Die weinerlichen Männer und ihr schwedisches Mädchen
Sie sei „eine Radikale“, schreibt ein Twitter-User – und reagiert damit auf ein Bild-Posting, das eine schwedische Klimaaktivistin mit der deutschen Bundeskanzlerin physiognomisch überblenden will – begleitet vom Versuch, ein nebengestelltes Zitat als mögliche Aussage der jeweils beiden Figuren erscheinen zu lassen. Der Anlass ist klar: Offenbar werden inzwischen beide Personen gleichermaßen als Projektionsflächen gesehen, gegen die mindestens der gesunde Menschenverstand zu verteidigen ist.
Greta Thunberg gehört zu den meistbeachteten Figuren unserer Tage. Nahezu weltweit interessieren sich Massenmedien für sie als Person im doppelten Sinne: Als Repräsentantin eines kollektiven, politischen Anliegens einerseits; und andererseits als Mensch, dem man entweder großväterlich besorgt, hobbypsychologisch gestimmt oder gar ferndiagnostisch ambitioniert auf die Schliche kommen möchte. So war es nur eine Frage der Zeit, bis sich vermeintliche Medizinautoritäten berufen fühlten, das Phänomen im Grundsätzlichen auszulesen – formvollendet vorgetragen etwa in der FAZ: „Von sich selbst sagt Greta Thunberg, sie sehe die Welt schwarz und weiß. Der Psychiater vom Max-Planck-Institut erklärt, wie das mit ihrem Autismus zusammenhängt.“
Die Hermeneuten des Klima-Seelischen gehören in diesem Fall allerdings zu den harmloseren Randerscheinungen. Wesentlich dominanter – und für die öffentliche Wahrnehmung ungleich folgenreicher – wirken insbesondere Männer, die in Greta Thunberg ganz offenbar eine reelle Gefahr für Kultur, Nation und ihre jeweiligen Wertpräferenzen erkennen. Wie anders sollen die abertausenden, meist von reflexhafter Feindseligkeit, offen gezeigter Abscheu oder mythologisierender Verteufelung getränkten Verlautbarungen auf Twitter, Facebook und Instagram zu erklären sein?
Seit Thunberg im Dezember 2018 auf der UN-Klimakonferenz in Katowice an Politiker*innen und Öffentlichkeit appellierte – und damit ein Anliegen pointierte, das sie bereits seit August 2018 durch Schulstreik-Aktionen verfolgt hatte –, wurde sie nicht nur schlagartig zum Vorbild einer jungen, (umwelt)politisch engagierten Generation; zugleich avancierte sie zum gemeinsamen Hassobjekt nationalistischer, klimawandelleugnender, rechtsextremistischer und verschwörungstheoretischer Gruppierungen.
Dabei entzünden sich pauschal-abwertende Äußerungen gegenüber Thunberg im Grunde nie an ihren inhaltlichen Positionen. Das ist erstaunlich. Schließlich könnte es einem empörten Menschen als besonders naheliegende Übung erscheinen, mit der angenommenen Reife des Erwachsenen ein vermeintliches Mehr- und Besserwissen zur Widerlegung der 16-Jährigen auszuspielen – um mit einer solchen ‚Korrektur‘ die Durchsetzung einer als richtig empfundenen Ordnung zu demonstrieren.
Diese Logik weitergedacht, gäbe es sogar eine strategische Notwendigkeit zur inhaltlichen Auseinandersetzung. Denn erst durch sie ließe sich die – offenkundig gewünschte – Überlegenheitsgeste mit dem scheinbaren Nimbus des Souveränen verbinden. Wem also an der Festigung hegemonial-patriarchaler Strukturen gelegen ist, müsste der nicht auch ein Interesse daran haben, gegenüber der eigenen Community als inhaltlich unbestechlich aufzufallen?
Die Vermeidung inhaltlicher Beschäftigungen bei gleichzeitiger Erhöhung der Empörungserregung erzeugt stabile Muster in den Formen der Diffamierung. Strukturell lassen sich – ähnlich vielen anderen Hass-Projektionen in den Sozialen Medien – eine textliche und eine bildliche Dimension unterscheiden. Diese wirken allerdings nicht getrennt voneinander, im Gegenteil: Oft liefern sprachlich verfasste Hassäußerungen die Stichworte, aus denen bestimmte Bildarrangements hervorgehen, die ihrerseits dann wieder dazu motivieren, sich auf der Ebene des Textes auszulassen. Dort sind dann auch mindestens fünf typische Abwertungsmechanismen zu identifizieren:
Intelligenzdefizit
Wer die Tiefebenen der inhaltlichen Beschäftigung entweder scheut oder aber längst hinter sich gelassen hat, neigt zur normativen Einordnung. Aus dem unterstellten intellektuellen Defizit wird die Notwendigkeit zur Wiedereingliederung in das Bildungssystem abgeleitet. Auffällig – und absolut typisch! – ist die Verschränkung von attestierter Blauäugigkeit bzw. himmelschreiender Unerfahrenheit, angenommenem Intelligenzmangel und Alter. Dieser Kurzschluss unterschiedlicher Eigenschaften eignet sich entsprechend Gewillten wunderbar zur Stabilisierung einer als natürlich aufgefassten Ordnung.
Weltanschaulicher Missbrauch
Herabwürdigung kann in besonders effektiver Weise durch Absprechen von Selbstbestimmtheit herbeigeführt werden. Thunberg – einmal mehr als „Kind“ adressiert – wird als Opfer eines gewaltausübenden Systems dargestellt, ein System, das, so die Unterstellung, nicht davor zurückschreckt, die Schwächsten zur Ausweismarke der eigenen Weltanschauung zu machen (– so erscheint Thunberg anderen Usern als „Symbol des Ökostalinismus“, als „Idol von vollkommenen Idioten“, als „Marionette des linken Mainstreams“ oder sogar als „Symbol der Ochlokratischen Republik Deutschland (ORD)“).
Der insinuierte Missbrauch wird folglich weniger Personen denn einer bestimmten Gruppe („Mit dem Missbrauch Minderjähriger kennen sich die Grünen aus“) oder gleich einer ganzen „Ideologie“ angelastet. Im vorliegenden Fall wird diese zusätzlich pathologisiert, wodurch das Gefälle zwischen einem irgendwie indisponierten System und seinem Opfer ins Monströse gesteigert wird. Gleichzeitig soll damit ein Signal von persönlicher Besorgtheit gesetzt werden, wird dem „Kind“ doch scheinbar beigesprungen mit dem Ziel, die vermutete Krankheit als Auseinanderklaffen zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu deuten: Gutmenschen predigen ihr Einstehen für die Schwachen – und beuten diese umgehend aus, wenn es um das Bewerben ihrer Weltsicht geht.
Symptom eines totalitären Infantilismus
Die Klimaaktivistin beim Vornamen zu nennen, dient Fans und Mitstreiter*innen als Form der Nähebekundung. Ähnlich einer Beziehung zu einer Marke, wird diese äußerst intensiv ausgelegt und -gelebt. Andererseits eignet sich die Adressierung beim Vornamen dazu, einmal mehr die scheinbare Kindlichkeit negativ hervorzuheben – dies insbesondere dann, wenn nicht nur die Aktivistin als unerwachsen dargestellt, sondern im gängigen kulturkritischen Duktus gleich ein allgemeiner Infantilisierungszusammenhang aufgezeigt werden soll.
Und auch hier kommt es regelmäßig zu einer Depersonalisierung: In der Rede davon, mit „Greta […] nur ein Symptom“ vor sich zu haben, manifestiert sich wiederholt die Annahme einer bloßen Fremdbenutzung. Abgestellt wird auf eine „zunehmend“ grassierende Gefühligkeit von „Politik“, wobei „Fakten“ anscheinend vor allem eine Sache erwachsener Menschen sein sollen. Gleichzeitig wird zum Ausdruck gebracht, dass der Rückzug ins Kindliche einer Realitätsverweigerung entspringt. Kaum verwunderlich also, dass ein solcher Tweet denn auch einen spürbar angestrengten Stilehrgeiz verrät, darauf hoffend, einen überlegen-realistischen Blick auf die allgemeine Lage nachweisen zu können.
Knopfdrucklösungen
Unfreiwillig komisch wird es gleich auf mehreren Ebenen, wenn ein Twitter-User Thunberg dazu benutzt, seiner Klage gegenüber Instagram-Usern zum Ausdruck zu bringen. Verwunderlich ist die kurze Wegstrecke, die von der „Generation Instagram“ (wer auch immer das sein mag) zur „Insta-Politik“ (was auch immer das sein mag) zurückgelegt wird. In jedem Fall scheint in beiden Fällen eine „Knopfdruck“-Mentalität vorherrschend – was insofern einen performativen Selbstwiderspruch erzeugt, als der Tweet ebenfalls darauf setzt, durch eine Art Knopfdruck-Anweisung das Problem beheben zu können.
Damit wird aber zugleich ersichtlich, wie umfassend Projektionen auf Thunberg ausfallen: Sowohl in diesem Tweet als auch in der kommentierenden Reaktion auf ihn geht es längst nicht mehr um Klimafragen. Eher scheint es, als sei wieder einmal ein letztlich willkürlicher Anlass gefunden worden, dem eigenen Überlegenheitsanspruch mit ein paar Worten Geltung zu verschaffen. Genretypisch daran ist, dass der Blick auf Thunberg mit eigenen Aversionen gegenüber einer Jugend angereichert wird, die sich ja, wie allseits bekannt, in erster Linie durch bloßes „Weiterwischen“ auszeichne.
Personalwechsel
Verschwörungstheoretische Neigungen sind oft dann zu beobachten, wenn Personen in direkte Bedingungsverhältnisse zueinander gestellt werden. Eine Clausewitz-Anleihe bemühend, wird die schwedische Klimaaktivistin als „Fortsetzung“ des Co-Vorsitzenden einer u.a. im deutschen Bundestag vertretenen Partei eingestuft (Robert Habeck ist in diesen Konstellationen freilich völlig austauschbar; im Grunde kann seine diesbezügliche Rolle an jede und jeden des Systems vergeben werden).
Der Hinweis auf die „anderen Mittel“ suggeriert eine versteckt agierende Macht im Sinne einer steuernden Kraft hinter den Personen, so dass diese umso mehr als bloße Erfüllungsgehilfen – eben als „Mittel“ – eines Systemzwangs erscheinen. Gleichwohl werden sie in unmittelbare Wirkungsbeziehung zueinander gebracht, führe „Greta“ im Grunde doch nur weiter aus, was auch „von Habeck“ erwartet werde.
Folglich übernehmen solche Tweets die Funktion, diffuse Verdachtsmomente durch wiederholtes Vortragen im Stile einer Aussage als empirische Tatsache ins Bewusstsein zu heben. Der Hinweis auf die – vermutete – Verschwörung folgt somit selbst der Logik einer Verschwörung, in dem sie sich als entlarvend gegenüber einer kollektiven Verblendung positioniert – und dabei unerwähnt lässt, aus welchen Quellen dieses vermeintliche Wissen gezogen wird.
Zu den Bildern
An die textsprachlichen Verschwörungsexegesen schließt sich eine ganze Reihe bildlicher Nachweisversuche an. Typischerweise geht es dabei immer wieder darum, durch eine Art Stammbaumverzweigung Beziehungen, Einflüsse und Abhängigkeiten plausibel zu machen. Wilde Mischungen synchroner und diachroner Ahnen- und Verwandten-, Freundes- und Gönnerforschungen werden aufgeboten, wobei generell ein neutraler (schwarzer) Hintergrund analytische Unaufgeregtheit suggerieren soll. Vor diesem wird das als verdächtig identifizierte Personal in Stellung gebracht und mit simplen Strichführungen als untereinander irgendwie verbunden dargestellt.
Über allen – gewissermaßen als Endprodukt – positioniert sich ein farbiges Porträt Thunbergs, das sich wiederum auf eine Art – schwarzweiß dargestellten – systemrelevanten Urahn zurückführen lässt. Der begleitende, rhetorisch fragende Stakkato-Text erscheint als Versuch eines evidenzbasierten Zusammenrechnens angeblich brisanter Neuentdeckungen. Welche konkret begünstigenden Rollen darin die „berühmte Opernsängerin“ und der „mächtige Unternehmer in der Medienwelt“ spielen sollen – und welchen Interessen sie jeweils folgen –, bleibt ebenso nebulös wie die vermuteten Einflussaktivitäten der aufgeführten Personen.
Durch Zusammenstellung von Fotografien, die während Thunbergs öffentlichen Auftritten entstanden sind, lassen sich Vorhaltungen gegen die als Systemvertreter*innen gewerteten Repräsentant*innen in nochmals prägnanterer Weise lancieren. In diesem Fall steht eine inzwischen tausendfach verbreitete, Triptychon-ähnliche Fotocollage im Zentrum, die, in Leserichtung geordnet, womöglich die übertriebene Ehrerbietung eines der prominentesten EU-Kommissare beispielhaft belegen soll.
Als entsprechend groß erweist sich die Auslösewirkung auf die Plattform-User, wird die scheinbar ‚sprechende‘ Collage doch mit immer neuen hämischen bis höhnischen Kommentaren belegt. Die gezielte Absenkung von Thunbergs Alter soll die Generationendifferenz zu Juncker spöttisch erhöhen, wobei zusätzlich auf eine frühere Begrüßungsszene angespielt wird, um zumindest die Andeutung eines quasi-pädophilen Settings in die Welt zu setzen.
Diese versteckten, aber gerade deshalb wirkungsvollen Suggestionen erweisen sich als semantische Mittel zur Herabsenkung rhetorischer Hemmschwellen. Ein direkt folgender Kommentar nutzt dann auch den Post, um zunächst und bewusst diffus das Thema der Behinderung ins Spiel zu bringen – um damit sowohl erneut auf Thunbergs angeblichen Autismus anzuspielen als auch Gerüchte um Junckers Gesundheitszustand zu bedienen. Zudem insinuiert der Kommentar ergänzend zur kindesmisshandelnden Unterstellung eine umfassende, wiederum sexuell konnotierte Bereitwilligkeit Thunbergs („für einen Öko Bonbon macht die ja alles“).
Deutlich wird, wie sich aus dem Ineinander von Text und Bild ein kommunikatives Klima erzeugen lässt, in dem es vielen erstaunlich leicht fällt, assoziative Zurückhaltungen schrittweise aufzugeben. Wohlgemerkt geht es dabei nicht darum, die Grenzen des Sagbaren auszudehnen; sondern es geht darum, solche Grenzen erst gar nicht mehr als Grenzen kenntlich zu machen. Folglich wird eine Form der Hassbekundung perfektioniert, in der das Spiel mit Andeutungen ausreicht, um moralisch gefasste oder ethisch fundierte Hemmungen zu kaschieren und ein Eintreten für Differenzierungen und Abwägungen zu erschweren.
Oft genügen den sich so Verständigenden weitere Bild-Postings, um sich der gemeinsamen Auffassung wechselseitig zu versichern. Geschrieben wird dabei kaum mehr und allenfalls noch darauf hingewiesen, mutmaßlich zur Umgehung einer befürchteten ‚Zensur‘ textsprachlich hier „ja nix dazu“ beitragen zu können. Umso mehr verlegt man sich auf’s Bilderbearbeiten – so geschehen in diesem Fall, indem auf das Thunberg-Juncker-Triptychon mit einer weiteren Fotografie dieser Begegnung reagiert wird.
Erneut sollen simpelste Beziehungs- oder sogar Blickpfeile Geheimbotschaften zur Bestätigung der ursprünglichen Einlassung beitragen. So kommuniziert man in einem Bild-Text-Gemisch, wobei der quantitative Rückgang der Textnachrichten mit einem qualitativen Aufschwung der Bildbotschaften einherzugehen scheint. Je weniger im Verlauf der Kommunikation geschrieben wird, desto mehr attestiert man den Bildern ein propositionales Vermögen.
Dass gerade diese Fotografie dabei völlig bedeutungsoffen bleibt – sich also keineswegs allein für Abwertungsbekundungen eignet –, beweisen Postings, die sich neutral bis affirmativ zu Thunberg äußern. Sie stufen die bildlich festgehaltene Szene als irreführende Momentaufnahme ein: Habe zunächst eine Begegnung unter Austausch von Höflichkeiten stattgefunden, sei der Eindruck von Glück mit Beginn der Rede verflogen.
Das Rebloggen des welt.de-Artikels wird in diesem Fall als Möglichkeit zum Verweis auf eines im Bild selbst nicht ersichtlichen Ereignisses genutzt – wobei das Bild inszenatorisch nicht unwichtig wird, im Gegenteil: Das kommende Ereignis wird gerade deshalb als besonders brisant gewertet, weil das Bild (noch) eine ganz andere Stimmung zu vermitteln scheint.
Gleichzeitig wird damit Thunbergs Rede in ihrer Bedeutung gestärkt, scheint es ihr nach Meinung des Users doch gelungen zu sein, einen derart erfahrenen Polit-Profi wie Juncker zu einer verräterischen (mimischen) Reaktion verleitet zu haben. Folglich wird die zunächst mit einem sexualisierten Gewaltübergriff assoziierte Szene nun tendenziell in ihr Gegenteil verkehrt, so dass schließlich Thunberg die Rolle einer (zumindest situativ) Machtausübenden zugesprochen wird.
Gerät hierbei also Junckers Aussehen zum Thema, ergehen sich auch die meisten visuellen Hasskommentare gegen Thunberg darin, ihren Körper zu verhandeln. Gegenüberstellungen mit Tieren, Monstern, verurteilten Straftätern und – immer wieder – Diktatoren sollen äußerliche Merkmalsähnlichkeiten aufzeigen. Mit dem intendierten Verlachen ihres Körpers soll ihre Person entmenschlicht und als entweder animalisch, verbrecherisch, unterdrückend oder sonst wie grotesk-abartig auffallen. Angewandt werden derbste rassistische Muster, die in äußeren Erscheinungen innere Eigenschaften entdecken und dafür sorgen wollen, dass die Erscheinung mit der unterstellten Eigenschaft unauflösbar verbunden wird.
Aktiviert wird demnach die uralte Vorstellung vom geborenen Verbrecher. In ihm lebt das als überwunden geglaubte Tierisch-Böse wieder auf. Diese atavistisch-physiognomische Hoffnung, im Körper des Menschen die Signaturen seines gefährlichen Wesens identifizieren zu können, diese Hoffnung kommt in hasserfüllten Äußerungen besonders unverstellt zum Tragen.
Nein, die Bilderwelten der Sozialen Medien sind hier keineswegs als Ursache auszumachen. Aber sie bieten all jenen Möglichkeiten, die klug genug sind, ihren Rassismus (zunächst) im ästhetisch Extremen auszufalten.
„Die Empörung ist eine europäische Sünde, ein negativer Narzissmus“, bemerkt die französische Philosophin Julia Kristeva 2013 in einem Interview. Exakt darin könnte der Hebel zum Umgang mit derartigen Praktiken liegen: So sehr Empörung in Hass umschlagen und dieser auf andere gerichtet sein mag, so stark ist er von der Faszination am Eigenen angetrieben. Dass dieses Eigene aber immer auch nur ein Bild ist, ja notwendig zum Bild werden muss, um überhaupt erfahren werden zu können, verrät die kontingente Fragilität der Hass-Postings.
Ihre Abhängigkeit von den Umständen ist also viel größer, als es ihre behauptete Stärke glauben machen möchte. Wohl deshalb sind die weinerlichen Männer derzeit von kaum jemandem derart fasziniert wie von ihrem schwedischen Mädchen.
Daniel Hornuff ist Vertretungsprofessor für Theorie und Praxis der Gestaltung an der Kunsthochschule in der Universität Kassel.