Konsumrezension Juli
von Daniel Hornuff
18.7.2014

Rasenmäher und Kinderbuggy

‚Etwas vor sich herschieben‘ – bis vor Kurzem stand diese Wendung für bloßes Versagen: Dringliches nicht erledigen, Zeit vertändeln, sich lähmender Disziplinlosigkeit überlassen. Unter dem Stichwort ‚Prokrastination‘ versammelten sich all diejenigen, die nicht zu Potte kamen, weil sie von chronischer Aufschieberitis befallen waren.

Inzwischen haben sich die Vorzeichen geändert. Das Vor-sich-Herschieben konvertierte, zumindest in seiner performativen Realisierung, zur Geste des Triumphs. An zwei Produktgruppen lassen sich die neuen Insignien des Schiebens besonders klar identifizieren: an Rasenmähern und Kinderbuggys.

Auffällig ist, dass beide als Geräte des Mannes beworben werden – mit klaren Bedeutungsunterschieden freilich: So erscheinen Rasenmäher im Image-Verbund mit Gartengrills als letzte Refugien archaisch-gehärteter Männlichkeit; wohingegen Buggys im Zusammenspiel mit Umhängetaschen und dekolletierten T-Shirts als Symbole einer – irgendwie – neu erweichten, verweiblichten Männlichkeit gelten. Wer seinen Vorgarten mäht, wird keinen Reiz darin sehen, seinen Nachwuchs durch die Innenstadt zu schieben. Gleiches gilt umgekehrt.

Dennoch verkörpern beide Instrumente der Repräsentation. Der Vorgarten ist die Bühne, auf die Nachbarn, Besucher und Passanten den Blick des Neides werfen sollen. Im Idealfall mit spektakulärer Naturkulisse ausgestattet, inszeniert der Mann auf ihr seinen Rasenmäherauftritt als samstägliches Heimarbeits-Intermezzo. Er wirft sich in Gartenarbeiterkluft, lässt den Motor aufheulen und labt sich damit am Busen wahrer Ursprünglichkeit: Für zwei Stunden zurück zum Wesentlichen, Benzin riechen und Gewuchertes auf akkurates Maß zurückhäckseln.

Ähnlich verhält es sich mit Kinderbuggys: Sie sind die mobilen Würdezeichen des innerstädtischen Catwalks. An der Wahl des fahrbaren Untersatzes lassen sich pädagogische Konzepte ebenso ablesen wie persönliche Auffassungen über Rollenbilder. Welche Attribute sind ihm angehängt? Wurde das baumelnde Spieluhrenbärchen in rosa gehalten? Und ist die angeknipste Kaffeebecherhalterung mit exklusivem Schwungarm ausgestattet?

Der Mann als Postnatal-Chauffeur tritt die Nachfolge seiner Partnerin an, die das gemeinsame Glück bisher durch die Welt bugsierte. Doch sobald der Nachwuchs geboren ist und ihm ein Alternativgefährt verliehen werden muss, greifen männliche Kompetenzen ein: Nun kann er zeigen, was es bedeutet, Mobilität mit Sicherheit und Navigationsgeschick zu verbinden.

Dazu passt, dass Rasenmäher und Kinderbuggys aus einem gemeinsamen Designpool schöpfen: Sie erscheinen als Boliden, versehen mit den ästhetischen Vorzügen eines Rennwagengeschosses. Hatten sie bislang gegenüber ihren automobilen Vorbildern mit Vortriebsdefizit zu kämpfen, so beheben inzwischen Rasenmäher auch diesen Rückstand, indem als Hauptcharakteristikum ihre Eigenbeweglichkeit angeführt wird: „Selbstfahrender Highwheeler-Rasenmäher mit leistungsstarkem 1,96 kW-Motor (2,7 PS) bei 2900 U/min“, heißt es aktuell bei Lidl. Angaben zum „Tankvolumen“ und der Hinweis darauf, es mit einem „laufruhigen und sparsamen OHV-4-Takter mit 135 cm³ Hubraum“ zu tun zu haben, runden die Bolidisierung des Mähers ab. Nicht auszuschließen, dass schon bald Rasenmäher-Quartettspiele in Umlauf kommen werden: Schubkraft sticht Schnittkantenhöhe!

Das bisherige Vor-sich-Herschieben wird zum sportlichen Nachlaufen. Der Rasenmähermann verlegt sich aufs souveräne Lenken, und so bleibt auch hier abzuwarten, wann erste Buggys über ähnlich potente Selbstfahrkomponenten verfügen werden. Oder ist ihnen gerade das physische Schieben ein zentrales Wertversprechen? Immerhin bleibt der Mann damit selbst Motor und Antrieb seines Kindes, was ihm ein nicht unerhebliches Kontroll- und damit Machtempfinden vermitteln dürfte – und ihm, selbst in seiner feminisierten Rolle, einen Rest tradierter Männlichkeit sichert.

Jedenfalls beeindrucken schon heute beide Modelle durch wuchtige Hinter- und kleiner gehaltene Vorderräder, das wohl augenfälligste Sportwagenmerkmal zitierend. Häufig finden sich die Radaufhängungen durch Stoßdämpfervorrichtungen gezielt betont, was dem gesamten Gefährt zusätzlich geländegängige Wirkungen sichert und, vor allem beim Buggy, durch überrollbügelartige Elemente verstärkt wird.

Der Heckflügel wandelte sich zum Grasauffangbehälter, und viele erwerben mit einem Kinderbuggy ein dazugehöriges Taschenset, das sie in ähnlicher Position dem Fahrgestell an- und umhängen. Und nicht zuletzt: Wo der Rasenmäher seinen Motorblock wie ein ultimatives Leistungsversprechen präsentiert, hievt der Buggy das Kind trophäengleich in herausgehobene Position. PS- oder Kinderprotz: Zwischen diesen zwei Lagern können Männer westlicher Wohlstandsgesellschaften heute wählen.

Besonders schlagend zeigen sich formale Gemeinsamkeiten in der erst kürzlich aufgekommenen Reduktion der Räderanzahl: Mit Dreirad-Rasenmäher und Dreirad-Buggy sei jeweils ein höherer Grad an Wendigkeit zu erzielen. Die Agilität der Geräte verstärkt ihre Suggestion von Sportlichkeit und Dynamik, ja letztlich wird, wer mit solchen Dingern aufzutreten weiß, zum Hochleistungsspezialisten seiner jeweiligen Rolle: Mäher und Vater, Garten- und Kinderinhaber gerieren sich als neue Mobilitätselite unserer Kultur. Sie schieben vor sich her, was als Signum ihrer Statusfunktion wahrgenommen werden soll.

 

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Dr. Daniel Hornuff ist Professor für Theorie und Praxis der Gestaltung an der Kunsthochschule der Universität Kassel.