Öffentlich unterstellte Motive
Es gibt Medien, Formate, Bilder, Standards switchende, sich und ihr Material transformierende Künstler(-gruppen), die kreativen Fühler (oder »Flimmerhärchen«, die den Körper des Künstlers bedecken und ihn derart empfindlich seiner Umwelt gegenüber werden lassen, wie Gottfried Benn vermutete) ausstreckend, im Pop-(Art-)Feld avancierend, durch einen beschwingten Eklektizismus Bezüge schaffend… und es gab, zu jenen glamourösen Jahren der Revolte, die Doors, die immer nur ein Bild von sich geliefert haben, immer nur eine Botschaft hatten.
Es scheint, bis heute, schwierig über den materialästhetischen Wert des Werkes der Band zu sprechen, ohne in die Fallen der (meist schlecht begründeter) Abwertung ins Bodenlose oder (völlig übersteigerten und unkritischen) Fan-Lobs zu stolpern. Für viele Kritiker waren die Doors jedenfalls immer »too much«: Zu enge Lederhosen, zu viel Phallus im Bild, zu viele kleine Mädchen im Publikum, zu viel Hype, zu viel Geld, zu viel Mythos und zu viel Drama am Ende (»…their only friend«).
Diedrich Diederichsen hatte seinerzeit in »Sexbeat« (Köln, 1985) nur einen einzigen Satz für Morrisons Selbststilisierungsprogramm übrig; er habe »als erster Popmusiker angefangen, die Rimbaud-Pest zu verbreiten«, was nur »albern« sei. Jean-Martin Büttner urteilt in »Sänger, Songs und triebhafte Rede« (Basel, 1997): »Zuviel (einmal mehr… – S.G.) ist über Morrison geschrieben worden, die Versuchung war einfach zu groß. […] Er war als intellektueller Bluessänger großartig und als bluessingender Intellektueller nicht auszuhalten«
Der Versuch einer vermittelnden Position, immerhin. Die Behauptungen bleiben allerdings kontextlos, bloßgestellt – das ewige Dilemma einer Theorie der (populären) Kultur: Es gibt keinen (im naturwissenschaftlichen Sinne) eindeutigen Beweis dafür, dass die Beatles wirklich wichtig waren (oder aber ebenso viele potenzielle Gegenbeweise), und die evolutionäre Zwangsläufigkeit von Madonna oder 50 Cent sei dahingestellt. Ebenso schwierig ist es, eine intersubjektive Ermessensgrundlage zu finden, urteilt man über die Doors und ihren sich notorisch oberkörperfrei präsentierenden Frontmann, Chef-Schamanen und selbsternannten Eidechsenkönig Jim Morrison, der zunächst das bunte Volk der Klein- und Großbürger-College-Söhne und -Töchter mit den LSD-getränkten »Siddharta«-Ausgaben gar prächtig unterhielt.
Dennoch störte die Masse der in den Strömen des Hippie-Movement schwimmenden oder bloß sich treibenlassenden Kids etwas an den Doors – und dieses Etwas, dieses unbestimmte Unbehagen fängt der verdienstvolle Greil Marcus in seinem Essay-Band »The Doors. A lifetime of listening to five mean years« (Public Affairs, 2011), das nun unter dem schlichten Titel »The Doors« in deutscher Übersetzung bei Kiepenheuer & Witsch vorliegt, meisterhaft ein.
Nach drei von Presse und Publikum gleichermaßen umjubelten Veröffentlichungen (»The Doors«, 1967, »Strange Days«, 1967 und »Waiting for the sun«, 1968; alle bei Elektra Records) wandte sich das Blatt für die Doors und sie wurden in den letzten drei Jahren ihres Bestehens zur bestgehassten Band Amerikas. Die Frage »Weshalb?« kennt hier viele Antworten. Zum einen brachten sie zweifelsohne Elemente in die gegenkulturellen Bewegungen der Zeit ein, deren Adaption der breiten Masse der Kids schwer fiel. Ästhetik und Mission der Doors war ein gewisser Avantgarde-Gedanke inhärent: Rimbaud und Heroin, Baudelaire und Speed, schwarzer Wein und schwarze Sonnenbrillen (obgleich The Velvet Underground, die zudem an die Pole New York, Factory, Pop Art anknüpfen konnten, es hier weiterbrachten). Der Aufgabe des Selbst im kollektiven Erlösungstaumel der bunten Masse wurde hier die Gnosis hedonistischer Selbstverwirklichung entgegengehalten.
Die Zurschaustellung der eigenen Kaputtheit, der Verstümmlung des Selbst, der Entfremdung und Ich-Dissoziation – all das wirkte beängstigend auf die Masse der Hippies, die einem dumpfen Attentismus frönten, der sie den Untergang der alten Welt abwarten oder in ihre eigene heile Welt (Goa, Gomera, Dahab…) entfliehen ließ. Schnell wurden die Doors so, ähnlich wie die Rolling Stones nach den Ereignissen in Altamont 1969, als die eigentlich Schuldigen am Untergang der angeblichen Love&Peace-Kultur ausgemacht. Angebliche Triebfeder ihres Handelns und öffentlich unterstellte Motive: Egoismus, Geldgier, Hass, Destruktivität, Satanismus.
Auch die Kritiker zeterten. Die letzten Werke der Doors (»The Soft Parade«, 1969, »Morrison Hotel«, 1970 und »L.A. Woman«, 1971) wurden allesamt als marketingtechnisch perfide aufgemachter Pop-Teenie-Kult ohne Scham und höchstens mittelmäßige musikalische Machwerke verrissen. Die in der Anfangsphase der Band energetischen Bühnenshows liefen in dem Maße ins Leere, in dem Morrison mehr und mehr an der Flasche hing und ganze Football-Mannschaften zu den Konzerten anreisten, um den cholerisch-betrunkenen Eidechsenkönig von der Bühne lallen und fallen zu sehen.
In der Folge wurde nichts so billig wie das Abqualifizieren der Doors als (wahlweise) mythisch-drogenvernebelte Teenie-Boygroup rund um den »erotic politician« Morrison, ein die gesamte selbsternannte »Lovegeneration« und ihre Werte in Bausch und Bogen verratendes Produkt der verhassten Kulturindustrie oder eine bestenfalls mittelmäßige Popmusik produzierende, gnadenlos überschätzte und am eigenen Erfolg zerbrechende Westcoast-Band in den USA der späten 1960er Jahre.
All dies, den Hass und die Demütigungen des Publikums, die Selbstzerfleischung der Band und die müde Parodie ihrer Selbst, die sie teils in ihrer Spätphase auf der Bühne und in Interviews abgaben, vergisst man heute ob der H&M-Shirts mit Morrison-Konterfei und des pünktlich alle drei Jahre wiederkehrenden Doors-Hype. Zappen wir aber, mit Greil Marcus, hinein in »The End, 1968«, zu den vielleicht eindrucksvollsten Momenten des Buches:
»Als die Doors auf die Bühne kamen, wurden sie begeistert empfangen, doch binnen Kurzem übertönte das Publikum die Musik mit seinen Schreien nach ›Light my Fire‹ – das die Band auf gar keinen Fall zu spielen gedachte. Doch da sie mit ihrer Musik nicht landen konnte, lenkten sie schließlich ein – und sobald sie den Song beendet hatten, schrie die Menge erneut nach ›Light my Fire‹. ›Kommt, lasst den Scheiß‹, sagte Jim Morrison. […] und dann schrie jemand: ›Wir wollen Mick Jagger!‹ Nach einer kurzen Unterbrechung trat Morrison an den Bühnenrand und begann ›The Celebration of the Lizard‹ zu deklamieren. Er hielt inne. Die Leute lachten. Er fuhr fort. […] ›Is everybody in?‹ fragte er, einmal, dann noch zwei weitere Male und die Leute brüllten daraufhin jedes Mal: ›NOOOOOO!‹. ›The ceremony is about to begin‹, sagte er theatralisch – versuchen Sie einmal, diesen Satz auf andere Weise zu sagen –, und die Leute lachten lauthals angesichts der Schwülstigkeit des Ganzen oder sie kicherten peinlich berührt. Dann verstummte Morrison« (S. 218 f.)
»Das Publikum ist laut, betrunken. Die Leute krakeelen. (…) ›Hey‹, sagt Morrison, wobei er ein bisschen überrascht klingt, ›jetzt reißt euch mal zusammen!‹ Das Geschrei ebbt jedoch nicht ab. ›SSSSHHHHHHHH‹ flüstert Morrison ins Mikrofon. ›Fuck you!‹, schreit jemand. (…) ›This is the end‹, singt Morrison, klar und deutlich – der Sound kommt laut und satt rüber. Die Menge ist ruhig, doch Morrison klingt abwesend, so als habe er den Glauben an den Song verloren, den Glauben daran, dass es sich lohnt, den Song zu singen. ›You´ll never follow me‹, singt er. ›Du kannst uns mal!‹, schreit jemand. Morrison versucht zu singen, doch er kann den Song nicht finden. (…) Die Leute brüllen Parodien auf die Textzeilen, die Morrison nicht singt. In dieser dunklen Stunde ist seine Präsenz ausgeprägter als jemals zuvor – doch seine gewaltige, göttergleiche Stimme ist nichts im Vergleich zu der noch stärkeren, ihn mit Hohn und Spott überschüttenden Menge. Morrison improvisiert erneut Textzeilen, um die Menge zum Schweigen zu bringen, um den Song von den Toten auferstehen zu lassen […] Dann schreit jemand etwas über Kuchen« (S. 223ff.)
Von solch großartigen, entlarvenden und den zum Denkmal erstarrten Doors auf abstrakte Weise im Hier und Jetzt wieder Leben einhauchenden Parts abgesehen, gibt Marcus stellenweise allerdings auch eine Ahnung davon, wie es ist, wenn der Rock-Großvater erzählt – peinlich kann es werden. Egal, ob er immer wieder daran erinnert, dass er »an die Dutzend Male« (S. 62) die Doors live gesehen habe, einem »neunzehnjährigen Freund« (S. 55), der ihn bittet ihm bei einem College-Paper über die 1960er Jahre zu helfen, nicht nur die »sogenannten Sixties« (S. 47), sondern gleich auch seine Sicht auf die amerikanische Kulturgeschichte der letzten Jahrzehnte erläutert oder auch Lady Gaga (»Bad Romance«) und Train (»Hey, Soul Sister«) seine Bewunderung ausspricht (»Ja, mir gefielen diese beiden Songs. Ich verlor mich jedes Mal in ihnen«, S. 48) – oft haftet den Erläuterungen jener eklige Dunst biografisch-stilisierender Erinnerung an, der ohne selbstreflexive, kontextualisierende Momente auskommt und sich in seinen essenzialistischen Darstellungen selbst genügt.
Doch Marcus findet auch andere Wege! Wann immer er sich rückbesinnt auf seine Praktik des Close-Hearing/Listening (glänzend ausgeführt in »Like a Rolling Stone. Bob Dylan at the Crossroads«, 2005) und Doors-Songs in gewohnt eklektizistischer Manier via George Grosz, Richard Huelsenbeck oder auch Hieronymus Bosch dechiffriert und decodiert, da ist er ganz bei sich (etwa in seinen meisterhaften Analysen der Stücke »Crystal Ship«, »Mystery Train« oder auch »Backdoor Man«). Und egal, ob man dann am Ende darauf hereinfällt und die Songs einer erneuten Hörprobe unterzieht oder nicht, es bleibt ein großes Vergnügen mit Marcus Blick und Ohr die Doors neu wahrzunehmen. Anders eben. Ob das wichtig ist? Ich glaube nicht, aber was ist schon ›wichtig‹? »I know, it’s only rock ´n roll, but I like it« singt der große Noch-Nicht-Tote.
Bibliographischer Nachweis:
Greil Marcus
The Doors
Köln 2013
Verlag Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-04510-9
256 Seiten
Sven Gringmuth arbeitet als Lehrkraft für besondere Aufgaben am Germanistischen Seminar der Universität Siegen.