Literatur im Zeichen von Social Media
von Jan Drees
29.6.2013

Im Frühsommer auf einer Hildesheimer Tagung zu »neuen Formen der Literaturvermittlung«: Null und Eins. Schriftstellerin Rabea Edel bezeichnet Facebook als »neues Blogformat«, jedoch nicht als Mitmachliteraturforum. Sie treibt sich auf Tumblr, Twitter und Instagram »ein bisschen« rum, gibt aber an, das alles habe mit ihrem literarischen Schreiben nichts zu tun.

142.000 Follower lesen die (schon lange nicht mehr täglich geposteten) Tweets von Sascha Lobo, der zwar 15.000 Exemplare seines Debütromans »Strohfeuer« verkauft hat, aber darin keine Twitter-Werbe-Effekt ausmachen kann. Sascha Lobo benutzt Social-Media-Formate nur noch zum Senden, »keinesfalls um zu reagieren, um zu antworten.« Seine Bücher sind nicht in Diskussion mit der ›Internetgemeinde‹ entstanden, sondern bei Co-Projekten via Google Docs, bei dem allein für ein bestimmtes Dokument freigeschaltete Benutzer einen Text verändern, um- und neuschreiben können (während die älteren Versionen im Hintergrund gesichert bleiben). Der Schwarmroman lässt also auf sich warten, sieht man von Fanfiction oder dem Konzept des ›uncreatice conceptual writing‹ ab.

Die kollektive Intelligenz ist weniger am Entstehens- und mehr am Entschlüsselungsprozess beteiligt. Auf Seiten wie poetrygenius oder rapenius werden Meisterwerke der Welt- und Hip-Hop-Literatur (»Ulysses«, »New Slaves«) von vielen kommentiert, als Gegenprojekt zu kommentierten Ausgaben wie dem 50-Euro-Klotz von Suhrkamp. Sind die Autoren tot, hat das freilich kein Einfluss aufs Werk. Andererseits rücken nun Leser und Autor (auch durch Formate wie Lovelybooks und Goodreads) näher zusammen.

Sascha Lobo gibt zu, dass er derart darauf trainiert ist, 140-Zeichen-Sätze zu verfassen, dass er einerseits in seiner Spiegel.de-Kolumne Sentenzen einbringt, die von anderen via Twitter gepostet werden können »zirka 120 Zeichen, weil der Link dazu muss«. Dieses Verfahren hat sich aber auch in »Strohfeuer« geschlichen. Sätze, um sie zu zitieren. Das klingt prima, erinnert zudem an die Motown-Praxis, möglichst viele Hooks in einen Song zu packen, auf dass er im Gedächtnis hängen und mitgesungen werden kann. – Einwurf von Rabea Edel: »Ist das nicht total opportunistisch?«

Über jeglichen Opportunismusverdacht erhaben ist Kookbooks mit seinen Netz-, Buch-, Raum- und Finanzierungsformaten. »Bücher sind nur ein kleiner Teil dessen, was wir machen«, sagt Kookbooks-Verlegerin Daniela Seel, die sich nach »neuen Räumen« umsieht, die Möglichkeiten einer »anderen Fixierung und Haltbarkeit von Literatur« auslotet. Diese findet immer mehr im Netz statt, auf Seiten wie G13 oder fixpoetry. Sie existiert aber auch als Texttanzstück, als »Sprechende Gänge«-Kookwalk durch Berlin. »Was wir hier machen ist Literaturselbstverteidigung, Produzentengalerie.« Die Möglichkeiten seien vielzählig und es verwundere doch, dass die Self-Publishing-Szene (noch) relativ klein sei.

Daniela Seel hält einen Vortrag, unterstützt von dem Programm pecha kucha, bei dem insgesamt 20 Bilder jeweils 20 Sekunden lang projiziert werden. Pecha kucha funktioniert in der Nacherzählung nicht, sondern ist im besten Fall ein in sich stimmiges, nicht singulär herauslösbares Gesamtbild aus Ton, Bild, ›Zeit und Raum‹.

»MAZ ab!« – mit diesem altbekannten Satz eröffnet Jo Lendle seinen Pecha-Kucha-Vortrag, ein Gedankenexperiment, ebenso wie das von Daniela Seel. Jo Lendle wird Ende des Jahres Nachfolger von Hanser-Verleger Michael Krüger, Er hat mit Miniaturen bei Suhrkamp als Autor debütiert. Er kann Tausend-Seiten-Werke betreuen und zur gleichen Zeit bei Facebook, Twitter, im Blog die Esprit-Werbekampagne persiflieren. Jo Lendles Sprache ist der jeweiligen Form angepasst, womit es nun zum Kern des später in allen Feuilletons diskutierten Pecha-Kucha-Vortrags aus Hildesheim geht (der allein als Text nachpubliziert wurde).

Er entwirft das Modell des Self Publishers, spricht von zwei nebeneinander existierenden Verlagen – dem Selbstverlag (wie ihn Daniela Seel Minuten zuvor noch skizziert und in Differenz zum Althergebrachten gebracht hat). Vorschüsse zahlt der Selbstverlag nicht. Texte werden nur dann lektoriert, wenn es der Autor wünscht (wie zuletzt Dirk von Gehlen, der bei »Eine neue Version ist verfügbar« das Lektorat extern eingekauft hat).

Sascha Lobo legte zuvor mit Sobook ein neues Literaturmarketingkonzept vor. Kern dieses Konzeptes ist ein Tool, das es ermöglicht, Buchzitate so zu verlinken, dass die anderen Nutzer, beispielsweise von Facebook (die Seite hat mehr Zugriffe als die 99 ihr im Ranking folgenden Social-Media-Angebote) beim Anklicken direkt im Text landen, dann zwei Seiten lesen können, bevor sie aufgefordert werden, den Rest des ›Buchs‹ zu kaufen. Der Kindle sei eine Übergangsform. Bücher und Browserfenster gehen nach Sascha Lobos Analyse eine Symbiose ein. »Die Leute werden das nutzen. Sie zahlen dann nur nicht mehr 19,99 Euro für ein Buch, sondern eher 2,99 Euro«, sagt er. Gleichzeitig können so neue Vernetzungen ausprobiert werden. Ein Gegenmodell zu althergebrachten Verlagen wie Hanser soll Sobook definitiv nicht sein, sondern eine  ergänzende Vermarktungsmöglichkeit.

Aber zurück zu Jo Lendle und seinem Vortragstext. Mit keiner einzigen Silbe sagt er, Verlage seien überflüssig. Doch genau das wird ihm unterstellt. Im Wortlaut sagt er aber: »Verlage sind schon heute definitiv nicht mehr nötig. Autoren können ab sofort auswählen – und dabei womöglich die Vorteile der Arbeitsteilung erkennen. Verlage verlieren durch diese Wahlmöglichkeit ihr Türhütermonopol und werden zu Edel-Dienstleistern. Wir werden uns anstrengen müssen.« Man hätte den Unterschied zwischen »nicht mehr nötig« und ›überflüssig‹ kennen können. Aber dann hätte es im Feuilleton keinen Text gegeben.

 

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