vierzehn- und fünfzehnjährige Mädchen, aus einem feinen römischen Stadtteil, sollen sich freiwillig in ihrer Freizeit prostituiert haben. Die Teenager »Azzurra« und »Aurora« handelten nicht aus Not heraus, sondern weil sie sich Markenkleidung und Drogen leisten wollten. Ihr voller Körpereinsatz ermöglichte es ihnen, schnell an viel Geld zu kommen. Die Schülerinnen empfanden keine moralischen Bedenken, um sich ihre Konsumwünsche zu erfüllen. Daher sehen sie sich auch nicht als Opfer: »Secondo me non è reato, è stata una cosa mia, io non sono qui come vittima.« Fast zur gleichen Zeit ist in Mailand ebenfalls eine Gruppe junger Mädchen aufgeflogen, die sich an ihrer Schule für kleines Geld oder eine Prepaid-Karte prostituiert haben. Sie waren unter dem Decknamen »Duschmädchen« bekannt: So oft wie andere duschen, hätten sie Sex.

Einen anderen Fall verfilmte die amerikanische Regisseurin Sofia Coppola mit »The Bling Ring« (2013). Der Film basiert auf dem Vanity-Fair-Artikel »The Suspects Wore Louboutins«. Eine Gruppe von Jugendlichen stieg in die Häuser von Hollywoodstars ein. Nach den Einbrüchen posteten die Eindringlinge Fotos bei Facebook, wie sie deren Autos fuhren oder deren Kleidung und Schmuck trugen. Die amerikanische Clique stillte durch die soziale Webseite ihren Narzissmus und ihre Geltungssucht. Durch die illegale Aneignung der Celebrity-Gegenstände fühlte sie sich als Teil der Glitzerwelt. Die jungen Diebe behielten zum Teil ihre Beute oder veräußerten sie, um Partys zu feiern und Drogen zu kaufen.

 

In beiden Fällen stammen die Heranwachsenden aus der Mittelschicht. Es scheint, als seien sowohl die beiden Italienerinnen als auch die Amerikaner Opfer der Konsumkultur geworden. Sie begingen Verbrechen, um konsumieren zu können. Sie wollten das haben, was ihnen die Medien als erstrebenswert suggerierten. Die Bilder der Reichen und Schönen verführten sie. Sie warfen alle ethischen Skrupel über Bord, um ein glamouröses Leben zu führen. Allein durch Luxusgüter der Stars fühlten sie ihre Bedürfnisse befriedigt und ihre Existenz berechtigt. Die Jugendlichen stellten den Materialismus und seine Verheißungen über die Eigentumsregeln.

In Italien wird zusätzlich diskutiert (etwa in la Repubblica und La Stampa), ob diese beschriebenen Fälle tatsächlich ›nur‹ für einen Verlust von Werten bei jungen Menschen stünden oder ob es sich um Symptome eines grundlegenden Problems der italienischen Gesellschaft handle, insbesondere ihres Frauenbildes. Prominent steht dafür der ehemaligen Ministerpräsent Silvio Berlusconi ein, der sich selbst wegen der Förderung der Prostitution mit Minderjährigen verantworten muss, ein ehemaliges Nacktmodel zur Frauenministerin machte und sexistische Frauendarstellungen als Medienkonzernchef verantwortet. Italienerinnen riet Berlusconi übrigens einst: »Es gibt für euch Frauen einen sicheren Weg, um Glück und finanzielle Sicherheit zu erlangen: Sucht euch einen reichen Freund.«