Online-Marktplatz für »Einzigartiges«
Alle Jahre wieder wollen passgenaue Produkte gefunden werden, die dem Geschmack und der Konsumvorliebe der Beschenkten entsprechen. Deshalb überschlagen sich zur Weihnachtszeit Magazine und Tageszeitungen mit Empfehlungsrankings für die unterschiedlichsten Produktkategorien. Aus der Kosmetikredaktion werden die pflegendsten Produkte gemeldet, über die sich die beste Freundin oder alternativ die Schwiegermutter freuen könnten, die Feuilletons drucken Buch-Geschenkvorschläge von Schriftstellern und deren Kritikern und auch die Königs-Kategorie »Geschenke für solche, die schon alles haben« will gefüllt werden.
Folgt man diesen Kaufempfehlungen, lauert stets die Gefahr, dass sich auch andere von ihnen leiten lassen und sich am Weihnachtsabend Doubletten unter dem Baum verstecken. Es gilt darum, selbst kreativ zu werden und die Konsumgesättigten mit etwas Selbstgemachtem zu überraschen. Nur wie? Die gehäkelten Boshi-Mützen waren gestern, die selbstgestrickten Socken könnten wirken wie von vorgestern. Der Wunsch nach individuellem Ausdruck führt nicht alle auf direktem Wege zu Strickliesel, Nähmaschine oder Häkelnadel, sondern der Wunsch nach »D.I.Y. – Do it yourself« wird von vielen über Produkte konsumiert, die von der Aura des Selbstgemachten umgeben werden.
Unsere Rezension bezieht sich jedoch nicht auf ein ausgesuchtes Produkt der creative industries, sondern nimmt vielmehr den Ort in den Blick, der verspricht, dass sich dort der Wunsch und die Suche nach dem ästhetischen Neuen, dem Authentischen, dem Selbstgemachten stillen lässt: DaWanda. Der »Online-Marktplatz für Einzigartiges und Unikate« bietet vor allem eins: »Products with Love«, wie es vom ach so niedlich als Geschenketikett gestalteten Logo entgegenschallt.
2006 gründeten Claudia Helming und Michael Pütz das Vorzeige-Start-up mit Firmensitz in der selbsternannten Hauptstadt der Kreativen, in Berlin. Nur ein Jahr zuvor, 2005, ging in New York mit »etsy« eine konzeptionell vergleichbare Social-Commerce-Plattform online, die zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich für den US-amerikanischen Markt Selbstgemachtes aus heimischen (Näh-)Ateliers, Wollkisten und Hinterhofwerkstätten feilbot.
»DaWanda«, das heißt die »Einzigartige«. Die Gründer haben sich damit (wie das Pressematerial informiert) für einen afrikanischen weiblichen Vornamen entschieden, der fortan zum Signet und Versprechen der Marke geworden ist. Eine Marke, die in rasantem Tempo zur Schnittstelle für Kreativitätsproduzenten und Kreativitätskonsumenten wurde und beiden Akteuren dazu verhilft, sichtbar zu werden. In erster Linie natürlich den Produzenten, indem sie im Rahmen des von DaWanda zur Verfügung gestellten Web-Strukturen »Shops« eröffnen können. Nicht mehr nur auf Kreativmessen oder dem alljährlichen Adventsbasar kann das Selbstproduzierte verkauft werden, nein, mit DaWanda herrscht das ganze Jahr kreative Jahrmarktsstimmung.
Ein jeder hat in Form des Shop-Interfaces eine kleine Ladentheke, in der der Verkäufer selbst die Auslage bestimmt. Die Konsumenten werden ebenfalls sichtbar, indem Produkte geherzt, also als Favorit gekennzeichnet werden können. So kann sich ein jeder über die entsprechenden, persönlichen Kontofunktionen ein kreatives Stil-Profil erstellen und sich durch Produktpräferenzen konturieren.
Die Gewinner im Kampf um die Aufmerksamkeit in diesem Zusammentreffen, das sind diejenigen Produkte, die es – um in der Bezeichnungs-Logik von DaWanda zu sprechen – auf die »Logenplätze« geschafft haben. Ihre Einzigartigkeit wurde vielfach bestätigt, und fortan fallen sie den Besuchern der Webseite als Erstes in der jeweiligen Produktkategorie ins Auge.
DaWanda, das ist heute ein Ort, der mehr sein will als ein bloßes virtuelles Schaufenster zu Produkt gewordenen Kreativitätsausbrüchen oder alternativen Geschenkideen. 2013 erfuhr die Marke einen umfassenden Relaunch, in der nicht nur das Corporate Design eine Überarbeitung erfuhr. DaWanda, das war bis zu diesem Zeitpunkt die bunte Version der Plattform etsy so vernahm man von Kennern der D.I.Y.-Szene, die es vorzogen, dort Streifzüge durch die kreativen Produktwelten zu unternehmen und das Konkurrenzunternehmen nicht zuletzt als Inspirationsquelle für die eigene Kreativproduktion nutzten.
Seit dem Relaunch nähert sich DaWanda im Erscheinungsbild, den Funktionalitäten und der Markenstrategie zunehmend an das amerikanische Vorbild an, statt sich merklich von diesem zu unterscheiden. Ein Angleich findet seither vor allem darin statt, wie sich beide Marken der Herausforderung stellen, einem strukturellen Widerspruch zu begegnen. Wie nämlich wird das Authentische, das Echte, die Liebe, die sich doch an jeden einzelnen Stich, in jeder Masche ausdrückt, wie lassen sich diese zentralen Produkt-Faktoren der Marke DaWanda an der Bildschirmoberfläche erleben?
Ausgerechnet der sensorischen Erfahrung wird der Klick-Käufer in den mittlerweile 300.000 Shops auf DaWanda beraubt. Es mag banal klingen, bedingt aber doch die weitere Ausrichtung der Marke: Eine Lieblingstasche, die erkenne ich neben dem gelungenen Design an der besonders hochwertigen, guten Verarbeitung. Das Material wird prüfend ertastet, am Leder geschnuppert und ein Stückchen vom Entstehungsweg der Tasche nachempfunden.
DaWanda wartet mit allerlei Prothesen zur authentischen, quasi-sensorischen Produkt-Kennenlern-Phase auf. Ergonomisch aufgebaut, präsentiert die Seite die Produkte unterteilt in die übergeordneten Kategorien »Mode«, »Accessoires«, »Taschen«, »Schmuck«, »Männer«, »Baby«, »Kind«, »Wohnen«, »Material«, »Vintage« und »Anlässe«, in der sich navigieren – Pardon – stöbern lassen.
Auf diese Weise werden »die »Products with Love« mit hoher Sorgfalt in verschiedenen Clustern kuratiert. Passendes zur Hochzeit, zur Taufe, zur Einweihungsparty wird shopübergreifend mittels internen Algorithmen und Auge der DaWanda-Mitarbeiter für den Besucher der Website aufbereitet. Soweit der normale Lauf und Gesetze von Online-Plattformen.
Wie stehen diese Kreativprodukte »im Plural« nun miteinander in Beziehung? Für DaWanda ist es das Moment, dass kreative Köpfe, »begabte Hände«, die »Products with love« erstellen. Von ihnen erfahre ich in Kurzporträts in Format kleiner YouTube-Clips und kann hinter die Kulissen der Kreativmanufakturen blicken. Im Making-of-Stil oder auch durch Interview mit DaWanda-Größen werden die Produkte in Erzählungen eingebettet, in denen das kreative Subjekt über sein kreatives Objekt berichtet.
Mit einem Mal hat auch die soeben im Shop des Verkäufers ausgesuchte Vase eine eigene Geschichte und an ihr haftet damit noch etwas narrativer Atelierstaub. Im Ergebnis haben das Gros der Produkte dabei nichts mehr mit D.I.Y.-Dilettantismus zu tun, sondern durch die auf der Plattform konsumierbaren ›Kreativprodukte im Plural‹ entstehen eigene, virtuelle Concept-Stores, die allesamt von der Inszenierung ihrer kreativen Einzigartigkeit leben.
Auffällig ist, dass DaWanda konsequent den Community-Gedanken ins Zentrum rückt. Eine Kreativ-Gemeinschaft wird also gefeiert, die dem Kreativitätsimperativ längst verfallen ist und Selbstentfaltung als ihr Modell etabliert hat. Weiter heißt es in der DaWanda Selbstauskunft: »Als Gegenströmung zum industriellen Massenkonsum richtet sich DaWanda an Menschen, die die Besonderheit von individuellen Produkten zu schätzen wissen und erfahren möchten, welche begabten Hände die neue Lieblingstasche entworfen haben«.
Im Blick haben dabei die DaWanda-Macher wohl vor allem die weiblichen Unikat-Liebhaberinnen, wenn sie nach dem Relaunch formulieren: »Für qualitätsbewusste Frauen zwischen 20 und 50 Jahren soll unsere Plattform zum festen Bestandteil des alltäglichen Lebens werden.« Durch einen integrierten Blog, sowie durch Fanartikel und ausgefallene D.I.Y.-Events soll erlebbar werden, dass die mittlerweile über 4,3 Millionen Mitglieder alle Teil einer Gemeinschaft sind, die durch den Wunsch der Ästhetisierung des Kreativen und dessen Konsum zusammengehalten wird. Glaubt man den von DaWanda veröffentlichten Zahlen, so wird jede Minute eine Tasche auf DaWanda gekauft, alle 30 Sekunden ein Produkt fürs Baby und alle 20 Sekunden ein Schmuckstück erworben.
Erkennbar sind bei der derzeitigen Ausrichtung der Marke aber vor allem noch zwei weitere Entwicklungen. Zum einen erweitert DaWanda das Angebot an Materialien für die kreative Selbsterfahrung, für die eigenen Selbermach-Projekte und setzt damit auf Wachstum mit Kreativbedarf. Hierzu zählen sowohl die Materialien und Hilfsmittel selbst als auch ein umfassendes Angebot an D.I.Y.- Anleitungen und Tutorials.
In den letzten Monaten wird dieses Angebot zusehends durch Kooperationen mit Verlagen ergänzt, die, so scheint es, von der Marke DaWanda profitieren. Mit einer Kampagne mit dem Slogan »Wenn Du wüsstest, was Du alles kannst!« wirbt beispielsweise der Ratgeber-Verlag Gräfe und Unzer (GU) aktuell für eine Reihe von Selbermach-Büchern, in denen mittels Anleitungen von DaWanda-Designern »trendige, kreative Projekte« realisiert werden können.
Die zweite Beobachtung schließt sich an Aktivitäten der Marke, in der ein Wunsch nach »Placeness« spürbar wird. Also das Bedürfnis nach realen Orten oder Ortsgebundenheit. Kreativität hat durch DaWanda einen virtuellen Raum eingenommen, der aber auch einen Rückbezug in den analogen Raum hat und dort nach Möglichkeit etwas Selbermach-Gemütlichkeit versprühen soll.
Unter diesem Aspekt lassen sich vielleicht zwei DaWanda-Neuerungen der letzten Jahre erklären. DaWanda wählt mit dem »LoveMag« eine nahezu anachronistisch wirkende Publikationsform. Als Corporate-Print-Produkt, das sich selbst selbst als »Produktmagazin« versteht, präsentiert dieses ausgewählte DaWanda- Kreationen und Händler. Ergänzt wird diese Auswahl durch Artikel rund um das Thema D.I.Y. im saisonalen Gewand. Mittels der im Heft hinterlegten Produktnummer kann das gewünschte Produkt über die Plattform beim jeweiligen Hersteller bestellt werden, somit verschränken sich analoge Produktkataloge in visuell ansprechender Magazinform mit der digitalen Ladenfläche.
Wem das alles noch nicht genug Einzigartigkeit ist, der kann es sich in der DaWanda »Snuggery« in Berlin-Charlottenburg gemütlich machen. Dort findet dann die tatsächliche Sichtbarwerdung der kreativen Bastelszene im urbanen Raum statt. Bei Latte macchiato kann man sich über das neuste Projekt unterhalten, sich von ausgestellten Kreationen inspirieren lassen oder sich direkt an die Nähmaschine vor Ort setzen.
Bleibt abzuwarten, wie sich die Marke in Zukunft weiter ausrichtet, in Zeiten, in denen erste »D.D.I.Y. – Donʼt do it yourself«-Schlachtrufe laut werden, die kritische Knötchen im harmonisch bunten Wollhaufen hinterlassen. Die Künstlerin Lisa Anne Auerbach beschreibt in ihrer 2012 erschienen Streitschrift »Donʼt do it yourself« pointiert die Spätfolgen der Bastelgesellschaft, in der die Hervorbringung von immer Neuem – und das möglichst selbstgestaltet – zum Dauerzustand geworden ist. Hat sie dabei auch an Plattformen wie DaWanda gedacht?
»D.I.Y ist gestohlen worden«, so beginnt ihr Buch. Gestohlen von Firmen, die die einstigen idealistisch, konsumkritischen Ideale vereinnahmt haben und deren Produkte im Namen des Kreativitätsimperatives zu wahren Materialschlachten und unvollendeten Projekte frustrierter D.I.Y.-Anfänger führten. Das Ende des Selbermach-Wahnsinns wird ausgerufen und damit die Hoffnung formuliert: »Donʼt do it yourself bringt uns zusammen, und wir lassen die ›Armee der Einzelnen‹ hinter uns zurück, um uns auf eine von uns selbst gestalteten Welt zu zu bewegen«.
Als längst profitables Unternehmen wird DaWanda Sorgfalt auf das eigene »Green Washing«, das in diesem Fall wohl treffender als »Green Knitting« bezeichnen sollte, legen müssen. Nicht nur Anleitungen zum »Strick Dich glücklich« sucht die kreative Klasse, sondern es ist zu unterstellen, dass das Label »Products with Love« bestens kompatibel ist für karitative Aktionen frei nach dem Motto »Tu Kreatives und rede in unserem Namen darüber«.
In der derzeitigen Gestalt ist DaWanda eine Plattform, die Kreativ-Konsum in zwei Richtungen erlaubt und damit in Reinform ein zentrales Element berücksichtigt, das Andreas Reckwitz in seinem Buch »Die Erfindung der Kreativität« als elementare Motivation der Kreativökonomie herausgearbeitet hat. Ihr vorrangiges Ziel sei das Bilden von »Konsum-Affektgemeinschaften«, in der sich die Beziehungen vor allem »interobjektiv« gestalten.
Und genau das lässt sich beobachten: Die DaWanda-Gesellschaft wird maßgeblich durch ihre Produkte zusammengehalten. Zugespitzt formuliert, interessieren weniger die Relationen der Subjekte untereinander, sondern die Aufmerksamkeit richtet sich auf die Herstellung und den Gebrauch faszinierender Objekte durch faszinierende Subjekte. Gerade zu Weihnachten lässt sich durch »DaWanda« nicht nur selbst ein Stückchen von diesem Kreativitätsdispositiv kosten, sondern in Gestalt der »Products with love« mit ein bisschen Glück sogar noch pünktlich zum Fest davon verschenken.
Julia Kleinbeck ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im ERC-Projekt »LexArt – The Rise of a Terminology« an der Université Paul Valéry in Montpellier und arbeitet als Lehrbeauftragte an der HS Pforzheim im Fachbereich Gestaltung.
Gegenstände früherer Konsumrezensionen:
Designanalysen (Gui Bonsiepe, HfG Ulm) (November 2014)
Toastbrot (Oktober 2014)
Saugroboter (September 2014)
Supermarktsortiment (August 2014)
Rasenmäher und Kinderbuggy (Juli 2014)
Discounter und Supermarktketten werben mit der WM (Juni 2014)
Tee: Pukka und Yogi (Mai 2014)
Grundsätzliche Überlegungen: Welches Vorgehen ist sinnvoll, wenn man Konsumprodukte rezensiert? (April 2014)
Zwei Schokoladenprodukte (März 2014)
Die Smartphones Lumia 1020 und Galaxy 4 (Februar 2014)
Der feministische Bechdel-Test, umformuliert fürs Marketing, ausprobiert an AXE Deodorant Bodyspray (Januar 2014)
Mr Muscle Aktiv-Kapseln Allzweck-Reiniger (Dezember 2013)
Schwarzkopfs Gliss Kur Million Gloss Kristall Öl (November 2013)