Subversionen und Sabotagen stellen ein Schmiermittel des heutigen Kunstsystems dar, sie wirken weniger störend als belebend
[leicht gekürzte Fassung des Aufsatzes „Dies ist eine Störung“, in: „Sabotage! Pop als dysfunktionale Moderne“, hg. v. Marcus S. Kleiner und Holger Schulze, transcript Verlag, Bielefeld 2013]
Am 30.11.1970 zeigte der ARD-Sender Südwestfunk (SWF) innerhalb der Sendung „Fernsehausstellung II, IDENTIFICATIONS“ [Fernsehgalerie Gerry Schum] u.a. einen Beitrag von Daniel Buren. Er bestand darin, das in der ARD damals zur Anzeige von technischen Problemen verwendete Bild zu verwenden, auf dem neben einigen grafischen Elementen das Wort „Störung“ zu sehen ist. Dass der Fernsehempfang gestört ist, hat der aufmerksame Zuschauer natürlich selbst längst gemerkt, die Einblendung des Senders zeigt ihm nun, dass es nicht sein Apparat ist, der repariert werden muss, sondern das Problem woanders liegt, außerhalb der Zuständigkeit, Verantwortung, Kontrolle des Empfängers.
Bei Burens Beitrag handelte es sich allerdings nicht um eine Störung im technischen Sinne. Buren übernahm einfach die offizielle Einblendung, der zuständige Fernsehgalerist akzeptierte es im Rahmen seines Ansatzes, für Fernsehsendungen nicht bloß Kunstwerke in Museen, Galerien, Ateliers abzufilmen, sondern Fernsehbilder selbst als Kunstwerke zu präsentieren – und der zuständige Redakteur akzeptierte den Beitrag. Deshalb lief er in der so betitelten „Fernsehausstellung“. Der Zuschauer, der die Sendung von Anfang gesehen hatte oder durch Programmhinweise über den Zuschnitt der Sendung im Bilde war, wusste demnach recht sicher, dass es sich nicht um die Anzeige eines gerade festgestellten technischen Defekts handelte.
Ganz sicher sein konnte er sich freilich nicht. Wegen der Ununterscheidbarkeit von Burens Beitrag mit der üblichen, offiziellen „Störungs“-Einblendung gab es keine Möglichkeit, beide vor dem Fernsehschirm auseinanderzuhalten (nur die Sendeleitung und die Techniker im Rundfunk konnten das). Selbst der Hinweis, dass es sich um eine Kunstsendung handele und die einzelnen Beiträge Kunstwerke seien, vermochte beim Zuschauer die Unsicherheit nicht aufzuheben, schließlich bestand ja die Möglichkeit, dass die Störungsmeldung eine technische Störung der Kunstsendung anzeigt.
Nicht einmal ein vorhergehender Hinweis, das nächste Bild übernehme nur das übliche Störungsbild, verweise aber auf keine technische Störung, hätte dies unterbinden können, denn selbst in diesem Fall bliebe immer noch die Möglichkeit bestehen, dass in genau diesem Moment eine Störung eintritt und rasch mit dem gewohnten Hinweis offenbart wird.
Mittlerweile sieht der entsprechende Hinweis längst anders aus, nicht einmal den Sender gibt es in der Form mehr (Nachfolger ist der SWR). Überdauert hat aber Burens Beitrag. Er ist nicht nur im Bestand des Centre Pompidou verzeichnet, sondern nach wie vor zu sehen. Ich habe ihn mir im November 2012 im ZKM Karlsruhe angeschaut, nach Angabe des ZKM blickte ich auf: „Untitled (Störung) von Daniel Buren S/W, Sound, 48 sek. © Collection Mnam/Cci, Centre Pompidou, Paris“ (http://container.zkm.de/presse/special_video_vintage.html).
Verstört kann jetzt nur noch der Betrachter sein, der in Verwirrung oder Ärger darüber gerät, dass so etwas für Kunst gehalten und in einem staatlichen Museum präsentiert wird – was sogar zur Folge haben könnte, grundsätzlich an einem Staat, der so etwas fördert, oder an all den Menschen zu (ver)zweifeln, die das erdulden oder gar betreiben. Bei der Erstausstrahlung im Fernsehen Anfang der 70er Jahre hingegen blieb zusätzlich noch die Möglichkeit, an eine Unterbrechung im technischen Betriebsablauf zu glauben.
Zugegeben, die Möglichkeit war klein, schließlich fand das Störbild seinen Platz in einer Sendung mit als solcher annoncierten Fernsehkunst, der informierte Betrachter wird die knapp einminütige Einblendung also unzweideutig eingestuft haben. Und selbst für die Zuschauer, die zufällig auf dem Kanal gelandet waren oder über keine Kenntnisse moderner Kunst verfügten, dürfte die Störung nicht allzu groß ausgefallen sein, nach knapp fünfzig Sekunden war die Sache schon wieder vorbei. Nachhaltig verstört waren höchstwahrscheinlich bloß diejenigen Zuschauer, denen die Einstufung des Buren-Beitrags als Kunstwerk missfiel. Da die Sendung in einer Zeit ausgestrahlt wurde, als es nur sehr wenige Programme gab, wird ihre Zahl nicht gering gewesen sein.
Genau darum werden ihnen jedoch auch viele Zuschauer gegenüber gestanden haben, die der Störung einiges abgewinnen konnten. Nicht nur die Freude über die wagemutige, verstörende Kunst allgemein, sondern auch über die spezielle Unterbrechung der Fernsehgewohnheiten dürfte ihnen gefallen haben: Die „Fernsehausstellung“ Burens werden sie mit großer Gewissheit als hintersinnige Aufforderung aufgefasst haben, mit dem Fernsehkonsum zu brechen. Diese „Störung“ störte sie demnach überhaupt nicht, ihre Freude darüber, dass das Bild für eine Unterbrechung sorgt und zur Verstörung anderer beiträgt, sollte oftmals mit ihrer vollen oder weitgehenden Zustimmung zur Ausstrahlung einhergegangen sein (auch dass diese von ihnen vermutete Kritik am Fernsehen im Fernsehen stattfindet, wird bei diesen Anhängern moderner, verstörender Kunst zumeist wohl nicht für Irritation gesorgt haben).
Auf eine weitere Möglichkeit kann man in diesem Zusammenhang nur zu sprechen kommen, ohne sie in gleichem Maße auf den speziellen Fall der „Fernsehgalerie“ beziehen zu können. Es gibt historische, internationale Beispiele dafür, dass der Störungs-Hinweis nicht nur bei Übertragungsschwierigkeiten zum Einsatz kommt, sondern auch bei Sendungen (gerade bei Live-Sendungen), die in den Augen der Regie inhaltlich untragbar geworden sind. Der Hinweis auf die (technische) Störung, der die Sendung unterbricht oder beendet, soll den Akt des zensurierenden Eingriffs ebenso unsichtbar machen wie das anstößige Programm. Angesichts der Störungs-Einblendung innerhalb der Kunstsendung wird dieser verstörende Verdacht jedoch nicht viele (vielleicht auch gar keine) Zuschauer überkommen haben.
Sabotage, Guerilla, Terrorismus
Wie ist es aber mit dem Verdacht, der Hoffnung oder Sorge, dass die Unterbrechung, die „Störung“, auf einen Sabotageakt zurückgeht? In kriegerischer Hinsicht konnte dieser Verdacht 1970 kaum aufkommen, ein politisches Ereignis wie die bedrohliche Kuba-Krise lag nicht vor, an die Vorbereitung eines Angriffs durch den Sowjetblock war nicht zu denken. Auch nicht an einen Akt der Industriesabotage; privatwirtschaftliche Konkurrenz zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk gab es noch keine.
Sehr wohl aber bestand die Möglichkeit der Sabotage durch Gruppen aus dem kulturrevolutionären und linksradikalen Bereich. Entgegen des Eindrucks, der von der Angabe „1968“ leicht erweckt werden kann, ist die anarchistische und sozialistische Bewegung wider den liberalkapitalistischen Staat keineswegs in besagtem Jahr an ihrem End-, nicht einmal auf ihrem Höhepunkt angelangt, schon gar nicht was den gewaltförmigen Teil ihrer Bemühungen anbelangt.
Die Distanz entsprechender linksradikaler Gruppen zur Sowjetunion war groß (das beruhte auf Gegenseitigkeit), Sabotage im Zuge von Kriegsmaßnahmen zwischen den Weltmächten, zwischen sowjetisch geführtem Warschauer Pakt und amerikanischer NATO, schied deshalb von vornherein aus. Umso größer war jedoch die Nähe wichtiger Teile der außerparlamentarischen Opposition zu revolutionären Kräften in der Dritten Welt. Ihren Niederschlag fand diese Nähe nicht zuletzt in zahlreichen Verteidigungen und analytischen Schriften westlicher Linksradikaler zum Guerillakampf.
Die revolutionären Kämpfe in Ländern der Dritten Welt bildeten nicht nur einen Eckpunkt für die sozialistische Agitation in der westlichen Welt. Viele Vertreter der Neuen Linken orientierten sich direkt an Haltungen und Vorgehensweisen der Aufständischen dort. Ab 1965 fand der amerikanische SDS seine Helden in Vietnam, aber auch in Kuba. Bereits 1967 gehörten Kenntnisse der Guerillatheorie zum allgemeinen Bildungsgut dieser intellektuellen Linken. In Deutschland nicht anders: Die Schriften von Fanon, Mao, Guevara, Castro und Debray spielten im Berliner SDS eine wichtige Rolle.
Entscheidend für diese Aneignung war die Überlegung, dass die Guerilla tatsächlich ihren Platz in den westlichen Ländern finden könne. Fanon etc. ließ sich das nicht unmittelbar entlehnen. Für die Aufnahme des Guerillakampfes galt z.B. in den Schriften Guevaras in markantem Kontrast zu den Bedingungen in westlichen Staaten als Voraussetzung: Wichtig für die Herausbildung der Guerilla sei vor allem, dass kleine bewaffnete Gruppen sich in ländlichen, dünn besiedelten Räumen bewegen können, in denen eine arme Bevölkerung mehr schlecht als recht abseits des Machtzentrums der Hauptstadt lebt. Dies hinderte linke Aktivisten freilich nicht daran, über eine metropolitane, westliche Guerilla ernsthaft nachzudenken.
Wer so etwas macht, muss zwangsläufig auch über das Guerilla-Mittel der Sabotage nachdenken. Dies gilt für die westlichen Systemfeinde besonders, weil sie nicht auf den Zielpunkt der Guerilla-Bemühungen, wie ihn etwa Mao postuliert hatte, hoffen konnten: Dass die Schwächung, Abnutzung der regulären Armee durch irreguläre Attentate und Angriffe bis zu einem Punkt kommt, an dem endlich eine offene Schlacht gegen den Gegner mit einiger Erfolgsaussicht durchgeführt werden kann.
Da ein regulärer Krieg – nach wie langen Guerilla-Vorbereitungen auch immer – gegen die westlichen Armeen nicht im Bereich des Möglichen lag, muss theoretisch den Sabotageakten eine große Bedeutung zukommen, besonders natürlich im Bereich der Infrastruktur: Wege, Brücken, Leitungen. Das Ziel besteht dann darin, die gegnerischen Truppen zu demoralisieren und vor allem der Bevölkerung zu signalisieren, dass die staatlichen Instanzen nicht für Ordnung sorgen können, keineswegs unangreifbar sind, gegen sie breiter Widerstand also möglich und geboten sei (vgl. Hampel 1989).
Die Sabotageakte besitzen folglich nicht nur das Ziel, durch Schädigung von Gebäuden, Maschinen, Transport- und Kommunikationswegen die gegnerischen Kampfmöglichkeiten direkt materiell einzuschränken. Sie dienen auch dem Ziel, das Bewusstsein, die Handlungsdispositionen sowohl bei den gegnerischen Truppen als auch bei Teilen der Bevölkerung, die den Saboteuren bislang feindlich oder indifferent begegneten, zu verändern (vgl. Müller-Borchert 1973).
Geschehen solche Sabotageakte ohne jede Aussicht auf materiell bedeutsame Schäden (sprich: werden solche bloß vereinzelt ausgeführt), werden sie von Wissenschaftlern oftmals als terroristische Anschläge bezeichnet. Beim so verstandenen Terrorismus handelt es sich definitionsgemäß um einen gewaltsamen, politisch motivierten Beeinflussungsversuch, der sich nicht in der Zerstörung konkreter Dinge oder dem Mord einzelner Personen erschöpfen soll: Die glaubhafte Androhung von Gewalt oder tatsächliche Anschläge sollen Dritte – vermittelt über die mediale Berichterstattung – zu Reaktionen bewegen, die im Sinne einer längerfristigen politisch-umstürzlerischen Strategie vorteilhaft erscheinen.
Auch die Akteure übernahmen manchmal die Bezeichnung „Terrorismus“ zur Selbstanzeige. Für die russische Sozialrevolutionäre Partei (am Beginn des 20. Jahrhunderts) zeichnete sich der terroristische Akt durch eine Aufsehen erregende, agitatorische Qualität aus: Er stifte innerhalb des Machtapparats Angst und Chaos, was den revolutionären Geist breiterer Schichten beflügeln könne, so Anspruch und Hoffnung (vgl. Hildermeier 1982).
Die derart Angegriffenen gebrauchen den Begriff „Terrorismus“ freilich nur in abwertender Absicht, um den Schreckenscharakter herauszustellen und jede politisch-widerständige Qualität zu dementieren. In der breiteren Öffentlichkeit hat sich dieser Begriffsgebrauch durchgesetzt. Deshalb verwenden die so Titulierten den Begriff schon lange nicht mehr, sie bezeichnen sich spätestens seit den 1960er Jahren wesentlich lieber als Guerilla oder gar als Armee.
Bekanntermaßen setzten die terroristischen Gruppierungen nach 1968 ganz darauf: Rote Armee Fraktion, Weather Brigade etc. Doch trotz dieser ambitionierten Bezeichnungen sind von ihnen Sabotageakte, die auch nur ansatzweise an die Wirkungsmacht von wenigstens einigermaßen erfolgreichen Guerilla-Organisationen (von Armeen und den ihnen assoziierten Geheimdiensten ganz zu schweigen) heranreichen, nicht zu verzeichnen, auch nicht auf dem Höhepunkt der europäischen linksterroristischen Gruppen im Verlauf der 70er Jahre (vgl. Münkler 1980).
Anfang 1970, als das „Störungs“-Bild Burens auf dem Bildschirm zu sehen war, hatte sich die deutsche RAF ohnehin noch nicht gegründet, Zuschauer-Irritationen – ist unser Staatssender sabotiert worden? –, die 1977 bei ähnlichem Anlass sicherlich nicht ausgeblieben wären, sind zu diesem frühen Zeitpunkt nicht in gleichem Maße wahrscheinlich. Vollkommen unwahrscheinlich erscheinen sie zu Beginn der 70er Jahre in der BRD allerdings nicht, schließlich gab es in den Jahren zuvor mehr als genug Stimmen, die auf ironisch-spielerische bis agitatorische Weise für den Einsatz von ‚Gewalt gegen Sachen‘ eintraten; besonders prominent in der bundesdeutschen Geschichte die Kommune I mit ihrem Flugblatt (ironisch-spielerische Variante) anlässlich eines Brandunfalls in einem Brüsseler Warenhaus und – aus dem Umfeld ebendieser Kommune – Baader/Ensslin mit ihren Reden vor Gericht, nachdem sie Ende der 60er Jahre tatsächlich ein Kaufhaus angezündet hatten.
Sabotage im modernen Kunstsektor
Nun ist ein Brandanschlag gegen ein einziges Kaufhaus noch kein Sabotageakt (zumindest nicht, wenn das Wort ‚Guerilla‘ eine halbwegs ernstzunehmende Bedeutung haben soll). Dennoch ist der Verweis auf die Kommune I und die ihr lose assoziierten Baader/Ensslin nicht überflüssig, lenkt er doch den Blick auf eine Künstler- und Intellektuellenszene, der das Dichten, Malen, Theoretisieren nicht mehr genug ist und die deshalb nach Wegen sucht, ihre Betätigungen direkter, unmittelbarer mit (anderen) Praxisformen zu verbinden oder gar in ihnen aufgehen zu lassen.
Geleitet werden die Künstler und Bohemiens dabei von der Absicht, die herrschenden Verhältnisse zu durchkreuzen, den Spießer zu schockieren, den Mainstream subkulturell herauszufordern, die Normalitätserwartungen zu enttäuschen, das Gewohnte zu verfremden, vom Geregelten abzuweichen, sich ins Offene zu begeben, Widerstand zu wecken, für Kontroversen zu sorgen, das Verständliche fragwürdig erscheinen zu lassen, das Natürliche als künstlich Gemachtes zu entdecken, das Selbstverständliche als zwanghafte Konvention zu entlarven, Eindeutiges durch Mehrdeutiges zu ersetzen, sich kommerziellen Anforderungen zu widersetzen, für Verwirrung zu sorgen, Fragen aufzuwerfen, keine fixen Antworten zu liefern, Muster zu zerbrechen, über sich selbst hinauszugehen, sich über Nützlichkeitserwägungen hinwegzusetzen, für Dissonanzen zu sorgen, das Unerwartete zu tun – und derlei Formeln mehr aus dem Handbuch des modernen Kreativen (vgl. Plumpe 1995).
Bei all diesen Operationen kann man an Sabotage in metaphorischem Sinn denken: Kaputt gemacht oder sonstwie außer Kraft gesetzt oder gestört werden Vorgehensweisen und Eigenschaften, die man in der jeweiligen Situation oder vom jeweiligen Produkt ausgesprochen oder stillschweigend erwartet. ‚Man‘, das sind in all diesen Fällen Personengruppen oder Institutionen, welche die modernen Kreativen als mögliche bzw. herauszufordernde Rezipienten, Kommunikationspartner oder Abnehmer im Blick haben.
Dies gilt erst einmal unabhängig davon, ob solche Rezeptionen, Gespräche, Käufe, Gebrauchsweisen im Einzelnen tatsächlich stattfinden; oftmals geschieht das gar nicht. Aus Sicht aller einzelnen modernen Kreativen ist die Annahme dennoch häufig vollkommen vernünftig und sinnvoll, weil sie nicht nur eine realistische Angabe treffen wollen, sondern a) auf breite Rezeption hoffen und (noch wichtiger) b) sich von einer breiteren Erwartungshaltung, einer weithin durchgesetzten Auffassungsweise betroffen fühlen und eingeschränkt wissen.
Darum tun sie ihr Mögliches, um gegen sie anzurennen und sie zu verändern. Selbst wenn sie nicht einmal die Hoffnung hegen, sie in größerem Maße oder auch nur ansatzweise verändern zu können, wollen sie sie zumindest unterlaufen und enttäuschen, um ihren eigenen Maßstäben künstlerischer Nonkonformität, kreativer Ruhelosigkeit zu genügen.
Das passiert auf vielerlei Weise, wie jeder noch so flüchtige Blick in die Geschichte der Künste beweist: Durch die Hinwendung zur Abstraktion oder zum Camp-Geschmack, durch detaillierte naturalistische Beschreibungen, atonale Musik, Geräuschmusik, kühne Metaphern, Publikumsbeschimpfungen, durch den Einsatz der Sprache in ihrer Materialität als Laut oder grafisches Element (nicht zum Zwecke der bedeutsamen Verständigung), durch die Ausstellung hässlicher oder unbearbeiteter Stücke, durch Genremischungen, offene Enden, moralische Tabubrüche, subjektive oder unbewusste Expression usw. usf.
All das ist von Künstlern u.a. deshalb betrieben worden, um herrschende Haltungen und Anforderungen zu verletzen. Die Sabotage (in metaphorischem Sinne) bestand darin, nicht das zu tun, was von einem direkt verlangt worden war oder von dem die jeweiligen Künstler glaubten, es werde von ihnen erwartet. Die Sabotage bestand fast nie darin, die braven, schönen, verständlichen, harmonischen, moralisch unanstößigen, genregemäßen, geschlossenen, veredelt realistischen Kunstwerke zu zerstören oder deren Produktion durch Schädigungen der Druckerpressen, Museumssäle, Verlagsräume etc. zu verhindern.
Sie bestand darin, Alternativen anzubieten. Wurde das Angebot abgelehnt, ließ man nicht ab, sondern suchte nach anderen Veröffentlichungsorten und -wegen: Kam man z.B. nicht in die Akademieausstellung, stellte man in der flugs gegründeten Sezession aus. Durch diese Art der Sabotage, so hofften manche der Sezessionisten, werde der alte Geist, die alte Kunstauffassung beschädigt, damit auch auf längere Sicht die herkömmliche Kunst bzw. ihre Herstellung verringert. Die (versuchte) Sabotage galt im Regelfall nicht Dingen, sondern bis dahin durchgesetzten Kunstansichten und eingeschliffenen Verhaltensmustern (vgl. Kreuzer 1968/1971).
All dies kann in die Vergangenheitsform gesetzt werden, weil seit ungefähr einem halben Jahrhundert in den westlichen Staaten solche Sabotageakte im Kunstbereich weitgehend überflüssig geworden sind. Die Hoffnungen der Sezessionisten haben sich erfüllt. Nachdem sie manches persönliche Opfer gebracht und viele Widerstände überwunden hatten, konnten teilweise noch sie selbst und vor allem ihre Nachfolger in den westlichen Ländern enorme Erfolge feiern. Sie sitzen in den heutigen Akademien, sie werden staatlich gefördert, in öffentlich-rechtlichen Kultursendungen vorgestellt, ihre ästhetizistischen, formalistischen, naturalistischen, abstrakten, unverständlichen Werke werden an den Universitäten analysiert und in Museen, Theatern, Literaturhäusern präsentiert.
Für diejenigen unter ihnen, die im Namen unbedingter Modernität, radikaler Experimentierfreude angetreten sind, muss das allerdings streng genommen ein Problem darstellen. Konsequenterweise sollten sie heute zum bürgerlichen Realismus, zum goldenen Schnitt, zur Harmonie zurückkehren (und das nicht nur in Form des Pastiche), um den ihrerseits mittlerweile zum Programm gewordenen Anschauungen der modernen Kreativen nonkonform zu begegnen. Nur so (oder auf vergleichbaren Wegen) könnte im Bereich der staatlich geförderten Kultur und der hochpreisigen Galerienkunst für Abweichung gesorgt werden. Nur so könnten die inzwischen fest institutionalisierten Erwartungshaltungen modernistischer Avantgarde sabotiert werden.
Es gibt jedoch noch eine andere Möglichkeit; mit ihr kehren wir an den Beginn dieses Kapitels zurück, zu den Leuten, denen das Dichten, Malen, Theoretisieren nicht mehr genügt, die sich nicht länger darauf beschränken wollen, Werke zu verfertigen, die dann (wenn überhaupt) von anderen einzeln und still rezipiert werden. Diese Abneigung gegen Werkkunst und kontemplative Aufnahme prägt bereits alle Avantgarden zu Beginn des letzten Jahrhunderts (vgl. Plumpe 1995). Wegen der Musealisierung und akademischen Beachtung auch ihrer Werke (selbst wenn sie mitunter als Anti-Werke konzipiert waren), wegen der überragenden Stellung der Avantgarden als Richtung und einzelner Avantgardisten (Duchamp, Breton, Majakowski etc.) als Autornamen, als anerkannte Genies im institutionalisierten Hochkultursektor muss sich diese Abneigung noch verschärfen.
Zumindest sollte jedem heutigen Avantgardisten in der Tradition von Dadaismus, Surrealismus, Pop-Art, Fluxus usf. klar sein, dass er mit seinen Collagen, Lautgedichten, Siebdrucken nach Werbemotiven, Fundstücken, obszönen Inhalten oder immersiven Schockformen, aleatorischen Kompositionen, postmodernen Genremischungen, surrealen Erzählungen oder Traumniederschriften bei Lektoren angesehener Verlage, bei Redakteuren von Kultursendern, kulturwissenschaftlichen Professoren, Kuratoren, Galeristen, Feuilletonmitarbeitern, aber auch bei den Hörern und Lesern entsprechender Sendungen, bei Museumsbesuchern und Theaterzuschauern fast nie auf Entsetzen und Verwirrung, sondern auf freundliche Resonanz oder gepflegte Langeweile stößt.
Das einstmalige Anliegen, mit bestimmten Artefakten, welche die damals vorherrschenden Ansprüche an ein ordentliches Werk sabotierten, die Grenzen zwischen Kunst und Leben aufzuheben, muss deshalb zumindest innerhalb des Bereichs institutionalisierter Kunst und Kunstvermittlung als gescheitert angesehen werden. Die Zufallswerke, Improvisationen, Kritzeleien, Montagen aus (anonym) Vorgegebenem, Sabotagen und Parodien von Vorlagen, Reproduktionen, Aneinanderreihungen, interaktiven Medienobjekte, Sinnesüberwältigungen, Laut- und Graphem-Materialitäten und -‚Konkretheiten‘, Collagen, Aufzeichnungen, Kollektivproduktionen, Fragmente, Dokumentarromane, Gebrauchsgegenstände, unausgeführten Konzepte, Fundstücke (also all das, was einem älteren bildungsbürgerlichen Werk-Begriff zuwiderläuft) werden innerhalb des institutionalisierten Kunstsektors mittlerweile routiniert als Kunstwerke ausgestellt und innerhalb dieses Rahmens andächtig oder beiläufig rezipiert.
Sabotage aus avantgardistischen Kreisen
Deshalb haben einige der Nachfahren der historischen Avantgarden der 1910er und -20er Jahre darauf gedrungen, noch radikaler zu agieren. An Stelle der (einstmals) ‚unbürgerlichen‘ modern-entgrenzten Kunst, die ihren Platz mittlerweile zuverlässig in Büchern, Konzertsälen, Museen, Akademien besitzt, sollen nach ihrem Willen intensive Aktionsformen treten, die sich außerhalb der genannten Institutionen ereignen und mitunter von diesen nicht einmal im Nachhinein als Objekte dokumentiert werden können. Was die historischen Avantgarden bereits in Manifestform vorformuliert und zum Teil bereits auch durchexerziert haben, das soll jetzt in Reinform praktiziert werden (ohne den Fehler der historischen Avantgarden zu begehen, doch jede Menge an Zeichnungen, Partituren, Gedichten anzufertigen und zu hinterlassen).
Durch solche Bemühungen bekommt die Sabotage wiederum einen hohen Rang zugewiesen – nun allerdings in materiell zerstörerischem Sinne. Die Sabotage befindet sich bei situationistisch-anarchistischen Anhängern der Futuristen, Dadaisten, Surrealisten in gewaltverherrlichenden Programmen wieder, die wie bei den Guerilleros neben der Sabotage auf (terroristische) Attacken und auf anfänglich spontane Widerstandshandlungen der breiteren Bevölkerung bauen.
Die englischen „Heatwave“-Autoren z.B. werden in den 1960er Jahren nicht müde, Futurismus, Dadaismus und Surrealismus vom Ruch der Werkkunst befreien zu wollen und sie auf einen revolutionären Lebensstil festzulegen. Ganz in diesem Sinne verurteilt „Heatwave“ immer wieder die modernen Galerie-Happenings mit ihren passiven Zuschauern und stellt ihnen die Aktionen und den „künstlerischen Vandalismus“ der frühen holländischen Provos entgegen; der „Aufruhr“ (riot) ist für sie eine populäre Kunst- und Politikform zugleich, die alle Hierarchien und Vermittlungen überwindet (Gray/Radcliff [1966] 2000: 49).
Als modernisierte Version von „DADA“ tritt eine andere situationistische Gruppierung, die amerikanischen Motherfucker, 1968 nicht nur für die freie Liebe in der Öffentlichkeit ein. Ausdrücklich betonen sie auch, dass sie die Straße nicht einnehmen wollen, um ihre liberalen Rechte der Rede- und Versammlungsfreiheit auszuüben. Forderungen sollen nicht erhoben, sondern im kämpferischen Vollzug gelebt werden.
Liest man solche Aussagen zur befreienden Kunst des Aufruhrs, wird man angesichts der avantgardistischen Historie sicherlich geneigt sein, sie als Übertreibungen und Angebereien bzw. als papierene Konsequenzen jener Intensitäts-Maximen aufzufassen, die zwar mit aller Macht auf eine Aufhebung des Unterschieds von Kunst und Leben abzielen – auf Exzess, Dehierarchisierung, Gegenwartserfahrung, Unvermitteltheit –, vor der revolutionär-exzessiven Ausagierung solcher Maximen letztlich aber zurückschrecken und es bei der Hoffnung auf ihre alltäglichen, von künstlerischen Techniken der Verfremdung und Bedeutungsaushöhlung bestimmten Events und Szenen belassen.
Genau deshalb schreiben die Motherfucker ausdrücklich nieder, auf einen „wirklichen (nicht einen metaphorischen) Guerillakampf“ zustreben zu wollen (Übersetzung von mir). Von anderen linken Theoretikern und Künstlern grenzen sie sich ab, indem sie sich selbst gleich als „Saboteure“ ausgeben. Und um jedem Missverständnis vorzubeugen, dass sie es ernst meinen, koppeln sie die Sabotage sogleich an den Terror: „Well, who are the saboteurs and the terrorists??? We are. All of us who will sabotage the foundations of amerika’s fucked up life; all of us who strike terror in the heart of the bourgeois honkies and all their armchair bookquoting jive-ass honky leftists/white collar radicals […]“ (Berkeley Commune, Up Against The Wall/Motherfucker 1971: 156)
Sabotage und Subversion
Die „armchair bookquoting jive-ass honky leftists/white collar radicals“ haben dem Furor radikaler Sabotage- und Terror-Aufrufe (die ja selbst, wie auch im Falle der Motherfucker, oftmals nur auf dem Papier und darum dem „bookquoting“ sehr nahe stehen) ein wichtiges Argument entgegenzusetzen: Dass es wichtiger sei, gegen eingeschliffene Normalitätsvorstellungen und herrschende Wertsetzungen anzugehen, als Maschinen, Leitungen, Büroräume zu beschädigen.
Genau aus diesem Grund sind bereits nicht wenige der modernen Kreativen und ihrer Anhänger der Meinung gewesen, dass die künstlerischen Experimente einen hochgradig politischen Charakter besäßen: Die Enttäuschung traditioneller künstlerischer Erwartungen befördert nach ihrem Urteil bzw. ihrer Hoffnung antiautoritäre Dispositionen insgesamt. Von Anarchisten, Libertären, Linkskommunisten, Vertretern der Frankfurter Schule bis hin zu Poststrukturalismus- und Queer-Verfechtern haben vielerlei Richtungen ihre Begeisterung für Kafka, Grosz, Picasso, Warhol, Zappa, Stockhausen, Godard, Dylan, Antony Hegarty etc. nicht zuletzt aus dieser Quelle einer Politik der Form gespeist: Kunst solle gerade nicht bestimmte Botschaften verkünden, die man politisch für richtig halte; wahre antiautoritäre politische Kunst bestehe vielmehr darin, dank offener, experimenteller Formen freiheitliche Haltungen zu stärken oder zu schaffen.
Zwar ist innerhalb der künstlerisch-experimentellen Szenen von dieser unterstellten Wirkung mitunter wenig zu merken; stattdessen trifft man dort nicht selten auf Intoleranz und Ausgrenzung, Missmut und Doktrinarismus, Eifersucht und Neid, Egoismus und Chauvinismus. Dies hat aber die Künstler selbst und vor allem ihre Anhänger nie daran gehindert, an die (mikro-)politisch vorteilhaften Züge der kreativ entgrenzten Aktionen und Werke zu glauben.
Nur auf eine Politik der künstlerischen Form wollen sich die meisten der Boheme- und Akademie-Sozialisten und -Libertären dennoch nicht verlassen, auch nicht auf den avantgardistischen Totalversuch, Kunst und Leben miteinander zu verschmelzen. Ihre Absicht ist es (in Analogie zu vielen künstlerischen Grenzüberschreitungen, Sinnauflösungen, Kommunikationsverweigerungen, Verfremdungen), in speziellen, anderen alltäglichen und institutionellen Zusammenhängen hergebrachte Anforderungen zu unterlaufen.
Vielerlei Handlungen und Gesten, die außerhalb der Bahnen und Orte offizieller Politik in Parlamenten und Parteibüros, in Ministerien und Botschaften erfolgen, gelten ihnen im Sinne ihres antiautoritären Ansatzes sehr wohl als politisch. Sei es Ironie oder Respektlosigkeit, die Befragung des scheinbar Selbstverständlichen oder die Antwortverweigerung, sinnliche Opulenz oder asketische Zurückhaltung, Unhöflichkeit oder überschäumende Freundlichkeit – sie alle sollen einen Beitrag dazu leisten, das jeweils Geforderte oder stillschweigend Vorausgesetzte nicht hinzunehmen und seine Macht zu brechen oder zu schwächen.
In metaphorischem Sinne kann man hier wieder von Sabotage sprechen – von einer Sabotage herkömmlicher Verhaltensanforderungen und Sprachmuster. Die Metapher wird aber nicht allzu häufig dafür verwandt. Beliebter ist in diesem Zusammenhang der Begriff der ‚Subversion‘. Einstmals die Bezeichnung für politisch-revolutionäre Kräfte, die im Verborgenen auf einen gewaltsamen Umsturz hinarbeiten, ist ‚subversiv‘ mittlerweile zu einem vieles umfassenden Begriff geworden (vgl. Ernst 2008).
In der Nachkriegszeit wurde der Ausdruck von Mitgliedern der Exekutive zwar immer noch hauptsächlich verwandt, um Leute zu bezeichnen, die im Staat oder sogar im Staatsapparat gegen die staatliche Ordnung auf (halbwegs) verdeckte Weise arbeiteten (‚subversive Elemente‘). Den reaktionären staatlichen Vertretern und deren Anhängern galt als subversiv nun aber bereits so ziemlich alles, was von ihren Ordnungsvorstellungen abwich. Dazu rechneten sie keineswegs nur kommunistische Umtriebe, sondern beinahe gleichrangig auch jene Bestrebungen und Handlungen, die nicht auf einen Umsturz des herrschenden Regimes hinarbeiteten: die Taten und Werke von Humanisten, Satirikern, Sonderlingen, Perversen, Avantgardisten.
Das alles zählt seit den 1970er Jahren in den westlichen Staaten zur Vergangenheit. Seitdem gehört es zum guten Ton innerhalb der Führungsschichten, auch außerhalb des Kunstbereichs ein gutes Wort dafür einzulegen, nicht ganz normal, kreativ, nonkonform, abenteuerlustig, jedenfalls nicht spießig zu sein. Jetzt wird der Subversions-Begriff nur noch von den kreativen Modernen und den ihnen zugehörigen geistes- und kulturwissenschaftlichen Akademikern selbst gebraucht.
Ironischerweise verwenden sie den Begriff nun auf genau dieselbe Weise wie ihr alter, kaum mehr vorhandener Kontrahent: auf möglichst weite, diffuse Weise – in der Annahme (oder mit der vagen Hoffnung), dass humanistische, sonderbare, queere, nonkonforme, spielerische Verhaltensweisen irgendwie gegen die bestehende Ordnung gerichtet seien und mithülfen, sie in größerem Maßstab zu verändern. Als subversiv (seltener als Akte der Sabotage) gelten unter den durch die Schule des Poststrukturalismus und der Cultural Studies Gegangenen auch alternative Lesarten herrschender Botschaften, unvorhergesehene Gebrauchsweisen kulturindustriell hergestellter Produkte (s. Ernst u.a. 2008).
Auf einige wenige direkte Formen der Sabotage kann dieser Ansatz auch verweisen; beliebt sind besonders Verfremdungen, Umarbeitungen – aus Sicht der Werbetreibenden meistens: Verschmutzungen, Zerstörungen – von Werbebotschaften und -tafeln (zur Methode vgl. Ort 2011). Verklebte Sitze, verrammelte Türen, clowneske Aufführungen, Zwischenrufe und Trillerpfeifen, die dazu beitragen sollen, dass offizielle Veranstaltungen nicht durchgeführt werden können und an deren Stelle die Diskussion alternativer Entwürfe tritt, kommen an der Universität und in manchen Redaktionsstuben oder Kunsträumen auch noch manchmal vor – spektakulär abgelöst mittlerweile häufig von der mit ähnlichen Zielen versehenen Variante des Hacking. All diese Sabotageakte besitzen den Vorteil, für diejenigen, die vor Ort sind oder auf die entsprechende Website gelangen wollen, unmittelbar wahrnehmbar zu sein.
Ob die Wirkungen solcher Sabotagen über den Moment hinausreichen, ist damit natürlich noch nicht gesagt. Immerhin können ihre Urheber aber sicher sein, auf Widerstand zu stoßen. Sie verstoßen gegen Strafrechtsparagrafen oder zumindest gegen die Hausordnung; Strafbefehle (manchmal auch Strafen) oder Verweise dienen als unzweideutiger Beleg für ihre Sabotagearbeit. Bei den Anhängern der Subversion hingegen gibt es nur die Hoffnung, mit dem Verstoß gegen den unterstellten hegemonialen Diskurs einen kleinen Beitrag dazu geleistet zu haben, die mit diesem Diskurs verbundene Ordnung aufzulösen (ausführlich dazu Kleiner 2005).
Das hat zwar den Vorteil der Unüberprüfbarkeit – ob die von ihren Urhebern als solche ausgegebenen ‚subversiven‘ Taten tatsächlich einen Beitrag zur Störung oder langfristig gar zur Beseitigung des bestehenden Systems leisten, ist schwerlich festzustellen –, gerade dieser Vorteil kann sich jedoch in einen schwerwiegenden Nachteil verwandeln, wenn trotz vieljähriger, besonderer subversiver Bemühungen keine Änderungen im Großen und Ganzen sichtbar werden. Enttäuschung oder die rückblickende Diagnose, im Irrtum gewesen zu sein, falsch gehandelt zu haben, bilden nicht selten das Ende der Subversionsansätze der letzten Jahrzehnte.
Im Kunstbereich, aus dem heutzutage die meisten Versuche oder zumindest Absichtserklärungen stammen, subversiv oder gar sabotierend wirken zu wollen, ist solche Enttäuschung freilich oft mit beachtlichem, vorhergehendem Erfolg verbunden. Weil manchmal immer noch nicht recht erkannt wird, dass heutzutage von den Kulturinstitutionen Abweichung gerne prämiert wird, mögen die durchgeführten Subversionen und Sabotagen, die innerhalb oder in Reichweite von Akademien, Galerien, Theatersälen etc. stattfinden, gut (bzw. schlecht) gemeint sein, ihr wirklicher Status ist jedoch ein vollkommen anderer.
Subversionen und Sabotagen stellen tatsächlich ein Schmiermittel des heutigen Kunstsystems dar, sie wirken weniger störend als belebend, sie tragen auf mindestens mittlere Sicht zum Funktionieren entscheidend bei. Alle signifikanten Sabotageversuche des Kunstbetriebs finden sich über kurz oder lang zuverlässig in seinem kanonisierten Bestand sowie in den Rubriken der Kunstzeitschriften und in den Schriften der Geisteswissenschaftler wieder. Für Verwirrung oder Empörung sorgen sie momentan allenfalls noch, wenn Boulevardmagazine oder Parteiführer mit ihrem der modernen Kunst fernen Publikum sich solcher Sabotagen annehmen. Weil dies aber kaum noch geschieht, tragen sie zumeist zu gar keiner Störung mehr bei.
Sabotage und Popkultur
Deshalb ist es nicht vollkommen verwunderlich, wenn künstlerisch inspirierte Saboteure auf die Idee verfallen, ihre subversiven oder militant störenden Aktionen im Feld der medialen Massenkommunikation und insbesondere im Pop-Bereich durchzuführen (vgl. Marcus 1989). Gerade der Pop-Sektor zeichnet sich dadurch aus, zwar häufig Publika abseits der offiziellen Kunst zu erreichen, aber dennoch nicht vollständig konforme, hegemonial gänzlich durchdrungene Schichten zu versammeln (um einmal den begriffsgeschichtlichen Unterschied aufzunehmen, der darin besteht, in und ab den 50er Jahren angesichts von Elvis, Brando, Science-Fiction-Heften, bunten Illustrierten, Imagewerbung nicht mehr nur von „popular culture“, sondern auch von „pop“ zu sprechen). Der frühe Akzent von Pop auf Jugendlichkeit macht die mögliche Differenz von Pop zu den erwachsenen Hütern der Routine und der institutionell durchgesetzten und befestigten Anschauungen deutlich.
Auf die konservative Sorge vor den Halbstarken der 50er Jahre folgt die politische Hoffnung der Kulturrevolutionäre der 60er und 70er Jahre: Dass die Jugendlichen die erwachsene Ordnung nachhaltig sabotieren. Ihre Macht reicht z.B. für den Manager/Sprecher der MC5 an diejenige heran, die aus den Gewehrläufen kommt: „We don’t have guns yet – not all of us anyway – because we have more powerful weapons: direct access to millions of teenagers is one of our most potent, and their belief in us is another. But we will use guns if we have to – we will do anything – if we have to.“ (Sinclair [1968] 1972: 104f.)
Bereits am Ende der 1960er Jahre bemerkt aber eine Reihe der Sabotagewilligen, dass es mit dem Rebellentum in der jugendlichen Popkultur nicht weit her ist: Rebellion dürfe nicht mit einem Freizeitvergnügen, einem Samstagnachtphänomen und auch nicht mit einer Liberalisierungswelle verwechselt werden, die wohl überkommene konservative Werte beseitige, die Ausbreitung kapitalistischer Verhältnisse jedoch befördere. Auf die Kritik am Kommerzialismus und Konsum folgt rasch die Kritik an solchen Formen der Popkultur, die mit ihrer Lebendigkeit und ihrem flexiblen Abweichlertum als Blaupause für neoliberal entgrenzte Arbeitsverhältnisse dienten.
Im vorliegenden Band zur „Sabotage“ [dem dieser Artikel entnommen ist] werden die Argumente mit vielen Hinweisen auf die aktuelle Situation von Marcus S. Kleiner zuverlässig ausgebreitet und zugespitzt. Das größte Augenmerk gilt – wie früher bei manchen neulinken Theoretikern und Sprechern der außerparlamentarischen Opposition – dem Umstand, dass der Gegensatz von Mainstream und Underground nicht mit dem von Kapitalismus und einer irgendwie gearteten sozialistisch/anarchistisch/radikaldemokratisch, in jedem Fall latent oder manifest antikapitalistischen Bewegung zusammenfällt. „Oppositionelle Haltungen werden nicht verfolgt, sondern vermarktet. Erst, wenn sie nicht mehr vermarktbar sind, wären sie wirklich subversiv bzw. gegenkulturell“, hält Kleiner fest.
Ob dieser Kritikpunkt ins Schwarze trifft, ist teilweise zweifelhaft. Erstens muss Kommerzialisierung nicht automatisch Verwässerung bedeuten. Anders als über den Markt (zumal den Medienmarkt) lassen sich heutzutage auch zutiefst oppositionelle Kritikpunkte nicht verbreiten; dass Unternehmer damit Geld verdienen (wollen), bedeutet keineswegs, dass die von ihnen einer breiteren Konsumentenöffentlichkeit bekannt gemachten und zum Erwerb bereitgestellten Gegenstände und Botschaften dadurch ihre Kraft verlieren. Im Gegenteil, erst dadurch können sie in demokratischer Hinsicht an Impetus gewinnen.
Dies kann man gerade an der 68er-Bewegung studieren, die als kleiner Zirkel von sektiererischen Studenten begann und in kurzer Zeit nicht zuletzt mithilfe dieser Popmedien und in Warenform angebotenen Produkte eine eindrucksvolle, beinahe hegemoniale Wirkung erlangte. Zweitens spricht gegen die allzu schnelle Verabschiedung der Pop-Rebellionen, dass die neoliberalen Politiker und Intellektuellen im Zuge ihrer machtvollen Wiedergewinnung öffentlicher Meinungsführerschaft – bei ihrer erfolgreichen Kampagne für den Abbau des Sozialstaats und die Deregulierung des Arbeitsmarktes – kaum Pop-Bezüge ins Feld führten.
Richtig bleibt aber natürlich der Befund, dass den hedonistischen, zerstreuten oder intensiven Pop-Ansätzen zur Sabotierung des ordentlichen Betriebs in Schulen und Betrieben keine entscheidende politische, verändernde Kraft innewohnte. Nicht wenige der Künstler, Theoretiker und feuilletonistischen Propagandisten der Pop-Subversion – die im Unterschied zu Kleiner den beachtlichen reformistischen Liberalisierungen, die mit den Pop-Rebellionen untrennbar verbunden sind, keinen Wert zubilligen – haben sich deshalb vom großen Pop-Bereich wieder verabschiedet (oder ihn erst gar nicht betreten).
Stattdessen bauen sie bloß auf Formen, Gruppen und Szenen im Pop-Sektor, die einigermaßen avantgardistische Züge tragen – die auf autorlose Reproduzierbarkeit oder auf hoch originelle Abweichungen setzen, auf Atonalität oder extreme rhythmische Wiederholung, auf ausgetüftelte Hybridität oder forcierte Glätte und Oberflächlichkeit. Mit dieser Konzentration können sie zwar häufig tatsächlich einen sehr starken kommerziellen Zugriff und den Erfolg bei einem großen Publikum, das standardisiertere (oder anders standardisierte) Werke erwartet, verhindern, nicht vermeiden können sie jedoch, dass sie dadurch in die Nähe des institutionalisierten Kunstbereichs mit seinen anderen Erwartungen des Nonkonformen, Experimentellen, Störenden rücken – womit alle Hoffnungen auf eine größere, umwälzende Wirkung von Sabotagehandlungen schon wieder gegenstandslos sind.
Damit wären wir wieder beim Problem der subversiv wirken wollenden, sabotierenden Kunst angelangt – bei der heutigen Schwierigkeit, ja tendenziell Unmöglichkeit, im Feld der westlichen Kunst für erkennbare oder nachhaltige Störungen zu sorgen. Selbst im Falle, dass Zuschauer bei einer Performance nicht nur brav herumstehen und ruhig zugucken, es bleibt doch immer ein Kunstereignis, spezielle Räume, besondere Reihen, besondere Privilegien, sogar (Verfassungs-)Rechte, mittlerweile auch gepaart mit weitgehender Ignoranz vonseiten jenes tendenziell kunstfeindlichen, antimodernen Publikums, das sich noch über Aktionen in solchen Kunsträumen empören könnte und dadurch erst den Titel „Störung“ oder gar „Sabotage“ rechtfertigte.
Erst von dem Augenblick an, wo man Arbeitsteilung und Redeordnung aufheben würde, ergäbe sich eine – freilich tendenziell totalitäre – Belastung der Liberalität und ein Ende der Toleranz oder Ignoranz: als Staatsanwalt in der Klageschrift dichten; der Metzger, der aktionistisch agiert; als Versicherungsmathematiker dem Prinzip der Aleatorik folgen; die Magisterarbeit nach expressionistischen Kriterien beurteilen. Auch wenn solche Konsequenz oft wohl kaum wünschenswert scheint, es bleibt die Schlussfolgerung, dass jeder, dessen Arbeit einer Verwirrung der Ordnung gilt, prinzipiell nicht unter der Berufsbezeichnung ‚Künstler‘ auftreten sollte. Nach der Logik (einer vielleicht doch witzigen Alltagskomödie) müsste er in die Rolle des Staatsdieners, des Angestellten nicht nur zeitweise schlüpfen; es wäre interessant zu beobachten, wie lange man ihn gewähren ließe und was es für Folgen hätte.
Die Hinwendung zu Pop-Formen geschah und geschieht teilweise aus dieser Absicht heraus: mit modernen künstlerischen Mitteln und Zielen in einen öffentlichen Bereich hineinzukommen, der kein Kunst-Reservat bildet. Sie fand und findet ihren Grund auch in der Absicht, mit ihrer Hilfe in die Kulturstätten einzudringen und ihre Abläufe durcheinanderzubringen: Dass Lärm vom Tanzschuppen oder dem Motorradclub in die Oper hineinschallt, in abstrakte Malerei Werbeflächen fremd hereinragen, traditionell als hoch erachtete Literatur sich ein Beispiel an den Vertüfteltheiten mancher Science-Fiction-Hefte nimmt, Filmnarration von Videoclipmontagen zerschnitten wird usf.
Nun ist auch das seit den Tagen der Pop-Art und Postmoderne schon wieder längst Geschichte und nach wie vor gängige Praxis, deshalb kann auf breiter Grundlage Bilanz gezogen werden. Sie fällt, gemessen an den Ansprüchen der Störung und Sabotage, wiederum negativ aus. Die Kunstinstitutionen haben das alles bestens verkraftet, ohne auch nur ansatzweise von ihrer Fixierung aufs Werk und auf die passive, kontemplative Rezeption abzurücken. Und eine Änderung kapitalistischer Ordnung oder eine Erweiterung der Demokratie in Richtung allgemeiner Partizipation und größerer Gleichheit kann man nach solchem ‚Angriff‘ des Poppigen auf die hergebrachte Kunst wirklich nicht verzeichnen.
Deshalb bleibt es für jene Verfechter der Sabotage, die endlich von den Pseudo-Sabotagen innerhalb des Kunstbereichs wegkommen wollen, hochgradig attraktiv, in Sendungen und Arenen des Pop- und Massenkommunikationssektors – wenn sie denn von massenkultureller Bedeutung sind – mit Störungen publik zu werden (s. Autonome A.F.R.I.K.A.-Gruppe u.a. 2001). Das wichtige Meisterschaftsspiel unterbrechen, indem beim Pfostenschuss die vorher manipulierten Tore zusammenfallen; das Gerücht in den Medien streuen, Trinkwasser sei mit LSD angereichert worden; das Playback der Lady-Gaga-Show nutzen, um ihre Abertausenden Fans mit Nonsense-Gedichten zu beschallen; in der Live-TV-Show jede Antwort verweigern und lange Schweigemomente entstehen lassen – das mögen solche Aktionen sein, die größere Wirkung zeigen und nicht gleich als Kunstexperimente wegerklärt werden können; noch eindeutiger technische Sabotagen, die das Konzert, die Übertragung oder die ‚ganze kulturindustrielle Maschinerie‘ zum Abbruch, zum Stillstand bringen.
Daniel Buren war mit seinem „Störungs“-Bild zumindest vom Prinzip her schon recht nah an solchen Sabotagen. Die Ausstrahlung im ARD-Programm bescherte der „Störung“ ein immenses Publikum. Die verbleibende Unsicherheit, ob die Einblendung der offiziellen „Störungs“-Bekanntmachung auf einen künstlerischen Pop-Art-Urheber verwies oder auf einen technischen Defekt oder gar auf einen Anschlag zurückging, blieb trotz des Rahmens der Kunstsendung für den Betrachter unumgänglich erhalten. Als kurzes, für sich allein stehendes Intermezzo konnte die „Störung“ dennoch keinerlei Kraft entfalten.
Mit dem gewonnenen Status als Kunstwerk, von dem bis heute die Archivierung und Ausstellung in Museen zeugt, mag sie allenfalls als Ansporn für Künstler und Kunstrezipienten dienen, es nächstes Mal besser zu machen. Die Irritationslosigkeit solch potenziell radikaler Kunstfreunde, ihr Einverständnis mit der „Störung“, wäre dann, leicht paradox, die Voraussetzung dafür, die anderen, die es mit ihren Ordnungssystemen zu sabotieren gilt, in Zukunft zu irritieren und aufzustören.
Wissenschaftliche Betrachtung der Sabotage
Die Wissenschaften führen selber keine Sabotagen durch, sie können jedoch sehr viel zu ihnen beitragen, sei es nun, dass sie Computerviren entwickeln, die Zentrifugen zerstören, oder sei es, dass sie empirische oder strategisch-taktische Untersuchungen zu den Bedingungen und Erfolgschancen von Guerillaaktionen anstellen.
Im weicheren Sinn von ‚Sabotage‘ überlassen sie die Anwendung ihrer Ergebnisse allerdings nicht Technikern, Militärs, irregulären Kämpfern oder Geheimdienstleuten. Wenn man das überhaupt noch Sabotage nennen möchte, besteht sie darin, mit ungewohnten Beobachtungsperspektiven Denkkonventionen zu stören. Solche Verfremdungsleistungen und Angriffe auf etablierte Sprachspiele, Klassifikationsweisen und/oder Mythen nehmen die meisten Wissenschaftler ganz bewusst vor. Hier ist die Veröffentlichung der Ergebnisse bereits ein Teil der Sabotage (entscheidend ist natürlich, dass die Ergebnisse, Begriffe und Perspektiven von Nicht-Wissenschaftlern übernommen und verbreitet werden, sonst bleibt es beim ‚Sabotage‘-Versuch).
Auffällig am Buch zur „Sabotage“ [dem dieser Beitrag entstammt] ist die überwiegende Konzentration auf Sabotageakte im sehr weiten, metaphorischen Sinn. Etwas kaputt gemacht, eine Leitung gekappt, eine Seite gehackt wird in ihm selbstverständlich nicht – dazu eignen sich Bücher schwerlich. Es ist aber nicht einmal die Rede von solchen Sabotageakten, die eine Zerstörung oder Blockade von Dingen und Infrastruktur bewirken.
Es scheint so, als ob die heutigen Kultur- und Medienwissenschaftler (wenn sie auch, vertraut man der Auswahl in diesem Band zur „Sabotage“, dieselben antiautoritären, machtkritischen Haltungen kultivieren wie ihre Vorgänger der 1960er und 1970er Jahre) der Verbindung von Sabotage und Guerilla nicht mehr nachgehen wollen – bzw. ihnen der Gedanke ganz fremd geworden ist. Wie zum Ausgleich dafür hegen sie jedoch keinen Zweifel mehr (der ihre Vorgänger noch oft beschlich), dass es sich bei kreativen Abwandlungen, einigermaßen unkonventionellen Aneignungsweisen, humanistischen Soll-Hinweisen, medialen Fiktionen um wirklichkeitsmächtige, im Sinne einer tiefergreifenden Änderung bestehender Verhältnisse mittelfristig, kumuliert wichtige Akte handelt. Deshalb nennt man sie gerne ‚subversiv‘.
Die Begründung ist von in dieser Szene hoch anerkannten, regelmäßig und pflichtgemäß zitierten Großtheoretikern wie Judith Butler und Homi Bhabha geliefert worden. Ramón Reichert fasst sie in seinem Beitrag zusammen: Damit die Bedingungen der Macht gelten, müssen sie von den Subjekten inkorporiert und stetig wiederholt werden, dadurch können sie aber als veränderbar und endlich kenntlich und sogar travestiert und in der Abwandlung beschädigt und umgewidmet werden.
YouTube-Taggings z.B. gelten demnach als subversiv, weil (und wenn) sie ihr Potenzial ausspielen, die evidenzstiftende Macht des Videobilds zu unterminieren, ein Potenzial, das ihnen im „offenen und unabgeschlossenen Bedeutungsprozess“ grundsätzlich zuerkannt wird, wenn auch Reichert nicht vergisst, darauf hinzuweisen, dass YouTubes „infrastrukturelle Rahmenbedingungen“ und „technische Vorgaben“ dieses Potenzial einschränkten und es ohnehin fragwürdig sei, „politische Widerständigkeit“ auf (Re-)Signifikationsprozesse zu beschränken.
Nicht fragwürdig ist jedoch, dass kultureller (und irgendwie damit verbunden auch politischer) Widerstand gegen die „Macht“ geleistet werden soll. Dem äußerst ausgeweiteten Begriff der Macht und ihrer Subversion entsprechend ist auch das Ziel der Machtkritik und des potenziellen Widerstands von großer Allgemeinheit bzw. äußerster Besonderheit: Wider den Identitätszwang, wider die Bedeutungsfestsetzung, wider das Hierarchische.
Zumeist wird es nicht ausführlich erläutert – und schon gar nicht wird über die Konsequenzen für die Organisation einer machtloseren Gesellschaft nachgedacht, nicht einmal eine Anknüpfung an die älteren anarchistischen Modelle findet zumeist statt, in dieser Hinsicht macht sich der Vorrang der Kultur doch bemerkbar. Bei Reichert heißt es (mit Rekurs auf Deleuze/Guattari) abschließend: „Die asignifikanten Diagramme können von den Zeichenregimen zwar verarbeitet, aber nicht integriert werden, weil sie nicht-narrative und asubjektive Repräsentationen darstellen.“ Hier ist anzuerkennen, dass mit solcher Praxis, mit solcherart erreichtem Ziel tatsächlich eine nachhaltige Sabotage üblicher Kommunikation einträte, wenn sie nur von genügend Internetnutzern geteilt würde.
Es bleibt allerdings die Frage, wer den Zusammenbruch herkömmlicher Kommunikation außerhalb eines speziell dafür hergerichteten künstlerischen Bereichs tatsächlich will. Es besteht eine eigentümlich große Weite (um nicht zu sagen Leere) zwischen der Maximalforderung aufgelöster Narration und Bedeutung auf der einen und dem aus Sicht der Cultural Studies obligatorischen Hinweis auf der anderen Seite, das „Verhältnis von sozialer Software (YouTube) und Selbstpraktiken (User)“ solle nicht als determinierende Beziehung verstanden werden“, sondern als eine „strategische Machtbeziehung, die offen bleibt für ihre Abweichungen oder Veränderungen“ (wiederum Reichert).
Letzteres ist nichts anderes als das, was, mit anderem Vokabular, in jedem Verfassungsgerichtsurteil zu Demokratie und Öffentlichkeit auch steht: Partizipation und demokratische Willensbildung ist und muss möglich sein. Ersteres, mit seiner Hervorhebung von „Aneignungspraktiken“, die „sich der Symbolisierung in einem gegebenen Zeichenregime entziehen“, ist dann gleich ganz woanders. Diese Spanne zwischen dem üblichen Aneignen und Herumbasteln und der künstlerisch inspirierten Sinnverweigerung ist nur dann auszuhalten, so meine Vermutung, wenn die Anhänger der radikalen Deterritorialisierung, Dezentrierung, Dekonstruktion selbst nicht ernsthaft annehmen, dass aus Ersterem Letzteres erwachsen könne.
Unter anderem deshalb sind diese ‚Asignifikations‘-Formeln empirisch gesehen bislang bloß Topoi, die für Künstler und im Kunstbereich allgemein von Bedeutung sind. Selbst wenn sie oder in ihrem Geist entstandene Werke und Spiele mit der Absicht hervorgebracht werden, über die philosophische Diskussion und den Kunstsektor hinaus zu wirken, ziehen die heutigen Beiträger wesentlich seltener aus dem Scheitern des Versuchs jene Konsequenz, die vor dreißig, vierzig Jahren noch ihre Vorgänger manchmal bestimmte: Den Kunstsektor zu verlassen, die wohlgesetzte Formulierung von Sabotagehoffnungen zu beenden.
Darum können heute die Analysen und/oder Hochwertungen der Sabotage und Subversion ganz unbefangen auch an Phänomenen demonstriert werden, die mit der politischen oder aggressiv zerstörerischen Dimension der Begriffe wenig oder gar nichts zu tun haben. Marcus Stiglegger verwendet die Begriffe der ‚Störung‘, ‚Schädigung‘ und sogar der ‚Sabotage‘, um jene zielgerichtete Praxis von Filmemachern, zur Beglaubigung historischer Authentizität ihr modernes Material hinter den Stand heutiger Technik zu bringen, zu kennzeichnen und minutiös zu schildern.
Und – weiteres Beispiel aus dem vorliegenden Band – Thomas Düllo hält für „Knallchargen“ wie Theo Lingen die Auszeichnung ‚Sabotage‘ parat, weil für ihn besagte Typen fremd in den Filmen ihrer Zeit stehen (wenn auch das „Chaos und die Leere“, die sie anrichten, nur zwischenzeitlich entsteht, wie Düllo anmerkt, und keineswegs den kompletten Film auszeichnet). Das überzogene, groteske Spiel der Knallchargen sabotiert mit seinem Verfremdungseffekt das auf Expression und Natürlichkeit ausgerichtete Agieren der anderen Schauspieler ebenso wie das narrativ-funktionale Gefüge des psychologischen Realismus. Heute seien die Knallchargen „das einzig Erträgliche in diesen Filmen“, hält Düllo fest.
Ich kann das und seinen Aufsatz insgesamt nur unterschreiben; die ‚Sabotageakte‘ der Knallchargen, die als komische Effekte in den Filmen der Abwechslung halber fest eingeplant waren, haben demnach für uns auf eine Weise gewirkt, die sich gegen den Rest jener Filme wendet. Aber was folgt daraus? Dass man jetzt die anderen Schauspielarten und Plots nicht mehr sehen möchte, sondern nur noch Knallchargen und Filme, die keiner Realismuskonvention mehr unterliegen? Wohl kaum. Oder anders, weniger normativ klingend, sondern mit Blick auf die Empirie gesagt: Bereits die Tatsache, dass die Knallchargen eine feste Größe in konventionellen Filmen darstellen, zeigt, wie wenig ‚sabotierend‘ sie wirken.
„Kaputte Menschen“, unter ihnen sicherlich einige gefallene Knallchargen, rückt uns Holger Schulze eindrucksvoll vor Augen. Vom Penner, Gammler, Hustler, Hippie, irren Weisen, Theken-Philosophen bis hin zum „skurril-kaputten Dandy“ zieht sich die Reihe der „Kaputten“. Sie seien „allesamt Gestalten des Dysfunktionalen, der Disruption und Erratik in einer Welt, die als überfunktionalisiert, als rundlaufend, gutgeschmiert und sinnloses Getriebe gesehen wird.“ Auch Schulze sieht die moderne Welt offenkundig so. Vorstellungen „eigener Ganzheit und gedanklich-körperlicher Integrität“ sind für ihn lediglich „Illusionen“, funktionierende Abläufe bloß Projektionen narzisstischer Machtmenschen, die zwanghaft ihre eigenen Schwächen überdecken und darum die „Kaputten“, denen sie begegnen, gewaltsam verfolgen bzw. zuvor alles tun, um sie von öffentlichen Plätzen auszuschließen, damit solch eine Begegnung sich erst gar nicht ereignet.
Schulze plädiert deshalb dafür, die „Kaputten“ auf der öffentlich-medialen Bühne zuzulassen, um bei der (nicht voyeuristischen) Begegnung mit dem kaputten Anderen die eigenen Allmachts- und Reinheitsgelüste zu verlieren: „Die Zerstörung und Ruiniertheit soll bleiben, sie soll sich ausbreiten und tatsächlich als auswegslose gegenwärtig sein: ein ausgehaltener, ein nicht zu heilender Schmerz, eine offene Wunde.“ Sie birgt die Erkenntnis „der eigenen Zerstörtheit, der Desintegration aller idealen und gelingenden Selbstbilder“: „Wir sind ganz Schmerz.“ Die Sabotierung der eigenen abgedichteten Existenz durch die Kaputten wäre dann keine mehr; die Begegnung mit dem Kaputten wäre vielmehr Teil einer Art paradoxen Heilung, die in der Annahme der eigenen Fehlbarkeit bestünde.
Die Sabotage ist demnach für Schulze kein Wert an sich, wohl aber das Kaputte. Um eine Verringerung des Kaputten geht es ihm gerade nicht. Dass eine noch besser funktionierende Exekutive den Kaputten zumindest mehr Möglichkeiten bieten würde, sich zu versorgen, kommt ihm darum nicht in den Sinn. Dennoch arbeitet Schulze solcher Exekutive ungewollt zu: Aussagen wie die, dass wir hienieden alle gestört und Schmerzenskreaturen seien, werden in der modernen Ämterwelt, Sozialpolitik und (Pseudo-)Wissenschaft sehr zuverlässig nicht als christliches Bekenntnis aufgefasst, sondern als Aufforderung, mehr psychosoziale Dienste und Inspektionen einzurichten und durchzuführen.
Inspektionen, die von der privaten Netzwirtschaft organisiert werden, möchten Daniela Kuka und Klaus Gasteier durchkreuzen. Sie stören sich daran, dass Onlinefirmen einem mithilfe der Auswertung von Klicks auf der Basis algorithmischer Berechnungen sagen, was man wohl für ein Typ ist, welche anderen Gegenstände einem vermutlich gefallen würden und wie man seine Popularität steigern könne. „Wie können wir Meinungen, Präferenzen und Geschmack überhaupt noch ausbilden“, fragen sie besorgt, „wenn uns die Rezeptionsangebote immer schon einen Schritt voraus sind und zu denen wir uns nur noch zustimmend oder ablehnend, love it or ban it, verhalten können? Wie kann noch Neues entdeckt und Abwegiges ausprobiert werden, wenn jede Handlung erfasst, interpretiert und sozial bewertet wird?“ Die Frage ist bereits die Antwort. Sie glauben, man könne dies nicht, der Konformismus werde einem als Maßgabe der Selbstoptimierung erfolgreich nahegelegt.
Sie selbst sind natürlich die Ausnahme vom Konformen, deshalb können sie noch Gegenmaßnahmen einleiten. Um die gängige Netzpraxis zu sabotieren, planen sie keine Angriffe auf Rechenzentren, seien es nun Hackeroperationen oder Anschläge auf Server, Ingenieurbüros, Firmenzentralen. Stattdessen haben sie eine Versuchsanordnung entwickelt, in der man spielerisch erlernen soll, in welchen Zwangsapparat die Algorithmisierung des eigenen Lebens führt, und sogleich erproben kann, sich auf eine Weise zu verhalten, auf die die formalisierten Deutungsmuster keinen rechten Zugriff haben:
„Interessen simulieren, strategische Freund- und Feindschaften knüpfen, über Umwege (z.B. Freundesfreunde) Nähe zum Feind aufbauen, Handlungen tarnen, Geheimcodes für die Distanzierung vom Selbst etablieren, durch kritische Massenbildung neue Kategorien provozieren, durch diffuses inkohärentes Verhalten Einordnung verunmöglichen“ – das sind einige solcher Taktiken einer „Abweichung vom Selbst“, die Kuka/Gasteier „als Sabotage der Struktur des medialen Systems, ohne sie zu verändern oder gar zu zerstören“, empfehlen.
Auch dieser Ansatz wird äußerst scharfsinnig begründet und dargelegt, ja, er wird ebenfalls vollkommen kohärent entfaltet; von einem „inkohärenten Verhalten“, zu dem sie den Internetnutzern raten, sehen die AutorInnen im Rahmen ihres Aufsatzes vollständig ab. Darin kommen sie mit jenen anderen Beiträgern dieses Bandes überein, die bei aller Sympathie für das Asignifikante, Kaputte, Knallchargenhafte in der Art ihrer Sympathieerklärungen selbst keine Neigung dazu zeigen. Trotz solch argumentativer Kohärenz kann man dennoch über die Erklärungen streiten – vor allem über den Ausgangs- und Zielpunkt der Überlegungen.
Wie offenbar nicht unüblich unter den von Foucault, Butler etc. herkommenden TheoretikerInnen, werden die Gefahren, die von den ungreifbaren Mächten herrühren (auf Militär, Polizei, Richter, Minister, Direktoren stößt man bei ihnen nicht mehr), genauso stark dramatisiert, wie die Hoffnungen, ihnen zu entgehen, vage, gesellschaftsfern oder euphorisch ausfallen: „Was als einfacher neuer Button (oder die Entfernung desselben) in mittlerweile vertrauten Interfaces sozialer Plattformen daherkommt, kann vielleicht der Klick in eine neue Gesellschaftsform sein“, schreiben Kuka/Gasteier nicht zuletzt mit Blick auf ihre eigene „Mischung aus Sozialexperiment, Gesellschaftsspiel und Alternate Reality Szenario“. Nun, denkbar mag das sein, wesentlich wahrscheinlicher ist allerdings, dass es sich um den Schritt in eine Galerie oder einen kulturwissenschaftlichen Sammelband handelt.
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Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des transcript Verlags.
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